Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 30.06.2008, Az.: VgK-07/2008
Voraussetzungen für die Vergabe der technischen Gesamtplanung für den Neubau eines Kombibades; Positive Kenntnis eines Mangels i.S.v. § 107 Abs. 3 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) als Voraussetzung für die Beanstandung eines fehlerhaften Vergabeverfahrens; Feststellungsinteresse als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 114 Abs. 2 S. 2 GWB; Entfaltung einer Bindungswirkung gemäß § 124 GWB für einen Sekundäranspruch als Feststellungsinteresse aufgrund der Entscheidung der Vergabekammer
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 30.06.2008
- Aktenzeichen
- VgK-07/2008
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 20892
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs. 3 S. 1 GWB
- § 112 Abs. 1 S. 2 GWB
- § 114 Abs. 2 S. 2 GWB
Verfahrensgegenstand
Vergabe der Technischen Gesamtplanung für den Neubau eines Kombibades xxxxxx; Ingenieurleistungen für technische Ausrüstung nach Teil IX HOAI § 68.
In dem Nachprüfungsverfahren
...
hat die Vergabekammer
durch
den Vorsitzenden MR Gause,
die hauptamtliche Beisitzerin BOAR' in Schulte und
den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.-Ökonom Brinkmann
ohne mündliche Verhandlung
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin auch im Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsantrags nicht in ihren Rechten verletzt gewesen ist.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
- 3.
Die Kosten werden auf xxxxxx EUR festgesetzt.
- 4.
Die Antragstellerin hat der Auftraggeberin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts war für die Auftraggeberin notwendig.
Begründung
I.
Die Auftraggeberin hatte mit Datum vom xxxxxx Ingenieurleistungen für technische Ausrüstung nach Teil IX HOAI § 68 europaweit ausgeschrieben. In der Bekanntmachung wies sie darauf hin, dass mindestens 3 und höchstens 6 Wirtschaftsteilnehmer zum Verhandlungsverfahren eingeladen werden sollten. Bezüglich der geforderten Nachweise zur Beurteilung der rechtlichen, wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Leistungsfähigkeit wurden in der Bekanntmachung verschiedene Angaben und Leistungen gefordert. Zuschlagskriterium sollte das wirtschaftlichste Angebot in Bezug auf die nachstehenden Kriterien sein:
- 1.
Gesamteindruck der Präsentation, Gewichtung: 10%
- 2.
Erfahrung des vorgesehenen Projektleiters und der vorgesehenen Projektmitarbeitern mit vergleichbaren Aufgaben, Gewichtung: 25%
- 3.
Termin- und Kostensteuerung, Erfahrung mit gedeckelten Gesamtkosten und zweitkritischen Bauabläufen anhand eines Referenzprojektes, Gewichtung: 25%
- 4.
Erfahrung mit und Aussagen zu technischen Betriebssystemen, die unter dem Planungsziel möglichst niedrigster Lebenszykluskosten entstanden sind, Schwerpunkte, Lüftung, Wasseraufbereitung, Energieversorgung, Automation, Gewichtung: 30%
- 5.
Honorar, Gewichtung: 10%
Von den insgesamt 18 Teilnahmeanträgen schloss das von der Auftraggeberin beauftragte Projektsteuerungsbüro 5 aus, da ihre Anträge nicht vollständig waren. Die höchste Punktzahl erreichte ein Büro mit 40 Punkten, zwei weitere Büros erreichten 39 Punkte, die Antragstellerin erreichte ebenso wie ein viertes Büro 38 Punkte. Letztendlich wurden vier Büros zur Präsentation eingeladen. Aufgrund der Bewertungsmatrix erhielt das Ingenieurbüro, das den Zuschlag erhalten hat, insgesamt 4.035 Punkte, ein weiteres Ingenieurbüro 2.555 und die Antragstellerin 2.175. Die Antragstellerin erhielt dabei von keinem der Bewerter Punkte für das Zuschlagskriterium "Erfahrung mit und Aussagen zu technischen Betriebssystemen, die unter dem Planungsziel möglichst niedriger Lebenskostenzyklen entstanden sind".
Mit Schreiben vom 11.02.2008, versandt am 20.02.2008, eingegangen bei der Antragstellerin am 21.02.2008, informierte die Auftraggeberin die Antragstellerin gemäß § 13 VgV, dass sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot des Ingenieurbüros xxxxxx aus xxxxxx zu erteilen. Der von der Auftraggeberin beauftragte Projektsteuerer führte zur Information eine Bewertung der Zuschlagskriterien der Antragstellerin bei. Mit Schreiben vom 26.02.2008 rügte die Antragstellerin die beabsichtigte Entscheidung der Auftraggeberin. Sie erklärte, dass sie alle geforderten Unterlagen vorgelegt habe und bat die Auftraggeberin um Mitteilung, warum sie bei den Zuschlagskriterien schlechter als das Ingenieurbüro xxxxxx beurteilt wurde. Mit Schreiben vom 28.02.2008 teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass die Bewertung aller Zuschlagskriterien innerhalb des ihr zur Verfügung stehenden Ermessensspielraums erfolgte. Ferner legte sie zum Verständnis der Antragstellerin den Bewertungsbogen bei, der für jeden Bewerter die Grundlage gewesen ist. Mit Schreiben vom 05.03.2008, eingegangen in der Vergabekammer am selben Tage, beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Die Antragstellerin bezog sich dabei auf die in ihrem Rügeschreiben vom 26.02.2008 gegenüber der Auftraggeberin monierten Vergaberechtsverstöße und ergänzte ihren diesbezüglichen Vortrag. Da die Anlagen, auf die sich die Antragstellerin in ihrem Nachprüfungsantrag bezog, nicht beigefügt waren, forderte die Vergabekammer die Unterlagen telefonisch an. Diese nachgeforderten Unterlagen wurden bis ca. 15.00 Uhr laut Faxprotokoll der Vergabekammer zugefaxt. Einen Hinweis, dass die Frist gemäß § 13 Abs. 2 VgV am 05.03.2008 ablief, enthielt der Nachprüfungsantrag nicht.
Der Nachprüfungsantrag wurde der Auftraggeberin am 06.03.2008 um 9.17 Uhr (laut Sendebericht der Vergabekammer) per Telefax übermittelt. Die Auftraggeberin teilte der Vergabekammer daraufhin mit, dass der Auftrag bereits am 06.03.2008 um 7.15 Uhr und damit noch vor Übermittlung des Nachprüfungsantrages an das Ingenieurbüro xxxxxx erteilt worden ist. Zum Beleg fügte sie eine Kopie des Sendeberichts und im Zuge der Aktenübersendung eine Kopie der gefaxten Auftragserteilung bei.
Die Antragstellerin beantragte ursprünglich,
- 1.
die Entscheidung über die Erteilung des Zuschlages über die Vergabe ingenieurtechnischer Leistungen für den Neubau eines Kombibades im xxxxxx zu überprüfen,
- 2.
die formale Bewertung und die Reihenfolge der Bieter aufzuheben und zu korrigieren,
- 3.
die Beauftragung des Bieters mit der höchsten Punktzahl im bisherigen Auswahlverfahren bis zur Entscheidung der Vergabekammer und den Abschluss eines eventuellen Rechtsmittelverfahrens zu untersagen,
- 4.
festzustellen, dass die Nichterteilung des Zuschlages an die Antragstellerin rechtswidrig ist.
Die Auftraggeberin beantragte
- 1.
den Nachprüfungsantrag, Anträge 1 - 4 der Antragstellerin xxxxxx vom 05.03.2008 zurückzuweisen,
- 2.
der Antragstellerin xxxxxx die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
Die Auftraggeberin tritt den Vorwürfen und der Rechtsauffassungen der Antragstellerin entgegen. Sie vertritt die Auffassung, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, da sie bereits den Auftrag am 06.03.2008 an das Ingenieurbüro xxxxxx erteilt hatte. Die Auftragserteilung sei vormittags um 7.30 Uhr erfolgt. Die 14-tägige Frist des § 13 VgV habe sie eingehalten. Die Zustellung des Nachprüfungsantrages sei erst nach der Beauftragung des Ingenieurbüros xxxxxx erfolgt. Ferner habe die Antragstellerin die Entscheidung zugunsten des Ingenieurbüros xxxxxx nicht unverzüglich, sondern erst 5 Tage nach der Information nach § 13 VgV gerügt. Es fehle der Antragstellerin auch ein Rechtschutzbedürfnis, da sie sich offenbar lediglich Rechte auf Ersatz eines finanziellen Schadens sichern möchte.
Die Auftraggeberin hält den Nachprüfungsantrag im Übrigen für unbegründet und bezieht sich dabei auf die Bewertung der Präsentationen durch die Bewerter. Sie weist ferner auch auf die Punkteaufwertung nach der Bewertungsmatrix hin.
Die Vergabekammer wies die Antragstellerin mit verfahrensbegleitendem Schreiben vom 14.03.2008 darauf hin, dass der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig sei, da nach ihren Feststellungen der Zuschlag an das Ingenieurbüro xxxxxx wirksam erteilt worden war. Aufgrund dieses Schreibens teilte die Antragstellerin mit Schreiben vom 18.03.2008 und 19.03.2008 mit, dass sie den Nachprüfungsantrag jetzt als Fortsetzungsfeststellungsantrag fortführen möchte. Eine Begründung des Antrages durch die Antragstellerin erfolgte nicht.
Die Antragstellerin beantragt jetzt
- 1.
unter Bezugnahme auf den gesamten bisherigen diesseitigen Sachvortrag das Nachprüfungsverfahren als Feststellungsverfahren nach § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB fortzusetzen,
- 2.
festzustellen, dass die Antragstellerin durch die Nichtberücksichtigung bei der Auftragsvergabe zum Zeitpunkt der Stellung des Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer Lüneburg am 05.03.2008 in ihren Rechten verletzt war und die Nichterteilung des Zuschlages an die Antragstellerin rechtswidrig war.
Die Auftraggeberin beantragt,
- 1.
festzustellen, dass der Nachprüfungsantrag, Anträge 1 - 4 der Antragstellerin xxxxxx vom 05.03.2008 unzulässig war,
- 2.
den Antrag zu 1 der Antragstellerin xxxxxx vom 19.03.2008 zurückzuweisen,
- 3.
den Antrag zu 2 der Antragstellerin xxxxxx vom 19.03.2008 zurückzuweisen,
- 4.
der Antragstellerin xxxxxx die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
Zunächst führt sie aus, dass es zulasten der Antragstellerin gehe, dass der Zuschlag an das Ingenieurbüro xxxxxx bereits erteilt ist. Verfahrensfehler könnten nach wirksam erteiltem Zuschlag nicht mehr geltend gemacht werden. Ein dennoch gestellter Nachprüfungsantrag sei unzulässig.
Sie vertritt ferner die Auffassung, dass für die Fortsetzung des Nachprüfungsverfahrens als Feststellungsverfahren jegliche Begründung fehle. Allein der Antrag genüge insoweit nicht, da das Feststellungsinteresse nicht dargetan werde. Die Antragstellerin, die auf dem dritten Rang liege, habe keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, weshalb die vor ihr platzierten Angebote nicht gewertet werden können. Die Auftraggeberin weist nochmals darauf hin, dass ihrer Auffassung nach allein die Frage zu klären sei, ob die Auftraggeberin bei der Bewertung der Präsentation und des Verhandlungsgespräches mit der Antragstellerin bezogen auf die gerügten Wertungskriterien den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum verlassen habe.
Die Auftraggeberin ergänzt ihren Vortrag dahin gehend, dass die beiden vor der Antragstellerin platzierten Bieter fast die doppelte Punktzahl im Vergleich zu der Antragstellerin erreicht haben, so dass eine realistische Chance auf Zuschlagerteilung durch die Auftraggeberin nicht bestehe.
Die Beteiligten haben gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 GWB einer Entscheidung nach Lage der Akten ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Vergabeakte Bezug genommen.
II.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag gem. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB ist bereits unzulässig, da die Antragstellerin das erforderliche Feststellungsinteresse nicht dargelegt hat. Der Antrag ist darüber hinaus aber auch unbegründet. Der von der Auftraggeberin mit Schriftsatz vom 06.03.2008 und damit noch vor der Zustellung des Nachprüfungsantrages an das Ingenieurbüro xxxxxx rechtswirksam erteilte Zuschlag erfolgte im Rahmen eines vergaberechtlich nicht zu beanstandenden Vergabeverfahrens. Die Antragstellerin ist durch den bereits erteilten Zuschlag nicht in ihren Rechten i.S.d. §§ 97 Abs. 7, 114 Abs. 1 GWB verletzt worden.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist unzulässig.
Zwar war der ursprüngliche Nachprüfungsantrag im Zeitpunkt der Antragstellung zulässig. Bei der Auftraggeberin handelt es sich um eine Gebietskörperschaft und somit um einen öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB. Der ausgeschriebene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gem. § 100 Abs. 1 GWB. Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt sind. Bei der ausgeschriebenen Leistung handelt es sich um freiberufliche Dienstleistungen im Sinne des § 1 VOF betreffend die erforderlichen Planungsleistungen für den Neubau eines Kombibades und damit um einen Dienstleistungsauftrag, für den gemäß § 2 Nr. 3 der Vergabeverordnung (VgV) ein Schwellenwert von 206.000 EUR gilt. Ausweislich eines in der Vergabeakte enthaltenen Vorschlages für das Honorar rechnet die Auftraggeberin allein für das streitbefangene Los von geschätzten Honorarkosten in Höhe von xxxxxx EUR (brutto) aus. Der Wert des ausgeschriebenen Auftrags überschreitet unstreitig den für die Anrufung der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert. Das Vergabeverfahren ist damit einer Nachprüfung durch die Vergabekammer grundsätzlich zugänglich.
Die Antragstellerin ist auch gem. § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt, da sie als Bieterin ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, indem sie vorträgt, dass sie als potenzielle Bewerberin im offenen Verfahren ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung von Rechten durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht indem sie vorträgt, dass die Auftraggeberin den ihr zustehenden Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Präsentation im Rahmen der Vergabeentscheidung nicht fehlerfrei genutzt hat und die Vergabeentscheidung ermessensfehlerhaft sei. Sie hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis im Sinne des § 107 Abs. 2 GWB dargelegt.
Die Antragstellerin ist auch ihrer Pflicht gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB nachgekommen, vor Anrufung der Vergabekammer den behaupteten Verstoß gegen die Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Bei der Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB handelt es sich um eine Präklusionsregel unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben. Der Bieter soll Vergabefehler nicht auf Vorrat sammeln. Die Rügepflicht des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB entsteht, sobald ein Bieter oder Bewerber im Vergabeverfahren einen vermeintlichen Fehler erkennt. Vorausgesetzt ist die positive Kenntnis des Anbieters von den Tatsachen. Ausreichend für die positive Kenntnis eines Mangels im Sinne von § 107 Abs. 3 GWB ist bereits das Wissen um einen Sachverhalt, der den Schluss auf die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen erlaubt und es bei vernünftiger Betrachtung gerechtfertigt erscheinen lässt, das Vergabeverfahren als fehlerhaft zu beanstanden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22.08.2002, Az.: Verg 9/00). Die Frage, ob eine Rüge noch unverzüglich nach positiver Kenntniserlangung erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. Nach der Rechtsprechung muss die Rüge angesichts der kurzen Fristen, die im Vergaberecht allgemein gelten, grundsätzlich binnen ein bis drei Tagen erfolgen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg. 4/03; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Auch bei einer gegebenenfalls notwendigen Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erfüllt ein Rügezeitraum von mehr als einer Woche das Zeitkriterium des § 107 Abs. 3 GWB nicht (OLG Dresden, Beschluss vom 11.09.2006, Az.: WVerg 13/06). Eine Rügefrist von zwei Wochen, die in der Rechtsprechung als Obergrenze anerkannt wird (vgl. OLG Düsseldorf, NZBau 2000, S. 45 ff.), kann einem Bieterunternehmen allenfalls dann zugestanden werden, wenn eine verständliche Abfassung der Rüge durch eine schwierige Sach- und/oder Rechtslage erschwert wird und die Inanspruchnahme fachkundiger Hilfe erfordert. Die Auftraggeberin hat mit Datum vom 11.02.2008, versandt am 20.02.2008, Eingang bei der Antragstellerin am 21.02.2008, die Antragstellerin gemäß § 13 VgV davon in Kenntnis gesetzt, wer den Zuschlag aufgrund der erreichten Punktzahl erhalten soll und mit welcher Punktzahl die Antragstellerin an dritter Stelle lag. Mit Schreiben vom 26.02.2008, Eingang bei der Auftraggeberin am 28.02.2008, hat die Antragstellerin drei Vergabeverstöße gerügt, u.a. die Anforderungen an die Inhalte der Arbeitspräsentation, den Bewertungsschlüssel und die mitgeteilten Ergebnisse der Bewertungstabelle aus der Vergabeentscheidung.
Diese Rüge erfolgte somit unter Berücksichtigung des dazwischen liegenden Wochenendes gerade noch rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB.
Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag war somit zulässig.
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags gem. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB ist weiterhin, dass sich das Nachprüfungsverfahren vor Entscheidung der Vergabekammer erledigt hat. Dies ist vorliegend der Fall. § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB spricht von einer Erledigung durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder von einer Erledigung in sonstiger Weise.
Eine Erledigung durch Zuschlagserteilung liegt vor, wenn der Auftraggeber vor Zustellung des Nachprüfungsantrages den Zuschlag rechtswirksam erteilt hat. Die Auftraggeberin hat nach Ablauf der Informations- und Wartefrist gemäß § 13 VgV am 05.03.2008, am darauf folgenden Tag, 06.03.2008, um 7.16 Uhr und damit vor Zustellung des Nachprüfungsantrages den Auftrag an das Ingenieurbüro xxxxxx erteilt. Der Nachprüfungsantrag wurde zwar am 05.03.2008 bei der Vergabekammer gestellt, konnte aber nicht mehr vor Zuschlagserteilung der Auftraggeberin gem. § 110 Abs. 2 GWB zugestellt werden, weil die im Antrag in Bezug genommenen Anlagen zum Nachprüfungsantrag nicht beigefügt waren und erst auf Nachforderung der Vergabekammer bis ca. 15.00 Uhr laut Faxprotokoll der Vergabekammer durch die Antragstellerin übersendet wurden. Einen Hinweis, dass die Frist gemäß § 13 Abs. 2 VgV noch am Tag der Antragstellung, also am 05.03.2008 abläuft, enthielt der Nachprüfungsantrag nicht.
Nach Prüfung des nunmehr vervollständigten Antrages hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag am 06.03.2008 um 9.17 Uhr (Sendebericht der Vergabekammer) der Auftraggeberin vorab per Telefax übermittelt und unmittelbar darauf zur förmlichen Zustellung in die Poststelle gegeben. Die Auftraggeberin teilte der Vergabekammer daraufhin mit, dass der Auftrag bereits am 06.03.2008 um 7.15 Uhr und damit noch vor Übermittlung des Nachprüfungsantrages an das Ingenieurbüro xxxxxx erteilt worden ist. Zum Beleg fügte sie eine Kopie des Sendeberichts und im Zuge der Aktenübersendung eine Kopie der gefaxten Auftragserteilung bei.
Das Nachprüfungsverfahren hat sich durch den Zuschlag gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB erledigt. Daraufhin hat auch die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 19.03.2008 erklärt, dass sie das Nachprüfungsverfahren nunmehr als Feststellungsverfahren nach § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB fortsetzen möchte. Sie beantragt nunmehr festzustellen, dass sie insoweit in ihren Rechten verletzt und die Nichterteilung des Zuschlages an die Antragstellerin rechtswidrig war. Mit diesem Antrag hat sie das ursprüngliche Nachprüfungsverfahren auf ein Fortsetzungsfeststellungsverfahren umgestellt.
Der Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB setzt nach überwiegender Auffassung jedoch als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Feststellungsinteresse voraus (vgl. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 14.02.2001, Az.: Verg 14/00, und vom 22.05.2002, Az.: Verg 6/02 = VergabeR 2002, S. 668; OLG Frankfurt am Main, Beschluss v. 06.02.2003, Az.: 11 Verg 3/02 = NZBau 2004, S. 174; Byok in: Byok/Jaeger, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114, Rdnr. 1078; Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 GWB, Rdnr. 50; Boesen, Vergaberecht, § 114, Rdnr. 73). Dieses Interesse ergibt sich für einen Antragsteller häufig aus der Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches, da die Entscheidung der Vergabekammer für einen solchen Sekundäranspruch gem. § 124 GWB ausdrücklich Bindungswirkung entfaltet. Ferner ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse immer dann in Betracht zu ziehen, wenn eine (konkrete) Wiederholungsgefahr in Bezug auf einen nach Auffassung des Antragstellers vor Erledigung begangenen Vergabeverstoß zu besorgen ist (vgl. Reidt, a.a.O., § 114 GWB, Rdnr. 58, m.w.N.).
Für diese beiden Fallkonstellationen gibt es im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte. Die Antragstellerin hat ihren Fortsetzungsfeststellungsantrag im Hinblick auf ein Feststellungsinteresse nicht begründet, sondern lediglich auf ihren bisherigen Vortrag im ursprünglichen, auf Primärrechtsschutz gerichteten Nachprüfungsantrag verwiesen. Zutreffend hat die Auftraggeberin deshalb darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin ihr Feststellungsinteresse nicht vorgetragen hat. Insbesondere hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass sie die Möglichkeit eines Schadensersatzanspruches gegenüber der Auftraggeberin in Erwägung zieht oder das eine konkrete Wiederholungsgefahr zu ihren Lasten zu besorgen ist.
Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse ist allerdings nicht auf diese beiden Fallkonstellationen beschränkt. Vielmehr genügt darüber hinaus jedes nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern (vgl. Byok, a.a.O., § 114 GWB, Rdnr. 78). Vorliegend könnte sich etwa ein in diesem Sinne anzuerkennendes wirtschaftliches Interesse der Antragstellerin aus der Tatsache ergeben, dass die Antragstellerin durch die Erledigung des Nachprüfungsverfahrens aufgrund des Regelungsgehaltes des § 128 GWB und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ihre eigenen Rechtsanwaltskosten selbst tragen müsste, wenn sie keinen Fortsetzungsfeststellungsbeschluss der Vergabekammer herbeiführt. Der BGH hat in seinem Beschluss vom 09.12.2003 (Az. X ZB 14/03) grundsätzlich entschieden, dass im Falle einer Verfahrensbeendigung ohne Entscheidung der Vergabekammer zur Sache der Antragsteller die für die Tätigkeit der Vergabekammer entstandenen Kosten zu tragen hat und eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten nicht stattfindet. Auf die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags komme es für die Kostenentscheidung nicht an. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat die Kosten abweichend von § 128 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwKostG der Beteiligte zu tragen, der im Verfahren unterliegt. Ein solcher Tatbestand liegt nach Auffassung des BGH im Falle der Erledigung des Nachprüfungsverfahrens ohne Entscheidung der Vergabekammer aber nicht vor.
Ein Antragsteller kann diese für ihn negative Kostenfolge des § 128 GWB daher nur im Wege eines stattgebenden Fortsetzungsfeststellungsbeschlusses abwenden (vgl. auch OLG Celle, Beschluss v. 18.08.2005, Az.: 13 Verg 10/05).
Auch ein diesbezügliches Fortsetzungsfeststellungsinteresse hat die Antragstellerin aber nicht vorgetragen, geschweige denn belegt. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist daher mangels Darlegung eines Feststellungsinteresses als unzulässig zurückzuweisen.
Nur ergänzend weist die Vergabekammer darauf hin, dass der Fortsetzungsfeststellungsantrag darüber hinaus auch unbegründet ist. Der Vergabevermerk genügt den Anforderungen, die in § 18 VOF gestellt werden. Die Prüfung des Vergabevermerks ergab, dass die von der Auftraggeberin vorgenommene Bewertung der einzelnen Bieter aufgrund der zuvor bekannt gemachten Zuschlagskriterien erfolgte. Das Vergabeverfahren ist gemäß § 97 Abs. 1 GWB transparent durchgeführt und nachvollziehbar dokumentiert worden. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 97 Abs. 7 GWB ist nicht erkennbar. Das an erster Stelle liegende Ingenieurbüro xxxxxx hat mit einer insgesamt erreichten Punktzahl von 4035 Punkten fast doppelt soviel Punkte erreicht wie die Antragstellerin. An zweiter Stelle lag ein weiteres Büro mit 2555 Punkten. Die Antragstellerin lag mit einer Punktzahl von 2175 Punkten lediglich auf Rang 3 in der Wertung durch die Auftraggeberin. Die Wertung ist transparent und nachvollziehbar dokumentiert und vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte für Vergabeverstöße liegen nicht vor. Insbesondere hat sich die Auftraggeberin auch im Rahmen des ihr vergaberechtlich eingeräumten Ermessens gehalten.
Auf Antrag der Antragstellerin war daher gem. § 114 Abs. 1, 2 GWB festzustellen, dass sie durch die ursprüngliche Forderung nach Erteilung des Zuschlages auf ihr Angebot nicht in Ihren Rechten im Sinne des § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB. Nach Art. 7 Nr. 5 des 9. Euro-
Einführungsgesetzes (BGBl. 58/2001 vom 14.11.2001, S. 2992 ff.) vom 10.11.2001 werden die DM-Angaben in § 128 GWB für die von der Vergabekammer festzusetzende Gebühr durch Angaben in Euro im Verhältnis 1 : 2 ersetzt, so dass die regelmäßige Mindestgebühr nunmehr 2.500 EUR, die Höchstgebühr 25.000 EUR bzw. in Ausnahmefällen 50.000 EUR beträgt.
Es wird eine Gebühr in Höhe von xxxxxx EUR gemäß § 128 Abs. 2 GWB festgesetzt. Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt xxxxxx EUR. Dieser Betrag entspricht dem von der Antragstellerin angebotenen Honorarvorschlag über Leistungen bei der technischen Ausrüstung vom 05.02.2008 und damit ihrem Interesse am Auftrag.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes vom 09.02.1999 in der z. Zt. gültigen Fassung vom 01.01.2003. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 EUR zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 25.000 EUR (§ 128 (2) GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. EUR (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx EUR ergibt sich durch Interpolation eine Basisgebühr von xxxxxx EUR.
Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein. Gutachterkosten und Kosten von Zeugenvernehmungen sind nicht angefallen.
Die in Ziffer 2 des Tenors geregelte Kostentragungspflicht folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Verfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Hier war zu berücksichtigen, dass der Fortsetzungsfeststellungsantrag der Antragstellerin keinen Erfolg hatte.
Die Antragstellerin hat der Auftraggeberin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten und damit die Anwaltskosten zu erstatten. Gemäß § 128 Abs. 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 VwVfG war festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes durch die Auftraggeberin im konkreten Verfahren erforderlich war. Auch wenn man von öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich verlangen darf, dass sie über das notwendige personelle Know-how bezüglich der für eine Ausschreibung erforderlichen Rechtsgrundlagen verfügen, bedurfte die Auftraggeberin für eine angemessene Reaktion in der auch für einen erfahrenen öffentlichen Auftraggeber ungewohnten Situation eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens besonderen rechtskundigen Beistandes.
Nach den zu § 80 VwVfG geltenden Grundsätzen ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann notwendig, wenn sie vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte (BVerwGE 55, 299, 306) [BVerwG 10.04.1978 - 6 C 27/77]. Dies ist nach der herrschenden Lehre nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 80, Rdnr. 45; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 5. Aufl., § 80, Rdnr. 81). Dieser Grundsatz soll allerdings nur im Verhältnis des Bürgers zum Staat gelten. Zugunsten der Ausgangsbehörde im Verwaltungsverfahren wird demgegenüber die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur in besonders gelagerten Einzelfällen angenommen, da die Ausgangsbehörde in der Regel mit eigenem Fachpersonal so gut ausgestattet sein muss, dass sie ihre Verwaltungstätigkeit, zu der auch die Mitwirkung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) gehört, ohne fremde Unterstützung ausführen kann. Diese für die Situation der Ausgangsbehörde in einem Widerspruchsverfahren zutreffende Auffassung kann jedoch nicht auf das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren übertragen werden. Schon beim materiellen Vergaberecht handelt es sich um eine überdurchschnittlich komplizierte Materie, die nicht nur in kurzer Zeit zahlreiche Veränderungen und Neuregelungen erfahren hat, sondern auch durch komplexe gemeinschaftsrechtliche Fragen überlagert ist. Entscheidend aber ist, dass das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich ausgebildet ist, die Beteiligten also auch prozessuale Kenntnisse haben müssen, um ihre Rechte umfassend zu wahren. Deshalb ist im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren die nach § 80 VwVfG gebotene Rechtspraxis zur Erstattung der Rechtsanwaltskosten nicht übertragbar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.11.2001, Az.: Verg 1/01; OLG Stuttgart, Beschluss v. 19.07.2000, 2 Verg 4/00, NZBau 11/2000, S. 543 ff.). Denn durch seinen Charakter als gerichtsähnlich ausgestaltetes Verfahren unterscheidet sich das Vergabenachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer eben grundlegend von dem Widerspruchsverfahren nach der VwGO.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, den Betrag von xxxxxx EUR unter Angabe des Kassenzeichens
xxxxxx
innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses auf folgendes Konto zu überweisen:
xxxxxx.
IV. Rechtsbehelf
Gemäß § 116 GWB kann gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt werden.
Schulte
Brinkmann