Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.06.2001, Az.: 9 K 685/97
Kindergeld und Beendigung der universitären Ausbildung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 27.06.2001
- Aktenzeichen
- 9 K 685/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14662
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0627.9K685.97.0A
Fundstellen
- DStRE 2001, 1215-1217 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2001, 1299-1301 (Volltext mit red. LS)
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin für ihren volljährigen Sohn Kindergeld für den Zeitraum April bis Oktober 1996 zusteht, weil sich dieser noch in Ausbildung befand.
Die Klägerin ist Mutter zweier volljähriger Kinder. Ihr am 23. Februar 1971 geborene Sohn S war bis zum Wintersemester 1996/1997 an der Universität K für das Studienfach Wirtschaftsingenieur eingeschrieben. Bereits am 28. März 1996 gab er seine Diplomarbeit als abschließende Prüfungsleistung ab. Die Arbeit konnte jedoch nicht zeitnah beurteilt werden, weil die Universität die Anrechnung von anderen Prüfungsleistungen klären mußte. Das Ergebnis der Diplomarbeit wurde ihm am 28. Oktober 1996 mündlich durch den beurteilenden Professor mitgeteilt. Sowohl das Hauptdiplom-Zeugnis als auch die Diplomurkunde übersandte ihm die Universität erst im März 1997. Die Diplomurkunde war jedoch auf den 28. März 1996 ausgefertigt.
Während des Jahres 1996 erzielte S Einkünfte von insgesamt 16.359,00 DM, von denen er bis einschließlich Oktober 1996 8.372,42 DM erwirtschaftete. Im Dezember 1996 meldete er eine Gewerbebetrieb an und widmete sich voll dieser Tätigkeit. Im Dezember erzielte er dann Einnahmen von 14.149,00 DM, denen Ausgaben von 5.224,75 DM gegenüberstanden. Im November hatte er keine Einnahmen erzielt.
Für S hatte die Klägerin zunächst bis einschließlich November 1996 Kindergeld erhalten. Nach Vorlage des Einkommensteuerbescheids für 1996, aus dem sich ergab, dass S im Kalenderjahr Einkünfte in Höhe von 16.359,00 DM erzielt hatte, hob der Beklagte (das Arbeitsamt - Familienkasse -) die Kindergeldfestsetzung für die Zeit vom 1. Januar 1996 bis 30. November 1996 auf und forderte das überzahlte Kindergeld von 2.200,00 DM von der Klägerin zurück. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos.
Im Klageverfahren hat die Familienkasse den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid geändert und für Januar bis März 1996 Kindergeld gewährt, weil sich S in dieser Zeit noch in Ausbildung befunden und nur geringe Einkünfte erzielt habe. Den geänderten Bescheid hat die Klägerin gemäß § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Mit der Klage vertritt die Klägerin weiterhin die Auffassung, dass ihr Kindergeld auch für die Zeit von April 1996 bis einschließlich Oktober 1996 zustehe, weil S sich noch in Ausbildung befunden habe und die Einnahmen von 8.372,42 DM die schädliche Einkommensgrenze von 10.000,00 DM nicht überstiegen. Ihr - der Klägerin - stünde Kindergeld für die Zeit der Ausbildung des Sohnes zu. Diese sei erst mit der offiziellen Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses am 28. Oktober 1996 abgeschlossen gewesen. Es sei dabei unerheblich, dass die Diplomurkunde auf den 28. März 1996 datiert worden sei. Entscheidend sei allein, dass S sich erst nach der Mitteilung des Prüfungsergebnisses hätte bewerben und seine Fähigkeiten nachweisen können. Zwar habe S seit März 1996 nicht mehr am Studienbetrieb teilgenommen. Ohne das Vorliegen entsprechender Zeugnisse könne die Ausbildung jedoch nicht als abgeschlossen angesehen werden. Auch sei es unschädlich, dass das Ergebnis erst nach einer längeren Wartezeit mitgeteilt worden sei. Daran treffe S kein Verschulden. Daher könne dieser Umstand keinen Einfluss auf die Kindergeldberechtigung haben.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
...
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Ausbildung sei bereits am 28. März 1996 abgeschlossen gewesen. Auf dieses Datum sei die Diplomurkunde ausgestellt. Die Mitteilung des Prüfungsergebnisses vom 28. Oktober 1996 sei unter Berücksichtigung der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA 63.3.2.6 Abs. 11 Satz 3) irrelevant, weil sie nicht schriftlich erfolgt sei. Darüber hinaus sei die Unterrichtung über das Prüfungsergebnis in unangemessener Weise verzögert worden, so dass nach der DA 63.3.2.6 Abs. 11 Satz 4 die Ausbildung auch aus diesem Grund mit Ableistung der letzten Prüfungsleistung am 28. März 1996 geendet habe.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Der Klägerin steht auch für die Zeit von April 1996 bis Oktober 1996 Kindergeld zu, weil sich ihr Sohn S in dieser Zeit noch in Ausbildung befand, so dass der angefochtene Kindergeldaufhebungs- und Rückforderungsbescheid rechtswidrig ist.
Für ein Kind, das das 18. aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, steht dem Anspruchsberechtigten nach § 63 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a Einkommensteuergesetz (EStG) Kindergeld zu, wenn sich das Kind in Ausbildung befindet. Das Kindergeld wird gemäß § 66 Abs. 2 EStG bis zum Ende des Monats gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Ein Kind befindet sich in Berufsausbildung, solange es sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber noch ernstlich darauf vorbereitet (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 23. April 1997 VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655). Zur Hochschulausbildung gehört auch die Ablegung des abschließenden Examens. Dabei ist ein Universitätsstudium regelmäßig erst in dem Zeitpunkt abgeschlossen, in dem eine nach dem einschlägigen Prüfungsrecht zur Feststellung des Studienerfolges vorgesehene Prüfungsentscheidung ergangen ist (Beschluss des BFH vom 21. Januar 1999 VII B 214/98, BStBl II 1999, 141). Dies gilt - in typisierender Betrachtungsweise - auch für den Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG. Die Ausdehnung der Prüfungszeit auf die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses rechtfertigt sich dadurch, dass der Eintritt in einen der akademischen Ausbildung entsprechenden Beruf im Regelfall erst dann möglich ist, wenn die zur Feststellung des Studienerfolges vorgesehene Prüfungsentscheidung vorliegt (Urteil des BFH vom 23. Mai 2000 VI R 143/99, BStBl II 2000, 443).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze befand sich der im Streitjahr 25jährige Sohn der Klägerin zumindest bis Oktober 1996 in einer Berufsausbildung. Mit dem Studium an der Universität Karlsruhe bereitete er sich ernsthaft auf die Erreichung seines Berufszieles vor. Sein Studium des Wirtschaftsingenieurwesens war dabei frühestens im Oktober 1996 abgeschlossen. Seine letzte Prüfungsleistung erbrachte S zwar bereits am 28. März 1996, als er seine schriftliche Diplomarbeit einreichte. Dennoch war mit dieser letzten Prüfungsleistung die Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen. Hierzu fehlte es an der Feststellung des Studienerfolges durch Bekanntgabe der Prüfungsentscheidung. Die Benotung der Diplomarbeit teilte der zuständige Lehrstuhlinhaber dem Sohn der Klägerin erst am 28. Oktober 1996 mündlich mit. Frühestens zu diesem Zeitpunkt konnte sich der Sohn der Klägerin um die Aufnahme eines seiner akademischen Ausbildung entsprechenden Berufs bemühen, da er erst zu diesem Zeitpunkt seine Prüfungsleistung nachweisen konnte. Würde man - wie die Familienkasse - auf eine schriftliche Mitteilung des Prüfungsergebnisses abstellen, würde sich das Ende der Ausbildung allein unter diesem Gesichtspunkt sogar bis in den März 1997 verschieben, da S erst zu diesem Zeitpunkt die (schriftliche) Diplomurkunde erhalten hat.
Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die mündliche Mitteilung das Prüfungsergebnisses ausreichend ist, weil S die Ausbildung nach Auffassung des Gerichts spätestens ab Dezember 1996 beendete. Denn zu diesem Zeitpunkt nahm er eine Vollzeiterwerbstätigkeit auf, in dem er sich nach eigenen Angaben verstärkt seiner beratenden Tätigkeit zuwandte. Dies wird auch durch den Umstand bestätigt, dass er im Dezember sehr hohe Einnahmen (14.149 DM) erzielte, so dass auch an der Höhe der Einnahmen ersichtlich ist, dass er einen Vollzeitberuf aufgenommen hat. Nach der Rechtsprechung des BFH - der sich der Senat anschließt - endet nämlich die Berufsausbildung, auch ohne Mitteilung der Prüfungsergebnisse, wenn ein Kind eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufnimmt (Urteil des BFH vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, a.a.O.). Das Kind bereitet sich dann nicht mehr ernstlich auf sein Berufsziel vor. Dies trifft auch auf S zu, da er den Beruf, den er auf Grund seiner Ausbildung anstrebte, bereits aufgenommen hatte und so sein Berufsziel erreicht war. Ab diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr notwendig, die kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern während der Ausbildung des Kindes zu berücksichtigen (Urteil des BFH vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, a.a.O.). Die Belastung der Eltern durch den Unterhaltsbedarf des Kindes endet regelmäßig in dem Zeitpunkt, in dem das Kind im Anschluss an die Ausbildung eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufnimmt, unabhängig davon, ob die Aufnahme der Tätigkeit vor oder nach der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses erfolgt. Deshalb endet die Berufsausbildung eines Kindes spätestens mit der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses; sie ist jedoch bereits dann beendet, wenn das Kind nach Erbringung aller Prüfungsleistungen eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufnimmt (BFH-Urteil, a.a.O.). Somit endete die Berufsausbildung von S spätestens ab Dezember 1996, wenn man nicht bereits die mündliche Mitteilung des Prüfungsergebnisses genügen lassen will. Da das Gericht nicht über den Antrag der Klägerin, mit dem sie Kindergeld lediglich bis Oktober 1996 begehrt, hinausgehen kann, braucht hier nicht abschließend entschieden werden, wann die Ausbildung konkret endete. Auf jeden Fall befand sich der Sohn der Klägerin bis Oktober 1996 noch in der Berufsausbildung.
Auch die verspätete Mitteilung des Prüfungsergebnisses lässt entgegen der Auffassung der Familienkasse den Kindergeldanspruch nicht entfallen. Die Familienkasse beruft sich auf ihre Dienstanweisung (DA 63.3.2.6 Abs. 11 Satz 4), nach der die Berufsausbildung bereits mit der Ableistung der letzten Prüfungsleistung endet, wenn die Unterrichtung über das Prüfungsergebnis in unangemessener Weise verzögert worden ist. Abgesehen davon, dass eine verwaltungsinterne Dienstanweisung das Gericht nicht bindet, kann eine solche Einschränkung des Kindergeldanspruches weder dem Wortlaut des Gesetzes noch dem Zweck der Regelungen über den Familienleistungsausgleich entnommen werden. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG i.V.m. § 63 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für die Dauer der Berufsausbildung, die - wie oben ausgeführt - spätestens mit der Mitteilung des Prüfungsergebnisses endet. Eine Einschränkung im Sinne der Dienstanweisung lässt der Wortlaut der Vorschrift nicht erkennen. Dies wäre auch mit dem Förderungszweck des Familienleistungsausgleich nicht vereinbar. Die Regelungen über den Familienleistungsausgleich sollen die kindbedingte Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit der Eltern während der Ausbildung des Kindes berücksichtigen (Urteil des BFH vom 24. Mai 2000 VI R 143/99, a.a.O.). So lange das Kind aber auf Grund des fehlenden Nachweises der erbrachten Prüfungsleistungen nicht einen seiner akademischen Ausbildung entsprechenden Beruf aufnehmen kann, ist es auf die finanzielle Unterstützung der Eltern angewiesen, so dass es gerechtfertigt ist, die dadurch verursachte Minderung der steuerliche Leistungsfähigkeit der Eltern zu berücksichtigen. Selbst wenn das Kind in der Wartezeit eine wirtschaftliche Tätigkeit aufnimmt, die es ihm erlaubt, sich selbst ausreichend zu versorgen, kann es nicht zu einer ungerechtfertigten Förderung kommen. In diesem Fall wird entweder die schädliche Grenze der eigenen Einkünfte und Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG überschritten oder die Berufsausbildung endet dadurch, dass das Kind eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufnimmt. In beiden Fällen entfällt der Anspruch der Eltern auf Zahlung von Kindergeld.
Die Regelung der Dienstanweisung könnte daher lediglich zur Bekämpfung von Missbrauchsfällen dienen. Ein solcher Missbrauchsfall ist hier aber nicht ersichtlich. Dies ist allein dadurch ausgeschlossen, dass die Verzögerung der Mitteilung des Prüfungsergebnisses allein durch die Universität zu verantworten ist.
Für den Zeitraum der Ausbildung von Januar 1996 bis Oktober 1996 stehen der Gewährung des Kindergeldes auch nicht die eigenen Einkünften von S entgegen. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes im Kalenderjahr 12.000 DM nicht übersteigen. Dieser Betrag mindert sich um jeweils 1/12 für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG nicht vorliegen (§ 32 Abs. 4 Satz 6 EStG). Damit sind nur die Einkünfte, die S von Januar 1996 bis November 1996 erzielte, bei der Berechnung der eigenen Einkünfte und Bezüge zu berücksichtigen, weil die Ausbildung spätestens mit der Aufnahme der Vollzeiterwerbstätigkeit ab Dezember 1996 endete. In dieser Zeit hat S unstreitig lediglich Einkünfte in Höhe von 8.372,42 DM erwirtschaftet. Dieser Betrag liegt unter der unschädlichen Grenzen von 11.000 DM (11/12 von 12.000 DM).
Da der Sohn der Klägerin sich auch in der Zeit vom April 1996 bis Oktober 1996 noch in einer Berufsausbildung befand und die eigenen Einkünfte und Bezüge die schädliche Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG nicht überschritten haben stand der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes zu. Der angefochtene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid war daher für diesen Zeitraum aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 711 Zivilprozessordnung.