Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.07.2008, Az.: 7 ME 90/08

Rechtmäßigkeit gewerblicher Altpapiersammlungen aus privaten Haushalten; Öffnung der Abfallentsorgung für gewerblich tätige Entsorger seitens des Gesetzgebers

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.07.2008
Aktenzeichen
7 ME 90/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 20355
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2008:0701.7ME90.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 20.05.2008 - AZ: 4 B 2395/08

Fundstelle

  • AbfallR 2008, 206

Amtlicher Leitsatz

Orientierungssatz:

gewerbliche Altpapiersammlung aus privaten Haushalten

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin beabsichtigt, Altpapier aus privaten Haushalten mittels "blauer Tonnen" zu sammeln und zu verwerten. Die Antragsgegnerin ist der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger, an deren Stelle der Beigeladene getreten ist. Bislang sammelte der Beigeladene das Altpapier einschließlich der Verkaufsverpackungen aus Papier, Pappe und Karton (sog. PPK-Fraktion) überwiegend mittels durchsichtiger gelber Säcke und teilweise mittels gelber 1,1-m³-Container. Das gesammelte Altpapier überlässt er gegen Entgelt einem Verwertungsunternehmen.

2

Die Antragsgegnerin hat mit Verfügung vom 29. April 2008 der Antragstellerin unter Anordnung des Sofortvollzuges und Androhen von Zwangsgeld das Verteilen und Leeren der bereits aufgestellten blauen Tonnen sowie die Werbung für ihre gewerbliche Altpapiersammlung untersagt und angeordnet, die bislang aufgestellten Tonnen einzusammeln. Der Durchführung einer gewerblichen Sammlung stünden überwiegende öffentliche Interessen im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG entgegen.

3

Dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht stattgegeben; hiergegen wendet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin und des Beigeladenen.

4

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin und des Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 20. Mai 2008 hat keinen Erfolg. Die Beschwerdebegründung rechtfertigt eine Änderung der angefochtenen Entscheidung nicht.

5

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer vermag der Senat einen entscheidungserheblichen sachlichen Unterschied zu den von ihm bereits entschiedenen Verfahren (Beschlüsse vom 24.01.2008 - 7 ME 192/07 -, NordÖR 2008, 125 = ZUR 2008, 206 = NdsVBl. 2008, 119 und - 7 ME 193/07 -) und damit ein Entgegenstehen überwiegender öffentlicher Interessen i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG nicht zu erkennen.

6

Das Verwaltungsgericht hat die mögliche Erhöhung der Abfallgebühren in seiner Entscheidung berücksichtigt. Die Ansicht der Beschwerdeführer, eine Gebührenerhöhung von 3 bis 4 % falle als im Rahmen des § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG zu berücksichtigendes öffentliches Interesse entscheidungserheblich ins Gewicht, weil es sich um eine vermeidbare Gebührenerhöhung handele, teilt der Senat nicht. In Zeiten der Konjunktur bestimmter Abfallfraktionen sind Erlösminderungen für die öffentlich-rechtlichen Entsorger, denen entsprechende Einsparungen auf der Kostenseite wegen vorangegangener Investitionen oder wegen bestehender Vorhaltekosten aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht gegenüberstehen, und damit Auswirkungen auf die Abfallgebühren regelmäßig zu erwarten. Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Abfallentsorgung auch für gewerblich tätige Entsorger geöffnet, so dass eine regelmäßige Folge dieser Entscheidung nicht mit der Bewertung als "vermeidbar" zur Bestimmung eines überwiegenden öffentlichen Interesses i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG herangezogen werden kann.

7

Auch die von den Beschwerdeführern angeführten "Störfaktoren" begründen kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer ausschließlich dem Beigeladenen erlaubten Altpapierentsorgung.

8

Den von den Beschwerdeführern angeführten wettbewerbsrechtlichen Verstößen im Zusammenhang mit der Verteilung der Altpapiertonnen - ihr Vorliegen unterstellt - mögen die Beschwerdeführer auf dem dafür vorgesehenen Rechtsweg begegnen. Der Senat weiß aus eigener Anschauung, dass sich die mit der Verteilung der Tonnen zusammenhängenden Probleme kurzfristig erledigen, wenn diese Phase abgeschlossen ist. Damit bagatellisiert er etwa vorkommende wettbewerbsrechtliche Verstöße nicht, sondern setzt lediglich die auf dem ordentlichen Rechtsweg kurzfristig zu verhindernden Unzuträglichkeiten in zeitliche Relation zur Dauer der Klärung der mit § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG verbundenen Fragen im Hauptsacheverfahren.

9

Soweit die Beschwerdeführer die bewusste Fehlbeschickung der Altpapiertonnen mit Restabfall befürchten, setzen sie sich nicht mit der angefochtenen Entscheidung auseinander (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hatte darauf hingewiesen, dass selbst der ungefähre Umfang der "Fehlwürfe" nicht angegeben worden sei und sich dieses Verhalten im Bereich der Spekulation bewege. Nachprüfbare Fakten finden sich auch in der Beschwerdebegründung nicht. Der Senat weist darauf hin, dass eine Gefahr der Fehlbeschickung nicht an das von der Beigeladenen praktizierte System der Sackabfuhr gebunden wäre, sondern auch bei der andernorts praktizierten Tonnenabfuhr auftreten würde. Auch besteht hinsichtlich der Zuordnung fehlbeschickter Behältnisse kein Unterschied zwischen Tonnen- und Sackabfuhr: auch die bisher von dem Beigeladenen verwendeten Säcke lassen Rückschlüsse auf den (früheren) Abfallbesitzer nicht zu. Gegen eine beachtliche Gefahr der Fehlbeschickung spricht auch, dass sich die Nutzer einer Tonne der Antragstellerin letztlich selbst schaden würden, weil sie in eine wegen Fehlbeschickung nicht geleerte Tonne kein weiteres Altpapier mehr entsorgen könnten.

10

Auch die von den Beschwerdeführern angeführte Praxis einer Mitbewerberin, einigen Wohnungsbauunternehmen oder Zusammenschlüssen von Hauseigentümern ein Entgelt für die Überlassung des Altpapiers zu zahlen, ist nicht geeignet, ein entgegenstehendes überwiegendes öffentliches Interesse zu begründen. Die Vermutung, Wohnungseigentümer würden zusätzliche Erlöse kassieren, die von ihren Mietern durch erhöhte Abfallgebühren getragen werden müssten, dürfte schon aus Rechtsgründen nicht zutreffen, da sich in diesen Fällen die auf die Mieter umlagefähigen Betriebskosten für die Müllentsorgung um die Einnahmen mindern. Deswegen kann hier dahinstehen, ob die "Hinweise" zutreffen, die Antragstellerin mache vergleichbare Angebote wie die Mitbewerberin.

11

Im Hinblick auf die vom Beigeladenen beanspruchten Verkaufsverpackungen der PPK-Fraktion steht es ihm auch bei einer Altpapersammlung durch die Antragstellerin frei, die dafür notwendigen Altpapiercontainer vorzuhalten und gemäß § 14 Abs. 2 KrW-/AbfG auf den entsprechenden Grundstücken zu belassen.