Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 14.06.2017, Az.: 3 B 15/17

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.06.2017
Aktenzeichen
3 B 15/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53910
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben wird auch nicht durch eine Nachholung des gem. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO grundsätzlich erforderlichen behördlichen Vorverfahrens zulässig.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Bescheid, mit dem er zur Zahlung eines Erschließungsbeitrags aufgefordert wird.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2011 setzte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller einen Erschließungsbeitrag für das Grundstück B., Gemarkung C., Flur E., Flurstück D. in Höhe von 10.984,21 Euro fest und forderte ihn zur Zahlung eines Betrages in Höhe von - nach Abzug bereits gezahlter Vorausleistungen - 1.784,21 Euro auf. Dieser wurde in der Folgezeit von dem Antragsteller auch entrichtet.

Mit „Bescheid über die Festsetzung des endgültigen Erschließungsbeitrages“ für das Grundstück B. vom 10. Juni 2016 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass versehentlich die bereits gezahlten Vorausleistungen um 1.000,00 Euro zu hoch angesetzt worden seien und forderte ihn zur Zahlung dieser Differenz auf.

Diesem Bescheid hat der Antragteller durch seinen Prozessbevollmächtigten am 23. Juni 2016 „widersprochen“, mit der Begründung, dass der frühere Bescheid nicht nachträglich verändert werden könne und die Forderung verjährt sei. Zu dem Schriftsatz vom 23. Juni 2016 hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 19. April 2017 Stellung genommen und den Antragsteller aufgefordert, den noch ausstehenden Betrag bis zum 17. Mai 2017 zu zahlen. Weiter führte sie aus, dass eine im Jahr 2011 beschlossene Sondersatzung, die damals versehentlich nicht öffentlich bekannt gemacht, nunmehr am 3. April 2017 im Amtsblatt veröffentlicht worden sei, so dass die Beitragspflicht erst dann entstehen und die Verjährung beginnen hätte können. Die Veranlagung in Höhe von 1.000,00 Euro sei daher rechtmäßig.

Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält weder der Bescheid vom 10. Juni 2016 noch das Schreiben vom 19. April 2017.

Gegen den Bescheid vom 10. Juni 2016 hat der Kläger am 10. Mai 2017 einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Zur Begründung bekräftigt er seine bereits gegenüber der Antragsgegnerin dargelegte Auffassung.

Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2017, der Antragsgegnerin zugegangen am 12. Mai 2017, beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom 19. April 2017 durch die Antragsgegnerin.

II.

Der Antrag des Antragstellers im Sinne des § 80 Abs. 5 VwGO ist bereits nach § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO unzulässig, weil er das bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO erforderliche behördliche Vorverfahren zur Aussetzung der Vollziehung (vgl. § 80 Abs. 4 VwGO) nicht - vor der Stellung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO bei Gericht - durchgeführt hat (dazu 1.) und ein solches auch nicht ausnahmsweise nach § 80 Abs. 6 Satz 2 VwGO entbehrlich ist (dazu 2.).

1. Der Antrag gem. § 80 Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO ist unzulässig, weil die Antragsgegnerin nicht - wie von § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO jedoch vorausgesetzt - einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Insoweit mangelt es bereits an einer rechtzeitigen Antragstellung bei der Antragsgegnerin (vgl. hierzu etwa Nds. OVG, Beschl. v. 21.02.2013 - 1 ME 6/13 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 03.01.2011 - 1 ME 146/10 -, juris Rn. 7; jeweils m.w.N).

Mit dem Bescheid vom 10. Juni 2016 wird der Kläger zur Zahlung eines Erschließungsbeitrags in Höhe von 1.000,00 Euro aufgefordert, somit öffentliche Abgaben im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO (Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Stand: Oktober 2016, § 80 Rn. 136) angefordert. Zwar wird ein Erschließungsbeitrag mit dem Bescheid vom 10. Juni 2016 nicht (erneut) festgesetzt, er enthält mit der Zahlungsaufforderung jedoch ein Leistungsgebot (vgl. hierzu Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Stand: Oktober 2016, § 80 Rn. 145).

Der Antrag des Antragstellers gem. § 80 Abs. 5 VwGO ist am 10. Mai 2017 bei Gericht eingegangen. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gegenüber der Antragsgegnerin hat diese am 12. Mai 2017 erreicht, damit nach der Antragstellung bei Gericht. Unabhängig davon, dass sich der Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO gegen den Bescheid vom 10. Juni 2016 richtet und der Antrag gegenüber der Antragsgegnerin gegen den Bescheid vom 19. April 2017, ist nach Eingang des Antrages bei Gericht auch eine Nachholung - mit der Folge der Zulässigkeit des Antrages - nicht mehr möglich (Nds. OVG, Beschl. v. 27.08.2010 - 4 ME 164/10 -, juris Rn. 3 m.w.N.). Es handelt sich nach nahezu einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und der Literatur - auch wenn diese in dem Schriftsatz vom 13. Juni 2017 nicht geteilt wird - um eine nicht nachholbare Zugangsvoraussetzung (vgl. bereits Nds. OVG, a.a.O.; sowie die Nachweise bei Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 21. Auflage 2015, § 80 Rn. 185). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Antragsgegnerin zwischenzeitlich über den verspätet gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung entschieden hat. Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 VwGO müssen bereits dann insgesamt erfüllt sein, wenn bei Gericht ein Eilantrag gestellt wird (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 03.01.2011 - 1 ME 146/10 -, juris Rn. 7). Die insoweit in dem Schriftsatz vom 13. Juni 2017 zitierte Fundstelle („Gärditz, Kommentar, VwGO § 80, Anmerkung 167“) enthält zu dieser Problematik keine Ausführungen. Vielmehr wird dort an anderer Stelle ausgeführt, dass „gem. § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO eine vorherige erfolglose Befassung der Behörde erforderlich“ ist (Gärditz, VwGO, Kommentar, 2013, § 80 Rn. 166).

Die Ausführungen in dem Schriftsatz vom 13. Juni 2017 zum Widerspruchsverfahren gehen bereits deshalb fehl, weil gegen die (Festsetzung und) Anforderung eines Erschließungsbeitrags ein Widerspruch nicht statthaft ist (vgl. § 80 Abs. 1, Abs. 5 NJG), sondern Klage zu erheben gewesen wäre. Hierauf hat die Beklagte auch bereits in ihrem Schreiben vom 19. April 2017, mit dem sie zu dem Schriftsatz vom 23. Juni 2016 Stellung genommen hat, ausdrücklich hingewiesen.

2. Dem Antragsteller droht auch keine Vollstreckung im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO, weil er zum Zeitpunkt der Stellung des Eilantrages bei Gericht (Nds. OVG, Beschl. v. 21.02.2013 - 1 ME 6/13 -, juris Rn. 10), lediglich zur Zahlung aufgefordert worden war.

Für eine drohende Vollstreckung im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO genügen nicht die Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts, die Fälligkeit der Forderung und die fehlende behördliche Bereitschaft zur Aussetzung der Vollziehung; vielmehr müssen Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet oder der Beginn der Vollstreckung behördlich angekündigt sein; wenigstens müssen aus der Sicht eines objektiven Betrachters konkrete Vorbereitungshandlungen der Behörde für eine alsbaldige Durchsetzung des Abgabenbescheids vorliegen (Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, Stand: Oktober 2016, § 80 Rn. 515). Eine Vollstreckung droht im Sinne des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO erst dann, wenn der Beginn konkreter Vollstreckungsmaßnahmen von der Behörde für einen unmittelbar bevorstehenden Termin angekündigt worden ist, konkrete Vorbereitungen der Behörde für eine alsbaldige Vollstreckung getroffen worden sind oder die Vollstreckung bereits begonnen hat (Nds. OVG, Beschl. v. 21.02.2013 - 1 ME 6/13 -, juris Rn. 13; Beschl. v. 27.08.2010 - 4 ME 164/10 -, juris Rn. 5; jeweils m.w.N.). Eine Vollstreckung war vorliegend weder angekündigt oder hatte gar bereits begonnen, noch hatte die Antragsgegnerin bereits konkrete Vorkehrungen für eine Vollstreckung getroffen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 21. Aufl. 2015, Anh. zu § 164).