Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.08.2003, Az.: 1 K 246/03

Rechtsschutz gegen Kindergeldfestsetzung; Berücksichtigungsfähigkeit einer Übergangsbeihilfe bei der Ermittlung kindergeldschädlicher eigener Einkünfte und sonstiger Bezüge; Gewährung von Übergangsgeldern und -hilfen bei der Ermittlung des einkommensteuerrechtlichen Grenzbetrages ; Begriff des Zuflusses von Einnahmen gem. § 11 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
29.08.2003
Aktenzeichen
1 K 246/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 12847
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0829.1K246.03.0A

Fundstelle

  • EFG 2003, 1797

Redaktioneller Leitsatz

Die einem Soldaten auf Zeit nach dem Ausscheiden von der Wehrbereichsverwaltung gewährte Übergangsbeihilfe ist bei der Ermittlung des Grenzbetrages im Jahr des Zuflusses zu erfassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob eine dem Sohn der Klägerin im Jahr 2001 zugeflossene Übergangsbeihilfe bei der Ermittlung seiner kindergeldschädlichen eigenen Einkünfte und sonstigen Bezüge des Jahres 2002 zu berücksichtigen ist.

2

Der 1979 geborene Sohn der Klägerin stand vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2001 in einem Dienstverhältnis als Soldat auf Zeit. Durch Bescheid der zuständigen Wehrbereichsverwaltung vom 22. November 2001 wurde ihm eine Übergangsbeihilfe nach § 12 Abs. 2 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) in Höhe von 6.156,24 DM (= 3.147,64 EUR) bewilligt, die seinem Konto am 28. Dezember 2001 gutgeschrieben wurde.

3

Zum 1. Januar 2002 trat er ein Ausbildungsverhältnis als Versicherungskaufmann an, das während des gesamten Jahres bestand. Die ihm daraus zufließende Ausbildungsvergütung belief sich im Jahr 2002 auf 10.752,48 EUR. Nach Abzug von Werbungskosten - insbesondere von Mehraufwendungen im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung - in Höhe von 5.624,16 EUR ergaben sich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 5.110,32 EUR.

4

Durch Bescheid vom 29. Januar 2002 bewilligte der Beklagte (das Arbeitsamt - Familienkasse - (Familienkasse)) der Klägerin Kindergeld ab Januar 2002. Nachdem die Familienkasse bei einer Überprüfung der Einkommensverhältnisse des Sohnes Kenntnis von der Auszahlung der Überbrückungsbeihilfe am 28. Dezember 2001 erhalten hatte, stellte sie sich auf den Standpunkt, dass diese Leistung bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) des Jahres 2002 zu berücksichtigen sei, weil sie diesem wirtschaftlich zuzurechnen sei. Da sich unter Einbeziehung der Überbrückungsbeihilfe Einkünfte und Bezüge in Höhe von 8.077,96 EUR ergaben, hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung durch Bescheid vom 14. Mai 2003 für die Zeit von Januar bis Dezember 2002 auf.

5

Der am 27. Mai 2003 eingelegte Einspruch wurde durch Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2002 als unbegründet zurückgewiesen.

6

Mit der am 10. Juli 2003 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, dass die bereits am 28. Dezember 2001 ausgezahlte Überbrückungsbeihilfe bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Jahres 2002 außer Betracht zu bleiben habe.

7

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Familienkasse vom 14. Mai 2003 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 18. Juni 2003 aufzuheben.

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Er hält an der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Beurteilung fest.

10

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung erklärt (Schriftsätze vom 12. bzw. vom 25. August 2003 - Bl. 13 und 15 der FG-Akte).

Gründe

11

Die Klage ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 4 EStG liegen nicht vor, weil die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht überstiegen haben.

12

Nach der für das Jahr 2002 maßgebenden Fassung dieser Vorschrift wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.188,00 EUR im Kalenderjahr hat.

13

Die von dem Sohn der Klägerin im Jahr 2002 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Zeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) überschreiten diese Grenze nicht. Andere Einkünfte i.S.d. § 2 Abs. 1 EStG hat er nicht bezogen.

14

Die dem Sohn von der Wehrbereichsverwaltung gewährte Überbrückungsbeihilfe ist bei der Ermittlung des Grenzbetrages des Jahres 2002 nicht zu berücksichtigen. Nach § 3 Nr. 10 EStG steuerfreie Übergangsgelder oder Übergangshilfen - zu denen auch Überbrückungsbeihilfen nach § 12 Abs. 2 SVG gehören (R 10 Abs. 1 Nr. 2 der Lohnsteuerrichtlinien 2003) - zählen zwar zu den zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten oder geeigneten Bezügen i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (insoweit zutreffend Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes - DA-FamEStG -, BStBl. I 2000, 639, Tz. 63.4.2.3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 10, 1. Halbsatz). Bei der Ermittlung des Grenzbetrages sind aber nur diejenigen Einkünfte und Bezüge zu erfassen, die dem Kind im Laufe eines Jahres zufließen. Zu- und Abflüsse anderer Jahre bleiben außer Betracht (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Dezember 2001 VI R 5/00, BFHE 197, 408, BStBl. II 2002, 205; vom 16. April 2002 VIII R 76/01, BFH/NV 2002, 10 [BFH 02.05.2001 - VIII R 64/93]; vom 22. Mai 2002 VIII R 74/99, BFH/NV 2002, 1430).

15

Im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen ist eine Einnahme dem Empfänger, wenn dieser die wirtschaftliche Verfügungsmacht darüber erlangt hat (BFH, Urteile vom 21. November 1989 IX R 170/85, BFHE 159, 72, BStBl. II 1990, 310, und vom 8. Oktober 1991 VIII R 48/88, BFHE 166, 64, BStBl. II 1992, 174). Dies ist im Fall der streitigen Überbrückungsbeihilfe mit der am 28. Dezember 2001 erfolgten Gutschrift auf dem Konto des Sohns der Klägerin geschehen. Damit gehört die streitige Überbrückungsbeihilfe nicht zu den Bezügen des Jahres 2002, sondern zu denen des Jahres 2001.

16

Für eine von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG abweichende Zuflussfiktion des Inhalts, dass Entlassungsgelder stets dem der Entlassung folgenden Monat zuzurechnen sind (Tz. 63.4.2.3 Abs. 2 Nr. 10, 2. Halbsatz der DA-FamEStG), gibt es keine Rechtsgrundlage (BFH, Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 57/00, BFHE 199, 194, BStBl. II 2002, 746).

17

Eine von § 11 Abs.1 Satz 1 EStG abweichende Zuordnung der Überbrückungsbeihilfe lässt sich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, dass diese nach ihrer Zweckbestimmung in typisierender Form an die Stelle von Einnahmen treten soll, die der ehemalige Soldat mutmaßlich gehabt hätte, wenn er sich während seiner Dienstzeit eine anderweitige Erwerbsgrundlage aufgebaut hätte (vgl. BFH-Urteile vom 26. April 1991 III R 48/89, BFHE 164, 286, BStBl. II 1991, 716; vom 18. Dezember 1996 III R 207/94, BFHE 182, 199, BStBl. II 1997, 430; in BFHE 199, 94 [BFH 18.07.2002 - V R 89/01], BStBl. II 2002, 746). Diesem Umstand kommt nur für den Fall Bedeutung zu, dass der Kindergeldanspruch nicht während des gesamten Kalenderjahrs bestanden hat und wegen der anteilige Kürzung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG eine Prüfung vorzunehmen ist, welche der innerhalb ein und desselben Jahres zugeflossenen Einkünfte und Bezüge nach § 32 Abs. 4 Satz 8 EStG außer Ansatz bleiben, weil sie auf Kalendermonate ohne Kindergeldberechtigung "entfallen". Dies beurteilt sich grundsätzlich danach, für welchen Zeitraum sie dem Kind gewährt werden (vgl. BFH-Urteile vom 1. März 2000 VI R 162/98, BFHE 191, 55, BStBl. II 2000, 459; in BFHE 199, 94 [BFH 18.07.2002 - V R 89/01], BStBl. II 2002, 746, und vom 23. Januar 2003 VIII R 76/01 und VIII R 69/01, nicht veröffentlicht). Für die Bestimmung des Zuflussjahres selbst ist dieser Gesichtspunkt hingegen ohne Belang.

18

Da der angefochtene Bescheid hiernach rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, ist er mitsamt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs.1 und 3 FGO.