Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 17.01.2008, Az.: 13 A 4337/05
Beamter; benachbart; Brücke; Brückenversorgung; Einzelzahnlücke; Fürsorgepflicht; implantologisch; Indikation; intakt; Leistung; zahnärztlich; Zähne
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 17.01.2008
- Aktenzeichen
- 13 A 4337/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45478
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2008:0117.13A4337.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 Nr. 4 BhV
- § 6 I Nr. 1 BhV
- § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV
- Art. 33 Abs. 5 GG
- § 87c NBG
Amtlicher Leitsatz
Bei der Indikation "Einzelzahnlücke, wenn beide benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind" beurteilt sich der Begriff der "benachbarten Zähne" nach den für eine alternative Brückenversorgung maßgeblichen "benachbarten Zähnen"
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für eine zahnärztliche Leistungen (Implantatversorgung / Einzelimplantat) und den Material- und Laborleistungen.
Die Klägerin ist Beamtin des Landes Niedersachsen und grundsätzlich beihilfeberechtigt mit einem Bemessungssatz vom 50 %.
Unter dem D. und E. beantragte sie u.a. die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen sowie Material- und Laborkosten und legte dazu Rechnungen ihres Zahnarztes vom I. und J. vor.
Mit Beihilfebescheiden vom F. und K. lehnte der Beklagte die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für die implantologischen Leistungen ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, Aufwendungen für implantologische Leistungen seien nur bei Vorliegen bestimmter Indikationen beihilfefähig. Nachweis für eine solche Indikationslage lägen nicht vor.
Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch und legte zum Nachweis der Notwendigkeit der Implantatversorgung zwei fachärztliche Stellungnahmen ihres Zahnarztes vom L. und M. sowie eine vollständige Gebissansicht vor. Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte eine amtsärztliche Stellungnahme des Gutachter- und Beratungsdienst der N. zur Notwendigkeit der Implantatversorgung Regio 11 und der Möglichkeit einer Brückenversorgung ein.
In einer am O. bei dem Beklagten eingegangene Stellungnahme führte der zahnärztliche Gutachter- und Beratungsdienst der N. aus:
"Laut Aussage der Patientin mussten die Zähne 11 und 12 vor etwa 4 Jahren nach einer unfallbedingten Zahnfraktur überkront werden. Im letzten Jahr war die Entfernung des Zahnes 11 erforderlich. Damit ergab sich die Notwendigkeit der Lückenversorgung bei 11 und die Neuüberkronung von 12, da die ehemaligen Kronen 12 und 11 nach telefonischen Angaben des Zahnarztes miteinander verblockt waren. Eine Brückenversorgung von 12 - 21 konnte nicht vorgenommen werden, da gemäß zahnärztlicher Stellungnahme der Zahn 12 durch die Fraktur stark vorgeschädigt und als Brückenpfeiler ungeeignet war. Im Falle einer Brückenversorgung 13, 12 - 21 wären durch die Präparation naturgesunde Zähne beschädigt worden. Insofern ist die durchgeführte Implantatversorgung aus Gründen einer zahnsubstanzschonenden Behandlung medizinisch indiziert."
Mit Widerspruchsbescheid vom H. - der Klägerin zugestellt am P. - wies der Beklagte die Widersprüche zurück. Aufwendungen für implantologische Leistungen einschließlich aller damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen seien bei Einzelzahnlücken nur beihilfefähig, wenn die beiden benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig seien. Diese Voraussetzung lägen hinsichtlich des benachbarten Zahnes 12 nicht vor, weil er bereits überkront sei. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.
Die Klägerin hat am Q. Klage erhoben.
Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Zum Nachweis der medizinischen Indikation der Implantatversorgung hat die Klägerin eine vertiefende Stellungnahme ihres behandelnden Zahnarztes vom R. vorgelegt. In der Stellungnahme wird u.a. ausgeführt:
"Bei Ihnen musste der Zahn 11 nach apikaler Ostitis entfernt werden, so dass eine Lücke zwischen dem Zahn 12 und 21 entstand.
Prinzipiell hätte es bei Ihnen die theoretische Möglichkeit gegeben, eine Brücke von 12 bis 21 anzufertigen und einzusetzen. Zur Vermeidung einer Kompression der beiden Oberkiefersegmente hätte man ein individuelles Geschiebe in die Brücke einbauen müssen. Gegen die prothetische Behandlung sprachen folgende medizinische Gründe:
1.Der Zahn 21 hat bislang keine Füllungen und ist kariesfrei. für eine Brückenversorgung hätte dieser gesunde Zahn vollständig beschliffen werden müssen.
2.Der Zahn 12 ist von seiner Anatomie her der schwächste Zahn im gesamten Oberkiefer. Bei Ihnen ist dieser Zahn zusätzlich durch eine Wurzelkanalbehandlung in seiner Stabilität geschwächt. In Ihrem besonderen Fall hätte bei einer Brückenversorgung zur dauerhaften Abstützung auf der rechten Kieferhälfte zusätzlich noch der ebenfalls bislang gesunde und kariesfreie Zahn 13 beschliffen und in die Brücke integriert werden müssen. Dies hätte eine unphysiologisch starre Verbindung zwischen der Krone 13 und 12 bedeutet. Genau zwischen 13 und 12 verläuft die knöcherne Grenze des beweglichen Zwischenkiefersegmentes im Oberkiefer. Eine starre Verbindung des Zwischenkiefers mit dem rechten Oberkiefersegment ist unphysiologisch und medizinisch nicht indiziert. Mögliche Folgen könnten chronische Kopfschmerzen und nicht therapierbare Beschwerden im HWS-LWS Bereich sein. Eine Verbindung zwischen 13 und 12 hätte sich auch nicht durch ein Geschiebe verhindern lassen, da für ein Geschiebe bauseitig zwischen 2 Kronen nicht genügend Platz existiert...."
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihr auf ihre Anträge vom D. und E. eine Beihilfe zu den Aufwendungen für die zahnärztlichen (implantologischen) Leistungen entsprechend dem Bemessungssatz von 50 Prozent zu gewähren und die Beihilfebescheide vom F. und K. sowie den Widerspruchsbescheid vom H. aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte im Wesentlichen auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren.
Im Termin der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter des Beklagten dargelegt, dass sich der der Klägerin im Falle der Beihilfefähigkeit der implantologischen Leistungen einschließlich der Material- und Laborkosten zu gewährende Beihilfebetrag unter Berücksichtigung des Bemessungssatzes der zahnärztlichen Leistungen von 50 % und der zahntechnischen Leistungen von 60 % auf insgesamt 792,80 Euro beläuft.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
In der Sache entscheidet die Berichterstatterin als Einzelrichterin nachdem ihr die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig und in der Sache begründet.
Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf die Gewährung der begehrten Beihilfe zu.
Rechtsgrundlage ist die Regelung des § 87c NBG in Verbindung mit §§ 5, 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV.
Nach der Regelung des § 87c Abs. 1 NBG, erhalten Beamte und Versorgungsempfänger des Landes nach den Beihilfevorschriften für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes, in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. November 2001, zuletzt geändert durch Art. 1 der 28. AVwV zur Änderung der BhV vom 30. Januar 2004 (Rundschreiben des Bundesministers des Inneren vom 30. Januar 2004 (GMBl S. 379), Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen.
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV der auf die Anlage 2 Nr. 4 verweist, sind Aufwendungen für implantologische Leistungen einschließlich aller damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen u.a. bei der Indikation "Einzelzahnlücke, wenn die beiden benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind" beihilfefähig.
Ob bei einer Einzelzahnlücke die "beiden benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig" sind, unterliegt der Beurteilung im Einzelfall. Für die Beurteilung, die der Beihilfestelle obliegt, ist in erster Linie die fachärztliche Einschätzung maßgeblich.
Die Frage, welche Zähne bei einer Einzelzahnlücke die "benachbarten Zähne" im Sinne der Regelung des Indikationskatalogs sind, beantwortet richtet sich neben dem Wortlaut der Regelung, nach dem Sinn und Zweck der Regelung und der darin zum Ausdruck kommenden Fürsorgepflicht des Dienstherrn.
Unter Beachtung des aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn resultierenden Schutzes der körperlichen Unversehrtheit des Beamten, zielt die Regelung auch darauf ab, einen unverhältnismäßigen Eingriff in unversehrte, gesunde Zahnsubstanz zu vermeiden. Auf eine Brückenversorgung, die im Regelfall die Alternative zu einer Implantatversorgung bildet, kann der Beamte bzw. die Beamtin regelmäßig dann nicht verwiesen werden, wenn die für die Brückenversorgung maßgeblichen "benachbarten" Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind. Das bedeutet, dass eine Implantatversorgung zum Schutz gesunder Zahnsubstanz im Regelfall dann indiziert ist, wenn die anderenfalls für die Brückenversorgung maßgeblichen Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind.
Der Begriff der "benachbarten Zähne" im Sinne der Regelung Anlage 2 Nr. 4 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV beurteilt sich daher nach den für eine alternative Brückenversorgung maßgeblichen "benachbarten" Zähnen.
Ausgehend von diesen rechtlichen Erwägungen steht der Klägerin ein Anspruch auf die Gewährung der begehrten Beihilfe zu den Aufwendungen für die zahnärztlichen Versorgung mit einem Implantat Regio 11 zu.
Die Indikation "Einzelzahnlücke bei der die beiden benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind" lag vor.
Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es für die Beurteilung der Indikationslage "beide benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig", nicht auf den an die Einzelzahnlücke angrenzenden Zahn 12, sondern auf die für eine alternative Brückenversorgung theoretisch maßgeblichen Zähne 21 und 13 an. Diese maßgeblichen "benachbarten Zähne" sind nach der Stellungnahme des behandelnden Zahnarztes und der damit übereinstimmenden amtsärztlichen Stellungnahme des Gutachter- und Beratungsdienstes der N. intakt und nicht überkronungsbedürftig.
Diese Auslegung widerspricht auch nicht dem mit der einschlägigen Änderung der Beihilfevorschriften mit Wirkung vom 1.1.1997 verfolgten Ziel, der Leistungsgewährung für implantologische Leistungen - im Sinne der Kostenminderung - einen gewissen Ausnahmecharakter zu verleihen.
Zum Einen entstünden im vorliegenden Fall bei einer Brückenversorgung unstreitig höhere Kosten.
Zum Anderen wäre der Klägerin im vorliegenden Einzelfall eine Brückenversorgung aus gesundheitlichen Gründen - so wie sie sich aus der unstreitigen Stellungnahme des behandelnde Zahnarzt ergeben - auch nicht zuzumuten.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich der Anspruch der Klägerin auf die Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen der zahnärztlichen Leistungen einschließlich der Material- und Laborkosten im vorliegenden Einzelfall auch ausnahmsweise unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Eine Ablehnung der begehrten Beihilfe verstieße gegen das dem Beihilferecht zugrunde liegende Beihilfeprogramm, das die durch Artikel 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich normierte Fürsorgepflicht des Dienstherren konkretisiert.
Die Aufwendungen für die zahnärztlichen Leistungen einschließlich der Material- und Laborkosten sind auch angemessen. Unter Berücksichtigung des Bemessungssätze der Beihilfe für die zahnärztlichen Leistungen (50 %) und die zahntechnischen Leistungen (Material- und Laborkosten) (60 %) steht der Klägerin gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf die Gewährung einer weitergehenden Beihilfe in Höhe von 792,80 Euro zu.