Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.09.2003, Az.: 15 K 610/01
Ladung zum Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung innerhalb der Rechtsbehelfsfrist; Vorlage eines Vermögensverzeichnisses innerhalb der Rechtsbehelfsfrist
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 23.09.2003
- Aktenzeichen
- 15 K 610/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20725
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0923.15K610.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 284 Abs. 3 AO 1977
- § 284 Abs. 6 AO 1977
- § 284 Abs. 1 AO 1977
Fundstellen
- EFG 2004, 472-473
- ZKF 2004, 110
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Hat der Vollstreckungsschuldner gegen die Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung einen Rechtsbehelf eingelegt und diesen begründet, so ist er erst nach Unanfechtbarkeit der Entscheidungüber den Rechtsbehelf zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet.
- 2.
Die Vollstreckungsbehörde ist nicht berechtigt, zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu einem Termin zu laden, der von vornherein erkennbar innerhalb der Rechtsbehelfsfrist liegt.
Tatbestand
Streitig ist die gegenüber dem Kläger ergangene Anordnung, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und die eidesstattliche Versicherung abzugeben.
Der Kläger ... befindet sich seit Jahren mit dem Finanzamt (FA) im Streit darüber, ob die Umsätze aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar der Umsatzsteuer unterliegen. Seiner Auffassung nach sei er zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen nicht verpflichtet. Er sei als Rechtsanwalt und Notar weder Unternehmer noch erhalte er die Gebühren für diese Tätigkeit aufgrund eines Leistungsaustausches. Ferner seien die von ihm erhobenen Gebühren verfassungswidrig, da sie nicht kostendeckend seien. Er könne aufgrund der mangelhaften Gebührenstruktur entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers die Umsatzsteuer nicht auf den Endverbraucher abwälzen. Als Notar und Rechtsanwalt habe er nur Verluste erwirtschaftet. Müsse er die Umsatzsteuer an das FA abführen, liege ein enteignungsgleicher Eingriff vor, der sein Existenzminimum gefährde. Das Existenzminimum dürfe aber nicht besteuert werden. Seine Klage auf Anfechtung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1994 - 1998 hat das Niedersächsische Finanzgericht ebenso wie eine Klage auf Erlass dieser Umsatzsteuerfestsetzungen mit Urteilen vom 14. Dezember 2000 ... abgewiesen. Die dagegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden sind erfolglos geblieben. Nach einem erfolglosen Vorverfahren hat der Kläger beim Niedersächsischen Finanzgericht erneut eine Klage erhoben, mit der er den Erlass der Umsatzsteuer 1994 bis 1998 begehrt. Über das unter dem Aktenzeichen ... geführte Verfahren ist noch nicht entschieden worden.
Der Kläger ist ausweislich der beigezogenen Vollstreckungsakten seit 1990 mit der Zahlung seiner Abgaben im Rückstand. Das beklagte FA erhält aufgrund der Pfändung von Tantiemeansprüchen vom 30. Juni 1998 ... unregelmäßige Zahlungen. Eine gegenüber der ... Bank ... am 17. Juli 2001 ausgebrachte Pfändung ist aufgrund von Gegenansprüchen erfolglos geblieben. Am 12. September 2001 betrugen die Abgabenrückstände des Klägers 121.228,00 DM. Wegen der Zusammensetzung dieser Rückstände im einzelnen wird auf die Aufstellung der Forderungen vom 12. September 2001 (Blatt 16 bis 18 der Vollstreckungsakte Band V) Bezug genommen.
Am 14. September 2001 ordnete das beklagte FA gegenüber dem Kläger die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach Maßgabe des§ 284 der Abgabenordnung (AO) an. Das FA begründete die Anordnung damit, dass der Versuch, in das bewegliche Vermögen zu vollstrecken, letztmalig am 17. Juli 2001 erfolglos geblieben sei und die weitere Vollstreckung nach seinen Ermittlungen aussichtslos erscheine. Mit der Anordnung verband das FA die Ladung zu dem für den 31. Oktober 2001 anberaumten Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.
Den Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsbescheid vom 16. Oktober 2001 als unbegründet zurück ... . Die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des§ 254 AO seien ... erfüllt. Eine am 17. Juli 2001 ausgebrachte Pfändungs- und Einziehungsverfügung sei erfolglos geblieben. Die Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen verspreche wegen der hohen Vorbelastung keinen, allenfalls einen geringen Erfolg. Da die Anordnung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung somit nicht ermessensfehlerhaft sei, werde der Einspruch zurückgewiesen. Der für den 31. Oktober 2001 anberaumte Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung werde daher nicht aufgehoben.
Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich darauf, dass die der Vollstreckung zugrundeliegenden Umsatzsteuerfestsetzungen rechts- und verfassungswidrig seien. Die gesetzlichen Gebühren der Rechtsanwälte und Notare seien viele Jahre nicht an die Kostensteigerungen angepasst worden. Angesichts nicht mehr kostendeckender gesetzlicher Gebührenordnungen könnte daher die Umsatzsteuer nicht mehr abgewälzt werden. Der Beklagte sei deshalb jedenfalls dazu verpflichtet, die festgesetzte Umsatzsteuer für die Vergangenheit gemäß § 163 AO bzw.§ 227 AO aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen. Wegen des Vorbringens des Klägers im einzelnen wird insoweit auf die Klageschrift vom 15. November 2001 (Blatt 1 bis 34 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Es lägen auch die besonderen Voraussetzungen des§ 284 AO nicht vor. Vollstreckungsmaßnahmen, die wie vorliegend zur Existenzvernichtung des Klägers führen würden, seien durch das Gesetz schlicht verboten. Im übrigen habe der Beklagte bei der Anordnung auf etwaige berufsrechtliche Nachteile, die dem Kläger als Rechtsanwalt und Notar aufgrund der Anordnung drohten, Rücksicht nehmen müssen.
Der Kläger beantragt,
die Anordnung des Beklagten vom 14. September 2001, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und dessen Richtigkeit an Eides Statt zu versichern, und den hierzu ergangenen Einspruchsbescheid vom 16. Oktober 2001 ersatzlos aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die angefochtene Anordnung aus den Gründen der Einspruchsentscheidung nach wie vor für rechtmäßig. Insbesondere habe der Beklagte den rechtskräftigen Ausgang der Verfahren wegen der Umsatzsteuerfestsetzungen 1994 bis 1998 und den Erlass der Umsatzsteuerfestsetzungen 1994 bis 1998 abgewartet. Soweit der Kläger einen erneuten Antrag auf Erlass der festgesetzten Umsatzsteuer gestellt habe, sei die Entscheidung des Beklagten, den rechtskräftigen Ausgang dieses Verfahrens nicht abzuwarten, nicht ermessensfehlerhaft. Das FA sehe in dem vom Kläger wiederholt betriebenen Erlassverfahren eine rechtsmissbräuchliche Handlungsweise, die der Verfahrensverschleppung dienen solle. Im Übrigen verweist der Beklagte auf§ 256 AO. Danach seien Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Verwaltungsakte außerhalb des Vollstreckungsverfahrens zu erheben.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist insoweit begründet, als sich der Kläger gegen die Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wendet. Im übrigen ist die Klage unbegründet.
1.
Die Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 16. Oktober 2001 ist rechtswidrig, weil der Beklagte hierdurch zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung auf den 31. Oktober 2001 - und damit einen in den Lauf der Klagefrist fallenden Termin - geladen wurde.
Rechtsgrundlage für die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist § 284 Abs. 3 AO. Danach hat der Vollstreckungsschuldner zu Protokoll an Eides Statt zu versichern, dass er die von ihm (nach § 284 Abs. 1 und 2 AO) verlangten Angaben nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht hat.
Nach § 284 Abs. 6 Sätze 2 und 3 AO ist der Vollstreckungsschuldner dann, wenn gegen die Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ein Rechtsbehelf eingelegt und begründet wird, erst nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den Rechtsbehelf zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet. Dies gilt nicht, wenn und soweit die Einwendungen bereits in einem früheren Verfahren unanfechtbar zurückgewiesen worden sind.
Zwar bestimmt diese Vorschrift nicht ausdrücklich eine von der Finanzbehörde zu beachtende Frist zwischen der Bekanntgabe der Ladung und dem Ladungstermin. Nach Auffassung des erkennenden Senates gebietet die Vorschrift aber insbesondere wegen der nachteiligen Folgen der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis (vgl. § 284 Abs. 7 AO), dass einem Vollstreckungsschuldner bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist größtmöglicher Rechtsschutz gewährt wird. Dass der Vollstreckungsschuldner durch§ 284 Abs. 6 AO in besonderer Weise geschützt werden soll, wird dadurch deutlich, dass die Vorschrift entgegen dem sonst im Steuerrecht geltenden Prinzip (vgl. § 361 AO, 69 Finanzgerichtsordnung - FGO) ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen anordnet. Wenn aber ein Vollstreckungsschuldner einerseits berechtigt ist, sich bis zum letzten Tag der Rechtsbehelfsfrist zu entscheiden, einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung einzulegen, kann andererseits aus Gründen der Rechtssicherheit von ihm nicht bereits vor Ablauf dieser Frist die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verlangt werden. Dementsprechend ist eine Vollstreckungsbehörde nach Auffassung des Senats grundsätzlich nicht berechtigt, zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zu einem Termin zu laden, der von vornherein erkennbar innerhalb der Rechtsbehelfsfrist liegt (vgl. auch FG Köln Urteil vom 10. August 2000 10 K 1964/96, EFG 2000, 1295 und BFH Beschluss vom 25. November 1997 VII B 188/97, BFHE 184, 248, BStBl. II 1998, 227). Da der vom Beklagten in der Einspruchsentscheidung vom 16. Oktober 2001 auf den 31. Oktober 2001 bestimmte Termin innerhalb der einmonatigen Klagefrist lag, ist die angefochtene Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung rechtswidrig.
Diese Rechtswidrigkeit ist nicht dadurch im nachhinein entfallen, dass der Beklagte den Termin zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch Verfügung vom 31. Oktober 2001 - wegen einer vom Kläger geltend gemachten Kollision mit einem von ihm wahrzunehmenden Gerichtstermin - vom 31. Oktober auf den 7. November 2001 verschoben hat, nachträglich entfallen. Das gilt schon deshalb, weil auch der neue Termin ebenfalls innerhalb des Laufes der Klagefrist lag.
2.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Die vom beklagten FA ergangene Anordnung, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen, ist rechtmäßig.
a.
Im Streitfall lagen die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen der §§ 249 ff AO vor. Die Abgabenrückstände des Klägers in Höhe von 121.228,00 DM, wegen der der Beklagte die Anordnung erließ, waren vollstreckbar.
Soweit der Kläger einwendet, dass wegen eines wesentlichen Teils dieser Rückstände, nämlich wegen der Rückstände zur Umsatzsteuer 1994 bis 1998, beim Niedersächsischen Finanzgericht noch ein Verfahren wegen abweichender Festsetzung aus Billigkeit nach § 163 AO bzw. auf Erlass nach § 227 AO anhängig sei, kann er in diesem Verfahren nicht damit gehört werden. Entsprechende Einwendungen sind nach § 256 AO außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür vorgesehenen Rechtsbehelfen zu verfolgen.
b.
Im Streitfall sind auch die besonderen Verfahrensvoraussetzungen im Sinne des § 284 Abs. 1 AO erfüllt.
Nach § 284 Abs. 1 Nr. 2 AO hat der Vollstreckungsschuldner der Vollstreckungsbehörde auf Verlangen ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und für seine Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen, wenn anzunehmen ist, dass durch die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sein wird. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor. Angesichts der Höhe der Abgabenrückstände des Klägers und den weitgehend erfolglosen Vollstreckungsversuchen, insbesondere der erfolglosen Pfändung des bei der ... Bank ... geführten Geschäftskontos am 17. Juli 2001, ist der Beklagte zutreffend zu der Prognose gelangt, dass durch die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Klägers eine vollständige Befriedigung nicht zu erlangen sein würde. Die Rechtswidrigkeit der Anordnung in der Fassung des Einspruchsbescheides ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte die Vorlage des Vermögensverzeichnisses für den 31. Oktober 2001 und damit innerhalb der Klagefrist anordnete. Denn § 284 Abs. 6 Sätze 2 und 3 AO begründen eine aufschiebende Wirkung nur für Rechtsbehelfe gegen die Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, nicht dagegen für Rechtsbehelfe gegen die Anordnung der Vorlage eines Vermögensverzeichnisses. Da zudem die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses keine einschneidenden Folgen wie die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat, bestehen nach Auffassung des Senates keine Bedenken, wenn die Vorlage eines Vermögensverzeichnisses innerhalb der Rechtsbehelfsfrist verlangt wird, jedenfalls solange dem Vollstreckungsschuldner - wie im Streitfall - genügend Zeit verbleibt, auf eine solche Anordnung durch Einlegung eines Einspruchs zu reagieren (vgl. FG Köln Urteil vom 10. August 2000, 10 K 1964/96, EFG 2000, 1295).
Die Anordnung der Vorlage eines Vermögensverzeichnisses ist auch ermessensgerecht. Ermessensentscheidungen unterliegen gemäß § 102 FGO nur einer eingeschränkten gerichtlichenÜberprüfung. Diese Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (Ermessensfehlgebrauch). Derartige Ermessensfehler ergeben sich im Streitfall weder aus dem Vortrag des Klägers noch aus den beigezogenen Akten.
Schließlich ergibt sich die Rechtswidrigkeit der Anordnung der Vorlage des Vermögensverzeichnisses auch nicht aus der Verbindung mit der in derselben Verfügung enthaltenen rechtswidrigen Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung.
Denn bei der Anordnung der Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach § 284 Abs. 1 AO handelt es sich um einen selbständigen Verwaltungsakt. Dieser Verwaltungsakt ist unabhängig von dem ebenfalls selbständigen Verwaltungsakt, durch den die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO angeordnet wird, selbst wenn die Anordnungen in einer Verfügung miteinander verbunden werden (vgl. auch FG Köln Urteil vom 10. August 2000 10 K 1964/96, EFG 2000, 1295, BFH Beschluss vom 7. Dezember 2001 VII B 206/00, BFH/NV 2001,577).
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision gegen die Entscheidung über die Anordnung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.