Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 22.03.2017, Az.: 3 A 25/17
Flüchtlingsanerkennung; Flüchtlingseigenschaft; Reflexverfolgung; Reservist; Rückkehrerverfolgung; Syrien; syrische Familie; wehrdienstfähiges Alter
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 22.03.2017
- Aktenzeichen
- 3 A 25/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 54198
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Rückkehrenden syrischen Asylbewerbern droht gegenwärtig unabhängig von einer Vorverfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung wegen (illegaler) Ausreise, Asylantragstellung und des nicht nur kurzfristigen Aufenthalts im westlichen Ausland (im Anschluss an VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 -, juris, Rn. 27 - 113).
2. Darüber hinaus droht Rückkehrern im wehrdienstfähigen Alter unabhängig von einer Vorverfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, in Syrien menschenrechtswidrigen Behandlungen ausgesetzt zu sein. Gleich wahrscheinlich ist es, dass wehrfähige Rückkehrer der Gefahr ausgesetzt sind, in einer die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG erfüllenden Weise zum Wehrdienst herangezogen zu werden.
3. Auch minderjährigen syrischen Kindern ist - ebenso wie Ehefrauen - die Flüchtlingseigenschaft wegen Rückkehrergefährdung infolge Reflexverfolgung zuzuerkennen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach ihren Angaben und den Feststellungen der Beklagten sind die Kläger syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens mit sunnitischer Ausprägung. Die arabisch sprechenden Kläger zu 1) und 2) sind verheiratet; die Kläger zu 3) - 5) sind ihre minderjährigen, in 2008 und als Zwillinge in 2009 geborenen Kinder.
Im Rahmen ihrer Erstbefragung erklärten die Kläger zu 1) und 2) übereinstimmend, mit ihrer Familie am 15.12.2015 Syrien verlassen zu haben und über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und Österreich (die sog. Balkanroute) am 31.01.2016 in Deutschland eingereist zu sein, ohne zuvor anderswo internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen zu haben. Ihre Asylanträge stellten sie am 25.02.2016.
Bei ihrer gemeinsamen persönlichen Anhörung am 14.07.2016 gaben der am R. geborene Kläger zu 1) und die am S. geborene Klägerin zu 2) nach der Niederschrift des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) an, sie kämen aus T. und seien Automechaniker und Hausfrau. Der Kläger zu 1) habe seinen Wehrpflichtdienst von 1999 - 2002 als einfacher Soldat geleistet. Syrien hätten sie wegen des dortigen Bürgerkriegs verlassen, insbesondere wegen der Sorge um ihr und das Leben ihrer Kinder. Persönlich seien sie nicht verfolgt worden und sie fürchteten bei ihrer Rückkehr keine Schwierigkeiten.
Das von den Klägern vorgelegte Familienbuch und die Personaldokumente der Kläger zu 1) und 2) führten bei Überprüfung durch das Bundesamt zu keiner Beanstandung; auf deren bei den Verwaltungsvorgängen befindliche Kopien und Übersetzungen wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 02.09.2016, den Klägern zu 1) und 2) zugestellt am 21.09.2016, erkannte das Bundesamt den Klägern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab.
Am 27.09.2016 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Berufung auf verwaltungsrechtliche Rechtsprechung im Wesentlichen geltend machen, ihr Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG beruhe unabhängig von einer Vorverfolgung darauf, dass derzeit alle Rückkehrer wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und ihres Aufenthalts im Ausland ernsthaft befürchten müssten, vom syrischen Staat als potenzielle Gegner eingestuft zu werden und daher Repressionen ausgesetzt zu sein. Zudem bestünde für den Kläger zu 1) die reale Gefahr, wieder zum Wehrdienst herangezogen zu werden. Dass es im syrischen Bürgerkrieg zu durch staatliche Stellen zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen komme, sei hinlänglich bekannt. Darüber hinaus sei T. eine zwischen den kurdischen YPG-Milizen und den Regierungstruppen umkämpfte Stadt. Bei Rückkehr nach T. drohe ihnen wegen ihrer arabischen Volkszugehörigkeit Verfolgung durch die kurdischen YPG-Milizen. Wenn sie dort hingegen verbleiben dürften, käme dies einer Regimegegnerschaft gleich und ihnen drohe Verfolgung durch Regierungstruppen. Bezüglich ihres Vorbringens in der persönlichen Anhörung sei darauf hinzuweisen, dass sie im Vorfeld der Anhörung von vielen anderen Flüchtlingen den Rat erhalten hätten, nicht alles zu sagen. Aus Angst vor Ablehnung des Asylantrags hätten sie sich darauf beschränkt, anzugeben, sie seien wegen der allgemeinen Situation des Krieges aus Syrien geflohen. In dem Ratschlag der anderen Flüchtlinge, nicht zu weitreichende Angaben zu machen, zeige sich zudem die Angst vor Repressalien bei Rückkehr.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts vom 02.09.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides. Darüber hinaus trägt sie vor, dass die Kläger zu 1) und 2) in ihrer gemeinsamen persönlichen Anhörung am 14.07.2016 angegeben hätten, persönlich nicht verfolgt worden zu sein und bei ihrer Rückkehr keine Schwierigkeiten zu befürchten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen sowie die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und die Ausländerakte des Landkreis U. sowie die Erkenntnismittel gemäß der den Beteiligten übersandten Erkenntnismittelliste Syrien (Stand: 01. März 2017) Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Verpflichtungsklage, über die im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entschieden werden kann, ist zulässig und begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylG. Denn sie befinden sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. AsylG) nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen ihrer vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens. Zwar haben sie ihr Heimatland nicht wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen, es droht ihnen jedoch bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche. Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes vom 02.09.2016 ist rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und ist daher aufzuheben, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO.
Gem. § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist (vgl. zum nachfolgenden VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 -, juris, Rn. 15-25). Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juni 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, BGBl. 1953-II, S. 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (a.), oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (b.). Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten (Nr. 3). Nach § 3e AsylG wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn eine inländische Fluchtalternative (sog. „interner Schutz“) besteht.
Den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung konkretisiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG, der Art. 10 Abs. 1 lit. e) Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (im Nachfolgenden: QRL) in nationales Recht umsetzt, dahingehend, dass hierunter insbesondere zu verstehen ist, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG, der Art. 9 QRL in nationales Recht umsetzt, Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Gemäß § 3a Abs. 2 AsylG, der Regelbeispiele einer Verfolgung im Sinne des Abs. 1 benennt (vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 3a AsylG, Rn. 6), können als Verfolgung unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG), die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG) und die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG), gelten.
Gem. § 3a Abs. 3 AsylG, der Art. 9 Abs. 3 QRL entspricht, muss zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine Verfolgungshandlung setzt danach grundsätzlich einen gezielten, aktiven Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut voraus (BVerwG, Urteil vom 19.01.2009 - 10 C 52.07 - juris, Rn. 22 unter Verweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, juris, Rn. 43). Das heißt, die Verfolgung muss „wegen“ bestimmter Verfolgungsgründe drohen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (BVerfG, Entscheidungen vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, juris, Rn. 43). Diese Zielgerichtetheit muss sich nicht nur auf die asylerheblichen Merkmale bzw. auf die Verfolgungsgründe im Sinne von Art. 10 QRL, an die die Handlung anknüpfen muss, beziehen, sondern auch auf die durch die Handlung bewirkte Rechtsgutsverletzung selbst (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.1.2009 - 10 C 52.07 -, juris, Rn. 22 unter Auseinandersetzung mit Art. 9 Abs. 3 QRL).
Bei sämtlichen Verfolgungsgründen ist gemäß § 3b Abs. 2 AsylG, der Art. 10 Abs. 2 QRL in nationales Recht umsetzt, bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen. Es reicht vielmehr aus, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Ob eine politische Verfolgung droht, ist mittels einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris, Rn. 13 m.w.N.).
Ausgangspunkt für die Prognoseentscheidung ist zunächst das bisherige Schicksal des Asylsuchenden. Gemäß Art. 4 Abs. 4 QRL, der keine nationale Entsprechung hat, ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 -, juris, Rn. 22 m.w.N.). Demnach greift zugunsten eines Vorverfolgten eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 -, juris, Rn. 20 ff.; Nds. OVG, Urteil vom 21.9.2015 - 9 LB 20/14 -, juris, Rn. 30).
Die begründete Furcht vor Verfolgung kann nach § 28 Abs. 1a AsylG aber auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer sein Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens oder durch das Erstverfahren verwirklicht worden sind, greift keine Einschränkung. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 28 Abs. 1a AsylG die entsprechenden Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 und 2 QRL umgesetzt und hiermit zugleich die grundsätzliche Relevanz von Nachfluchttatbeständen klargestellt. Der beachtliche Nachfluchttatbestand ist damit kein Ausnahmetatbestand, sondern ebenso wie der Vorfluchtgrund ein Regelfall des § 3 AsylG (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris, Rn. 22). Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, juris, Rn. 14 sowie Urteil vom 24. 9. 2009 - 10 C 25.08 -, juris, Rn. 20; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, juris, Rn. 26). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; und BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, juris, Rn. 13 f.).
Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (vgl. BVerwG, Vorlagebeschluss vom 07.02.2008 - 10 C 33.07 -, juris, Rn. 37). Der aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) QRL abzuleitende Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32 sowie Urteil vom 1.3.2012 - 10 C 7.11 -, juris, Rn. 12; Nds. OVG, Urteil vom 21.9.2015 - 9 LB 20/14 -, juris, Rn. 30). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen (vgl. zu Vorstehendem: BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32; Vorlagebeschluss vom 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris, Rn. 37; Urteil vom 23.2.1988 - 9 C 32.87 -, juris, Rn. 16; Urteil vom 15.03.1988 - 9 C 278.86 -, juris, Rn. 23; Nds. OVG, Urteil vom 21.9.2015 - 9 LB 20/14 -, juris, Rn. 30).
Maßgebend ist damit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 154.90 -, juris, Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, juris, Rn. 17). Die Zumutbarkeit bildet das vorrangig qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist (BVerwG, Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, juris, Rn. 17). Zu prüfen ist, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist (BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris, Rn. 37; Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118/90 -, juris, Rn. 17). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ („real risk“) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen (BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris, Rn. 37; Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, juris, Rn. 17). So macht es etwa für die Erwägungen eines besonnenen Menschen einen erheblichen Unterschied, ob er bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat (lediglich) eine geringe Freiheitsstrafe oder eine Geldbuße zu erwarten hat, oder aber ob ihm Folter, Misshandlung oder gar die Todesstrafe drohen (BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7.2.2008 - 10 C 33.07 -, juris, Rn. 37; Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118/90 -, juris, Rn. 17). An die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Verfolgung im Falle der Rückkehr sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer und einschneidender die zu erwartende Verfolgungshandlung ist.
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 und 4 AsylG zuzuerkennen, wobei die Kläger einen jeweils eigenständigen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben. Sie haben Syrien zwar nicht wegen einer Vorverfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen (nachfolgend I.). Die Flüchtlingsanerkennung ergibt sich aber aus dem Umstand der (illegalen) Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung in Deutschland und dem nicht nur kurzfristigen Auslandsaufenthalt im westlichen Ausland (dazu unter II. 1. und II. 3.) sowie - selbstständig tragend - daraus, dass der Kläger zu 1) sich im wehrdienstfähigen Alter befindet und sich durch seine illegale Ausreise einem etwaigen Dienst als Reservist entzogen hat oder im Falle seiner Rückkehr nach Syrien als Reservist zum Wehrdienst eingezogen und sodann zur Teilnahme an den Kriegshandlungen bestimmt würde (dazu unter II. 2. und II. 4.).
I.
Die Kläger sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist, was Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung durch den syrischen Staat oder durch nichtstaatliche Akteure wegen eines Anknüpfungsmerkmals der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 AsylG haben die Kläger weder beim Bundesamt noch im Klageverfahren substantiiert geltend gemacht.
In ihrer Anhörung vom 14.07.2016 gaben die Kläger zu 1) und 2) als Gründe für die Ausreise aus Syrien im Wesentlichen das allgemeine Kriegsgeschehen und die damit verbundene Gefährdung von Leben und Gesundheit ihrer selbst sowie ihrer Kinder an (Bl. 103 der Beiakte 006 zu 3 A 25/17). Die allgemeine Lage in Syrien, explizit das allgemeine Kriegsgeschehen und die Gefahr der diesbezüglichen Betroffenheit, begründet jedoch keine Vorverfolgung im zitierten Sinne (ebenso VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, juris, Rn. 30).
Auch zu einer für den Kläger zu 1) in Betracht kommenden Vorverfolgung gem. § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 AsylG wegen einer etwaigen Heranziehung zum Wehrdienst als Reservist durch die Regierung oder sonstige militärische Akteure hat dieser nichts vorgetragen. Hier ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger zu 1) vor der Flucht konkret zum Wehrdienst einberufen oder sonst zur Teilnahme an kriegerischen Handlungen bestimmt worden ist oder dass sonst hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die die Annahme einer drohenden Einberufung/Mobilisierung rechtfertigen (vgl. dazu VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 -, juris, Rn. 17 ff., wonach insbesondere eine persönliche (schriftliche) Mitteilung nicht gefordert wird, weil nach den dort dargestellten Erkenntnismitteln die Aufforderung, sich zum Dienst zu melden, ohnehin regelmäßig - wenn überhaupt - mündlich erfolge; ferner VG Osnabrück, Urteil vom 05.12.2016 - 7 A 35/16 -, juris, Rn. 119 ff.).
II.
Jedoch verwirklichen die Kläger beachtliche Nachfluchttatbestände im Sinne des § 28 Abs. 1a AsylG. Den Klägern droht bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände unter Heranziehung des oben wiedergegebenen Prüfungsmaßstabs, der allgemeinen Erkenntnislage zu Syrien und der hierzu ergangenen aktuellen Rechtsprechung im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, die ihre diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lässt und die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihnen aber jedenfalls im Sinne des § 3 Abs. 2 AsylG seitens ihrer Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würde.
1. Aufgrund der aktuellen Situation müssen die aus dem westlichen Ausland nach Syrien zurückkehrenden Kläger zu 1) und 2) unabhängig von einer Vorverfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG zu erleiden, die an eine bei ihnen bestehende oder zumindest vermutete regimekritische und regimefeindliche Einstellung anknüpfen, sodass eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen einer politischen Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG besteht.
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat mit Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 - diesbezüglich in Fortführung seiner Rechtsprechung wie folgt (juris, Rn. 35-113) ausgeführt:
„Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis […] bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Falle der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (etwa: VG Sigmaringen, Urteil vom 24.02.2015 - A 3 K 3612/14 - n.v.; ebenso VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 - n.v.; VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 - abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 - n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 - juris sowie Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 - juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - jeweils juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 - n.v.).
Der VGH Baden-Württemberg hatte seinerseits die auch in der (früheren) Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s. auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der VGH Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten (etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - juris) Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).“
Zur Frage der Gerichtetheit der Verfolgung auf ein asyl- bzw. flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal hat der VGH Baden-Württemberg (a. a. O. juris Rn. 6) sodann ausgeführt:
„Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772 [BVerfG 08.01.1990 - 2 BvR 933/90], vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 [BSG 28.08.1991 - 13/5 RJ 26/90] <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmale festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
Bereits im Beschluss vom 19.06.2013 (- A 11 S 927/13 - juris Rn. 14 ff.) hatte der VGH Baden-Württemberg zur Gerichtetheit ausgeführt:
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772 [BVerfG 08.01.1990 - 2 BvR 933/90]). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
Es besteht keinerlei Veranlassung, von der Sichtweise des VGH Baden-Württemberg abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine naheliegende(re)n Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden. Sofern das OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - n. v.) aus Erkenntnisquellen, wonach der syrische Staat Rückkehrer wahllos-routinemäßig („routinely“) und damit ohne bekannten politischen Hintergrund abschöpfe, schließt, dass kein Bezug zu einer politischen Überzeugung bestünde, vermag die Kammer dem angesichts der eindeutigen Ausführungen des VGH Baden-Württemberg unter Heranziehung der Rechtsprechung des BVerfG nicht zu folgen. Denn explizit genügt, dass die Frage der politischen Überzeugung mit der Informationsabschöpfung gerade erst (aus Sicht des syrischen Staates) „geklärt“ werden soll, was zwanglos das Erfordernis einer massenhaften Befragung und ggf. Inhaftierung auch unpolitischer/nicht-oppositioneller Rückkehrer mit einschließt.
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u. a. auch die meisten Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A - juris = AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 - juris = AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 - abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 - juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbaren Erkenntnismittel in einer überwiegend begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis umfassend gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A - juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
Lebensfremd erscheint demgegenüber die Annahme des OVG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 16.12.2016 (Az. 1 K 10922/16.OVG - n. v.), rückkehrende Syrer könnten bei ihrer Wiedereinreise den syrischen Sicherheitsbehörden im Falle einer drohenden Befragung die Anhörungsniederschrift vor dem Bundesamt, den Bundesamtsbescheid und die ggf. hierauf ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile vorlegen, um zu dokumentieren, dass sie nicht gegen das Regime, sondern allein vor dem Bürgerkrieg geflüchtet seien. Schon praktisch wird dies kaum realisierbar sein; jedenfalls spricht nichts dafür, dass sich die syrischen Geheimdienste mit derartigen Unterlagen zufrieden geben würden. Vielmehr gehen die oben zitierten Erkenntnisquellen von einer umfassenden Informationsabschöpfung (gerade auch über die oppositionelle Exilszene) aus, über die die vorzeigbaren Unterlagen nichts aussagen (können).
(2) Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie der Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass rückkehrenden Syrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
Insoweit macht sich die Kammer die Ausführungen der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1495/16 - juris Rn. 67 ff.) zu den derzeit verfügbaren Erkenntnismitteln zu eigen und zum Gegenstand dieses Urteils. Diese hat ausgeführt:
(a) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
(b) Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist, hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
(c) Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
(d) Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
(e) In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in einem Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
(f) Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter: http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm? year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.“
Schließlich kommt der Bericht der Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 03.02.2016 (Az. A/HRC/31/CRP.1) unter Auswertung von insgesamt 621 Interviews sinngemäß zu folgender Einschätzung hinsichtlich der Folgen einer möglichen „informatorischen Befragung“ durch das syrische Regime: Häftlinge, die von der Regierung festgehalten wurden, wurden zu Tode geschlagen oder starben infolge von Folterverletzungen. Andere starben als Folge unmenschlicher Lebensbedingungen. Die Regierung hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von (physischer) Vernichtung, Mord, Vergewaltigung oder anderen Formen sexueller Gewalt, Folter, (unberechtigter) Freiheitsstrafe, erzwungenem Verschwinden und anderen unmenschlichen Handlungen begangen. Basierend auf demselben Verhalten wurden auch Kriegsverbrechen begangen.
(3) Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i. S. d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_ Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel und in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (s.o. II. 2. a) aa) (1)) auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die bereits zitierten Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht, dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird.
Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 (Az. 1 K 5093/16.TR - juris = Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen. Solche (legalen) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - juris Rn. 8).
Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt (von denen nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes nur wenige tatsächlich offen sind, vgl. Auskunft vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, Az. 508-9-516.80/48840) näher gestalten würden.
Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
Die zitierten Erkenntnisquellen lassen auch hinreichend sicher darauf schließen, dass es im Zuge einer möglichen „informatorischen Befragung“ von Rückkehrern aus Westeuropa durch das syrische Regime zu Verfolgungshandlungen i. S. d. § 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, 2 AsylG kommen wird/würde. Ergänzend macht sich die Kammer die Ausführungen des VG Meiningen (a.a.O. juris Rn. 45; i. Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A - juris Rn. 30 ff.) zur Annahme einer derartigen, wahrscheinlichen Verfolgungshandlung zu Eigen:
„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staatstreue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
Zu derselben Einschätzung gelangt auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe in ihrer Schnellrecherche vom 10.09.2015 zum Thema Reflexverfolgung unter Auswertung der derzeitigen Erkenntnismittel, insbesondere unter Bezugnahme auf eine Übersicht des irischen Refugee Documentation Centre vom 26.03.2013 sowie den Protection Considerations des UNHCR zu Syrien vom 27.10.2014 (abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/ syrien/150908-syr-reflexverfolgung.pdf). Danach würden Personen unter Druck gesetzt, indem ihre Familienangehörigen Repressionen ausgesetzt, insbesondere verhaftet und gefoltert würden. So würden ganze Familien, Stämme, religiöse und ethnische Gruppen, sowie Städte und Dörfer zum Ziel von Vergeltungsaktionen. Betroffen seien beispielsweise Familienangehörige von mutmaßlichen Protestierenden, Aktivistinnen und Aktivisten, Mitglieder von Oppositionsparteien und bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen, Dienstverweigerer und Überläufer. Durch die Reflexverfolgung sei es zu „willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Folter und anderen Misshandlungen, sexueller Gewalt sowie standrechtlichen Hinrichtungen“ gekommen (dies ebenfalls als allgemeine Erkenntnisquelle wertend VG Osnabrück, Urteil vom 05.12.2016 - 7 A 35/16 - juris Rn. 71 sowie VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 - AN 9 K 16.30460 - juris Rn. 25).
Inhaftierungen nach freiem Ermessen werden auch dadurch gefördert, dass der syrische Staat mit dem „Gesetz Nr. 55“ vom 21. April 2011 bestimmt, dass eine Inhaftierung ohne konkreten Vorwurf oder gar eine förmliche Anklage für die Dauer von bis zu 60 Tagen möglich ist (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 19.10.2016 – AN 9 K 16.30460 – juris Rn. 29).
Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für den Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinne nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
(4) Gegenteilige Erkenntnisse, die darauf schließen ließen, dass sich die Lage für potentielle Rückkehrer nach Syrien „entspannt“ hätte und mithin eine Furcht vor Verfolgung nicht mehr begründet wäre, hat die Kammer nicht.
So rechtfertigt etwa der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu die über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrischen Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über MILo). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 - jeweils juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich, zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern, was zum Ausschluss der staatlichen Verfolgung wegen Verlusts der staatlichen Hoheitsgewalt führen würde (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - juris Rn. 56 = BVerfGE 80, 315). Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer auch insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 - juris Rn. 28; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me - juris Rn. 49 f.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - juris Rn. 4).
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen der Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind (a. A., dies nämlich einseitig zulasten des dortigen Klägers wertend, OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - n.v.). Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Schließlich lässt die jüngste diesbezügliche Auskunft des Auswärtigen Amtes (vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, Az. 508-9-516.80/48840) eher den Schluss zu, dass die (oben zitierten, aktuellen) Erkenntnisse der Nichtregierungsorganisationen stichhaltig sind: So gebe es (weiterhin) Berichte über Befragungen des syrischen Regimes nach einer Rückkehr aus dem Ausland. Das AA könne (aber) zum Inhalt derartiger Befragungen keine Aussage machen. Zu einer systematischen Anwendung von schwerwiegenden Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit bei derartigen Befragungen lägen keine Erkenntnisse vor. Das AA habe auch keine Erkenntnisse in dem Sinne, dass unabhängig von bestimmten Verdachtsmomenten jeder Rückkehrer deshalb gefährdet sei, weil er als mögliche Informationsquelle zur Exilszene in Frage komme. Nach Kenntnis des AA müssten politisch nicht aktive Syrer(innen) kurdischer Volkszugehörigkeit nicht mit Eingriffen rechnen, die allein an ihre Volkszugehörigkeit anknüpften. Allerdings sei nicht auszuschließen, dass einzelne arabischstämmige Syrer sich mit Vergeltungsmaßnahmen für die von der PYD begangenen Menschenrechtsverletzungen an arabischen Bevölkerungsteilen rächen wollten und dafür kurdische Syrer angriffen. Zwar seien Personen, die mit keiner oppositionellen Gruppe oder in Oppositionsgebieten aktiven zivilgesellschaftlichen Organisation in Verbindung gebracht würden, keinen systematischen Eingriffen in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit oder ähnlich gravierende Übergriffe bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien ausgesetzt. Wenn Rückkehrer aber in Gebiete einreisen würden, deren Einwohner vom Regime pauschal als „Terroristen“ bezeichnet, ausgehungert und mit schweren Waffen angegriffen würden, sei mit derartigen Eingriffen zu rechnen.
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, juris). Die jüngste (dargestellte) Auskunft bestätigt sogar - jedenfalls in Teilen - die Möglichkeit systematischer Eingriffe, wobei sie aufgrund der unzureichenden Beurteilungsgrundlage wie die anderen Auskünfte ebenfalls zurückhaltend zu bewerten ist.
Schließlich ergibt sich eine „positivere“ Beurteilung der Lage für (potentielle) Rückkehrer nicht aufgrund eines Interviews des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, welches dieser Ende 2015 im tschechischen Fernsehen gab und worin er erklärte, dass es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um „gute Syrer“ handele, es aber „natürlich … eine Unterwanderung durch Terroristen“ gebe (zitiert nach OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - n.v.). Denn diese Aussage steht in diametralem Widerspruch zu früheren Interviews, wonach der syrische Bürgerkrieg eine vom Ausland gesteuerte bzw. veranlasste Verschwörung gegen Syrien sei (vgl. die Erkenntnisse des OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris Rn. 37 sowie des VG Meiningen, a. a. O. Rn. 45) und führt allenfalls zu einem non liquet hinsichtlich der insoweit verfügbaren Erkenntnismittel (a. A., nämlich dies einseitig zulasten des dortigen Klägers wertend, denn die entgegenstehenden Interviews als „eine bloße Mutmaßung“ abtuend OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - n.v.).
bb) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei einer unterstellten Rückkehr nach Syrien knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, nämlich an die politische Überzeugung der jeweiligen Betroffenen; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich.“
Dieser Einschätzung folgt die Kammer. Mit abweichenden Auffassungen hat sich das Verwaltungsgericht Sigmaringen unter Erörterung deren tragender Einwände auseinandergesetzt; auch insoweit folgt die Kammer diesen Ausführungen. Auch soweit in der zuletzt ergangenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 21.02.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris) nicht mehr an der Auffassung festhalten wird, dass allen rückkehrenden syrischen Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Vernehmung unter Anwendung der Folter zu möglichen Kenntnissen von Aktivitäten der Exilszene droht (dort insbesondere Rn. 35-44), ändert dies an der Einschätzung der Kammer nichts. Insoweit greift das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im genannten Urteil lediglich bereits bekannte Aussagen der abweichenden Auffassung auf. Gleiches gilt für die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30338 -, juris) sowie die kürzlich ergangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes (Urteil vom 02. Februar 2017 – 2 A 515/16 –, juris). Soweit das Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes dort vertritt, dass die nach § 3a Abs. 3 AsylG notwendige Verknüpfung einer möglicherweise allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung sowie längerem Auslandsaufenthalt drohenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG insbesondere deswegen fehle, weil es dem syrischen Staat bekannt sein müsse, dass angesichts der hohen Zahl von bereits bis Ende 2015 fast 5 Millionen Flüchtlingen der Großteil der Ausgereisten das Land nicht als Ausdruck einer politischen Gegnerschaft zum syrischen Regime, sondern aus Angst vor dem Bürgerkrieg verlassen habe, hält die Kammer dies für nicht gerechtfertigt. Denn für die zu treffende Gefahrenprognose kommt es nur darauf an, welchen Umständen derzeit Zurückkehrende ausgesetzt wären, da gem. § 77 Abs. 1 AsylG die Sachlage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend ist. Auch hinsichtlich des materiellen Rechts ist allein die zum Zeitpunkt einer Rückkehr bestehende Verfolgungssituation maßgeblich, die für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in den Blick zu nehmen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.10.2006 - 1 B 175.06 -, juris, Rn. 4). Insoweit folgt die Kammer der zutreffenden Begründung des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Urteil vom 20.02.2017 - 2 A 6163/16 -, juris, Rn. 20):
„Derzeit ist aber von einer Sachlage auszugehen, die Anhaltspunkte für eine dauerhafte Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen nicht erkennen lässt. Bereits aus diesem Grund kann nicht damit gerechnet werden, dass in absehbarer Zukunft Flüchtlinge in größerer Anzahl nach Syrien zurückkehren (so auch VG Meiningen, Urteil vom 2. August 2016 - 1 K 20218/16 Me - V.n.b. UA S. 16f, vgl. hierzu auch Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 2016 - 3 ZKO 638/16 - V.n.b.). Zudem wird eine Rückkehr syrischer Staatsangehöriger zum jetzigen Zeitpunkt in der Regel schon deshalb nicht erfolgen, weil ihnen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wird. Vor diesem Hintergrund ist es aber kaum vorstellbar, dass die syrischen Sicherheitsbehörden davon ausgehen könnten, derzeit aus Europa zurückkehrende Flüchtlinge kehrten deshalb zurück, weil sie (nur) vom Bürgerkrieg geflohen seien, obwohl dieser weiterhin anhält, unterbrochen bislang nur von zeitlich begrenzten Phasen der Waffenruhe. Der hier zu treffenden Prognose ist aber allein diese derzeit vorliegende Sachlage zu Grunde zu legen und nicht eine von den aktuellen konkreten Umständen abstrahierende Mutmaßung, die vorläge, wenn außer Betracht bliebe, dass die Lage in Syrien weiterhin und wohl auch noch auf unabsehbare Zeit von militärischen Auseinandersetzungen geprägt ist. Es greift deshalb zu kurz, nur auf die massenhafte Ausreise seit Beginn des Bürgerkrieges abzustellen, um jetzt für die Flüchtlingsanerkennung zu fordern, dass individuelle Gründe hinzutreten müssten. Dies gilt jedenfalls solange, bis Anhaltspunkte bzw. Referenzfälle dafür vorliegen, dass sich die - derzeit nur vereinzelten - Rückkehrer nur noch abhängig von den Gründen für ihre Flucht bzw. ihre Rückkehr dem Vorwurf regimefeindlicher Betätigung im Ausland ausgesetzt sehen. Den vom Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht hierzu eingeholten Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 7. November 2016 und des Deutschen Orient-Institutes von November 2016 lassen sich Anhaltspunkte dafür ebenso wenig entnehmen wie den Auskünften des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017. Es wird derzeit auch kaum möglich sein, zu dieser Frage valide Daten zu erhalten, da zum einen - wie bereits ausgeführt - die Zahl der Rückkehrer gering ist, es zudem aber auch niemanden geben dürfte, der hinreichend nachprüfbare objektive Erkenntnisse dazu erlangen könnte, was mit diesen Rückkehrern bei einem Grenzübertritt geschieht. In diesem Sinne interpretiert das Gericht auch die genannten Auskünfte, soweit darin ausgeführt wird, dass zu Eingriffen gegenüber Rückkehrern keine Erkenntnisse vorlägen. Bestätigt wird dies von der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof von Januar 2017, wonach belastbare Zahlen über syrische Staatsbürger, die nach längerem Aufenthalt außerhalb Syriens dorthin zurückkehren, kaum verfügbar sind. Darüber hinaus wird in dieser Auskunft aber darauf hingewiesen, dass Berichte zu Befragungen von Rückkehrern oder gar einem allgemeinen Verdacht gegenüber solchen Personen vorliegen, wenn die Wiedereinreise in durch die Regierung kontrolliertes Gebiet erfolgt. Das Gericht folgt insofern nicht den vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 12. Dezember 2016 - 21 B 16.30338 - juris) gezogenen Schlussfolgerungen aus Ausführungen des Immigration and Refugee Board of Canada vom 19. Januar 2016, wonach jedes Jahr Hunderttausende von Flüchtlingen nach Syrien reisten und eine solche Reisetätigkeit darauf hinweise, dass die in den benachbarten Ländern lebenden syrischen Flüchtlinge trotz des (extrem) repressiven Charakters des syrischen Staates davon ausgehen, im Rahmen der auch an den übrigen Grenzübergängen zu Syrien strengen Grenzkontrollen keiner besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Denn die hier relevante aktuelle Lage wird davon nicht erfasst. Dies bereits deshalb, weil sich diese Ausführungen wiederum auf andere Erkenntnismittel vom August 2013 beziehen und damit aus einem Zeitraum, der noch vor der im weiteren Verlauf erfolgenden Eskalation der militärischen Auseinandersetzungen lag. Außerdem kann die in dem genannten Bericht angesprochene Situation von Rückkehrern aus dem unmittelbaren Grenzgebiet zur Türkei, zum Libanon und zu Jordanien nicht verglichen werden mit derjenigen von Flüchtlingen, die nach langjährigem Aufenthalt im westlichen Ausland, insbesondere in Europa, und der dortigen Durchführung eines Asylverfahrens nach Syrien zurückkehren. In der Auskunft vom 2. Januar 2017 weist das Auswärtige Amt zudem ergänzend darauf hin, dass die syrischen Sicherheitsdienste de facto im rechtsfreien Raum agieren und im Allgemeinen Folter in größerem Maßstab anwenden. Dies ergibt sich auch aus weiteren Ausführungen in dem Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada vom 19. Januar 2016, wonach jedenfalls traditionell ausgerichtete syrische Offizielle allen im Ausland Asyl Suchenden Regimefeindschaft unterstellten und das Misstrauen insgesamt durch den Konflikt nur noch verstärkt worden sei. Vor diesem Hintergrund kann weiterhin nicht darauf abgestellt werden, dass die derzeit nur sehr wenigen Rückkehrer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Maßnahmen politischer Verfolgung ausgesetzt sind. Das Gericht kommt damit, anders als der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in dem o.g. Urteil vom 12. Dezember 2016, auf Grund einer zusammenfassenden Bewertung der gesamten Umstände zu dem Ergebnis, dass weiterhin die für eine Verfolgung derzeit aus Deutschland nach Syrien zurückkehrender Flüchtlinge sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen die dafür sprechenden Tatsachen überwiegen. Diese Einschätzung wird weiterhin auch dadurch gestützt, dass bis zum Frühjahr 2016 annähernd einheitlich, sowohl in der Rechtsprechung, unter Ausnahme der des OVG Münster, als auch in der Entscheidungspraxis des Bundesamts angenommen worden ist, dass bei der Rückkehr des hier relevanten Personenkreises (Asylantragstellung im westlichen Ausland) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen politischer Verfolgung drohen, hinreichende Erkenntnisse dafür, dass, wann und warum dies sich geändert haben soll, aber nicht vorliegen.“
Die Kammer schließt sich in dieser Frage damit der überwiegenden aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, namentlich u.a. des Verwaltungsgerichts Regensburg (Urteil vom 06.07.2016 - RN 11 K 16.30889 -, juris), des Verwaltungsgerichts Köln (Urteile vom 25.08.2016 - 20 K 6664/15.A -, juris, vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -, juris, vom 06.12.2016 - 20 K 4917/16.A -, juris, und vom 24.01.2017 - 20 K 8414/16.A -, juris), des Verwaltungsgerichts Trier (Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, juris), des Verwaltungsgerichts Münster (Urteile vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, juris, und vom 20.01.2017 - 8a K 3496/16.A -, juris), des Verwaltungsgerichts München (Urteil vom 25.10.2016 - M 13 K 16.322208), des Verwaltungsgerichts des Saarlandes (Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 - juris), des Verwaltungsgerichts Osnabrück (Urteile vom 05.12.2016 - 7 A 35/16 -, juris, und vom 13.01.2017 - 7 A 167/16 -, juris), des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Urteile vom 04.01.2017 - 2 A 5738/16 -, juris, und vom 20.02.2017 - 2 A 6163/16 -, juris) und des Verwaltungsgerichts Freiburg (Urteil vom 13.12.2016 - A 5 K 2096/16 -, juris) an.
In diesen Entscheidungen wurde ebenfalls die vorherige Entscheidungspraxis der Beklagten sowie die entsprechende Rechtsprechung fortgesetzt, wonach der syrische Staat das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem nicht nur kurzfristigen Aufenthalt im westlichen Ausland ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung auffasst mit der Folge, dass den Rückkehrern bei der obligatorischen Befragung durch Sicherheitskräfte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter in Anknüpfung an diese, ggf. nur unterstellte politische Gesinnung droht.
Die Kläger zu 1) und 2) weisen mit ihrer (illegalen) Ausreise, Flucht über die Türkei und über die sog. „Balkanroute“ sowie einem nicht nur kurzfristigen Aufenthalt in einem westlichen Ausland (hier: seit über einem Jahr) nebst der Asylantragstellung die dargelegten relevanten Merkmale auf (vgl. Bl. 11, 16 d. Beiakte 006, aaO.). Angesichts dessen droht ihnen für den Fall der Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weil davon auszugehen ist, dass im Fall einer hypothetischen Rückkehr einer vermuteten oppositionellen Einstellung gegen das derzeitige politische System mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (auch) unter verfolgungsbegründenden Umständen nachgegangen werden wird. Für dieses Ergebnis spricht nicht zuletzt die besondere Schwere der zu befürchteten Eingriffe, die für einen verständiger Betrachter die „reale Möglichkeit“ („real risk“) einer Verfolgung begründet. Der Umstand, dass die Kläger zu 1) und 2) im Rahmen ihrer Anhörung angaben, bei ihrer Rückkehr keine Schwierigkeiten zu befürchten, vermag die vorstehende Beurteilung nicht zu ändern. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit - wie bereits dargestellt - anhand eines objektivierten Maßstabs festgestellt wird (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 154.90 -, juris, Rn. 28). Es wird gerade auf die Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden, also einen verständigen Betrachter abgestellt (vgl. statt vieler - nochmals - BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 -, juris, Rn. 32) und nicht auf die gegebenenfalls uninformierte (subjektive) Einschätzung von Asylbewerbern. Insofern mag vorliegend dahinstehen, ob die Kläger diese Angaben nur aufgrund des Ratschlags anderer Flüchtlinge oder aus Angst vor Repressalien bei ihrer Rückkehr gemacht haben.
2. Dem Kläger zu 1) droht zudem - selbstständig tragend - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weil nach Überzeugung der Kammer beachtlich wahrscheinlich ist, dass ihm bei einer Einreise über den Flughafen Damaskus oder eine andere staatliche Kontrollstelle wegen seiner Wehrdienstentziehung menschenrechtswidrige Maßnahmen drohen, insbesondere Folter als schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG, Art. 15 Abs. 2 EMRK) wegen einer zugeschriebenen politischen Überzeugung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG (dazu unter a)). Wenn dies nicht der Fall sein sollte, so ist es zumindest beachtlich wahrscheinlich, dass er im Falle der Rückkehr nach Syrien zum Wehrdienst eingezogen und zur Teilnahme an Kriegshandlungen bestimmt werden würde und insoweit von einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 AsylG auszugehen wäre, die an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpft, § 3a Abs. 1 AsylG i. V. m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG (dazu unter b)). Zur Beurteilung dieser Fragen macht sich die Kammer - wiederum - nachfolgende Ausführungen des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 -, juris, Rn. 115 - 139) zu Eigen:
„In seinem Leiturteil zum US-amerikanischen Deserteur Shepherd hat der EuGH (Urteil vom 26.02.2015 - Rs. C-472/13 - NVwZ 2015, 575 Rz. 46) zur Handhabung und Auslegung des Art. 9 Abs. 2 lit. e) QRL (a. F.), der Grundlage der Bestimmung des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG ist, folgende grundlegenden Ausführungen getätigt: „Nach alledem [sind] die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der RL 2004/83/EG dahin auszulegen,
- dass sie alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen und unterstützenden Personals erfassen,
- dass sie den Fall betreffen, in dem der geleistete Militärdienst selbst in einem bestimmten Konflikt die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde, einschließlich der Fälle, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Ast. nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde,
- dass sie nicht ausschließlich Fälle betreffen, in denen feststeht, dass bereits Kriegsverbrechen begangen wurden oder vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden könnten, sondern auch solche, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Ast. darzulegen vermag, dass solche Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden,
- dass die allein den innerstaatlichen Behörden unter gerichtlicher Kontrolle obliegende Tatsachenwürdigung zur Einordnung der bei dem in Rede stehenden Dienst bestehenden Situation auf ein Bündel von Indizien zu stützen ist, das geeignet ist, in Anbetracht aller relevanten Umstände – insbesondere der mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, sowie der individuellen Lage und der persönlichen Umstände des Ast. – zu belegen, dass die bei diesem Dienst bestehende Situation die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lässt,
- dass bei der den innerstaatlichen Behörden obliegenden Würdigung zu berücksichtigen ist, dass eine militärische Intervention auf Grund eines Mandats des Sicherheitsrats der Organisation der Vereinten Nationen oder auf der Grundlage eines Konsenses der internationalen Gemeinschaft stattfindet und dass der oder die die Operationen durchführenden Staaten Kriegsverbrechen ahnden und
- dass die Verweigerung des Militärdienstes das einzige Mittel darstellen muss, das es dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrenden Ast. erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen, so dass der Umstand, dass er kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der RL 2004/83/EG ausschließt, sofern der Ast. nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand.“
Ausgehend hiervon ist im Falle des Klägers von einer Verfolgung i. S. d. § 3a Abs. 1, 2 Nr. 5 AsylG auszugehen:
Ausweislich der SFH-Länderanalyse zu Syrien aus den Jahren 2014 und 2015 besteht in Syrien gem. Art. 40 der syrischen Verfassung für alle männlichen Staatsangehörigen im Alter zwischen 18 und mindestens 42 Jahren eine Militärdienstpflicht.
„Von der Wehrpflicht ausgenommen sind Einzelkinder und Männer mit medizinischen Einschränkungen. Es gibt keine Möglichkeit für einen Ersatzdienst. Wehrdienstverweigerung wird gemäß dem Military Penal Code von 1950, der 1973 angepasst wurde, bestraft. In Artikel 68 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich der Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Artikel 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. Deserteure, die militärisches Material mitgenommen haben, die in Kriegszeiten oder während des Kampfs desertierten oder bereits früher desertiert sind, werden mit 15 Jahren Haft bestraft. In Artikel 102 ist festgehalten, dass ein Deserteur, der im Angesicht des Feindes desertiert, mit lebenslanger Haft bestraft wird. Exekution ist entsprechend Artikel 102 bei Überlaufen zum Feind und gem. Artikel 105 bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen.
Seit Herbst 2014 hat die syrische Armee Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten auf der Grundlage einer allgemeinen Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 42 Jahren verstärkt. Dort wo die syrische Regierung die Kontrolle hat, sind die administrativen Strukturen noch intakt und wehrdienstpflichtige Männer erhalten Einberufungsbefehle. Auch intern Vertriebene werden an ihren neuen Aufenthaltsorten registriert und in den Militärdienst aufgeboten. Prinzipiell rekrutiert das syrische Regime alle Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund. Syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014, S. 1 f., abrufbar unter: https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/syrien-rekrutierung-durch-die-syrische-armee.pdf; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015, S. 4; abrufbar unter: https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150328-syr-mobilisierung.pdf; ähnlich die Auskunft des AA vom 02.01.2017 an das VG Düsseldorf, Az. 508-9-516.80/48808: „Syrische Männer müssen sich im Alter von 18 Jahren für den Militärdienst registrieren lassen und sind laut Gesetz bis zum Alter von 42 Jahren wehrpflichtig. Andere Quellen (ACCORD) gehen davon aus, dass die Wehrpflicht in der Praxis bis zum 50. Lebensjahr ausgeweitet wird… Nach Kenntnis des Auswärtigen Amtes ist es kaum möglich, sich der Wehrpflicht zu entziehen. Wehrpflichtige Männer, die auf den Einberufungsbescheid nicht reagieren, werden von Mitarbeitern des Geheimdienstes abgeholt und zwangsrekrutiert... Dem Auswärtigen Amt sind Berichte bekannt, nach denen auch Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden… Wehrdienstentzug wird gesetzlich mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren Kriegszeiten bestraft… Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch „illegale“ Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen durch Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden… In Syrien besteht keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung, auch die Möglichkeit eines (zivilen) Ersatzdienstes gibt es nicht… Es gibt in Syrien keine Möglichkeit, sich dem Militärdienst durch sicher zu erreichende inländische Fluchtalternativen, d.h. verfolgungsfreie Teile Syriens, zu entziehen… Grundsätzlich sind weite Teile Syriens von teils hochintensiven Kampfhandlungen betroffen. Gefechtsfelder verlagern sich, so dass nicht mit absoluter Gewissheit vorausgesagt werden kann, wie sich die Lage in bestimmten Landstrichen weiterentwickelt. Sichere Rückzugsgebiete gibt es nicht… Auch in den von Rebellen kontrollierten Gebieten soll es gelegentlich zu Zwangsrekrutierung von Männern kommen, insbesondere durch extremistische Gruppen. Auch der IS nimmt Zwangsrekrutierungen vor.“); z. T. weitergehend noch die Einschätzung des österr. BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at: „Das Überlaufen zum Feind sei mit der Exekution strafbar (…). De facto komme Desertion einem Todesurteil gleich, das oftmals unmittelbar vollstreckt werde (…). Grundwehrdiener würden mit Zwangsmaßnahmen zum Einsatz gezwungen, syrischen Soldaten drohe bei der Weigerung gegen die Protestierenden vorzugehen, Haft und Folter (…). Desertierte syrische Soldaten würden berichten, dass sie gezwungen worden seien, auf unbewaffnete Zivilisten und Protestierende, darunter Frauen und Kinder, zu schießen. Eine große Anzahl von Soldaten sei getötet worden, als sie sich geweigert hätten auf Zivilisten zu schießen.“; ähnlich das schweizerische Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - (BVGE 2015/3): „6.7.2 Diesbezüglich stellt sich gestützt auf die geltende Praxis (vgl. E. 5.7 5.9) die Frage, welche Behandlung Dienstverweigerer und Deserteure seitens der staatlichen syrischen Behörden zu erwarten haben. Wie bereits ausgeführt wurde (E. 6.2.1), geht aus einer Vielzahl von Berichten hervor, dass die staatlichen syrischen Sicherheitskräfte seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2011 gegen tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner mit größter Brutalität und Rücksichtslosigkeit vorgehen. Das syrische Militärstrafrecht sieht nach Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmaße vor. Diese variieren zwischen kürzeren Freiheitsstrafen (beispielsweise zwei Monate bis ein Jahr bei Nichterscheinen nach einem militärischen Aufgebot in Friedenszeiten, wenn der Dienstpflichtige innerhalb von 15 Tagen nach dem festgesetzten Termin bei seiner Einheit erscheint; Art. 102 Abs. 1 des syrischen Gesetzes über den Militärdienst vom 3. Mai 2007, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Law/2007/kk_30_2007.htm >, abgerufen am 12.12.2014) über lange Haft (so etwa von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland; Art. 101 Abs. 2 des syrischen Militärstrafgesetzes [syrMStG] vom 13. März 1950 in der Fassung vom 17. Juli 1979, vgl. < http://parliament.sy/forms/uploads/laws/Decree/00002365.tif >, abgerufen am 12.12.2014) bis zur Todesstrafe (bei Desertion mit Überlaufen zum Feind; Art. 102 Abs. 1 syrMStG). Abgesehen von diesem gesetzlichen Strafrahmen geht allerdings aus zahlreichen Berichten hervor, dass Personen, die sich dem Dienst in der staatlichen syrischen Armee entzogen haben etwa, weil sie sich den Aufständischen anschließen wollten oder in der gegebenen Bürgerkriegssituation als Staatsfeinde und als potenzielle gegnerische Kombattanten aufgefasst werden seit dem Jahr 2011 in großer Zahl nicht nur von Inhaftierung, sondern auch von Folter und außergerichtlicher Hinrichtung betroffen sind (vgl. Da-vis/Taylor/Murphy, Gender, conscription and protection, and the war in Syria, in: Forced Migration Review Nr. 47/2014, S. 35 ff.; HRW, « By All Means Necessary ». Individual and Command Responsibility for Crimes against Humanity in Syria, Dezember 2011, S. 62 ff.; Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Syrien: Rekrutierung durch die syrische Armee, Bern 2014, S. 3 f.; UK Home Office, Operational Guidance Note: Syria, vom 21. Februar 2014, Ziff. 3.20.4 ff. mit weiteren Nachweisen).“).
Zur Einberufungspraxis von Reservisten führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe aus:
„Im Oktober 2014 intensivierte das syrische Regime an verschiedenen Orten des Landes die Mobilisierung von Reservisten. Die syrische Armee und die regierungstreuen Milizen etablierten neue Checkpoints und intensivierten Razzien im öffentlichen und privaten Bereich, um diejenigen Reservisten zu finden, die sich bis dahin dem Dienst entzogen haben. Im Oktober 2014 begann das Regime in Hama mit einer Generalmobilmachung aller Reservisten, die nach 1984 geboren sind. Über 1.500 Männer wurden innerhalb von vier Tagen an Checkpoints verhaftet. Eine ähnliche Operation fand in Homs statt, dort wurden 1.200 Männer verhaftet. Eine weitere Generalmobilmachung begann am 27. Oktober in Deir ez-Zour. Gemäß dem Institute for the Study of War (ISW) zirkulieren an den Checkpoints der syrischen Armee Listen mit über 70.000 Namen von Personen, die als Reservisten eingezogen werden sollen.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 3).
Zur intensivierten Suche nach Deserteuren und Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben, führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe aus:
„Zusätzlich zur Mobilisierung der Reservisten intensivierte das Regime die Suche nach Refraktären, jungen Männern, die sich dem Militärdienst entzogen haben. Es wurden mobile Checkpoints errichtet und die Sicherheitsdienste führten anhand von Listen, die auch an Checkpoints und an der Grenze genutzt werden, Razzien durch. Diese Maßnahmen wurden in allen vom Regime kontrollierten Gebieten durchgeführt, von Aleppo im Norden bis nach Daraa im Süden des Landes und von Latakia und Tartus an der Küste bis nach al Hasaka im Osten des Landes.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 3).
Diese Erkenntnisse decken sich mit jenen des Deutschen Orient-Instituts (Auskunft an das OVG Schleswig-Holstein vom 08.11.2016, S. 2, abrufbar über MILo):
„Besonders männliche syrische Staatsangehörige sehen sich nach einer Wiedereinreise in das durch die syrische Regierung kontrollierte Gebiet wenn älter als 18 Jahre der Einberufung in den Wehrdienst gegenüber, welcher je nach Eignung und Bedarf zwischen einem und drei Jahren besteht. Die aktuelle Lage hat das Ableisten der Wehrpflicht allerdings sehr gefährlich werden lassen, da die Streitkräfte in weiten Teilen des Landes Im Kampfeinsatz sind und die Ausbildungszeit enorm verkürzt wurde. Wurde der Wehrdienst also nicht vor der Ausreise abgelegt, so kann dies von Seiten der syrischen Regierung verlangt werden. Diente die Ausreise unter anderem dem Zweck, sich dem Wehrdienst zu entziehen (z.B. durch Flucht oder Bestechung eines direkten Vorgesetzten), so hat dies eine harte Bestrafung, bis hin zur Todesstrafe, aber oft auch Folter, zur Folge. Auch wenn der Wehrdienst bereits verrichtet wurde, kommt es seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem After von 42 Jahren erneut eingezogen werden. Auch Einwohner palästinensischer Abstammung, zumeist 1948 nach Syrien geflohen und dort nun in dritter Generation wohnhaft, wurden Berichten zufolge vermehrt eingezogen.“
Im Falle der Auffindung von Deserteuren und Wehrdienstentziehern droht diesen menschenunwürdige Haft:
„Wie bereits von der SFH beschrieben, werden Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, inhaftiert und verurteilt. In Haft kommt es zu Folter und Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Auch Familienangehörige werden verhaftet oder von den syrischen Behörden unter Druck gesetzt. Männer, die von den Sicherheitsdiensten aufgegriffen werden, werden meistens vom militärischen Sicherheitsdienst oder dem Luftwaffen-Sicherheitsdienst verhaftet. Einige werden vor das Militärgericht al-Qaboun in Damaskus gestellt. Das Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) hat bei beiden Sicherheitsdiensten Fälle von Folter dokumentiert. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt. Viele Männer, die im Rahmen dieser Maßnahmen einberufen werden, erhalten eine nur sehr begrenzte militärische Ausbildung und werden zum Teil innerhalb nur weniger Tage an die Front geschickt. Es ist nach wie vor möglich, sich der Einberufung in den Militärdienst zu entziehen. Gemäß dem ISW verlangen Milizen der National Defense Force, die Checkpoints für die Regierung bewachen, bis zu 600.000 syrische Pfund (3.300 US-Dollar) von den Einberufenen, damit sie sich vom Militärdienst freikaufen können.“ (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4).
Die syrische Armee hat nach allgemeiner Erkenntnislage im Bürgerkrieg Kriegsverbrechen i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG begangen. Insoweit macht sich die Kammer wiederum die Ausführungen des VG Meiningen im Urteil vom 01.07.2016 (Az. 1 K 20205/16 Me - juris Rn. 31 ff. = InfAuslR 2016, 402) zu eigen, wonach aufgrund zahlreicher Berichte von Nichtregierungsorganisationen gesichert sei, dass das syrische Militär (u. a. in Rebellengebieten) willkürlich zivile Objekte angreife, Zivilisten außerhalb von Kampfhandlungen z. T. massenhaft töte, Vernichtungswaffen und geächtete Kriegswaffen (sog. Streu- bzw. Fassbomben, Clusterbombs) einsetze sowie mit Granatgeschossen, Brandbomben und ballistischen Raketen auf Wohngebiete und Krankenhäuser ziele. Diese Einschätzung entspricht dem - mit zahlreichen Beispielen untermauerten - Bericht der internationalen unabhängigen Untersuchungskommission zur Menschenrechtslage in Syrien vom 11.02.2016, Az. A/HRC/31/68, dessen (englischsprachiger) Zusammenfassung sinngemäß Folgendes zu entnehmen ist:
„Während der Krieg in das sechste Jahr eintritt, sind seine Schrecken allgegenwärtig und fortwährend präsent. Das Leben der syrischen Bevölkerung wurde verwüstet; sie erlebt die Zerstörung und Verwüstung ihres Landes. Im Zuge des verstärkten Konflikts bleiben Zivilisten die primären Opfer und sind oft Gegenstand bewusster Angriffe der kriegführenden Parteien. Ungeheuerliche Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts ereignen sich unvermindert, verschärft durch krasse Straflosigkeit…Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden weiterhin von Regierungskräften und vom islamischen Staat im Irak und von Al-Sham (ISIS) begangen. Kriegsverbrechen durch die Kriegführenden sind weit verbreitet…“
All dies schließt der Bericht aus folgenden, näher beschriebenen Umständen: Zerstörung ziviler Einrichtungen (Wohn- und Geschäftsgebäude, Schulen, öffentliche Anlagen/Einrichtungen, Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, Luftschläge gegen ausschließlich zivilgenutzte Gegenden mit zahlreichen zivilen Opfern), Belagerung und Aushungerung (mehrheitlich von oppositioneller Bevölkerung) bewohnter Gegenden, Verhinderung des humanitären Zugangs, ungezügelt erfolgende Kriegsverbrechen, wobei explizit auch dem syrischen Regime Derartiges zur Last gelegt wird.
Aus alledem schließt die Kammer, dass im Hinblick auf syrische Wehrdienstpflichtige eine Sachlage vorliegt, die eine Verfolgungshandlung i. S. d. Art. 9 Abs. 2 lit. e) QRL 2004/83/EG (dem § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG entspricht) begründet. Denn Wehrdienstpflichtige erfüllen alle Voraussetzungen, wie sie der EuGH in seiner Leitentscheidung zu § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG vom 26.2.2015 (Rs. C-472/13 - Shepherd - juris = NVwZ 2015, 575) aufgestellt/eingefordert hat. Insbesondere ist mit beachtlicher (hoher) Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Angehörige der syrischen Armee an Kriegsverbrechen i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG (jedenfalls mittelbar) beteiligt sind/wären.
Die Verweigerung des Militärdienstes knüpft auch an das Verfolgungsmerkmal der politischen Überzeugung i. S. d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 2 Nr. 5 AsylG an. Denn ein Regime, das den Krieg unter Verletzung humanitärer Rechtsregeln führt, sieht im Verweigerer einen Oppositionellen, so dass die ihm drohende Strafverfolgung oder sonstige Bestrafung Verfolgung darstellt (EuGH, C-175, 176, 178, 179/08, Slg. 2010, I-1532 = NVwZ 2010, 505 = AuAS 2010, 150 Rn. 70 – Abdullah; zitiert nach Marx, NVwZ 2015, 579, 582 [EuGH 02.03.2010 - Rs. C-175/08; C-176/08; C-178/08; C-179/08]; wie hier VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 - juris Rn. 119 mit Verweis auf VG Magdeburg, Urteil vom 12.10.2016 - 9 A 175/16 - juris; VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 - juris; schweiz. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.2015 - D-5553/2013 - a.a.O.: „Die politische Verfolgungstendenz ist hier darin zu sehen, dass zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern bezweckt wird und dass Verweigerer seitens des syrischen Regimes als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen menschenrechtswidrig behandelt werden.“).
Sofern das OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.12.2016 - 1 A 10922/16.OVG - n.v.) - hiervon abweichend - vertritt, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Konnexität/Gerichtetheit zwischen Verfolgungshandlung und Anknüpfungsmerkmal bestünde, weil von der Rekrutierung in die syrische Armee prinzipiell alle Männer unabhängig vom ethnischen oder religiösen Hintergrund betroffen seien und hinsichtlich der Wehrdienstpflichtigen nicht erkennbar sei, dass sich aus der Wehrdienstentziehung allein ein sog. Politmalus ergebe, folgt die erkennende Kammer dem explizit nicht. Denn die Kammer vermag keinen Unterschied zwischen Deserteuren, bzgl. derer wohl auch das OVG Rheinland-Pfalz eine Gerichtetheit i. S. d. § 3a Abs. 3 AsylG annehmen will, und (noch nicht desertierten) Wehrdienstpflichtigen/Rekruten zu erkennen. Letztere haben sich (ggü. ersteren) lediglich vor ihrer Einberufung bereits dem Wehrdienst entzogen. Dass das syrische Regime hierin ein Unterscheidungskriterium erblicken und Wehrdienstentzieher ggü. Deserteuren signifikant „besser“ (i. S. v. völkerrechtmäßiger) behandeln würde, ist den zitierten Erkenntnisquellen nicht zu entnehmen. Schließlich spricht auch nicht die massenhafte Desertion bzw. Wehrdienstentziehung gegen die Zuschreibung eines Anknüpfungsmerkmals. Vielmehr schlägt die Desertion bzw. Wehrdienstentziehung auf jeden einzelnen Betroffenen durch, denn - wie das OVG Rheinland-Pfalz selbst ausführt - besteht ein erhebliches Mobilisierungsinteresse der syrischen Armee, sodass ein Interesse gerade an jedem einzelnen Wehrdienstpflichtigen anzunehmen ist.“
Nach Ansicht der Kammer folgt aus den dargestellten Erkenntnismitteln zweierlei:
a) Zum einen besteht für Rückkehrer, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, die Gefahr, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG verfolgt zu werden. Bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien würden Wehrdienstverweigerer bei der zu erwartenden Rückkehrerbefragung bzw. einer beachtlich wahrscheinlichen anschließenden Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt sein. Denn die Entziehung von der Wehrpflicht wird von Seiten des syrischen Regimes als illoyal wahrgenommen und der Wehrdienstpflichtige gerät in Verdacht, eine illoyale, oppositionelle politische Einstellung zu vertreten (so auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 12.12.2016 - 21 B 16.30372 -, juris, Rn. 23 ff., insbesondere 72; vgl. auch VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris, Rn. 37 f., allerdings im Rahmen einer umfassenden Gesamtschau zusammen mit weiteren Risikofaktoren; VG Osnabrück, Urteil vom 05.12.2016 - 7 A 35/16 -, juris, Rn. 111 ff.; VG Lüneburg, Urteil vom 30.01.2017 - 4 A 231/16 -, juris, Rn. 27 ff.; VG Braunschweig, Urteil vom 08.02.2017 - 9 A 340/16 -, juris, Rn. 21 ff.). Dafür spricht auch, dass nach Überzeugung der Kammer, der Kläger zu 1) illegal aus Syrien ausgereist ist. Denn für alle männlichen Syrer im Alter von 18 und 42 Jahre besteht eine Ausreisegenehmigungspflicht, auch wenn - wie im Falle des Klägers zu 1) - der Wehrdienst bereits abgeleistet wurde (vgl. dazu neben den bereits in Bezug genommenen Erkenntnismitteln die undatierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts auf die Anfrage des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 28.09.2016, S. 2). Für die dargestellte Haltung der syrischen Regierung spricht auch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Assad, der in einer Rede im Juli 2015 erklärt hat, „Syrien sei für die, die es verteidigen“ (Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting syrian Regime and armed opposition, 23.08.2016, S. 7: „…the country is for those who protect it.“). Außerdem ergibt sich für eine Person, die sich dem Militär- bzw. Reservedienst entzogen hat, eine deutlich erhöhte Gefahr, als Oppositioneller eingestuft zu werden, daraus, dass die Mobilisierung der syrischen Armee gerade der Bekämpfung der („oppositionellen“) Rebellengruppen dient (so zu Recht VG Stade, Urteil vom 02.11.2016 - 10 A 2183/16 -, juris Rn. 38). Demgemäß führt der UNHCR in seinem aktuellsten „Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen“ unter anderem aus, dass insbesondere Wehrdienstverweigerern und Deserteuren der Streitkräften der Regierung eine asylrelevante Verfolgung drohe (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, S. 26).
Die Kammer ist außerdem der Überzeugung, dass bezüglich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft keine unterschiedliche Behandlung von erstmalig Wehrdienstpflichtigen und Reservisten angezeigt ist, die sich der Wehrpflicht entzogen haben. Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich in ausreichendem Maße, dass die dargestellte Gefahr gleichermaßen beiden Gruppen droht. Seitens des syrischen Regimes werden keine Unterschiede gemacht. Dies wird auch durch neuste Erkenntnismittel bestätigt. So heißt es in der Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof von Januar 2017, es komme auch nach Verrichtung des Wehrdienstes seit Anfang 2011 dazu, dass männliche Staatsangehörige bis zu einem Alter von 42 erneut eingezogen würden (Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof, dort eingegangen am 01.02.2017, Frage 3). Im Rahmen der vorliegenden Prüfung eines Nachfluchtgrundes spielt es zudem keine Rolle, ob der Kläger zu 1) bereits einen Einberufungsbescheid erhalten hat. Denn im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien würden Rekrutierungen nach der dargestellten Erkenntnislage auch außerhalb eines formalen Einberufungsverfahrens und u.a. auch an der Grenze oder Checkpoints vorgenommen werden (vgl. neben den oben angegebenen Erkenntnismitteln in diesem Zusammenhang auch Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting syrian Regime and armed opposition, 23.08.2016, S. 6 f.).
Der sechsunddreißig Jahre alte Kläger zu 1) hat nach eigenen Angaben seinen Wehrdienst von 1999 bis 2002 als einfacher Soldat abgeleistet (Bl. 102 d. Beiakte 006, aaO.) und gehört damit aus Sicht des syrischen Staates zu der Gruppe der Reservisten, deren Heranziehung zum Kriegsdienst nach den dargestellten Erkenntnismitteln konkret in Betracht kommt. Dies setzt ihn wegen seiner illegalen Ausreise und dem Verdacht der Kriegsdienstentziehung in besonderer Weise dem Risiko aus, im Fall seiner Rückkehr als (potentieller) Gegner des syrischen Regimes angesehen zu werden. Bei der zusammenfassenden Würdigung überwiegen die für eine Verfolgung sprechenden Umstände. Aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Klägers zu 1) ist nach Abwägung aller bekannten Umstände und unter Berücksichtigung der Schwere des befürchteten Eingriffs (Misshandlung, Folter, „Verschwindenlassen“ oder gar Tötung) eine Rückkehr in das Herkunftsland für den Kläger zu 1) auch unter diesem Gesichtspunkt unzumutbar.
b) Zum anderen ist ausgehend von den dargestellten Erkenntnismitteln hinsichtlich des Klägers zu 1) zudem von einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 AsylG auszugehen. Denn wenn es im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr nicht zu der soeben dargestellten menschenrechtswidrigen Behandlung des Klägers zu 1), insbesondere Folter, kommen sollte, so ist es doch jedenfalls beachtlich wahrscheinlich, dass er im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i. V. m. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG Bestrafung oder Strafverfolgung wegen Verweigerung einer Einberufung in die syrischen Streitkräfte zu befürchten hätte (vgl. dazu VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -, juris, Rn. 117 ff.; Urteil vom 24.01.2017 - A 4 K 5434/16 -, juris, Rn. 71 ff.). Die strafbewehrte Wehrpflicht eines Staates begründet zwar nicht ohne weiteres Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG (vgl. zur Asylerheblichkeit der Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung BVerfG, Urteil vom 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -, juris, Rn. 51 ff.; BVerwG, Urteil vom 31.03.1981 - C 6.80 -, juris, Rn. 12 ff.), jedoch gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG dann, wenn der Militärdienst in einem Konflikt abgeleistet werden müsste und Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen. Dabei genügt für die Annahme einer Verfolgungshandlung im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 5 AsylG die konkrete Gefahr der Rekrutierung in eine Armee, aus deren Reihen heraus mit Wissen und Billigung der militärischen Führung Kriegsverbrechen begangen werden (vgl. dazu VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, juris, Rn. 30 sowie - nochmals - VG Sigmaringen, Urteil vom 31.01.2017 - A 3 K 4482/16 -, juris, Rn. 114, 137). Im vorliegenden Fall liegt eine „begründete Furcht vor Verfolgung“ im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG aufgrund der syrischen Wehrpflicht vor, da die Kammer anhand der dargestellten und derzeit verfügbaren Erkenntnismittel sowie der darin beschriebenen Geschehnisse in Syrien davon überzeugt ist, dass der Kläger zu 1) - als sechsunddreißig Jahre alter Reservist - im Falle seiner beachtlich wahrscheinlichen Einberufung in die syrische arabische Armee zur Erfüllung seiner Wehrpflicht als Reservist im Falle der Verweigerung von Befehlen, deren Befolgung (zumindest mittelbar) Verbrechen im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 1 AsylG darstellen würde, Strafen oder Bestrafungen durch den syrischen Staat besorgen müsste (so auch VG Sigmaringen, Urteil vom 24.01.2017 - A 4 K 5434/16 -, juris, Rn. 71).
3. Auch den minderjährigen Klägern zu 3), 4) und 5) droht bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne der Ausführungen zur sog. „Rückkehrerverfolgung“, weshalb sie nicht auf die Inanspruchnahme von Familienflüchtlingsschutz nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung ihrer Eltern gemäß § 26 Abs. 2 und 5 AsylG zu verweisen sind.
Zur eigenständigen Begründung der Verfolgungsfurcht minderjähriger Kinder hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen (Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1495/16 -, juris, Rn. 116-120) in diesem Zusammenhang ausgeführt:
„Zur Überzeugung der Kammer sind mit ihren Eltern in das westeuropäische Ausland ausgereiste Kinder im (hypothetischen) Fall einer Rückkehr gleichermaßen gefährdet. Dem U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria) zufolge ist auch weiterhin eine beträchtliche Anzahl von Berichten über außerordentlich brutale Fälle des Missbrauchs von Kindern seitens der syrischen Regierung zu verzeichnen (S. 8, 47); regelmäßig würden Ingewahrsamnahmen und Folterungen von Kindern unter 13 Jahren - in einigen Fällen bei Elfjährigen - geschildert. Dabei würden sie gezielt wegen ihrer tatsächlichen oder nur vermuteten familiären Beziehungen zu Dissidenten, Mitgliedern der Freien Syrischen Armee oder Aktivistengruppen gefoltert. Ihnen gegenüber würden die gleichen Methoden wie bei Erwachsenen angewendet. Über sie sollte z.T. Druck auf ihre Eltern ausgeübt werden. Auch das Immigration and Refugee Board of Canada (Bericht vom 19.01.2016, a.a.O.) berichtet beispielsweise davon, dass bei Einreisen über Grenzkontrollpunkte überprüft werde, ob Familienangehörige des Einreisenden gesucht seien; für diesen Fall komme es zu Ingewahrsamnahmen und „Verschwindens“-Fällen, um Druck auf die Gesuchten auszuüben, was die sippenhaftähnlichen Verhältnisse vor Ort illustriert. Auch die Schnellrecherche der SFH vom 10.09.2015 mit dem Titel „Reflexverfolgung“ fasst Erkenntnisse zusammen, denen zufolge Personen vielfach aufgrund ihrer familiären Zugehörigkeit Opfer zielgerichteter Verfolgung wurden; Familienangehörige würden verhaftet und gefoltert, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen. Auch Kinder sollen von derartigen Maßnahmen betroffen gewesen sein, Frauen würden auch zur gezielten Demütigung ihrer männlichen Verwandten gefangen genommen. Das so umrissene Vorgehen werde weiterhin systematisch angewandt. Der UNHCR stellt in seinen bereits zitierten Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01, S. 12, 15), heraus, dass eine Besonderheit des Konflikts in Syrien gerade in dem Umstand bestehe, dass oftmals größeren Personengruppen eine politische Meinung schlicht undifferenziert unterstellt werde; Kinder seien nicht nur massiv von den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land betroffen, sondern würden auch vielfach festgenommen, entführt, gefoltert oder Opfer sexueller Gewalt (S. 15). Mit Blick auf die bereits mehrfach betonte Rücksichtslosigkeit des Vorgehens des syrischen Regimes, das selbst Kliniken unter Beschuss nimmt, hält es die Kammer vor diesem Hintergrund auch für beachtlich wahrscheinlich, dass Kinder bei einer Rückkehr nach Syrien am Flughafen oder an anderen Grenzkontrollpunkten entweder selbst einer mit Verfolgungshandlungen verbundenen Befragung unterzogen werden oder aber bei der Befragung ihrer Eltern in menschenrechtswidriger Weise instrumentalisiert und ggf. gefoltert werden, um Druck auf ihre Verwandten auszuüben.
Die vorstehenden Erwägungen gelten gleichermaßen für den derzeit 16-jährigen männlichen Kläger zu 4), der bereits ein Alter erreicht hat, das womöglich sogar die Mobilisierung für Kampfhandlungen erwarten ließe. In diesem Alter kann ihm seitens des syrischen Regimes auch bereits die Bildung einer politischen Überzeugung zugeschrieben werden, sodass ihm persönlich die illegale Ausreise und der längere Aufenthalt in Deutschland als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung angelastet werden kann.
Auch für den derzeit 12-jährigen männlichen Kläger zu 5) hält die Kammer eine individuelle Verfolgungsfurcht nach den vorstehenden Ausführungen für begründet, auch wenn er selbst noch nicht mit dem Begehren der Teilnahme an Kampfhandlungen oder Militärdiensten konfrontiert werden dürfte. Immerhin befindet auch er sich in einem Alter, in dem Jugendliche schon eine gewisse eigenständige geistige Reife aufweisen können; sein männliches Geschlecht dürfte ihn dabei in gesteigertem Maße vulnerabel für Verfolgungshandlungen der syrischen Sicherheitskräfte machen.
Letztlich ist die Kammer ebenso der Überzeugung, dass auch der fünfjährigen Klägerin zu 6) mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die in ihrem Fall - wie im Übrigen auch ohnehin bei ihren Geschwistern - daran ansetzen würden, über Misshandlungen ihrer Person Druck auf ihre Eltern ausüben zu können. Dabei ist in ihrem Fall nicht maßgeblich, dass sie wegen ihres Alters noch nicht in der Lage ist, sich eine politische Überzeugung zu bilden (so aber beispielhaft etwa VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -, Juris; VG Magdeburg, Urteil vom 18.10.2016 - 9 A 464/16 MD -, Juris).
All diese Verfolgungshandlungen gegenüber den Klägern zu 4) bis 6) würden wegen des Bezugsrahmens zu ihren Eltern nämlich auch die erforderliche Asylrelevanz aufweisen. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge (vgl. Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) kann eine politische Verfolgung bereits dann zu bejahen sein, wenn der Betroffene nicht einmal nach der Überzeugung des Verfolgers Träger oder Inhaber des asylerheblichen Merkmals ist, er aber etwa als Mittel zur Verfolgung dritter Personen eingesetzt wird. Es reicht, wenn er lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dies wäre hier der Fall.“
Auch diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an und macht sie sich zu Eigen. In Anbetracht der nach Lage der Dinge gebotenen Einschätzung des syrischen Regimes droht nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch Kindern Verfolgung seitens des syrischen Regimes. Die Gefahr von Repressionen erstreckt sich allein aufgrund der Flucht, Auslandsaufenthalts und Asylantragsstellung im westlichen Ausland auf sämtliche Rückkehrer gleich welchen Alters im Sinne einer Art „Sippenhaft“. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Gewalthandlungen gegenüber Minderjährigen und der sog. „carte blanche“-Ermächtigung ist nicht nur mit Repressionen gegen Rückkehrer zu rechnen, von denen theoretisch eine Gefahr ausgehen könnte. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich Repressionen unmittelbar gegen minderjährige Kinder richten und/oder diese zum Druckmittel gegenüber ihren Eltern verobjektiviert werden (so auch - neben dem VG Sigmaringen, Urteil vom 23.11.2016 - A 5 K 1495/16 - juris - VG Osnabrück, Urteil vom 13.01.2017 - 7 A 167/17 -, juris, Rn. 46; VG Sigmaringen, Urteil vom 24.01.2017 - A 4 K 5434/16 -, juris, Rn. 69; VG Oldenburg, Urteil vom 20.01.2017 - 2 A 6163/16 -, juris, Rn. 25). Dies wird nochmals durch aktuelle Erkenntnismittel bestätigt. So fasst die Schweizerische Flüchtlingshilfe in einer erneuten - aktualisierten - Schnellrecherche neuere Erkenntnismittel zur Reflexverfolgung wie folgt zusammen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.01.2017 zu Syrien: Reflexverfolgung, S. 1 f.):
„Reflexverfolgung durch verschiedene Konfliktparteien findet weiterhin statt. Sowohl das Assad-Regime wie auch andere Konfliktparteien wandten und wenden dieses Vorgehen weiterhin systematisch an, wie aus verschiedenen aktuellen Publikationen hervorgeht.
In den jüngsten Erwägungen von United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) zum Schutz für Personen aus Syrien (November 2015) wird darauf hingewiesen, dass eine ganze Reihe von Bürgerkriegsparteien (z.B. Armee, regierungsfreundliche Milizen, regierungsfeindliche Gruppierungen, sowie ISIS) diese Strategie verfolgen. So werden ganze Familien, Stämme, religiöse und ethnische Gruppen, sowie Städte und Dörfer zum Ziel von Vergeltungsaktionen. Der UNHCR- Bericht hält explizit fest, dass die Dynamik der Reflexverfolgung eine ganz entscheidende Charakteristik des anhaltenden syrischen Konflikts darstellt. Betroffen sind demnach beispielsweise Familienangehörige von mutmaßlichen Protestierenden, Aktivistinnen und Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien und bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen, Dienstverweigerern und Überläufern. Laut UNHCR sind Fälle bekannt, in denen es durch Reflexverfolgung zu willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Folter und anderen Misshandlungen, sexueller Gewalt, sowie standrechtlichen Hinrichtungen kam.
Reflexverfolgung durch das syrische Regime. Der Bericht von Human Rights Watch zur Menschenrechtssituation in Syrien vom 29. Januar 2015 weist ebenfalls darauf hin, dass die syrischen Sicherheitskräfte Familienangehörige von gesuchten Personen festnehmen, um diese dazu zu bewegen, sich den Behörden auszuliefern. Auch Kinder seien von diesen Maßnahmen betroffen. Die Untersuchungskommission des UNO Menschenrechtsrates zu Syrien bestätigt diese Aussagen in ihrem Bericht vom 11. August 2016.
Der Finnish Immigration Service (FIS) beschreibt in seinem Bericht vom 23. August 2016 die Konsequenzen die eine Desertion oder Wehrdienstverweigerung auf Familienangehörige haben kann. Demnach werden oftmals männliche, teilweise aber auch weibliche Familienmitglieder inhaftiert bis der Deserteur zum Dienst zurückkehrt. Zudem wird durch Plünderung des Besitzes oder Ausschluss aus der Gemeinschaft massiver Druck auf die Familie ausgeübt damit sie den Aufenthaltsort des Flüchtigen bekannt gibt. Männliche Verwandte werden dabei teilweise anstelle des Deserteurs in den Militär oder Reservedienst einberufen. Im Falle dass ein ziviler Angestellter des Militärs aus dem Dienst ausscheidet, können seiner Familie laut FIS die gleichen Konsequenzen drohen.“
Die Kammer ist unter Berücksichtigung aller ausgewerteten Erkenntnismittel davon überzeugt, dass Repressionen - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - auch den achtjährigen Kläger zu 3) sowie die siebenjährigen Kläger zu 4) und 5) als nahe Angehörige der Kläger zu 1) und 2) dergestalt treffen können, dass auch ihnen - abgeleitet von den Klägern zu 1) und 2) - eine Stellung als „Verräter“ zugerechnet wird und/oder sie insbesondere zum Druckmittel gegenüber den Klägern zu 1) und 2) genutzt werden könnten.
4. Gleiches gilt in Anbetracht der soeben dargestellten Erkenntnismittel zur Reflexverfolgung nach Überzeugung der Kammer nicht nur in Bezug auf die sog. „allgemeine Rückkehrerverfolgung“ (siehe dazu II. 1.), sondern auch in Bezug auf die Wehrdienstentziehung des Klägers zu 1) (siehe dazu II. 2.). Die Kammer ist davon überzeugt, dass Repressionen - mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - aufgrund der Wehrdienstentzug (samt illegaler Ausreise) auch die Kläger zu 2) - 5) als nahe Angehörige des Klägers zu 1) dergestalt treffen können, dass auch ihnen - abgeleitet vom Kläger zu 1) - eine Stellung als „Verräter“ zugerechnet wird und/oder sie zum Druckmittel gegenüber dem Kläger zu 1) objektiviert werden (vgl. dazu auch VG Sigmaringen, Urteil vom 24.01.2017 - A 4 K 5434/16 -, juris, Rn. 86). Sonach ist es auch in Zusammenhang mit dem syrischen Wehrdienst den Klägern zu 2) - 5) nicht zumutbar, erst im Wege des Familienflüchtlingsschutzes ein humanitäres Aufenthaltsrecht vom Kläger zu 1) abzuleiten.
5. Nicht gefahrerhöhend zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Kläger aus T. stammen und von dort geflohen sind. Zwar kam es dort Ende August 2016 zu schweren kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen kurdischen YPG-Milizen und Regierungstruppen (http://www.handelsblatt.com/politik/international/syrischer-buergerkrieg-kurden-miliz-startet-grossangriff-in-hasaka/14437762.html), jedoch ist nicht ersichtlich, wie dies zu einer Gefahrerhöhung bei der hier allein relevanten Einreise über einen internationalen Flughafen (insbesondere Damaskus) oder offizielle Grenzstationen führen soll, die sämtlich vom syrischen Regime kontrolliert werden. Wegen der arabischen Volkszugehörigkeit der Kläger wird das syrische Regime keine Anhaltspunkte dafür haben, eine Regimegegnerschaft wegen der Herkunft aus T. anzunehmen.
6. Eine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG ist nicht eröffnet, da die Verfolgungsgefahr bereits unmittelbar bei der Einreise nach Syrien gegeben ist. Denn die internationalen Flughäfen (insbesondere Damaskus) sowie offizielle Grenzstationen stehen als einzig mögliche Ziele einer zwangsweisen Rückführung nach Syrien unverändert unter der Kontrolle der Regierungskräfte (vgl. auch VG Trier, Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, juris, Rn. 84). Darüber hinaus folgt bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i. V. m. § 3e AsylG, dass von den Klägern vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Anhaltspunkte dafür, dass interner Schutz zwar nicht hinsichtlich der Gefährdungen nach § 4 AsylG, jedoch für Gefährdungen nach § 3 AsylG vorliegt, sind nicht erkennbar (ebenso VG Oldenburg, Urteil vom 4.1.2017 - 2 A 5738/16 -, juris, Rn. 31; VG Lüneburg, Urteil vom 30.01.2017 - 4 A 231/16 -, juris, Rn. 44 m.w.N.). Außerdem sind derzeit weder Gebiete bekannt, in welchen eine sichere Zuflucht ohne das Risiko von Luftangriffen besteht (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03.02.2016), noch Zonen, in denen die Möglichkeit besteht, sich dem Militärdienst zu entziehen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf vom 02.01.2017, Az. 508-9-516.80/48808; VG Freiburg, Urteil vom 01.02.2017 - A 4 K 2903/16 -, juris, Rn. 46 f.). In dieser aktuellen Einschätzung geht auch das Auswärtige Amt daher (sinngemäß) davon aus, dass eine inländische Fluchtalternative nicht besteht (vgl. Auskunft an das VG Düsseldorf vom 01.02.2017, Az. 508-9-516.80/48808: „Grundsätzlich sind weite Teile Syriens von teils hochintensiven Kampfhandlungen betroffen. Gefechtsfelder verlagern sich, so dass nicht mit absoluter Gewissheit vorausgesagt werden kann, wie sich die Lage in bestimmten Landstrichen weiter entwickelt. Sichere Rückzugsgebiete gibt es nicht.“). Aber selbst wenn man annähme, es gäbe dennoch Gebiete innerhalb Syriens, die als zumutbare Fluchtalternative dienen könnten, lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass die Kläger ein solches Gebiet in zumutbarer Weise und sicher erreichen könnten. Auch wenn man davon ausginge, die Kläger könnten die Grenzen Syriens unentdeckt überqueren, so ist es doch beachtlich wahrscheinlich, dass sie an einem der vielen vom syrischen Regime errichteten Checkpoints aufgegriffen würden (vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 30.01.2017 - 4 A 231/16 -, juris, Rn. 44; VG Freiburg, Urteil vom 01.02.2017 - A 4 K 2903/16 -, juris, Rn. 46).