Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 22.01.2008, Az.: 4 B 702/08
Erteilung einer Baugenehmigung unter Einhaltung der Nachbarrechte; Voraussetzungen für die Verletzung drittschützender Vorschriften; Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 22.01.2008
- Aktenzeichen
- 4 B 702/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 37245
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2008:0122.4B702.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 35 BauGB
- § 35 Abs. 3 BauGB
- § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 4. Kammer -
am 22. Januar 2008
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 06.12.2007 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich als Nachbarn gegen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Grünschnittsammelstelle. Sie sind Eigentümer des Hausgrundstücks Flurstück H., Flur I., Gemarkung J. (C.-Weg 14) in D.. Das Grundstück liegt im Bebauungszusammenhang außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans. Die nähere Umgebung wird östlich durch den C.-Weg und im Westen durch die G.-Straße eingegrenzt. Im Norden, Westen und Osten schließt sich an das Grundstück der Antragsteller Wohnbebauung an, südlich befindet sich neben einer Freifläche die Hofstelle des Beigeladenen. Auf der Freifläche, dem Grundstück Flurstück K., ebd., beabsichtigt der Beigeladene die Errichtung einer Grünschnittsammelstelle, in der Grünschnitt von Privatpersonen und gewerblichen Anlieferern gesammelt, gelagert und bei Erreichen der Lagerkapazität zur weiteren Verwertung geschreddert werden soll. Eine solche Grünschnittsammelstelle wird derzeit einige 100 m weiter westlich auf einem Grundstück an der G.-Straße betrieben. Diese Anlage bedient derzeit die Ortschaften L., M., J. und N., soll jedoch alsbald geschlossen werden, um einem Neubaugebiet Raum zu geben. Eine weitere Grüngutannahmestelle befindet sich in O.; diese soll jedoch mittelfristig auch geschlossen werden.
Die vorhandene Annahmestelle ist mittwochs von 16.00 bis 18.00 und samstags von 09.00 bis 12.00 Uhr geöffnet und wird ganzjährig betrieben.
Unter dem 06.12.2007 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen die angegriffene Baugenehmigung. Dem Genehmigungsvorgang liegt eine grüngestempelte Betriebsbeschreibung bei, wonach das an die Grünschnittsammelstelle gelieferte Grünmaterial "ca. zehnmal im Jahr" geschreddert werde. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens wurde ein schalltechnisches Gutachten eingeholt, das von sechs bis acht, jedenfalls weniger als zehn Schreddertagen im Jahr ausgeht. Die Genehmigung enthält unter "Auflagen" Ausführungen dahingehend, dass bei Betrachtung der durchschnittlichen Leistung eines Schredders vom Typ Jenz AZ 55 D der zu erwartende Grünschnittanfall mit zehn Schreddertagen à 6 Stunden nicht zu bewältigen sei; die Genehmigung gelte daher nur unter der Voraussetzung, dass die in der schalltechnischen Stellungnahme genannten Betriebszeiten eingehalten würden; ändern falls sei eine neue baurechtliche Bewertung erforderlich Grüngestempelt ist eine Karte, die auf dem Baugrundstück die Standorte der Anlieferfläche, des Lagerplatzes und einer als Ausgleichsmaßnahme zu pflanzenden Hecke darstellt. Der Standort des (beweglichen) Schredders ist nicht dargestellt. Nicht grüngestempelt ist ein Schreiben des Beigeladenen, in dem er angibt, einen Schredder vom Typ Jenz AZ 55 D einzusetzen und mit dem er zwei Schallleistungsgutachten über die Schredder Jenz AZ 55 D sowie Jenz AZ 600 vorlegt.
Das schalltechnische Gutachten stellt das Haus der Antragsteller als Immisionsaufpunkt 3 dar. Das Gutachten geht vom Einsatz eines Schredders vom Typ Jenz AZ 660 aus, der auf dem bisherigen Sammelplatz im Einsatz vermessen wurde und einen mittleren Schallleistungspegel von 116-118 dB(A) verursacht. Bei Betrieb des Schredders auf der dem Gutachten beiliegenden Karte dargestellten Fläche errechnet das Gutachten Beurteilungspegel von 65,5 bzw. 65,7 dB(A) (Betriebszustand 2); bei Anfahrt, Annahme und Umschichten von Grüngut ohne Betrieb des Schredders (Betriebszustand 1) wurden 43,3 bzw. 43,5 dB(A) errechnet. Bei weniger als zehn Schreddertagen sei für den Betriebszustand 2 der erhöhte Orientierungswert von 70 dB(A) gem. Nr. 6.3 TA Lärm zugrundezulegen, da die Schreddertage als seltene Ereignisse i.S.d. Nr. 7.2 TA Lärm einzustufen seien.
Die Baugenehmigung nimmt unter "Auflagen" Bezug auf das Gutachten und erklärt dieses für plausibel und nachvollziehbar. Es sei allerdings bei Betrachtung der bisherigen Annahmestelle zu erwarten, dass die im Schallschutzgutachten zugrundegelegten max. 10 Schreddertage à 6 Stunden Arbeitsdauer jährlich überschritten würden. In den Jahren 2004-2006 sei in der bisherigen Annahmestelle der Schredder an 23 Tagen betrieben worden und davon an 16 Tagen länger als sechs Stunden gelaufen.
Am 02.01.2008 legten die Antragsteller Widerspruch gegen die Baugenehmigung ein. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat die Beklagte binnen der von den Antragstellern gesetzten Frist bis 07.01.2008 nicht entschieden. Der Beigeladene hat zwischenzeitlich mit der Errichtung der Annahmestelle begonnen.
Die Antragsteller haben mit Antrag vom 09.01.2008 um einstweiligen Rechtsschutz durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Nachbarwiderspruchs gegen die Baugenehmigung nachgesucht.
Sie sind der Ansicht, die Genehmigung verletze sie in ihren Rechten, namentlich in ihrem Gebietserhaltungsanspruch. Ihr Hausgrundstück befinde sich in einem Bebauungszusammenhang, der als reines Wohngebiet, wenigstens aber als Dorfgebiet anzusehen sei. Gleiches gelte für das Baugrundstück. Eine Grünschnittsammelstelle mit Schredderbetrieb füge sich in dieses Gebiet nicht ein und führe zu einer schleichenden Umwandlung des Gebiets. Zulässig seien auch im Dorfgebiet nur nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe. Die Grünschnittsammelstelle sei jedoch ein störender Gewerbebetrieb, da von ihr erhebliche Belästigungen durch Gerüche und Lärm ausgingen. Damit verstoße sie auch gegen das Einfügegebot aus §34 Abs. 1 BauGB und das Rücksichtnahmegebot aus §§34 Abs. 2 BauGB, 15 BauNVO. Die von der Grünschnittanlage ausgehenden Emissionen seien schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. §3 Abs. 1 BImSchG, denn sie seien geeignet, erhebliche Belästigungen hervorzurufen. Sie bewegten sich nicht innerhalb der Orientierungswerte der TA Lärm, denn die dort für Dorfgebiete vorgesehenen 60 dB(A) würden an den Schreddertagen (Beurteilungspegel 65,5 bzw. 65,7 dB(A)) überschritten. Diese Überschreitungen seien nicht als seltene Ereignisse i.S.d. Nr. 7.2 TA Lärm unbeachtlich, da tatsächlich häufiger als zehnmal jährlich geschreddert würde und der Betrieb des Schredders auch kein außergewöhnliches Ereignis, sondern einer von zwei vorgesehenen Betriebszuständen der Anlage sei. Auch seien seltene Ereignisse nicht ohne weiteres stets unbeachtlich, sondern erst dann, wenn sie Emissionen verursachten, die nicht durch zumutbare Lärmminderungsmaßnahmen nach dem Stand der Technik vermeidbar seien. Dies sei bei dem Betrieb des Schredders auf freier Fläche nicht der Fall. Sowohl eine Einhausung des Schredders durch Lärmschutzwände als auch eine gänzlich andere Standortwahl seien denkbare und zumutbare Lärmschutzmaßnahmen.
Die Genehmigung sei zudem rechtswidrig, weil sie den absehbaren Immissionskonflikt nicht bewältige. Sie gehe sehenden Auges von augenscheinlich falschen Betriebszeiten aus und habe die Genehmigung in der Hoffnung erteilt, dass schon alles gut gehen werde. Statt dessen habe sie sich um die Wahl eines Standorts bemühen müssen, der einen Betrieb ermögliche, wie ihn der prognostizierte tatsächliche Grünschnittanfall erfordere.
Die Antragsteller beantragen sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 02.01.2008 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.12.2007 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie hält die Genehmigung für rechtmäßig, weil sie die Antragsteller keinen unzumutbaren Immissionen aussetze. Die von der Grüngutsammelstelle zu erwartenden Immissionen seien nicht erheblich i.S.d. §3 Abs. 1 BImSchG. Bei der Frage, was erheblich sei, sei eine Abwägung nicht nur nach Art und Stärke der Immissionen, sondern auch nach deren Sozialadäquanz und der allgemeinen Akzeptanz heranzuziehen. Die Anlage diene mit der Abfallentsorgung/-Verwertung einem besonders hoch zu bewertenden öffentlichen Zweck, dadurch seien die von ihr verursachten Immissionen in höherem Maße hinzunehmen als bei üblichen Lärmquellen.
Die TA Lärm sei nur hilfsweise heranzuziehen, da es sich nicht um Gewerbelärm, sondern landwirtschaftlichen Lärm handele. Der Baugrundstück sei dem Außenbereich zuzuordnen; die Grüngutsammelstelle als einem landwirtschaftlichen Betrieb dienendes Vorhaben privilegiert und eine schleichende Änderung des Charakters des angrenzenden Gebiets nicht zu befürchten. Der Schredder werde ca. sieben bis acht Tage jährlich jeweils einen Tag lang betrieben.
Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist - jedenfalls seit dem Beginn der Bauarbeiten - zulässig. Die Antragsteller haben erfolglos einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung gestellt, den die Antragsgegnerin auch nach Ablauf der von den Antragstellern gesetzten Frist nicht positiv beschieden hat. Durch den Beginn der Bauarbeiten ist die Baugenehmigung zudem bereits im Vollzug.
Das Rechtsschutzbegehren hat in der Sache Erfolg. Nach §§80 a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse des Nachbarn, von der Vollziehung der angegriffenen Baugenehmigung verschont zu bleiben, das Interesse des Bauherrn an ihrer Ausnutzung überwiegt. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist das Risiko des Nachbarn, die Folgen der Verwirklichung der angegriffenen Maßnahme trotz möglichen späteren Erfolges in der Hauptsache dulden zu müssen, mit dem Risiko des Bauherrn abzuwägen, die Verwirklichung seines Vorhabens trotz möglicher späterer Klagabweisung aufschieben zu müssen. Bei der zwischen beiden Folgeabschätzungen vorzunehmenden Abwägung spielt die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsbehelfs in der Regel eine entscheidende Rolle. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung lässt sich hier absehen, dass der von den Antragstellern eingelegte Widerspruch Erfolg haben wird.
Die Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn kann nur dann zum Erfolg führen, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und der Nachbar dadurch in seinen Rechten verletzt wird (§113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Zulassung des Bauvorhabens durch die Bauaufsicht verletzt einen Nachbarn dann in seinen Rechten, wenn sie mit Vorschriften nicht vereinbar ist, die - zumindest auch - die Funktion haben, nachbarliche Rechte zu schützen. Das ist hier der Fall.
Eine Verletzung nachbarlicher Rechte liegt allerdings, entgegen der Auffassung der Antragsteller, nicht schon darin, dass durch die Errichtung der Grünschnittsammelstelle der prägende Charakter der näheren Umgebung verändert würde und sie in einem etwaigen Gebietserhaltungsanspruch verletzt wären. Entgegen der Ansicht der Antragsteller liegen ihr Grundstück und das Baugrundstück voraussichtlich nicht im gleichen Gebiet. Nach dem Eindruck, den sich die Kammer aus den vorgelegten Satellitenbildern und der Liegenschaftskarte der näheren Umgebung des Baugrundstücks hat verschaffen können, ist das Baugrundstück voraussichtlich dem Außenbereich zuzuordnen. Während nördlich des Baugrundstücks die Wohnbebauung bis zum C.-Weg reicht, endet die Bebauung auf Höhe des Baugrundstücks von Westen aus betrachtet mit der Hofstelle des Beigeladenen. Auch weiter südlich befindet sich keine Bebauung mehr, die bis zum C.-Weg reicht, vielmehr ist östlich der Bebauung entlang der G.-Straße bis zu dem östlich gelegenen Teich keine Bausubstanz mehr vorhanden. Bei dem Baugrundstück dürfte es sich deshalb nicht um eine Baulücke zwischen dem C.-Weg und ansonsten zusammenhängender Bausubstanz, sondern um eine Außenbereichsfläche handeln.
Das Baugrundstück ist deshalb von der Umgebung des Grundstücks der Antragsteller abzugrenzen, die sich innerhalb eines Bebauungszusammenhangs befindet. Welche Abwehrrechte ein Nachbar gegen ein im Außenbereich ausgeführtes Bauvorhaben hat, bestimmt sich nach §35 BauGB (BVerwG, Beschl. v. 24.04.1997, Az. 4 B 65.97 - [...]), dessen Abs. 3 das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme aufgreift. Rücksicht muss ein Bauvorhaben dabei auf solche Interessen des Nachbarn nehmen, die wehrfähig sind, weil sie der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des materiellen Rechts als schützenswert betrachtet hat.
Ein gebietsübergreifender Nachbarschutz, wie ihn die Antragsteller geltend machen, kann sich für einen begrenzten Kreis von Abwehrberechtigten dann ergeben, wenn nach der gesetzgeberischen Wertung der Gebietstyp eines Nachbargebiets wenigstens auch - gebietsübergreifend - nachbarschützende Funktion hat. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Plangeber zugunsten besonders schutzbedürftiger Gebiete vor Belästigungen durch andere Gebiete eine sogen, abgetreppte Gebietszuweisung wählt, anstatt zwei Gebiete mit stark unterschiedlichen Schutzbedürfnissen unmittelbar nebeneinander zu platzieren. Eine solche Situation liegt aber nicht vor, wenn der angrenzende Bereich - wie hier - dem Außenbereich zuzuordnen ist und gar keine Festsetzungen des Plangebers existieren. Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob die angefochtene Genehmigung möglicherweise objektiv-rechtlich rechtswidrig ist, weil das Vorhaben eher gewerblicher Natur ist als einem landwirtschaftlichen Betrieb dient. Im Außenbereich besteht kein Schutzanspruch des Nachbarn gegen objektiv rechtswidrige Vorhaben; dem §35 BauGB kommt insofern gerade nicht die Funktion einer objektiv nachbarschützenden Norm zu (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.04.1995 - 4 B 47.95 - [...]).
Dadurch sind die Antragsteller jedoch nicht schutzlos gestellt. Sie können ein Vorhaben im Rahmen des §35 Abs. 3 BauGB jedenfalls dann abwehren, wenn es schädliche Umwelteinwirkungen hervorruft. Das dort formulierte Gebot der Rücksichtnahme gilt nicht nur für Außenbereichsvorhaben untereinander, sondern über Gebietsgrenzen hinweg auch für Grundstücke im angrenzenden unbeplanten oder beplanten Innenbereich.
Welches Maß an Rücksichtnahme ein Bauvorhaben im Einzelfall einzuhalten hat, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr Rücksichtnahme kann er verlangen. Je verständiger und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, desto weniger Rücksicht braucht der Vorhabenträger zu nehmen. Anknüpfpunkte für die Schutzbedürftigkeit des Nachbarn bietet §22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, wonach bei der Errichtung und dem Betrieb genehmigungsfreier Anlagen schädliche Umwelteinwirkungen i.S.d. §3 Abs. 1 BImSchG zu verhindern oder auf das unvermeidbare Maß zu beschränken sind. Bei der Frage, was die Schwelle zur erheblichen oder schädlichen Belastung übersteigt, liefert die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm - zwar nicht normativ bindende und anspruchsbegründende Werte, so doch gewichtige Anhaltspunkte für die Beurteilung des konkreten Einzelfalls. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin beansprucht die TA Lärm auch für das Vorhaben des Beigeladenen Geltung. Es handelt sich bei der Grünschnittsammelstelle nicht um eine landwirtschaftliche Anlage i.S.d. Nr. 1 c. der TA Lärm, die vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen wäre. Landwirtschaftliche Anlagen sind nur solche Anlagen, die im Rahmen der Urproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie deren Zubereitung, Verarbeitung und Verwertung dienen. Landwirtschaftliche Erzeugnisse sind dabei nicht schon Grünabfälle, sondern nur solche Erzeugnisse, die im Wege der Urproduktion im Sinne einer unmittelbaren Bodenertragsnutzung gewonnen werden, also Feldfrüchte und dergleichen. Bei Grünschnitt aus Gärten und Grünanlagen und ähnlichen Abfällen ist ein solcher Urproduktionsablauf nicht gegeben. Es handelt sich deshalb bei der Grünschnittsammelstelle um eine Anlage des Agrargewerbes, die nicht unter die Ausnahmevorschrift der Nr. 1 c. TA Lärm unterfällt (vgl. Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. IV, B 3.6 Nr. 1 Rn. 17).
Auf dieser Grundlage verletzt die angefochtene Baugenehmigung das Gebot der Rücksichtnahme, weil von dem Vorhaben Immissionen ausgehen, die den Antragstellern nicht zuzumuten sind.
Zur Bestimmung der Schutzbedürftigkeit eines Immissionsorts knüpfen die Nrn. 6.1, 6.6 der TA Lärm an den festgesetzten Gebietstyp oder jenen Gebietstyp an, dem die nähere Umgebung entspricht. Die Kammer geht dabei von dem für die Antragsteller ungünstigeren Fall aus, dass die nähere Umgebung ihres Grundstücks einem Dorfgebiet entspricht.
Zugunsten der Antragsgegnerin geht die Kammer weiter von dem Betriebszustand aus, der auch dem Gutachten zugrunde liegt. Dies ergibt sich nicht ohne weiteres aus der Formulierung der Genehmigung, denn es werden dort weder das verwendete Schreddermodell, noch der Standort des Schredders, noch die Anzahl der zulässigen Betriebstage widerspruchsfrei geregelt. Hinsichtlich der Betriebszeiten widerspricht die grüngestempelte Betriebsbeschreibung den Prämissen des Gutachtens, auf die Baugenehmigung ausdrücklich als "Voraussetzung" Bezug nimmt: Die Betriebsbeschreibung weist "ca. zehn" - also mitunter auch mehr als zehn - Schreddertage aus, während das Gutachten von "sechs bis acht" bzw. "nicht mehr als zehn" Schreddertagen ausgeht. Hinsichtlich des Schreddermodells gibt die Genehmigung unter "Auflagen" eine Stellungnahme des Fachbereichs Umwelt der Region E. wieder, in der deutlich Zweifel an der beabsichtigten (und schließlich ungeachtet der formulierten Zweifel erteilten) Genehmigung geäußert werden. Die Genehmigung stellt ihre Regelungen damit selbst in Frage. Die Stellungnahme der Region geht außerdem - wohl aufgrund des Schreibens des Beigeladenen vom 25.07.2007 - von einem Schredder Jenz AZ 55D aus, während der Gutachter einen Schredder Jenz AZ 660 - eine leistungsgesteigerte Version des Jenz AZ 600 - auf der alten Sammelstelle vermessen und seinem Gutachten zugrundegelegt hat. Bereits die Motorleistungen und der Materialdurchsatz der Modelle AZ 600 (für das der Beigeladene im Rahmen des Genehmigungsverfahrens Schallleistungsdaten vorgelegt hat) und AZ 660 differieren dabei erheblich. Der Standort des Schredders ist in der grüngestempelten Karte gar nicht, in der Anlage zum Gutachten nur vage verzeichnet. Insgesamt ist schon zu bezweifeln, ob der im schallschutztechnischen Gutachten beurteilte Betriebsumfang alleiniger Gegenstand der Genehmigung werden konnte, wie es in den "Auflagen" formuliert worden ist. Ob die Genehmigung angesichts dessen und der Tatsache, dass das Gutachten augenscheinlich die - grüngestempelte - Betriebsbeschreibung nicht vollständig erfasst, überhaupt eine taugliche Bewältigung des Immissionskonflikts leisten kann, kann hier allerdings offen bleiben, da selbst bei engster, um Geltungserhaltung bemühter Auslegung die im Gutachten errechneten Beurteilungspegel für die Antragsteller unzumutbar sind.
Das Gutachten errechnet bei Betrieb des Schredders am Immissionsaufpunkt der Antragsteller einen Beurteilungspegel von 65,5 dB(A) bzw. 65,7 dB(A). Damit werden die Orientierungswerte für Dorfgebiete von 60 dB(A) tags deutlich überschritten. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist für den Betriebszustand 2 keine Erhöhung der Orientierungswerte gem. Nr. 6.3 TA Lärm auf 70 dB(A) vorzunehmen, denn die Schreddertage sind, selbst wenn sie seltener als zehnmal jährlich stattfinden, keine seltenen Ereignisse i.S.d. Nr. 7.2 TA Lärm.
Seltene Ereignisse i.S.d. Nr. 7.2 TA Lärm sind voraussehbare Besonderheiten beim Betrieb einer Anlage, die an nicht mehr als zehn Kalendertagen und nicht mehr als zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden auftreten. Solche "Besonderheiten" können technischer, betriebstechnischer oder sonstiger betrieblicher Art sein; "besonders" ist ein Vorgang aber nicht schon dann, wenn er selten ist (Kutscheid, in: NVwZ 1999, 577 (579); Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Bd. II, Nr. 7 TA Lärm, Rn. 15; VG Ansbach, Beschl. v. 05.10.2006, Az. 11 S 06.02742 - [...]). Erforderlich ist vielmehr eine Abweichung vom normalen Betriebsablauf, die der Schredderbetrieb gerade nicht darstellt. Der Schredder wird immer dann eingesetzt, wenn die Aufnahmekapazität der Grünschnittsammelstelle erschöpft ist. Sein Einsatz ist deshalb ein regelmäßig wiederkehrendes Ereignis im Rahmen des üblichen betrieblichen Ablaufs.
Selbst wenn man die Schreddertage als seltene Ereignisse i.S.d. Nr. 7.2 TA Lärm ansehen wollte, würde der Schredderbetrieb vermutlich nicht in den Genuss der erhöhten Orientierungswerte aus Nr. 6.3 TA Lärm kommen. Nr. 7.2 erlaubt eine Überschreitung der Orientierungswerte aus Nr. 6.1 und 6.2 nämlich nur dann, wenn die Immissionsrichtwerte auch bei Einhaltung des Standes der Technik zur Lärmminderung nicht eingehalten werden können. Ob dies der Fall ist, lässt sich anhand des schalltechnischen Gutachtens nicht beurteilen. Das Gutachten erschöpft sich in der Feststellung, dass sich durch weitere Entfernung des Schredders vom Grundstück der Antragsteller möglicherweise eine geringfügige Verringerung der Immissionsbelastung ergebe; darüber hinaus enthält es keine Alternativberechnungen für einen schallschutzoptimierten Standort und weitere Lärmminderungsmaßnahmen wie eine Einhausung des Schredderplatzes, Lärmschutzwälle oder schallschutzoptimierte Anordnung der Grünschnittmieten.
Da sich die Genehmigung schon unter jedem für die Antragsteller ungünstigsten Aspekt als rechtswidrig erweist, kann offen bleiben, ob die Antragsteller möglicherweise sogar einen höheren Schutzanspruch geltend machen können, weil die nähere Umgebung entgegen der Annahme der Kammer als Allgemeines Wohngebiet einzustufen ist. Insofern bedarf es auch keiner Klärung, ob bei einer solchen Einstufung der Orientierungswert für allgemeine Wohngebiete von 55 dB(A) tagsüber aufgrund der Außenbereichsrandlage auf einen höheren (Mittel-)Wert anzuheben ist, weil der Eigentümer eines an der Grenze zum Außenbereich gelegenen Grundstücks regelmäßig mit Veränderungen der Umgebung von vornherein rechnen muss und nicht verlangen kann, dass um ihn herum nur Wohnnutzung entsteht, sondern vielmehr gerade solche Vorhaben hinnehmen muss, die typischerweise im Außenbereich errichtet werden sollen. Selbst bei Bildung eines solchen Mittelwerts wäre die äußerste Grenze des Zumutbaren bei Vorhaben erreicht, deren Genehmigung eine geordnete städtebauliche Entwicklung oder den Schutz an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse in Frage stellen würde. Im Hinblick auf das Lärmschutzniveau ist diese Grenze bei den höchsten Orientierungswerten der TA Lärm erreicht, die für Gebiete gelten, in denen der Verordnungsgeber der BauNVO Wohnnutzung noch für grundsätzlich zulässig und mit dem Gebietscharakter vereinbar erachtet. Das sind Dorf-, Kern- und Mischgebiete, für die die TA Lärm in Nr. 6.1 den hier ohnehin herangezogenen Orientierungswert von tags 60 dB(A) vorsieht. Ob eine Mittelwertbildung überhaupt vorzunehmen ist, wenn im Außenbereich nicht privilegierte Vorhaben errichtet werden sollen, braucht hier deshalb ebenfalls nicht geklärt zu werden.
Schließlich kann offen bleiben, ob die Antragsteller Lärmminderungsmaßnahmen möglicherweise auch dann verlangen können, wenn die Orientierungswerte im Übrigen eingehalten werden, weil gem. §22 Abs. 1 BImSchG vermeidbare Immissionen zu verhindern und unvermeidbare Immissionen weitestmöglich zu mindern sind. Der Anlagenbetreiber kann die Lärmrichtwerte womöglich erst dann voll ausschöpfen, wenn er seinerseits die nach dem Stand der Technik gebotenen Maßnahmen zur Lärmminderung getroffen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus §154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat sich im Verfahren nicht geäußert und auch kein Kostenrisiko übernommen, das mit dem Stellen von Anträgen verbunden gewesen wäre.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nrn. 8, 18 b. der Streitwertannahmen des OVG Lüneburg in Bausachen (Nds. GVBl. 2002, 192 f.).