Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.06.2001, Az.: 1 K 459/96

Entgegenstehen des Grundsatzes von Treu und Glauben bei bloßem Zeitablauf der Einheitswert-Fortschreibung für ein bebautes Grundstück

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.06.2001
Aktenzeichen
1 K 459/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14634
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0621.1K459.96.0A

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Frage, ob das Finanzamt den Einheitswert für ein bebautes Grundstück fortschreiben durfte.

2

Die Kläger sind zu gleichen Anteilen Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks K.berg in L, in dem sie auch wohnen. Sie haben das Grundstück im Jahre 1989 erworben. Die Rechtsvorgänger der Kläger hatten das Haus im Jahre 1977 errichtet. Es war seinerzeit durch Bescheid des Landkreises A vom 9. Juni 1977 als steuerbegünstigt nach den §§ 82, 83 II. WobauG anerkannt worden. Das Finanzamt stellte daraufhin den Einheitswert auf den 1. Januar 1977 mit 47.500,00 DM bestandskräftig fest. Der Einheitswert basiert auf einer Jahresrohmiete von 2,55 DM/qm, die das Finanzamt seinem Mietspiegel von L der Spalte IV e (steuerbegünstigte Kostenmiete mit laufender Grundsteuervergünstigung) entnahm.

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Nach Übernahme des Grundstücks durch die Kläger führte das Finanzamt zunächst nur eine Zurechnungsfortschreibung auf den 1. Januar 1990 durch. Mit weiterem Bescheid vom 23. Februar 1993 nahm es eine Wertfortschreibung zur Fehlerbeseitigung auf den 1. Januar 1993 vor, in dem es den Einheitswert mit 55.900,00 DM errechnete. Der Berechnung liegt ein Mietzins von 3,25 DM/qm zugrunde, der dem Mietspiegel der Spalte IV g (Marktmiete ohne Preisbindung) entnommen wurde. Gleichzeitig mit der Einheitsbewertung erließ das Finanzamt auch einen entsprechenden Grundsteuermessbetragsbescheid - Neuveranlagung - auf den 1. Januar 1993.

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Gegend die Neubewertung des Grundstücks haben die Kläger rechtzeitig Einspruch eingelegt. In ihrem Einspruchsschreiben haben sie sich auf den Grundsteuermessbetragsbescheid bezogen und zur Begründung vorgetragen, dass die Berechnung des Messbetrages, insbesondere auch die dieser Berechnung zugrunde liegenden Zahlen nicht nachvollziehbar seien. Das Finanzamt ist nach der Einspruchsbegründung davon ausgegangen, dass damit nicht der Grundsteuermessbetragsbescheid, sondern der Einheitswertbescheid angegriffen worden sei. Es hat deshalb den Einheitswertbescheid geprüft, ihn für rechtlich unbedenklich erachtet und den Klägern deshalb mit Schreiben vom 26. Oktober 1994 empfohlen, den Einspruch zurückzunehmen. Das Schreiben endet mit dem Hinweis, "sollte mir bis zum 15. November 1994 keine Antwort zugegangen sein, so werde ich umgehend den Einspruch als unbegründet zurückweisen". Die Kläger antworteten darauf nicht. Mit Bescheid vom 13. September 1996 verwarf der Beklagte den Einspruch als unbegründet.

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Dagegen haben die Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben. Zur Begründung berufen Sie sich auf einen Vertrauenstatbestand. So habe das Finanzamt ihnen mit Bescheid vom 9. Januar 1990 mitgeteilt, dass der Einheitswert auf den 1. Januar 1990 47.500 DM ausmache. Sie - die Kläger - hätten sich darauf verlassen, dass es bei diesem Wert verbleibe. Im übrigen hätten sie mit einer Zurückweisung ihres Einspruchs nicht mehr zu rechnen brauchen, nachdem das Finanzamt ihnen mit Schreiben vom 26. Oktober 1994 mitgeteilt habe, dass über ihren Einspruch umgehend entschieden werde.

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Die Kläger beantragen,

den Einheitswertbescheid - Wertfortschreibung - auf den 1. Januar 1993 vom 23. Februar 1993 und den Einspruchsbescheid vom 13. September 1996 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Er verweist zunächst darauf, dass der zuletzt auf den 1. Januar 1977 festgestellte Einheitswert von 47.500,00 DM habe fortgeschrieben werden müssen. Die Fortschreibung sei erforderlich geworden, weil bei der Wertberechnung noch eine Grundsteuervergünstigung berücksichtigt worden sei, die inzwischen ausgelaufen sei. Ein Vertrauensschutz für den im Bescheid vom 9. Januar 1990 angegeben Einheitswert bestehe nicht. Jener Bescheid sei ein reiner Zurechnungsfortschreibungsbescheid auf die Kläger gewesen, in dem der Einheitswert nur nachrichtlich mitgeteilt worden sei. Die Tatsache allein, dass die Einspruchsentscheidung erst im Jahre 1996 ergangen sei, obwohl der zuständige Bearbeiter bereits im Oktober 1994 eine umgehende Entscheidung zugesagt habe, begründe keinen Vertrauenstatbestand.

9

Wegen des Vortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klage- sowie im Vorverfahren Bezug genommen.

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Die Parteien haben durch Schriftsätze der Kläger vom 25. August 1997 und des Beklagten vom 26. November 1996 auf eine mündliche Verhandlung vor Gericht verzichtet und zugleich ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters bekundet.

Gründe

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I.

Die Klage hat keinen Erfolg.

12

1.

Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 Bewertungsgesetz (BewG) wird der Einheitswert neu festgestellt (Wertfortschreibung), wenn beim Grundbesitz der Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunkts nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5.000,00 DM oder um mehr als 100.000,00 DM abweicht. Unter diesen Voraussetzungen findet eine Fortschreibung sowohl zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung (§ 22 Abs. 3 BewG) als auch dann statt, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten Feststellung geändert haben. Während bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse die Fortschreibung auf den Beginn des Kalenderjahres durchzuführen ist, das auf die Änderung folgt (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG), ist die Fortschreibung zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung - wenn damit, wie hier, eine Erhöhung des Einheitswertes verbunden ist - frühestens auf den Beginn des Kalenderjahres möglich, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird (§ 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG). Die vorangestellten Fortschreibungen sind nach Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes vom 13. August 1965 (BGBl I S. 851) und gem. Art. 5 Abs. 1 Nr. 2 des Bewertungsänderungsgesetzes vom 27. Juli 1971 (BGBl I 1157) erstmals auf den 1. Januar 1974 anwendbar.

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Im Streitfall ist die angefochtene Fortschreibung erforderlich geworden, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse seit der letzten Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1977 geändert haben. Die Grundsteuervergünstigung ist ausgelaufen. Ihr Wegfall stellt eine Veränderung tatsächlicher Verhältnisse dar, die dem Grunde nach eine Wertfortschreibung erfordert (vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1986 II R 230/81, BFHE 148, 174, BStBl. II 1987, 201). Die Fortschreibungsgrenzen sind erreicht. Auf den 1. Januar 1990 hat das Finanzamt dagegen keinen Einheitswert festgestellt. Der unter dem 9. Januar 1990 ergangene Bescheid auf den 1. Januar 1990 ist ein Zurechnungsfortschreibungsbescheid, in dem lediglich eine veränderte Zurechnung des Grundstücks auf die Kläger vorgenommen worden ist. Seine Regelungswirkung erschöpft sich in der veränderten Zurechnung.

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2.

Die Höhe des fortgeschriebenen Einheitswertes begegnet jedenfalls im Ergebnis keinen Bedenken.

15

Der Bekl. hat den Einheitswert zutreffend im Ertragswertverfahren errechnet. Das Grundstück des Kl. ist bestandskräftig als Einfamilienhaus bewertet worden. Gem. § 76 Abs. 1 Ziff. 4 BewG ist der Einheitswert für Einfamilienhäuser grundsätzlich im Ertragswertverfahren zu errechnen.

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a.

Bei der Bewertung eines Grundstücks im Ertragswertverfahren wird der Grundstückswert durch Anwendung eines Vervielfältigers auf die Jahresrohmiete ermittelt und anschließend - bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 81 oder 82 BewG - ermäßigt oder erhöht. Damit vollzieht sich die Bewertung nach diesem Verfahren auf der Grundlage eines aus dem Grundstück erzielbaren Reinertrages, wobei der Reinertrag im Interesse der Durchführung einer Massenbewertung schematisierend und damit nur pauschal festgestellt wird (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1974 III R 160/72, BFHE 114, 108, BStBl. II 1975, 106). Für die Ermittlung der Jahresrohmiete kommt die Schematisierung z.B. in § 79 Abs. 2 BewG zum Ausdruck, wonach für Grundstücke, die am Hauptfeststellungszeitpunkt nicht vermietet waren, eine Schätzung der üblichen Miete in Anlehnung an die ähnlicher Objekte durchzuführen ist. Entscheidend sind dabei die Wertverhältnisse am 1. Januar 1964 (§ 79 Abs. 5 BewG). Sind vergleichbare ähnliche vermietete Objekte nicht vorhanden, so ist die Schätzung anhand der betreffenden Mietspiegel der Finanzämter vorzunehmen (BFH-Urteil vom 10. August 1984 III R 41/75, BFHE 142, 289, BStBl II 1985, 36).

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b.

Dabei folgt das Gericht jedoch nicht den Werten, die in der Spalte g (nicht preisgebundene Marktmiete) der Mietspiegel enthalten sind. Das erkennende Gericht hat diese Werte bereits mit Urteil vom 27. August 1996 I 119/90, EFG 1997, 8 als Berechnungsgrundlage zur Feststellung der Jahresrohmiete verworfen. Dem ist inzwischen auch der BFH mit Urteil vom 18. November 1998 II R 79/96, BFHE 187, 104, BStBl. II 1999, 10 gefolgt. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte zur Feststellung der Marktmiete hat der BFH statt dessen "als letztes Hilfsmittel" den Ansatz einer Kostenmiete zugelassen, die sich aus den Berechnungsgrundlagen ergibt, die seinerzeit bei Aufstellung der Mietspiegel nach Maßgabe des einschlägigen OFD-Erlasses aus dem Jahre 1967 verwandt worden sind. Zur Berechnung dieser Kostenmiete im einzelnen wird auf das o.a. BFH-Urteil Bezug genommen. Danach errechnet sich die pauschale Kostenmiete für den im Jahre 1977 errichteten Wohnraum der nicht streitigen Ausstattungsklasse IV in einer Gemeinde bis 5.000 Einwohnern auf 3,85 DM/qm Wohnfläche (660,00 DM x 7 % : 12 = 3,85 DM).

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Daraus errechnet sich folgender Einheitswert:

104 qm x 3,85 DM x 124.804,00 DM
Jahresrohmiete Garage240,00 DM
Jahresrohmiete gesamt 5.044,00 DM
Vervielfältiger 12,462.545,00 DM
abgerundet 62.500,00 DM
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c.

Demgegenüber hat der Beklagte auf der Basis seines Mietspiegels und unter Berücksichtigung der darin ausgewiesenen Miete von 3,25 DM zuzüglich eines Zuschlags wegen Schönheitsreparaturen einen niedrigeren Einheitswert errechnet. Durch diese niedrigere Berechnung sind die Kläger nicht beschwert. Eine Anpassung des Einheitswertes an die vom BFH erkannte Kostenmiete ist dem Beklagten verwehrt. Er bleibt im Wege der Selbstbindung der Verwaltung an die Werte seines Mietspiegels gebunden (BFH-Urteil vom 4. März 1999 II R 106/97, BFHE 188, 425, BStBl. II 1999, 519).

20

3.

Der Beklagte ist nicht durch den auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, den Einheitswert fortzuschreiben. Obgleich die Voraussetzungen für eine Fortschreibung bereits früher vorgelegen haben - die auf den 1. Januar 1977 berücksichtigte Grundsteuervergünstigung lief bereits nach 10 Jahren aus -, war die Fortschreibung noch im Jahre 1993 möglich. Durch Zeitablauf allein kann ein Vertrauenstatbestand nicht begründet werden (BFH-Urteil vom 8. Oktober 1986 II R 167/84, BFHE 147, 409, BStBl. II 1987, 12). Aus dem gleichen Grunde konnte die Kläger auch nicht darauf vertrauen, dass eine Einspruchsentscheidung im Jahre 1996 nicht mehr ergehen würde. Im übrigen ist ein Vertrauen darauf, dass sich einmal vorliegende Verhältnisse in der Zukunft - anders als Regelungen mit Rückwirkung - nicht ändern, nicht geschützt.

21

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.