Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.08.2019, Az.: 1 LA 41/19

faktische Baugrenze; nähere Umgebung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.08.2019
Aktenzeichen
1 LA 41/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69832
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 17.01.2019 - AZ: 2 A 651/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Für die Frage, ob die vorhandene Bebauung eine faktische rückwärtige Baugrenze aufweist, ist die Situation im rückwärtigen Bereich der gegenüberliegenden Straßenseite regelmäßig nicht maßstabbildend.

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 2. Kammer (Einzelrichter) - vom 17. Januar 2019 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 32.559,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger begehren noch Bauvorbescheide für zwei Einfamilienhäuser; die Beteiligten streiten um deren bauplanungsrechtliche Zulässigkeit in einem unbeplanten, weitgehend unbebauten Blockinnenbereich.

Sie sind Eigentümer eines inzwischen geteilten Grundstücks im Nordwesten eines Bereichs, der vom E. weg im Westen, der F. im Norden, der Straße „Großer G.“ im Osten und dem Gewässer H. im Süden begrenzt wird; südlich des H. schließt sich die offene Landschaft an. Der genannte Bereich ist entlang der ihn umgebenden Straßen weitgehend einzeilig mit Einfamilienhäusern bebaut. In deren rückwärtigen Grundstücksbereichen stehen lediglich Nebengebäude. Einzige Ausnahme ist das nördlich des Klägergrundstücks gelegene Eckgrundstück E. weg/F., das an der Straßenecke mit einer Scheune, südlich davon mit zwei vom E. weg aus hintereinander stehenden Wohngebäuden bebaut ist. Der aus einem Teil des Klägergrundstücks sowie drei weiteren Flurstücken gebildete Blockinnenbereich hat eine West-Ost-Ausdehnung von ca. 60-70 m und eine Nord-Süd-Ausdehnung von über 200 m.

Im September 2015 beantragten die Kläger einen Bauvorbescheid für insgesamt 4 Einfamilienhäuser auf ihrem Grundstück, ein zweigeschossiges in erster, drei eingeschossige in zweiter Reihe. Diese Bauvoranfrage lehnte die Beklagte ab. Im Laufe des nach erfolglosem Widerspruchsverfahren von den Klägern eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens hat die Beklagte den Klägern einen neuen Bauvorbescheid für ein Einfamilienhaus in erster Reihe erteilt; der für das Vorhaben vorgesehene Grundstückszuschnitt schließt die Verwirklichung eines der in zweiter Reihe beantragten Vorhaben aus. Hinsichtlich dieser beiden Gebäude haben die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärt.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht das Verfahren hinsichtlich des erledigten Teils des Streitgegenstandes eingestellt und den Klägern insoweit die Verfahrenskosten auferlegt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, unabhängig davon, ob es nach § 34 BauGB oder nach § 35 BauGB zu beurteilen sei. Im ersteren Fall füge es sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die Rückseiten der Häuser östlich des E. wegs bildeten eine faktische Baugrenze, die die noch streitgegenständlichen Vorhaben überschritten. Dort riefen sie infolge einer Vorbildwirkung für mindestens zwölf weitere Bauplätze städtebauliche Spannungen hervor. Eine Erschließung solcher Folgevorhaben könne auch über andere Vorderliegergrundstücke oder von Norden her erfolgen. Darauf, ob die gegenwärtigen Eigentümer an einer solchen Bebauung interessiert seien, komme es nicht an; das Bauplanungsrecht regele die Bodennutzung langfristig und grundstücksbezogen. Aus den genannten Gründen stünden den Vorhaben auch im Falle einer Beurteilung als nicht privilegiertes Außenbereichsvorhaben öffentliche Belange entgegen.

II.

Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Soweit sich die Kläger gegen die Kostenentscheidung hinsichtlich des in der Hauptsache eingestellten Teils des Streitgegenstandes wenden, ist der Antrag unzulässig. Nach § 158 Abs. 2 VwGO ist die Entscheidung über die Kosten unanfechtbar, wenn eine Entscheidung über die Hauptsache nicht ergangen ist. Am Grundsatz der Unanfechtbarkeit ändert sich auch dann nichts, wenn das Gericht bei einer Teilerledigung der Hauptsache die in analoger Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO und nach § 161 Abs. 2 VwGO gebotene Entscheidung in dem Urteil trifft, in dem es im Übrigen zur Sache Stellung nimmt (BVerwG, Beschl. v. 7.8.1998 – 4 B 75.98 –, NVwZ-RR 1999, 407 m.w.N.).

Im Übrigen ist der Antrag unbegründet, da der allein geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich am Entscheidungsergebnis etwas ändern könnte. Ein Überwiegen der Erfolgsaussichten ist nicht erforderlich, es genügt, wenn diese offen sind. Das darzulegen ist den Klägern nicht gelungen.

Ohne Erfolg wenden sie sich gegen die implizite Annahme des Verwaltungsgerichts, die Bebauung westlich des E. wegs, die einen von Bebauung freien Blockinnenbereich nicht erkennen lässt, sei nicht maßstabbildend für den von E. weg, F. und Großem G. eingeschlossenen Bereich östlich des E. wegs. Der für die Beurteilung des Maßes der baulichen Nutzung bzw. die überbaubare Grundstücksfläche maßgebliche Rahmen ist regelmäßig eher eng zu ziehen; entscheidend ist, welche Bebauung das Baugrundstück prägt und im Falle seiner Bebauung ihrerseits von ihm geprägt werden würde. Geht es, wie hier, um die Frage, ob die vorhandene Bebauung eine faktische Baugrenze bildet und ob ein bislang von Bebauung freier Blockinnenbereich besteht, ist maßstabbildend regelmäßig allein die Häuserzeile, die die faktische Baugrenze bilden soll bzw. das jeweilige Straßenkarree. Denn die Bebauung im rückwärtigen Bereich einer Straßenrandbebauung steht regelmäßig hinsichtlich der Bebauungstiefe nicht in einer Wechselbeziehung mit der Bebauung im rückwärtigen Bereich der gegenüberliegenden Straßenseite.

Den an dieser Stelle geltend gemachten Gleichbehandlungsanspruch können die Kläger aus der Hinterlandbebauung westlich des E. wegs ebenfalls nicht ableiten. Dabei ist unerheblich, ob die Bebauung dort bereits auf Grundlage eines nicht vergleichbaren Sachverhalts – etwa eines Bebauungsplans oder einer abweichenden Gestalt der vorhandenen näheren Umgebung - entstanden ist. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, die Bebauung also materiell rechtswidrig entstanden sein sollte, müssten die Kläger sich entgegenhalten lassen, dass es keinen Anspruch auf Fortsetzung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis – Gleichheit im Unrecht – gibt.

Unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht mithin zutreffend allein betrachteten Bebauung zwischen E. weg, F. und Großem G. begegnet auch dessen Schluss, das Vorhaben füge sich nicht in die Eigenart seiner näheren Umgebung ein, keinen ernstlichen Zweifeln. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht insoweit auf eine mögliche Vorbildwirkung der Vorhaben für mindestens 12 vergleichbare Einfamilienhäuser auf den Flurstücken 139/65, 140/65 und 64/1 verwiesen. Den Klägern ist im Ausgangspunkt beizupflichten, dass die rein abstrakte und nur entfernt gegebene Möglichkeit einer solchen Vorbildwirkung für sich genommen noch nicht die – bei fehlenden Vorbildern für das Vorhaben freilich indizierten – städtebaulichen Spannungen auslöst. Vorliegend besteht die Möglichkeit von Nachahmervorhaben jedoch ganz konkret. Ein wirtschaftlich denkender Grundeigentümer im fraglichen Bereich würde die Verwertung der bisherigen Grünfläche als Bauland ernsthaft in Erwägung ziehen. Dass, wie die Kläger vortragen, die gegenwärtigen Eigentümer der genannten Grundstücke derzeit deren Bebauung nicht wünschen, reicht zur Verneinung einer Vorbildwirkung allerdings nicht aus; insoweit hat das Verwaltungsgericht zutreffend auf die im Senatsurteil vom 10.9.2003 – 1 LB 269/02 –, juris Rn. 32 ausgeführten Grundsätze verwiesen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Entstehung weiterer Baugrundstücke scheitere auch nicht an fehlender Erschließung, diese sei auch über andere Vorderliegergrundstücke als das der Kläger bzw. der Mutter der Klägerin zu 1. möglich, wird durch das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht erschüttert. Ob die Beklagte, wie die Kläger geltend machen, andere Erschließungsvarianten ablehnt, wäre im Falle von auf § 34 BauGB gestützten Nachahmervorhaben unerheblich. Sachliche Gründe, die gegen eine dem Erschließungserfordernis des § 34 BauGB genügende Zuwegung von Norden oder über andere Vorderliegergrundstücke sprechen, benennen die Kläger in der Zulassungsantragsbegründung nicht.

Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht an der Annahme des Verwaltungsgerichts, im Falle einer Beurteilung des Vorhabens nach § 35 Abs. 2 BauGB stünden diesem „aus den vorgenannten Gründen“ auch öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB entgegen. Die Kläger meinen, das Verwaltungsgericht habe insoweit auf die Gefahr der Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) abgestellt; diese stehe allerdings nicht zu befürchten, da die vorhandene Umgebungsbebauung Ortsteilqualität habe. Tatsächlich dürften die Ausführungen des Verwaltungsgerichts allerdings dahingehend zu verstehen sein, dass sie auf eine Beeinträchtigung des in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht ausdrücklich benannten, gleichwohl aber berücksichtigungsfähigen Belangs der unerwünschten Ausdehnung einer Besiedelung in den Außenbereich (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.2.1976 – IV C 72.74 –, NJW 1976, 1855 = BauR 1976, 188 = juris Rn. 21 m.w.N.) abstellen. Auch in einem solchen Fall ist zwar die objektive Gefahr einer größeren Zahl von Nachahmerbauten konkret zu begründen; genau dies hat das Verwaltungsgericht indes mit seinem Verweis auf die Ausführungen zu einer Vorbildwirkung im Innenbereich getan. Seine von den Klägern in diesem Zusammenhang noch angegriffene Erwägung, auf den bereits genannten Flurstücken 139/65, 140/65 und 64/1 könnten mindestens 12 Bauplätze entstehen, ist ohne weiteres nachvollziehbar. Die Flurstücke, die zusammen mit den streitgegenständlichen Grundstücken den Blockinnenbereich hinter der Bebauung zwischen
E. weg, F. und Großem G. sowie im Süden dem H. ausmachen, haben eine Größe von ca. 11.000 m². Unter Zugrundelegung der von den Klägern angestrebten Baugrundstücksgrößen von ca. 600 m² und ca. 900 m² ist die Annahme von 12 möglichen Bauplätzen auf dieser Fläche sogar eher konservativ.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und orientiert sich an dem in Nrn. 1.a, 5. der Streitwertannahmen des Senats (NdsVBl. 2002, 192 = NordÖR 2002, 197) für Bauvorbescheide für 2 Einfamilienhäuser vorgesehenen Wert zuzüglich der hälftigen Gerichtskosten aus dem erstinstanzlichen Streitwert (3 x 666 = 1998 EUR Gerichtsgebühren zzgl. 2,5 x 1248 = 3120 EUR Rechtsanwaltsgebühren = 5118 EUR, halbiert 2559 EUR).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).