Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.09.2003, Az.: 2 K 496/02
Geltendmachung der Entfernungspauschale bei der Ausübung einer Einsatzwechseltätigkeit als Bauhandwerker auf wechselnden Baustellen; Irrelevanz der Entfernung zwischen der Wohnung und der jeweiligen Einsatzstelle; Verkehrsmittelunabhängigkeit der Entfernungspauschale
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 10.09.2003
- Aktenzeichen
- 2 K 496/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 17382
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0910.2K496.02.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 11.05.2005 - AZ: VI R 64/03
Rechtsgrundlage
- § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG
Fundstellen
- AuA 2004, 29
- BBK 2004, 1015
- DStRE 2004, 70-72 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2004, 94-95
- PayRoll 2004, 25
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Übt ein Stpfl. als Bauhandwerker auf wechselnden Baustellen eine Einsatzwechseltätigkeit aus, kann er die Entfernungspauschale des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in Anspruch nehmen.
- 2.
Für die Inanspruchnahme der Entfernungspauschale im Falle der Einsatzwechseltätigkeit kommt es auf die Entfernung zwischen der Wohnung und der jeweiligen Einsatzstelle nicht an.
- 3.
Da die Entfernungspauschale verkehrsmittelunabhängig ist, kann sie auch für mit Sammeltransporten zurückgelegte Strecken beansprucht werden. Das gilt selbst dann, wenn durch den Sammeltransport keine Aufwendungen entstanden sind.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger im Streitjahr 2001 für einen Sammeltransport von dem Betriebssitz seines Arbeitgebers zu wechselnden Einsatzstellen die Entfernungspauschale in Anspruch nehmen kann.
Die Kläger sind im Streitjahr 2001 zusammen veranlagte Ehegatten. Der Kläger arbeitete als Bauhandwerker auf wechselnden Baustellen, seine Ehefrau als Verkäuferin.
Der Kläger fuhr im Streitjahr an 201 Tagen mit seinem eigenen PKW von seiner Wohnung zum Betriebssitz seines Arbeitgebers. Die einfache Entfernung betrug 45 km. Von dort aus brachte ihn sein Arbeitgeber mit einem Sammeltransport (Arbeiterbus) auf die jeweilige Baustelle. Der Kläger wechselte im Streitjahr die jeweilige Einsatzstelle spätestens nach 14 Tagen.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Kläger die Berücksichtigung einer Entfernungspauschale in Höhe von 13.982 DM als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Beklagte setzte im Einkommensteuerbescheid die Entfernungspauschale nur für die Strecke von der Wohnung des Klägers bis zum Betriebssitz des Arbeitgebers an. Es ergab sich folgende Berechnung:
Pauschale | für die ersten | 10 km x 0,70 DM/km | = 7,00 DM x 201 Tage | = 1.407,00 DM |
---|---|---|---|---|
für die weiteren | 35 km x 0,80 DM/km | =28,00 DM x 201 Tage | = 5.628,00 DM | |
7.035,00 DM |
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Die Kläger sind der Auffassung, die Entfernungspauschale stehe dem Kläger für die gesamte Strecke von seiner Wohnung bis zur jeweiligen Baustelle zu. Wie der Kläger diese Strecke im Einzelnen zurück gelegt habe, sei für die Höhe der Entfernungspauschale unerheblich.
Die Kläger beantragen,
wie erkannt zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, eine Entfernungspauschale stehe dem Kläger nur für die Fahrten zwischen seiner Wohnung und dem Sitz des Arbeitgebers zu. Die darüber hinaus gehende Strecke, die er mit dem Sammeltransport zurück lege, müsse als innerbetriebliche Fahrt außer Betracht bleiben. Weiterhin gelte die Entfernungspauschale bei einer Einsatzwechseltätigkeit, wie sie der Kläger ausübe, nicht, da die Entfernung der jeweiligen Einsatzstelle von der Wohnung des Klägers 30 km übersteige. Der Kläger könne insoweit nur die tatsächlichen Kosten geltend machen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat zu Unrecht die mit dem Sammeltransport zurückgelegte Strecke nicht in die Entfernungspauschale einbezogen.
Der Kläger kann im Streitjahr 2001 eine Entfernungspauschale in der von ihm zutreffend ermittelten Höhe von 13.982 DM im Kalenderjahr als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit abziehen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 2001 sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,70 DM für die ersten 10 Kilometer und 0,80 DM für jeden weiteren Kilometer, höchstens jedoch 10.000 DM anzusetzen; ein höherer Betrag als 10.000 DM im Kalenderjahr ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt.
Bei der Ermittlung der Höhe der Entfernungspauschale ist die gesamte Strecke von der Wohnung des Klägers bis zu der jeweiligen Baustelle, auf der der Kläger tätig war, zugrunde zu legen. Der Kläger übte zwar im Streitjahr als Bauhandwerker auf wechselnden Baustellen eine Einsatzwechseltätigkeit aus und hatte mithin keine regelmäßige Arbeitsstätte. Insbesondere hatte er nicht etwa deshalb am Betriebssitz seines Arbeitgebers eine regelmäßige Arbeitsstätte, weil er an jedem Arbeitstag zunächst dorthin fahren musste, um in den Sammeltransport umzusteigen. Eine regelmäßige Arbeitsstätte am Betriebssitz des Arbeitgebers ergibt sich nämlich nur dann, wenn sich aus der Häufigkeit des Aufenthalts am Betriebssitz und dem Umfang der dortigen Verrichtungen ergibt, dass der Betriebssitz trotz der ausgedehnten Auswärtstätigkeit beruflicher Mittelpunkt des Arbeitnehmers ist (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1979, VI R 129/77, BStBl. II 1979, 474). Da der Kläger am Betriebssitz seines Arbeitgebers keine Aufgaben zu erledigen hatte, hatte er dort auch nicht den Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit und mithin keine regelmäßige Arbeitsstätte. Arbeitsstätte des Klägers war die Baustelle, auf der er jeweils arbeitete.
Der Kläger kann, obwohl er im Streitjahr keine regelmäßige Arbeitsstätte hatte, sondern an wechselnden Einsatzstellen tätig war, die Entfernungspauschale des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG in Anspruch nehmen. Zwar können Fahrtkosten im Zusammenhang mit einer Einsatzwechseltätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen auch als Reisekosten in tatsächlicher Höhe als Werbungskosten abgezogen werden. An diesem Abzug von tatsächlichen Aufwendungen hat der Kläger aber gerade kein Interesse, weil er einen solchen (höheren) Aufwand gerade nicht nachweisen kann und will. Der Kläger könnte nämlich den pauschalen Kilometersatz von 0,52 DM je Fahrtkilometer nach dem Hinweis 38 der Lohnsteuerhinweise 2001 (H 38 LStH 2001) nur dann in Anspruch nehmen, wenn er mit seinem PKW die Baustellen direkt von seiner Wohnung aus angefahren hätte. Dies hat er jedoch nicht getan.
Für die Inanspruchnahme der Entfernungspauschale im Falle der Einsatzwechseltätigkeit kommt es auf die Entfernung zwischen der Wohnung und der jeweiligen Einsatzstelle nicht an. So hängt diese Inanspruchnahme insbesondere nicht davon ab, ob die in Richtlinie 38 Abs. 3 LStR 2001 von der Finanzverwaltung genannte 30-km-Grenze überschritten ist (so aber OFD-Verfügung vom 29. April 2003, DStR 2003, 623). Denn die Fahrten zwischen Wohnung und den wechselnden Einsatzstellen fallen in jedem Fall unter die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (BFH-Urteil vom 10. Oktober 1994, VI R 2/92, BStBl. II 1995, 137). Der in H 38 LStH 2001 genannte erhöhte Kilometersatz bzw. die Möglichkeit des Nachweises der gegenüber den Pauschbeträgen höheren tatsächlichen Kosten als Reisekosten beruht auf einer durch die Rechtsprechung begründeten teleologischen Reduktion der gesetzlichen Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Hierdurch sollten Härten für die im Rahmen einer Einsatzwechseltätigkeit beschäftigten Arbeitnehmer vermieden werden, die dadurch entstehen, dass es diesen Arbeitnehmern nicht möglich ist, den Wohnsitz an die Arbeitsstätte heranzuverlegen (BFH-Urteil vom 10. Oktober 1994, VI 2/92, a.a.O.). Für diese teleologische Reduktion ist aber nach dieser Rechtsprechung bei einer Einsatzwechseltätigkeit dann kein Raum, wenn sich dadurch gegenüber Arbeitnehmern mit einer festen Arbeitsstätte ungerechtfertigte Vorteile ergeben würden, so z.B. bei einer Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten auf derselben Einsatzstelle oder auf Einsatzstellen in der näheren Umgebung zur Wohnung.
Der Beklagte kann hieraus aber für seine Ansicht nichts herleiten. Würde man nämlich der Rechtsauffassung des Beklagten folgen, so ergäben sich nicht nur gegenüber Arbeitnehmern mit einer festen Arbeitsstätte keine Vorteile, sondern sogar Nachteile, weil die im Rahmen einer Einsatzwechseltätigkeit Beschäftigten nicht in den Genuss der Steuervergünstigung der Entfernungspauschale kämen. Diese Ansicht widerspräche aber dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Die dort genannten Pauschsätze sollten einem Arbeitnehmer für seine Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits-/Einsatzstelle mindestens zustehen.
So hat der Beklagte dem Kläger auch zu Recht für seine Fahrten zum Betriebssitz des Arbeitgebers die sich nach der Entfernungspauschale ergebenden Kilometersätze gewährt. Da der Kläger arbeitstäglich dieselbe Strecke, nämlich zum Betriebssitz seines Arbeitgebers, zurückgelegt hat, kann er für diese Fahrten nicht den pauschalen Kilometersatz von 0,52 DM je Fahrtkilometer beanspruchen, sondern nur die Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG. Insoweit ist er nämlich wirtschaftlich mit einem Arbeitnehmer vergleichbar, der an dem regelmäßig aufgesuchten Ort seine Arbeitsstätte hat. Auf die weiteren Ausführungen hierzu im BFH-Urteil vom 11. Juli 1980, VI R 119/77 (BStBl. II 1980, 653) wird verwiesen.
Dem Kläger steht darüber hinaus aber auch für die mit dem Sammeltransport zurück gelegte Strecke die Entfernungspauschale zu. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung.
Die Entfernungspauschale wurde ab dem Streitjahr 2001 anstelle der bisher geltenden Kilometer-Pauschbeträge eingeführt; sie ist verkehrsmittelunabhängig und soll dadurch die Chancengleichheit zwischen den Verkehrsträgern erhöhen und die Benutzung von Kraftfahrzeugen nicht bevorzugen; sie soll die Bildung von Fahrgemeinschaften honorieren (BR-Drucksache 593/00: "Mit der Entfernungspauschale sollen sämtliche Aufwendungen, die durch die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte veranlasst sind, abgegolten sein. Sie ist deshalb auch ein Beitrag zur Steuervereinfachung."). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Entfernungspauschale bewusst in Kauf genommen, dass der Arbeitnehmer im Einzelfall niedrigere und im Extremfall sogar keinerlei Aufwendungen im Zusammenhang mit seinen Wegen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hat.
Da Arbeitsstätte des Kläger die von ihm arbeitstäglich aufgesuchten Baustellen sind, steht ihm insoweit die Entfernungspauschale für die gesamte Strecke von seiner Wohnung bis dorthin zu, auch wenn ihm durch den Sammeltransport keine Aufwendungen entstanden sind. Die Kläger haben die Gesamthöhe der Entfernungspauschale im Streitjahr im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung mit 13.982 DM zutreffend ermittelt.
Die Entfernungspauschale ist auch nicht zu kürzen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 5 EStG mindern nämlich nach § 3 Nr. 32 EStG oder § 8 Abs. 3 EStG steuerfreie Sachbezüge die Entfernungspauschale nicht. Nach § 3 Nr. 32 EStG ist die unentgeltliche oder verbilligte Sammelbeförderung eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit einem vom Arbeitgeber gestellten Beförderungsmittel steuerfrei, soweit Sammelbeförderung für den betrieblichen Einsatz des Arbeitnehmers notwendig ist. Dies ist insbesondere, wie im Streitfall, dann der Fall, wenn die Arbeitnehmer an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten eingesetzt werden (vgl. auch Richtlinie 21 der Lohnsteuerrichtlinien 2001).
Der Kläger kann die von ihm ermittelte Entfernungspauschale von 13.982 DM voll in Anspruch nehmen, ohne auf den Höchstbetrag nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG von 10.000 DM begrenzt zu sein. Der Höchstbetrag von 10.000 DM nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 zweiter Halbsatz EStG gilt nämlich nicht, soweit der Kläger für die Fahrten einen eigenen PKW benutzt. Dem Kläger steht wegen der Fahrten mit dem eigenen PKW der vom Beklagten angesetzte Betrag von 7.035 DM als Entfernungspauschale zu. Da die gesamte Entfernungspauschale mit 13.982 DM den Höchstbetrag von 10.000 DM nur um 3.982 DM übersteigt, mithin weniger als die für Fahrten mit dem eigenen PKW zustehende Entfernungspauschale von 7.035 DM, kommt eine Kürzung nicht in Betracht (zur Berechnung siehe auch Einführungsschreiben zu den Entfernungspauschalen des Bundesministeriums der Finanzen vom 11. Dezember 2001, BStBl. I 2001, 994, dort Punkt 1.6 Beispiel 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), da die Frage der Berechnung der Entfernungspauschale im Falle der Einsatzwechseltätigkeit höchstrichterlicher Klärung bedarf.