Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.07.2008, Az.: 8 ME 39/08
Duldung für angebliche Roma aus dem Kosovo; Aussetzung der Abschiebung zur Sicherung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.07.2008
- Aktenzeichen
- 8 ME 39/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 20320
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2008:0714.8ME39.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 04.06.2008 - AZ: 4 B 159/08
Rechtsgrundlagen
- § 23 AufenthG
- § 25 Abs. 5 AufenthG
- § 104a AufenthG
- Art. 8 EMRK
- § 48 VwVfG
- § 51 VwVfG
Fundstelle
- AUAS 2008, 231-233
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Aufenthaltsrecht - keine Duldung für angebliche Roma aus dem Kosovo
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. Juni 2008 hat keinen Erfolg. Aus den von den Antragstellern zur Beschwerdebegründung dargelegten und vom Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen ergibt sich kein Anlass, den angegriffenen Beschluss zu ändern und dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, die Antragsteller abzuschieben.
Die Abschiebung der Antragsteller ist nicht "unmöglich" im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Insbesondere begründet die Berufung der Antragsteller auf ihre Volkszugehörigkeit als Roma aus dem Kosovo keine solche Unmöglichkeit. Der Senat hat schon unter Geltung des bislang den Rückführungen in das Kosovo zu Grunde liegenden Verwaltungsabkommens (sog. Memorandum of Understanding) zwischen dem Bundesinnenministerium und der UNMIK entschieden (vgl. Beschl. v. 12.10.2005 - 8 ME 163/05 -, InfAuslR 2006, 40 f. = NVwZ 2006, 362 f.), dass sich weder aus diesem Abkommen noch aus den für die UNMIK im Übrigen geltenden Bestimmungen Ansprüche der Abzuschiebenden gegenüber deutschen Behörden ergeben. Nach dem Erlass des Bundesinnenministeriums vom 17. Dezember 2007 ist das vorgenannte Verwaltungsabkommen "mit Ablauf des Jahres 2007 faktisch nicht mehr anwendbar" und im Kosovo durch ein neues Rückübernahmegrundsatzprogramm (englisch: "Readmission Policy") ersetzt worden. Für die hier zu beurteilende Fallgestaltung hat sich dadurch keine Änderung ergeben. Schutzansprüche von Angehörigen ethnischer Minderheiten gegenüber deutschen Behörden ergeben sich aus diesem im Kosovo geltenden Rückübernahmegrundsatzprogramm nicht, zumal darin der von den Antragstellern in Anspruch genommene Abschiebungsschutz für Angehörige der Roma nicht einmal ausdrücklich enthalten ist. Soweit die für einen Übergangszeitraum im Kosovo weiterhin zuständige UNMIK nach den Ausführungen in dem o. a. Erlass vom 17. Dezember 2007 gleichwohl unter Berufung auf das "UNHCR-Positionspapier" an dem grundsätzlichen Rückführungsverbot für Roma festhält, folgt daraus unverändert eine Unmöglichkeit der Abschiebung nur dann, wenn deshalb einer in Aussicht genommenen Abschiebung eines Ausländers widersprochen worden ist. Einen solchen Widerspruch der UNMIK gibt es vorliegend nicht. Die für den 5. Juni 2008 geplante Abschiebung der Antragsteller ist vielmehr allein daran gescheitert, dass die Antragsteller vorübergehend untergetaucht sind. Der Senat hat schon in seinem zuvor zitierten Beschluss offen gelassen und kann dies auch vorliegend tun, ob eine andere Beurteilung angezeigt ist, wenn die deutschen Behörden der UNMIK bewusst falsche Angaben über die Volkszugehörigkeit des Betroffenen mitteilen, sie sich also treuwidrig verhalten und nur deshalb ein Widerspruch der UNMIK unterbleibt. Ein solches Verhalten ist dem Antragsgegner hier nicht vorzuwerfen, insbesondere war er nicht verpflichtet, die Antragsteller als Roma einzustufen. Dem stehen bereits die gegenteiligen Ausführungen in dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 18. Dezember 2007 ( - 4 A 367/06 -) entgegen. Die gegen die Richtigkeit dieser Ausführungen von den Antragstellern in diesem Verfahren vorgetragenen Einwände sind nicht neu und überzeugen im Übrigen auch in der Sache nicht. Die Antragsteller haben sich seit ihrer erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet im Jahr 1988 als albanische Volkszugehörige bezeichnet, auf eine hieran anknüpfende Verfolgungsgefahr berufen, als Sprachkenntnisse solche der albanischen Sprache angegeben und hieran bis zum Juni 1999 festgehalten. Wenn sie sich abweichend von ihren früheren Angaben beginnend ab dem Juli 1999 als Roma bezeichnen, zur Begründung auf ihre Hautfarbe verweisen und darauf berufen, dass der Antragsteller zu 1) "romanes" spreche und im ehemaligen Jugoslawien als "Rom" gelebt habe, so reicht dies nicht aus, um die Gewissheit zu vermitteln, dass ihre jetzigen Angaben zutreffen und nicht allein zur Verbesserung ihrer aufenthaltsrechtlichen Stellung gemacht werden.
Soweit die Antragsteller im Übrigen sinngemäß die Aussetzung ihrer Abschiebung zur Sicherung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, d.h. nach § 25 Abs. 5 AufenthG (i. V. m. Art. 8 EMRK), § 23 AufenthG i. V. m. der sog. Bleiberechtsregelung in dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 6. Dezember 2006 oder § 104a AufenthG begehren, dringen sie mit diesem Vorbringen ebenfalls nicht durch.
Die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis ist bereits durch den Bescheid des Beklagten vom 7. März 2006 bestandskräftig abgelehnt worden. Da die Antragsteller gegen diesen Bescheid Klage erhoben hatten und der geltend gemachte Verpflichtungsanspruch im laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren (4 A 367/06) zutreffend (vgl. Senatsbeschl. v. 7.9.2007 - 8 PA 84/07 -, [...]; OVG Madgeburg, Beschl. v. 29.5.2008 - 2 O 76/08, jeweils m. w. N) auch an Hand der zwischenzeitlich in Kraft getretenen Bleiberechtsregelung sowie der gesetzlichen Altfallregelung geprüft, aber verneint worden ist, bezieht sich hierauf auch die mit der rechtskräftigen Abweisung der Klage am 9. Februar 2008 eingetretene Bestandskraft des Bescheides. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG steht den Antragstellern nicht zu. Insbesondere hat sich die Sach- oder Rechtslage nicht nachträglich zu ihren Gunsten geändert. Soweit sie bezogen auf einen Anspruch nach § 104a AufenthG sinngemäß eine andere Ansicht vertreten, trifft dies jedenfalls deshalb nicht zu, weil die Versagung selbständig tragend auch auf das Vorliegen des Versagungsgrundes des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gestützt worden ist und insoweit keine neuen Argumente vorgetragen werden. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Ermessenswege hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 26. Mai 2008 rechtsfehlerfrei mit der Begründung abgelehnt, dass jedenfalls der bereits erwähnte Versagungsgrund des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG unverändert Bestand habe.
Ferner ist es auch nicht "schlechthin unerträglich" (vgl. insoweit BVerwG, Urt. v. 20.3.2008 - 1 C 33/07 -, [...], m. w. N), wenn sich der Antragsgegner auf die erst vor kurzer Zeit eingetretene Bestandskraft des Versagungsbescheides beruft. Denn weder sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Vorliegen des Versorgungsgrundes des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ersichtlich falsch noch haben die Antragsteller in diesem Verfahren glaubhaft gemacht, dass sie die übrigen Voraussetzungen des § 104a AufenthG erfüllen. So fehlt etwa der notwendige Nachweis, dass die minderjährigen Kinder seit Jahresbeginn 2007 ihrer Schulpflicht nachkommen. Es kann daher offen bleiben, ob die Antragsteller dadurch, dass sie sich der am 5. Juni 2008 geplanten Abschiebung durch Untertauchen entzogen haben, erneut den Versagungsgrund des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG verwirklicht haben.
Schließlich steht den bislang erkennbar nicht integrierten, seit ihrer Einreise zur Sicherung des Lebensunterhalts der Familie auf öffentliche Mittel angewiesenen Antragstellern auch aus § 25 Abs. 5 AufenthG (i. V. m. Art. 8 EMRK) schon deshalb kein Aufenthaltsrecht zu, weil sie im Bundesgebiet nie ein (asylverfahrensunabhängiges) Aufenthaltsrecht besaßen, sie vielmehr ausreisepflichtig waren und sind, sie ihrer Ausreisepflicht trotz bestehender Möglichkeit, freiwillig auszureisen, nicht nachgekommen sind und ihnen hieraus nunmehr kein Aufenthaltsanspruch erwachsen kann (vgl. nur Senatsbeschl. v. 7.9.2007 - 8 PA 84/07 -, [...], m. w. N., sowie EGMR, Urt. v. 8.4.2008 - 21.878/06 -, Newsletter Menschenrechte 2008, S. 86 ff.). Auch insoweit ist es also nicht zu beanstanden, wenn sich der Antragsgegner auf seinen bestandskräftigen, die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis u. a. nach § 25 Abs. 5 AufenthG versagenden Bescheid vom 7. März 2006 beruft.
Gleiches gilt für die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 AufenthG i. V. m. der sog. Bleiberechtsregelung in dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 6. Dezember 2006, auf die die Antragsteller sich im Übrigen im Beschwerdeverfahren selbst nicht mehr berufen.