Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.07.2008, Az.: 5 LA 207/05
Gerichtliche Sachentscheidung im Fall eines nicht mehr i.S.d. § 67 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vertretenen Beteiligten; Rückversetzung eines Beamten in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.07.2008
- Aktenzeichen
- 5 LA 207/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 20206
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0715.5LA207.05.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 67 Abs. 2 S. 2 Nr. 5, 3 VwGO
- § 67 Abs. 3 S. 1-2 VwGO
- § 67 Abs. 4 S. 6 VwGO a. F.
- § 32 Abs. 1 NBG
- § 109 Abs. 1 NBG
Fundstellen
- DVBl 2008, 1140 (red. Leitsatz)
- JuS 2009, 858-859
- NVwZ 2008, 1251 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Entfallene Postulationsfähigkeit eines Prozessbevollmächtigten; Voraussetzungen einer statusverändernden Rückversetzung
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Zur Frage, ob eine Sachentscheidung ergehen darf, wenn ein Beteiligter nicht mehr in einer dem Vertretungszwang des § 67 VwGO entsprechenden Weise repräsentiert ist.
- 2.
Zu den Voraussetzungen einer Rückversetzung in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung.
Gründe
Der Senat sieht sich nicht dadurch an einer Entscheidung über den Zulassungsantrag gehindert, dass der Kläger infolge der zum 1. Juli 2008 in Kraft getretenen Änderungen des § 67 VwGO zur Zeit nicht mehr entsprechend dieser Norm vertreten ist. An einer solchen Vertretung fehlt es allerdings, weil der Kläger zwar unter dem 2. August 2004 (Bl. 8 der Gerichtsakte - GA -) natürlichen Personen eine Prozessvollmacht erteilt hatte, die nach § 67 Abs. 4 Satz 6 VwGO a. F. postulationsfähig waren, diese Personen aber auf der Grundlage des nunmehrigen § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 und Satz 3 VwGO nicht mehr selbst seine Bevollmächtigten zu sein vermögen, sondern nur noch als beauftragte Vertreter des als Organisation zu bevollmächtigenden "dbb beamtenbundes und tarifunion" handeln könnten. Paragraf 138 Nr. 4 VwGO erfasst den Fall der entfallenen Postulationsfähigkeit eines bestellten Prozessbevollmächtigten indessen nicht (BVerwG, Beschl. v. 10. 6. 2005 - BVerwG 1 B 149.04 -, NJW 2005, 3018 f.), sodass Sachentscheidungen selbst dann ergehen dürfen, wenn die Passivpartei (hier in Gestalt des Zulassungsantragsgegners) nicht mehr in einer dem Vertretungszwang des § 67 VwGO entsprechenden Weise repräsentiert ist (vgl.: Czybulka, in: Sodan/Ziekow [Hrsg], VwGO, 2. Aufl. 2006, § 67 Rn. 64 und Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 67 Rn. 59). Es ist im vorliegenden Falle auch nicht geboten, die Bevollmächtigten des Klägers noch vor einer Entscheidung über den Zulassungsantrag durch einen gesonderten Beschluss gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO zurückzuweisen. Dies würde nämlich das seit Langem ausgeschriebene Verfahren nur weiter verzögern, ohne dass dies im Interesse des Klägers hinzunehmen wäre. Vielmehr können Zustellungen an seine bisherigen Bevollmächtigten bis auf weiteres gemäß § 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO wirksam vorgenommen werden und dürfte auf diese Weise seine zureichende Information und zeitnahe prozessuale Reaktion auf die Rechtsänderung sogar besser zu erreichen sein, als wenn ihm - nach kurzfristiger Gewährung rechtlichen Gehörs und einem Beschluss gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 VwGO - die Zulassungsentscheidung (zumal während der gegenwärtigen Ferienzeit) selbst zugestellt würde.
Der angefochtene Verwaltungsakt und damit das Urteil der Vorinstanz und der Zulassungsantrag haben sich auch nicht durch die inzwischen erfolgte erneute Berufung des Klägers in ein höherwertiges Statusamt (Bl. 125 GA) erledigt. Denn käme es beispielsweise zu einer Verschmelzung der Schule, an der er jetzt tätig ist, könnte § 109 Abs. 1 Satz 1 NBG erneut anwendbar sein und wäre es dann möglicherweise wiederum von Bedeutung, welches Statusamt der Kläger vor seiner letzten Beförderung innehatte.
Der u. a. auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag der Beklagten, die Berufung zuzulassen, hat Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig dargelegt sind und vorliegen.
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn auf Grund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist der Fall, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23. 6. 2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458 [1459]). Die Richtigkeitszweifel müssen sich allerdings auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (Nds. OVG, Beschl. v. 27. 3. 1997 - 12 M 1731/97-, NVwZ 1997, 1225 [1228]; Beschl. v. 23. 8. 2007 - 5 LA 123/06 -; BVerwG, Beschl. v. 10. 3. 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838 [839]). Um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils darzulegen, muss sich der Zulassungsantragsteller substanziell mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen (Happ, in: Eyermann, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2006, § 124a Rn. 63). Welche Anforderungen an Umfang und Dichte seiner Darlegung zu stellen sind, hängt deshalb auch von der Intensität ab, mit der die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist (vgl. Happ, a. a. O., § 124a Rn. 64, m. w. N.). Ist das angegriffene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, müssen hinsichtlich aller dieser Begründungen Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden und vorliegen, es sei denn, dass diese Begründungen von verschiedener Rechtskraftwirkung sind (Nds. OVG, Beschl. v. 6. 6. 2008 - 5 LA 270/05 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der nds. Verwaltungsgerichtsbarkeit, m. w. N.).
Gemessen an diesen Maßstäben hat die Beklagte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht nur fristgerecht und hinreichend dargelegt, sondern liegen solche Zweifel auch vor (§§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die stattgebende verwaltungsgerichtliche Entscheidung beruht nämlich auf den Rechtssätzen, dass die durch den Bescheid vom 13. Juli 2004 (Bl. 33 GA) in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2004 (Bl. 36 ff. GA) vorgenommene und auf § 32 Abs. 1 i. V. m. § 109 Abs. 1 NBG gestützte Rückversetzung des Klägers in ein Amt mit geringerem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung als Rückernennung zu betrachten sei und daher gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 NBG nur durch die Aushändigung einer Ernennungsurkunde hätte geschehen können; weil es an einer solchen Aushändigung fehle, liege ein so genannter Nichtakt vor, der Kläger sei nicht wirksam versetzt worden und im Amt eines Realschulrektors verblieben. Demgegenüber macht die Beklagte im Einklang mit der Kommentarliteratur [Kümmel, BeamtR, Stand: Febr. 2008, § 109 NBG Rn. 4; Lemhöfer, in: Plog u. a., BBG mit BeamtVG, Stand: Mai 2008, § 26 BBG Rn. 34b; Kathke, in: Schütz/Maiwald, BeamtR, Kommentar, Stand: Juni 2008, § 28 LBG NRW Rn. 230; Summer, in: Fürst, GKÖD, Stand: Apr. 2008, § 26 BBG Rn. 33, und Summer, in: Weiss u. a., Bay. BeamtG, Stand: Febr. 2008, Art. 34 Erl. 5 a) und f), Erl. 6 sowie Art. 37 Erl. 17 a)] geltend, dass § 109 Abs. 1 NBG im Verhältnis zu § 7 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 NBG lex specialis sei, sodass es keiner (Rück-) Ernennung und Aushändigung einer Ernennungsurkunde bedürfe. Sie weist zur weiteren Begründung in Anlehnung an Lemhöfer (a. a. O.) auf das ansonsten auftretende Problem hin, welches in einer mangelnden Verpflichtung des Beamten liege, an einer ihm unerwünschten Rückernennung mitzuwirken. Mit diesen überzeugenden Gegenargumenten ist die Gesetzesinterpretation des Verwaltungsgerichts zumindest schlüssig in Frage gestellt.
Zwar führt das Verwaltungsgericht des Weiteren aus, einiges spreche dafür, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten das ihr durch § 109 Abs. 1 NBG eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt habe. Darin kann aber keine die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz selbständig tragende Begründung gesehen werden. Denn die Aufhebung eines Verwaltungsaktes und eines dazu ergangenen Widerspruchsbescheides setzt gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO voraus, dass sich das Gericht die volle Überzeugung von der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) gebildet hat. Eine solche Überzeugungsbildung ist hier indessen erkennbar unterblieben.
Der Zulassungsantrag kann schließlich auch nicht in Anwendung des Rechtsgedankens des § 144 Abs. 4 VwGO abgelehnt werden. Entgegen wohl der Auffassung des Verwaltungsgerichts dürfte es sich bei der im Rahmen des § 109 Abs. 1 Satz 1 NBG vorzunehmenden Prüfung, ob eine dem bisherigen Amt entsprechende Verwendung unmöglich ist, nicht lediglich um einen Teil der Ermessensausübung handeln (vgl.: Summer, in: Fürst, GKÖD, Stand: Apr. 2008, § 26 BBG Rn. 32; unklar: Kümmel, BeamtR, Stand: Febr. 2008, § 109 NBG Rn. 16), sondern um eine Prüfung in deren Vorfeld, hinsichtlich der - allerdings möglicherweise nur partiell (vgl. Kathke, in: Schütz/Maiwald, BeamtR, Kommentar, Stand: Juni 2008, § 28 LBG NRW, Rn. 242) - ein Beurteilungsspielraum der Behörde anzuerkennen ist (Lemhöfer, in: Plog u. a., BBG mit BeamtVG, Stand: Mai 2008, § 26 BBG Rn. 34). Es lässt sich nicht bereits im Rahmen des Zulassungsverfahrens abschließend klären, welche Anforderungen sich hieraus für den materiellen Inhalt sowie die Begründung eines auf § 109 Abs. 1 Satz 1 NBG gestützten Verwaltungsaktes ergeben und ob der angefochtene Versetzungsbescheid diesen Anforderungen genügt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).