Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 04.01.2017, Az.: 2 A 5738/16

Flüchtlingsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
04.01.2017
Aktenzeichen
2 A 5738/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53795
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die andauernden militärischen Auseinandersetzungen in Syrien stehen der Annahme entgegen, die syrischen Sicherheitsbehörden gingen derzeit davon aus, Rückkehrer seien nur wegen dieser Auseinandersetzungen geflohen.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Oktober 2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger, geboren 2001, ist syrischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung gab er zur Begründung u.a. an: Er sei ausgereist, weil es dort, wo sie gewohnt hätten, viele Gefechte gegeben habe. Er wolle nun seine Eltern hierher holen. Anderthalb Monate nach seiner Ausreise sei das Haus der Familie zur Ruine geworden. Seine Eltern seien dann auch weggegangen. Sie seien nun in Griechenland und der Zustand dort sei unmenschlich.

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2016 erkannte die Beklagte dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Antrag im Übrigen ab.

Am 31. Oktober 2016 hat der Kläger Klage erhoben.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheides vom 19. Oktober 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges sowie der bei der Kammer geführten Erkenntnismittel zu Syrien Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die nach Übertragungsbeschluss der Kammer der Einzelrichter und im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG liegen vor.

Die Flüchtlingseigenschaft ist zuzuerkennen, da sich der Kläger nach der Überzeugung des Gerichts aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch den syrischen Staat wegen seiner vermuteten politischen Überzeugung außerhalb Syriens befindet, § 3 Abs. 1, 4 AsylG. Es kann dahinstehen, ob er Syrien wegen Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift verlassen hat; es droht ihm jedenfalls bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine solche.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).

Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn eine interne Schutzmöglichkeit besteht, vgl. § 3e AsylG.

Unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob er diese Merkmale tatsächlich aufweist. Vielmehr reicht es aus, wenn ihm diese von seinem Verfolger zugeschrieben werden, § 3b Abs. 2 AsylG. Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt auch bei einer erlittenen Vorverfolgung der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG vom 1.Juni 2011 - 10 C 25.10 - juris, Rn. 22).

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden, vgl. § 3b Abs. 2 AsylG. Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nur derjenige beanspruchen, der politische Verfolgung bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat. Eine Verfolgungsgefahr für einen nicht verfolgt Ausgereisten und damit dessen begründete Furcht vor Verfolgung liegt vor, wenn ihm bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren.(BVerwG, Urteil vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 - juris, Rn. 37).

Gemessen an diesen Kriterien liegen die Voraussetzungen des § 3 AsylG hier vor. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der Asylantragstellung und des Aufenthalts im westlichen Ausland begründet ist.

Das Gericht schließt sich in dieser Frage der Rechtsprechung u.a. des Verwaltungsgerichts Regensburg (Urteile vom 6. Juli 2016 - RN 11 K 16.30889 - juris), des Verwaltungsgerichts Köln (Urteil vom 25. August 2016 - 20 K 6664/15.A - juris, Rn. 17-33, vom 25. Oktober 2016 - 20 K 2890/16.A - juris, und vom 6. Dezember 2016 - 20 K 4917/16.A - juris), des Verwaltungsgerichts Trier (Urteil vom 7. Oktober 2016 - 1 K 5093/16.TR), des Verwaltungsgerichts Schleswig (Gerichtsbescheid vom 22. September 2016 - 12 A 232/16 - juris), des Verwaltungsgerichts Münster (Urteil vom 13. Oktober 2016 - 8 K 2127/16.A - juris), des Verwaltungsgerichts München (Urteil vom 25. Oktober 2016 - M 13 K 16.322208), des Verwaltungsgerichts des Saarlandes (Urteil vom 11. November 2016 - 3 K 583/16 - juris), des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (Urteil vom 23. November 2016 - A 5 K 1495/16 - juris, Rn 13 - 114), des Verwaltungsgerichts Osnabrück (Urteil vom 5. Dezember 2016 - 7 A 35/16 - juris) und des Verwaltungsgerichts Freiburg (Urteil vom 13. Dezember 2016 - A 5 K 2096/16 - juris) an und macht sich die detaillierten Begründungen dieser Urteile, gestützt auf die dabei angegebenen Erkenntnismittel, in vollem Umfang zu Eigen.

In diesen Entscheidungen wurde die vorherige Entscheidungspraxis der Beklagten sowie die entsprechende Rechtsprechung fortgesetzt, wonach der syrische Staat das Stellen eines Asylantrages im Zusammenhang mit einer (illegalen) Ausreise und dem Aufenthalt im westlichen Ausland ungeachtet einer tatsächlichen oppositionellen Haltung als Ausdruck einer regimefeindlichen Gesinnung auffasst mit der Folge, dass den Rückkehrern bei der obligatorischen Befragung durch Sicherheitskräfte mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter in Anknüpfung an diese, ggf. nur unterstellte politische Gesinnung droht. Unter intensiver Auseinandersetzung mit neueren Erkenntnismitteln, insbesondere der Botschaft Beirut (Auskunft vom 3. Februar 2016), des UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, Stand November 2015), des UN-Menschenrechtsrats (Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic" vom 11. Februar 2016; Bericht vom 03. Februar 2016 " Out of Sight, Out of Mind: Deaths in Detention in the Syrian Arab Republic”) und von amnesty international (Amnesty Report 2016), kommen die genannten Gerichte zu dem Ergebnis, dass die vormalige Entscheidungspraxis auch unter den gegenwärtigen Bedingungen aufrecht erhalten bleibt. Dem folgt das entscheidende Gericht. Denn zusammenfassend lassen sich auch den jüngeren Erkenntnismitteln keine Anhaltspunkte entnehmen, aus denen ersichtlich werden könnte, dass sich die Lage für Rückkehrer nach Syrien in letzter Zeit im Unterschied zu der vorher bestehenden Situation verbessert haben könnte.

Der entgegenstehenden Ansicht des OVG Münster, vertreten bereits in den Vorjahren, folgt das Gericht nicht. Danach droht zwar rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung von Foltermethoden, was zur Bejahung eines entsprechenden Abschiebungsverbotes führt (Urteil vom 14. Februar 2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rn. 36ff). Diesem Personenkreis gegenüber bestehe aber keine Veranlassung zu politischer Verfolgung, da den Sicherheitskräften Syriens bekannt sei, dass die illegale Ausreise und Asylantragstellung im Regelfall wirtschaftlich motiviert sei (Beschluss vom 5. Januar 2012 - 14 A 2484/11.A - juris - Rn. 7) bzw. es lebensfremd sei anzunehmen, dass der syrische Staat Veranlassung und Ressourcen hätte, alle zurückgeführten Asylbewerber ohne erkennbaren Grund aus politischen Gründen zu verfolgen (Beschluss vom 27. Juni 2013 - 14 A 1517/13.A - juris, Rn. 11) bzw. es an der Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal fehle, wenn lediglich für jeden Asylbewerber die beachtliche Wahrscheinlichkeit bestehe, bei seiner Rückkehr routinemäßig auch unter Einsatz der Folter befragt zu werden (Beschluss vom 13. Februar 2014 - 14 A 215/14.A - juris, Rn. 19) bzw. die Annahme lebensfremd sei, dass ein Rückkehrer vom syrischen Staat unterschiedslos der Gegenseite oder einer anderen Person, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist, zugerechnet werde, da auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass die übergroße Zahl der Asylbewerber vor dem Bürgerkrieg und nicht vor politischer Verfolgung fliehe (Beschluss vom 6. Oktober 2016 - 14 A 1852/16.A - juris Rn. 18). Mit dieser Argumentation hat sich bereits der VGH Baden-Württemberg mit Beschluss vom 29. Oktober 2013 (Az. A 11 S 2046/13, juris) grundsätzlich und überzeugend auseinandergesetzt, indem ausgeführt wird:

„Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772 [BVerfG 08.01.1990 - 2 BvR 933/90], vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 [BSG 28.08.1991 - 13/5 RJ 26/90] <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.“

Das Gericht schließt sich diesen Ausführungen vollumfänglich an und folgt damit auch nicht der an die Rechtsprechung des OVG Münster anknüpfenden Argumentation des OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16. Dezember 2016 - 1 A 10922/16 - juris).

Zudem ist zu berücksichtigen, dass gem. § 77 Abs. 1 AsylG die Sachlage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend ist, Auch nach materiellem Recht ist allein maßgeblich die zum Zeitpunkt einer Rückkehr bestehende Verfolgungssituation, die für den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in den Blick zu nehmen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2006 - 1 B 175/06 - juris, Rn 4). Derzeit ist aber von einer Sachlage auszugehen, die Anhaltspunkte für eine Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen nicht erkennen lässt. Bereits aus diesem Grund kann zum einen nicht damit gerechnet werden, dass in absehbarer Zukunft Rückkehrer in größeren Mengen nach Syrien zurückkommen (so auch VG Meiningen, Urteil vom 2. August 2016 - 1 K 20218/16 Me - V.n.b. UA S. 16f). Zudem wird eine Rückkehr syrischer Staatsangehöriger zum jetzigen Zeitpunkt in der Regel nicht erfolgen, weil ihnen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wird. Zum anderen ist es vor diesem Hintergrund nicht vorstellbar, dass die syrischen Sicherheitsbehörden davon ausgehen könnten, derzeit aus Europa zurückkehrende Flüchtlinge kehrten deshalb zurück, weil sie (nur) vom Bürgerkrieg geflohen seien, obwohl dieser weiterhin anhält bzw. sich durch die Bombardierung von Großstädten wie Homs und Aleppo sogar verstärkt hat, unterbrochen bislang nur von nur zeitlich begrenzten Zeiten der Waffenruhe. Der hier zu treffenden Prognose ist aber allein die derzeit vorliegende Sachlage zu Grunde zu legen und nicht eine von den aktuellen konkreten Umständen abstrahierende Mutmaßung, die vorläge, wenn außer Betracht bliebe, dass die Lage in Syrien weiterhin und wohl auch noch auf unabsehbare Zeit von militärischen Auseinandersetzungen geprägt ist. Es greift deshalb zu kurz, nur auf die massenhafte Ausreise seit Beginn des Bürgerkrieges abzustellen, um jetzt für die Flüchtlingsanerkennung zu fordern, dass individuelle Gründe hinzutreten müssten. Dies gilt jedenfalls solange, bis Anhaltspunkte bzw. Referenzfälle dafür vorliegen, dass sich die - derzeit nur vereinzelten - Rückkehrer nur noch abhängig von den Gründen für ihre Flucht bzw. ihre Rückkehr dem Vorwurf regimefeindlicher Betätigung im Ausland ausgesetzt sehen. Den vom Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht hierzu eingeholten Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 7. November 2016 und des Deutschen Orient-Institutes vom November 2016 lassen sich Anhaltspunkte dafür nicht entnehmen. Es wird derzeit auch kaum möglich sein, zu dieser Frage valide Daten zu erhalten, da zum einen - wie bereits ausgeführt - die Zahl der Rückkehrer gering ist, es zudem aber auch niemanden geben dürfte, der hinreichend nachprüfbare und hinreichend objektive Erkenntnisse dazu erlangen könnte, was mit diesen Rückkehrern bei einem Grenzübertritt geschieht. Abzustellen ist folglich auf eine Gesamtschau der sich aus den vorhandenen Erkenntnismitteln ergebenden Situation, hier maßgeblich darauf beruhend, dass bislang annähernd einheitlich, auch in der Entscheidungspraxis des BAMF, angenommen worden ist, dass bei der Rückkehr des hier relevanten Personenkreises (Asylantragstellung im westlichen Ausland) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen politischer Verfolgung drohen, hinreichende Erkenntnisse dafür, dass, wann und warum dies sich geändert haben soll, aber nicht vorliegen.

Aus diesen Gründen folgt das Gericht auch nicht den Ausführungen des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht, wonach allein die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen Regime darstellten, weil angesichts der erheblichen Zahl der insbesondere im vergangenen Jahr aus Syrien ausgereisten Menschen auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte, dass die weit überwiegende Anzahl der Flüchtenden aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben (Urteil vom 23. November 2016 - 3 LB 17/16 - juris; ebenso VG Minden, Urteil vom 22. Dezember 2016 - 1 K 5137/16.A - juris). Auf diese Umstände kommt es - wie oben dargelegt - hinsichtlich der zu treffenden Gefährdungsprognose nicht an, sondern darauf, welchen Umständen derzeit Zurückkehrende ausgesetzt wären.

Insofern kann zur Begründung der geänderten Entscheidungspraxis der Beklagten auch nicht auf eine neue Passpraxis Syriens abgestellt werden, die im Jahr 2015 zur Ausstellung von mehr als 800.000 Pässen geführt haben soll (vgl. VG Köln, Urteil vom 25. August 2016 - 20 K 6664/15.A - juris, Rn. 24). Denn auch insofern wird nicht die spezifische Situation eines vormalig Ausgereisten, der in Europa Asyl beantragt hat und nunmehr nach Syrien zurückkehrt, im Rahmen der anzustellenden Prognose in den Blick genommen, sondern auf Umstände abgestellt, die möglicherweise die Ausreise erleichtert haben können, denen für die Beurteilung der Situation im Fall der derzeitigen Rückkehr aber keine Aussagekraft zukommt.

Unabhängig hiervon schließt sich das Gericht auch insofern der Ansicht des VG Köln an, das in der zitierten Entscheidung vom 25. Oktober 2016 hierzu weiter ausführt:

„Abgesehen davon, dass es sich bei vielen dieser Pässe um im Ausland ausgestellte Proxy-Pässe handeln dürfte und die Motive für die geänderte Passpraxis nicht zuletzt in finanziellen Erwägungen liegen, ist nach Auffassung des Gerichts irgendein Zusammenhang zwischen syrischer Passpraxis und Rückkehrgefährdung ohnehin nicht gegeben und rein spekulativ. Angesichts der ungebremsten Eskalation der politischen und militärischen Auseinandersetzungen in Syrien ist für das Gericht auch nicht im Ansatz erkennbar, dass das Informations- und Verfolgungsinteresse des um seinen Machterhalt kämpfenden syrischen Regimes an Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nachgelassen haben könnte. Das Gegenteil ist anzunehmen.

Die vorstehende Auffassung wird zur Überzeugung des Gerichts durch die jüngste

Stellungnahme des Bundesamtes 16.September 2016 an das Verwaltungsgericht des Saarlands (VG Saarland 3 K 368/16) in vollem Umfang bestätigt. Aus den dort wiedergegebenen Originalquellen betreffend die umfangreiche Ausstellung syrischer Pässe lassen sich keinerlei Rückschlüsse auf ein nachlassendes Verfolgungsinteresse des syrischen Regimes ziehen. Nach dem in der Stellungnahme ebenfalls gekürzt wiedergegebenen Interview des syrischen Staatschefs mit einem tschechischen Fernsehsender hat dieser neben der Auffassung, dass es sich bei der Mehrheit der syrischen Flüchtlinge um "gute Syrer und Patrioten" handele auch darauf hingewiesen, dass es "natürliche eine Unterwanderung durch Terroristen" gebe. Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass die Befragungspraxis bei Rückkehrern in der Vorstellung des Regimes gerade auch der Herausfilterung dieser Personen gilt, so dass dieses Interview sicher nicht die Änderung der Entscheidungspraxis der Beklagten begründen kann. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass derartige öffentliche Äußerungen von Staatschefs von Verfolgerländern ohnehin keine relevante Aussagekraft hinsichtlich einer Verfolgungsgefahr haben. Die vom Bundesamt schließlich wiedergegebene Antwort der Botschaft Beirut auf eine entsprechende Informationsbitte ist ebenfalls nicht ergiebig, um die Änderung der Entscheidungspraxis begründen zu können. Dies gilt schon deshalb, weil die Antwort nicht nur auf eingeschränkt verfügbaren Erkenntnissen beruht, die im Einzelnen nicht einmal konkretisiert werden, sondern vor allem auch deshalb, weil die Botschaft selbst keinerlei Gewähr "für die Vollständigkeit, Korrektheit bzw. die über einen längeren Zeitraum gegebene Verlässlichkeit" übernimmt. Umso bemerkenswerter ist es, dass trotz dieser eingeschränkt verfügbaren Erkenntnisse der Botschaft immerhin Fälle bekannt sind, "bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind" und dies lediglich "überwiegend" in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder in Zusammen mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Diese Angaben sind besonders bemerkenswert, weil es in den vergangenen Jahren zumindest aus dem westlichen Ausland nahezu keine Rückschiebungen nach Syrien mehr gegeben hat. Wenn der Botschaft Beirut also dennoch Fälle bekannt geworden sind und zwar bis hin zu Fällen von Verschwindenlassen, zeugt dies von einer Steigerung der Gefährdungslage und gewiss nicht von einem Nachlassen des Verfolgungsinteresses des Regimes.

Das andauernde uferlose Verfolgungsinteresse des syrischen Regimes wird auch durch jüngste Berichte über Todesfälle und Folterungen in syrischen Gefängnissen bestätigt. Zehntausende sind seit dem Beginn des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert und schwerster Folter und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt gewesen. Nach vorsichtigen Schätzungen sind mindestens 17.723 Menschen zwischen dem 15. März 2011 und dem 31. Dezember 2015 in der Haft getötet worden. Jeder, der unter dem Verdacht steht, regimekritisch zu sein, unterliegt dem Risiko willkürlicher Inhaftierung, Folter und anderer Misshandlung, des Verschwindenlassens und des Todes während der Haft. Dabei sind die Gründe für den Verdacht einer regimekritischen Haltung oft extrem fadenscheinig. Unter Folter erzwungene falsche Anschuldigungen Dritter können ebenso der Grund für Festnahmen sein wie Anschuldigungen aus persönlicher Rache (Vgl. amnesty international, It breaks the human - Torture, Disease and Death in Syria's Prisons, Index: MDE 24/4508/2016).“

Eine innerstaatliche Fluchtalternative steht nicht zur Verfügung. Das Gericht folgt der entsprechenden Annahme der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid bzgl. des zuerkannten subsidiären Schutzes. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylG kann auch subsidiärer Schutz nicht zuerkannt werden, wenn interner Schutz gem. § 3e AsylG gegeben ist. Anhaltspunkte dafür, dass interner Schutz zwar nicht hinsichtlich der Gefährdungen nach § 4 AsylG, jedoch für Gefährdungen nach § 3 AsylG vorliegt, sind nicht erkennbar. Syrischen Staatsangehörigen ist vielmehr eine legale Rückkehr im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG nach Syrien nicht möglich, ohne mit den syrischen Sicherheitsbehörden in Kontakt zu kommen und damit der beachtlichen Wahrscheinlichkeit der zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führenden Gefahrenlage ausgesetzt zu sein. Gebiete Syriens, die derzeit nicht unter der Kontrolle der syrischen Staatsgewalt stehen und an ausländische Regionen grenzen, von denen mithin eine Einreise möglich wäre ohne Kontakt zu syrischen Sicherheitsbehörden, können von Rückkehrern bereits deshalb nicht legal im Sinne von § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG übertreten werden, weil dazu erforderliche Reisedokumente von den dort derzeit herrschenden Organisationen bereits mangels diplomatischer Anerkennung nicht ausgestellt werden können.

Aus diesem Grund folgt das Gericht auch nicht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Magdeburg (Urteile vom 12., 13., 14. und 18. Oktober 2016 - 9 A 403/16, 9 A 175/16, 9 A 545/16 und 9 A 444/16 - juris) in denen maßgeblich auf die derzeitige Situation im jeweiligen Herkunftsort der Kläger abgestellt wird. Dabei wird außer Acht gelassen, dass diese Orte derzeit legal nicht erreicht werden können, ohne in Kontakt mit syrischen Sicherheitsbehörden zu geraten und dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein.