Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.09.2003, Az.: 2 K 513/02
Kürzung des Vorwegabzugs; Zusammenveranlagte Ehegatten; Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit; Einbeziehung des Arbeitslohnes des anderen Ehegatten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 17.09.2003
- Aktenzeichen
- 2 K 513/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19297
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0917.2K513.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG
- § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG
- § 19 EStG
- § 19 Abs. 2 EStG
- § 3 Nr. 62 EStG
- § 10c Abs. 3 Nr. 1 EStG
- § 10c Abs. 3 Nr. 2 EStG
Fundstellen
- BBV 2004, 5
- INF 2004, 126
Redaktioneller Leitsatz
Bei zusammenveranlagten Ehegatten, bei denen der eine Ehegatte Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit bezieht, ist die Einbeziehung des Arbeitslohnes des anderen Ehegatten in die Kürzung des Vorwegabzugs rechtswidrig, wenn Letzterer nicht zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört und für ihn auch keine Zukunftssicherungsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht wurden.
Tatbestand
Streitig ist, ob im Streitjahr 2001 der Vorwegabzug von Ehegatten nach Maßgabe des Arbeitslohns beider Ehegatten zu kürzen ist, obwohl nur die Ehefrau hinsichtlich ihres Arbeitsverhältnisses Zukunftssicherungsleistungen erhalten hat.
Die Kläger sind im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger war Vorstandsvorsitzender der X-AG. Er hatte im Streitjahr aus dieser Tätigkeit einen Bruttoarbeitslohn von 154.474 DM. Die Tätigkeit war sozialversicherungsfrei. Er hatte aufgrund seiner Tätigkeit keine Anwartschaft auf Altersversorgung, z.B. aufgrund einer Pensionszusage. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden nicht geleistet. Die Klägerin war bis zum 31. Mai des Streitjahrs als Referendarin. Sie bezog hieraus einen Arbeitslohn von 9.702 DM. Seitdem war sie als Rechtsanwältin selbstständig tätig.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger Vorsorgeaufwendungen in einer Gesamthöhe von 18.054 DM als Sonderausgaben geltend. Im Einkommensteuerbescheid vom 27. Juni 2002 berechnete der Antragsgegner den Abzug der Vorsorgeaufwendungen wie folgt:
Geleistete Vorsorgeaufwendungen | 18.054,00 DM | |
---|---|---|
Vorwegabzug | 12.000,00 DM | |
Kürzung des Vorwegabzug | ||
16 v.H. v. 164.176,00 DM = 26.268,00 DM max. | 12.000,00 DM | 0,00 DM |
Grundhöchstbetrag | 5.220,00 DM | |
hälftiger Höchstbetrag | 2.610,00 DM | |
Abziehbar gesamt | 7.830,00 DM |
Zur Begründung seiner Berechnung beruft sich der Beklagte auf die Richtlinie (R) 106 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR 2001), wonach für die Kürzung des Vorwegabzugs bei Ehegatten auch dann der Arbeitslohn beider Ehegatten zugrunde zu legen ist, wenn nur für einen Ehegatten steuerfreie Zukunftsleistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder nur ein Ehegatte zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört hat.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Die Kläger sind der Auffassung, der Arbeitslohn des Klägers sei bei der Kürzung des Vorwegabzugs auszunehmen. Die Kürzung dürfe nur nach dem Arbeitslohn der Klägerin berechnet werden.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
wie erkannt zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, der Vorwegabzug sei nach dem Arbeitslohn beider Ehegatten zu kürzen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht als Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs den zusammengerechneten Arbeitslohn beider Ehegatten zugrunde gelegt.
Nach dem Gesetzeswortlaut, dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ist aber nur der Arbeitslohn der Ehefrau als Bemessungsgrundlage für die Kürzung zugrunde zu legen.
Gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung kann für Beiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG zusätzlich ein Vorwegabzug von 6.000 DM, im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten von 12.000 DM vorgenommen werden. Diese Beiträge sind gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG zu kürzen um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge i.S. des § 19 Abs. 2 EStG, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.
Der Beklagte hat den Arbeitslohn der Klägerin zu Recht in die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen. Für sie wurden Zukunftsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht, da sie zumindest bis zum Mai des Streitjahrs sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Der Kläger gehörte nicht zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG. Für ihn wurden auch keine Zukunftssicherungsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
Die Einbeziehung auch des Arbeitslohns des Ehemanns in die Kürzung des Vorwegabzugs ist rechtswidrig.
Zwar lehnt der BFH in ständiger Rechtsprechung eine individuelle Kürzung des Vorwegabzugs bei zusammenveranlagten Ehegatten ab (BFH-Urteil vom 12. Oktober 1994, X R 260/93, BStBl. II 1995, 119). So sei der den Ehegatten gemeinsam zustehende Höchstbetrag von - im Streitjahr - 12.000 DM nicht anteilig mit jeweils 6.000 DM jedem der Ehegatten zuzurechnen. Dies ergebe sich, weil die zusammen veranlagten Eheleute kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung beim Sonderausgabenabzug eine Einheit bildeten (BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2000, XI B 75/99, BFH/NV 2001, 773). Eine dadurch gegenüber Ledigen entstehende gesetzliche Benachteiligung sei von den zusammen veranlagten Ehegatten hinzunehmen, da die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Gleichbehandlung ausgeht. Durch die Verdoppelung des Vorwegabzugs seien Ehegatten teilweise benachteiligt und teilweise begünstigt, im Ganzen aber eher vorteilhaft oder zumindest eheneutral behandelt. Diese Rechtsprechung des BFH hat das Bundesverfassungsgericht - BverfG - bestätigt (BVerfG-Beschluss vom 16. Januar 1991, 2 BvR 1400/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1991, 672; vom 22. Mai 1998, 2 BvR 712/98 und vom 22. Juni 1998, 2 BvR 64/98 Steuer-Eildienst - StEd - 1998, 546).
Danach gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen allein der Arbeitslohn eines Ehegatten als Bemessungsgrundlage für die Kürzung den beiden Ehegatten gemeinsam zustehenden Vorwegabzug entfallen lässt, obwohl der andere Ehegatte keine zur Kürzung des Vorwegabzugs führenden Einnahmen erzielt hat.
Der Streitfall liegt aber anders. Insoweit verwechselt der Beklagte den gemeinsam zustehenden Vorwegabzug von Ehegatten in Höhe von 12.000 DM mit der Bemessungsgrundlage für die Kürzung. Die Bemessungsgrundlage bei Ehegatten ist nämlich keine gemeinsame. Der Arbeitslohn der Klägerin, aufgrund dessen der Vorwegabzug zu kürzen ist, führte allein noch nicht zu einer vollständigen Kürzung des beiden Ehegatten gemeinsam zustehenden Vorwegabzugs. Es verbliebe vielmehr nach der Kürzung um 1.552 DM - nach einem Arbeitslohn von 9.702 DM x 16 v.H. - ein Vorwegabzug von 12.000 DM -1.552 DM = 10.448 DM. Der Arbeitslohn des Klägers führte im Falle eines nicht zusammen veranlagten Steuerpflichtigen nicht zu einer Kürzung des Vorwegabzugs.
Der Arbeitslohn des Klägers ist auch im Falle der Zusammenveranlagung bei der Kürzung des Vorwegabzugs auszunehmen. Für ein Absehen von der Kürzung spricht der Gesetzeswortlaut und der Wille des Gesetzgebers. So sind auch im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten zwei "Steuerpflichtige" i.S.d. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG vorhanden (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1994, X R 260/93, a.a.O.). "Steuerpflichtiger" im Sinne des EStG ist derjenige, der als natürliche Person nach § 1 EStG einkommensteuerpflichtig ist, und zwar mit den von ihm erzielten Einkünften, im Streitfall mit solchen aus nichtselbstständiger Arbeit. Auch § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG spricht von "Steuerpflichtigen", die jeweils als Einzelpersonen für ihre Zukunftssicherung Leistungen nach § 3 Nr. 62 EStG erhalten oder zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehören.
So hat der BFH in seinem Urteil vom 12. Oktober 1994, X R 260/93 (a.a.O.), wenn auch für die im dortigen Streitjahr 1991 geltende Rechtslage, entschieden, dass der Vorwegabzug auch bei zusammen veranlagten Ehegatten nur nach der für den jeweiligen Ehegatten geltenden Bemessungsgrundlage zu kürzen sei. Es sei gerade keine Bemessungsgrundlage für beide Ehegatten gemeinsam zu bilden, wenn auch die Ehegatten nach der Ermittlung der Einkünfte als ein einziger Steuerpflichtiger zu behandeln seien.
Auf den Streitfall bezogen ergibt sich danach für die Antragstellerin eine Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs von 1.552 DM (s.o.) und für den Antragsteller eine solche von 0 DM, so dass den Ehegatten gemeinsam noch ein Vorwegabzug von 10.448 DM verbliebe.
Eine solche Regelung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 12/5764) zur Regelung der Kürzung des Vorwegabzugs nach dem Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl. I 1994, 50) heißt es: "Auf die komplizierte zeitanteilige Berechnung des Kürzungsbetrags wird verzichtet, zumal bei geringem Arbeitslohn infolge nur kurzzeitiger Beschäftigung die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs ohnehin niedriger ist." Der Gesetzgeber ging danach davon aus, dass sich durch den Verzicht auf eine Differenzierung nach der Dauer der Beschäftigung eines Steuerpflichtigen im Kalenderjahr keine Härten ergeben, weil sich die Bemessungsgrundlage entsprechend reduzierte. Dem Willen zur Vermeidung solcher Härten widerspräche es, wenn sich die reduzierte Bemessungsgrundlage insoweit nachteilig auswirkte, als ein minimaler Arbeitslohn des einen Ehegatten die Einbeziehung des hohen Arbeitslohns des anderen Ehegatten bewirkte.
Für diese Auffassung spricht auch der Sinn und Zweck der Regelung des Vorwegabzugs und dessen Kürzung. Der Vorwegabzug soll selbstständig Tätigen einen Ausgleich dafür bieten, dass der gesetzliche Beitragsanteil des Arbeitgebers zur Altersvorsorge als steuerfreier Arbeitslohn behandelt wird, während der selbstständig Tätige seine Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe selbst aufbringen muss (vgl. hierzu die Ausführungen im BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002, XI R 61/00 m.w.N.). Der Kläger als Vorstandsvorsitzender ist sozialversicherungsrechtlich kein Arbeitnehmer und mithin einem Selbstständigen gleichgestellt. So muss auch er seine gesamte Altersvorsorge aus eigenen Mitteln aufbringen. Nur wenn der Arbeitslohn des Klägers nicht in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen wird, kann der Begünstigungszweck der Regelung erreicht werden. Die Kläger sind nur dann genauso gestellt wie Ehegatten, von denen einer Arbeitslohn mit Zukunftssicherungsleistungen bezieht und der andere selbstständig ist.
Auch die Finanzverwaltung hat bis zum Erlass der EStR 2001 nur den Arbeitslohn eines Ehegatten in die Bemessungsgrundlage einbezogen, wenn nur dieser Arbeitslohn bezogen hatte, durch den der Vorwegabzug zu kürzen war.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
3. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil es höchstrichterlicher Klärung bedarf, ob die Regelung in R 106 Satz 3 EStR 2001 der Gesetzeslage entspricht.