Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.07.2008, Az.: 2 ME 302/08
Aufenthalt; Aufenthaltsbeendigung; Behinderung; Duldung; Generalkonsulat; Hinauszögerung; Identitätsdokumente; Kind; konkrete Aufforderung; Mitwirkung; Pass; Passbeschaffung; Täuschung; unterlassene Mitwirkung; vorsätzliches Hinauszögern; Zeitpunkt; Zurechnung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.07.2008
- Aktenzeichen
- 2 ME 302/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55088
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 10.04.2008 - AZ: 6 B 171/08
Rechtsgrundlagen
- § 104a AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Vorlage von Pässen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels indiziert nur unzureichende Bemühungen in die Vergangenheit, wenn nicht substantiiert und nachvollziehbar vorgetragen wird, wieso es zuvor nicht möglich gewesen sein sollte, einen Pass zu erlangen.
Familien- und aufenthaltsrechtlich müssen sich Minderjährige das Unterlassen ihrer Eltern zurechnen lassen.
Gründe
1. Den Antragstellern war gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO Prozesskostenhilfe unabhängig von den Erfolgsaussichten des Beschwerdeverfahrens zu bewilligen, da sie in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht obsiegt haben und der dort unterlegene Antragsgegner das Rechtsmittel führt.
2. Die rechtzeitig erhobene (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründete (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und damit zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der zum Aktenzeichen - 6 A 170/08 - erhobenen Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Januar 2008, mit dem dieser es abgelehnt hat, den Antragstellern Aufenthaltserlaubnisse nach § 104 a AufenthG zu erteilen, angeordnet. Die von dem Antragsgegner dargelegten Gründe, die der Senat allein zu prüfen hat (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben, dass der von ihm angefochtene Beschluss zu ändern ist.
Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Entscheidung hat das Gericht die Interessen des Antragstellers und der Antragsgegnerin sowie betroffene Interessen der Allgemeinheit gegeneinander abzuwägen. Dabei kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, soweit sie im Rahmen der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung festgestellt werden können, besondere Bedeutung zu (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, RdNr. 152 zu § 80 VwGO).
Ein Erfolg der Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 17. Januar 2008 scheint ausgeschlossen. Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 104 a AufenthG. Die erforderliche Interessenabwägung geht daher zu ihren Lasten aus.
Nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und er 1. über ausreichenden Wohnraum verfügt, 2. über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne der Stufe A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt, 3. bei Kindern im schulpflichtigen Alter den tatsächlichen Schulbesuch nachweist, 4. die Ausländerbehörde nicht vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht oder behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorsätzlich hinausgezögert oder behindert hat, 5. keine Bezüge zu extremistischen oder terroristischen Organisationen hat und diese auch nicht unterstützt und 6. nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben.
Vorliegend ist ein Anspruch der Antragsteller jedenfalls dadurch ausgeschlossen, dass sie den Antragsgegner im Sinne des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG vorsätzlich über aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht und behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert und behindert haben.
Insoweit bedarf es keiner abschließenden Klärung in diesem Verfahren, ob bei der Auslegung des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ein großzügiger Maßstab anzulegen ist, der eine enge Auslegung der Tatbestandsmerkmale erfordert, sodass lediglich Handlungen von einigem Gewicht den Tatbestand erfüllen mit der Folge, dass bloße Verstöße gegen allgemeine Mitwirkungspflichten etwa nach § 48 Abs. 3 AufenthG nicht genügen (so Nordrhein-Westfälisches OVG, Beschluss vom 12. Februar 2008, - 18 B 230/08 -, InfAuslR 2008, 211-212, das etwa eine unterlassene Mitwirkung nur dann den Tatbestand erfüllen lässt, wenn dem eine konkrete Aufforderung der Ausländerbehörde zu einer ganz bestimmten Mitwirkungshandlung vorausgegangen ist), oder ob nach dem Wortlaut der Vorschrift dem Ausländer anspruchshindernd ein jedwedes vorsätzliches Hinauszögern oder Behindern behördlicher Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung entgegenzuhalten ist, das neben einem aktiven Tun auch andere Verhaltensweisen wie ein beharrliches Untätigbleiben oder die Nichterfüllung von Mitwirkungspflichten mit einschließt (so der 12. Senat des beschließenden Gerichts, Beschluss vom 28. Januar 2008, - 12 ME 23/08 - juris). Denn selbst wenn man der Bestimmung des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG ein eingeschränktes Verständnis zugrunde legen würde, hätten die Antragsteller die negative Voraussetzung des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG erfüllt. Denn der Antragsgegner hat die Antragsteller hinreichend konkret zu Maßnahmen der Passbeschaffung aufgefordert, denen diese nicht nachgekommen sind. So hat der Antragsgegner den Antragsteller zu 1. nach den Verwaltungsvorgängen am 23. Januar 1998 aufgefordert, einen Antrag auf Ausstellung eines Passersatzpapiers zu unterschreiben (Blatt 110 Beiakte A); dies verweigerte der Antragsteller zu 1.. Dem ehemaligen Bevollmächtigten der Antragsteller wurden unter dem 5. Dezember 2000 (Blatt 132 Beiakte A) Passersatzpapieranträge übersandt, ohne dass eine Reaktion aktenkundig ist. Am 21. Oktober 2002 wurde der Antragsteller zu 1. erneut aufgefordert, Heimreisedokumente für sich vorzulegen und seine Kinder bei der syrischen Botschaft registrieren zu lassen (Blatt 237 Beiakte A). Weitere Aufforderungen zur Beibringung von Identitätspapieren erfolgten unter dem 2. April 2004 (Blatt 258 Beiakte B), 1. Juni 2004 (Blatt 273 Beiakte B), dem 10. Juni 2004 (Blatt 274 Beiakte B) sowie im Bescheid vom 28. Juni 2004 (Blatt 278 Beiakte B).
Auf diese Aufforderungen teilte der Antragsteller zu 1. unter dem 26. April 2004 (Blatt 263 Beiakte B) nur mit, nie Identitätsdokumente besessen zu haben oder solche überhaupt besorgen zu können.
Bezüglich der Antragstellerin zu 2. hat ein ehemaliger Bevollmächtigter des Antragstellers zu 1. dem Antragsgegner unter dem 17. Juli 2002 (Blatt 232 Beiakte A) mitgeteilt, dass er Zweifel habe, dass sich seine - des Antragstellers zu 1. - Ehefrau um Passersatzpapiere bemühen werde. Die Antragstellerin zu 2. wurde ferner unter dem 5. Dezember 2000 (Blatt 100 Beiakte D) aufgefordert, einen Passersatzpapierantrag auszufüllen, ohne dass eine Reaktion erfolgte. Unter dem 17. Juli 2003 wurde die Antragstellerin zu 2. erneut auf ihre Mitwirkungspflicht bezüglich der Vorlage eines gültigen Passes hingewiesen (Blatt 123 Beiakte D).
Auch wenn ausweislich der Schreiben des Antragsgegners vom 5. Oktober 2001 (Blatt 225 Beiakte A) und vom 7. Februar 2002 (Blatt 229 Beiakte A) der Antragsgegner selbst über längere Zeit bei der syrischen Auslandsvertretung erfolglos ein Verfahren auf Ausstellung eines Passersatzpapiers für den Antragsteller zu 1. betrieben hat, da die syrische Botschaft offenbar ihr von dem Antragsgegner vorgelegte Unterlagen nicht mehr auffinden konnte (Blatt 252 Beiakte B), so ist doch nicht zu verkennen, dass die am 23. August 2007 erfolgte Vorlage von bereits am 15. April 2007 ausgestellten Pässen im Zuge des vorliegenden Verfahrens ein deutliches Indiz dafür darstellt, dass die "Bemühungen" der Antragsteller um einen Pass zuvor unzureichend waren. Dass die Antragsteller nunmehr einen Pass beschafft haben, zeigt, dass dies möglich ist, und spricht dafür, dass es zuvor ebenfalls möglich gewesen wäre (so auch Nordrhein-Westf舁isches OVG, Beschluss vom 21. Januar 2008, - 18 B 1864/07 - NVwZ-RR 2008, 423). Zwar ist dieser Schluss nicht zwingend. Das Indiz hätte sich entkräften lassen, und zwar insbesondere durch einen substantiierten nachvollziehbaren Vortrag der Antragsteller dazu, inwiefern es zuvor nicht möglich gewesen sein sollte, einen Pass zu erlangen, und aufgrund welcher Zusammenhänge sich diese Gegebenheiten geändert haben. Dass es hieran fehlt, drängt zu der Annahme, dass es derartige Änderungen der Umstände nicht gegeben hat. Die Antragsteller haben insoweit allein erklärt, nunmehr den Zweck der Ausstellung der Papiere gegenüber der syrischen Botschaft mit dem Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts in Deutschland angegeben zu haben. Dies erscheint dem Senat unglaubhaft. Syrische Staatsangehörige erhalten nach der Erkenntnislage des Senats Pässe nicht abhängig von dem Ziel ihrer jeweiligen Verwendung, da diese nach Ausstellung für die Syrische Arabische Republik ohnehin nicht mehr kontrollierbar ist. Im Übrigen hat der Antragsteller zu 1. über seinen Bevollmächtigten unter dem 14. Juni 2007 erklärt, "für sich, seine Ehefrau und sämtliche Kinder beim syrischen Generalkonsulat Pässe angefordert" zu haben (Blatt 217 Beiakte D). Irgendwelche Zweckbestimmungen sind dieser Anforderung ebenso wenig wie den unter dem 14. Mai 2007 ausgestellten Pässen selbst zu entnehmen.
Auf die Frage, ob die Antragsteller auch ihre Namen und Geburtsdaten in der Vergangenheit zutreffend angegeben haben, kommt es nach alledem nicht mehr entscheidend an.
Letztlich können sich die Antragsteller zu 3. bis 8. nicht darauf berufen, dass ihnen etwaige Handlungen oder Unterlassungen ihrer Eltern, der Antragsteller zu 1. und 2., nicht anspruchsvernichtend entgegengehalten werden dürften. Da die Kläger zu 3. bis 8. alle minderjährig waren und selbst insoweit keine eigenständigen Rechtshandlungen vorgenommen haben, ist auf das Verhalten ihrer Eltern abzustellen und ihnen dieses zuzurechnen. Die Zurechenbarkeit folgt zum einen bereits aus familienrechtlichen Regelungen. Denn den Eltern steht im Rahmen der elterlichen Sorge nach § 1626 BGB auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder zu. Minderjährige Kinder teilen auch ausländerrechtlich das Schicksal ihrer Eltern. Daher haben sich minderjährige Ausländer das Verhalten ihrer Eltern zurechnen zu lassen (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Mai 2006, - 11 S 2354/05 -, VBlBW 2006, 438 [VGH Baden-Württemberg 10.05.2006 - 11 S 2354/05]).