Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 14.03.2017, Az.: 2 A 141/16

Bulgarien; Dublin; systemische Mängel

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
14.03.2017
Aktenzeichen
2 A 141/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54188
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das bulgarische Asylsystem leidet für den Personenkreis der im Rahmen des Dublin-Verfahrens rücküberstellten Asylbewerbern an systemischen Mängeln.

Tatbestand:

Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger und reiste am 14. September 2015 aus seinem Heimatland aus. Am 28. Oktober 2015 stellte er in Bulgarien einen Asylantrag. Am 10. November 2015 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 29. Februar 2016 einen Asylantrag stellte. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ermittelte einen EURODAC-Treffer der Kategorie 1 mit der Nummer BG 1 BR 103C1510280002. Auf das Rückübernahmeersuchen vom 08. März 2016 erklärte Bulgarien seine Übernahmebereitschaft unter dem 15. März 2016 nach Art. 20 Abs. 5 der Dublin-III-Verordnung.

Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 13. April 2016 fest, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei, ordnete die Abschiebung des Klägers nach Bulgarien an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab Ausreise.

Hiergegen hat der Kläger am 26. April 2016 Klage erhoben und gleichzeitig um die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung macht er im Wesentlichen systemische Mängel im bulgarischen Asylsystem geltend.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13. April 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegentretend,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist in mündlicher Verhandlung informatorische angehört worden. Wegen der Einzelheiten seiner Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten des Landkreises G. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13. April 2016ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist der Asylantrag des Klägers vom 29. Februar 2016 nicht unzulässig.

Bulgarien ist zunächst nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO) für die Bearbeitung des am 29. Februar 2016 in Deutschland gestellten Asylgesuchs des Klägers zuständig. Wie sich aus den Verwaltungsvorgängen der Beklagten und aus dem Vortrag des Klägers ergibt, ist er illegal auf dem Landweg nach Bulgarien eingereist, ist dort vor seiner Weiterreise in die Bundesrepublik Deutschland erkennungsdienstlich behandelt worden und hat dort einen Asylantrag gestellt. Daraufhin hat die Beklagte Bulgarien unter dem 08. März 2016 um Rückübernahme des Klägers gebeten. Auf dieses Aufnahmegesuch hat Bulgarien mit Schreiben vom 15. März 2016 reagiert und auf der Basis von Art. 20 Abs. 5 Dublin-II-VO seine Übernahmebereitschaft für den Kläger erklärt.

Allerdings ist die Beklagte nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung i.V.m. Art. 3 Abs. 2 U.A. 2 und 3 Dublin-III-VO verpflichtet, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, weil ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, die im Rahmen des Dublin-III-Abkommens nach Bulgarien zurückgeführt werden systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der in diesem Mitgliedsstaat überstellten Asylbewerber hervorrufen.

Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Mitgliedstaaten müssen bei ihrer Entscheidung, ob sie von dem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen, diese Grundsätze beachten (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, Juris Rn 68 f, 75, 78).

Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem gemeinsamen europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 sowie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass der Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt wird, die mit seinen Grundrechten unvereinbar ist (EuGH, a.a.O., Rn 79 ff.).

Allerdings kann nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedsstaat das Zuständigkeitssystem der Dublin-III-VO infrage stellen. Wie der europäische Gerichtshof dargelegt hat, steht insofern nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des gemeinsamen europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, a.a.O., Rn 83; Urteil vom 14.11.2013 - C-4/11 -, zitiert nach Juris). Das Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann auszusetzen, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Information nicht unbekannt sein kann, das systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem an sich zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn 86 und Urteil vom14.11.2013, a.a.O.; Rn 30).

Systemische Mängel sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (OVG Lüneburg, Urteil vom 25.06.2015 - 11 LB 248/14 -, zitiert nach Juris, Rn 42, m.w.N.).

Nach der Rechtsprechung des EGMR ist eine Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unmenschlich, wenn sie absichtlich über Stunden erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche oder psychische Leiden verursacht; als erniedrigend ist eine Behandlung dann anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert oder wenn sie Gefühle der Furcht, Angst oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, den moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen. Die Behandlung bzw. Misshandlung muss dabei, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen, einen Mindestgrad an Schwere erreichen. Art. 3 EMRK kann allerdings nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er die Vertragsparteien verpflichtete, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (EGMR, Beschluss vom 02.04.2013 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336). Etwas anderes gilt aber nach der genannten Entscheidung des EGMR, wenn der jeweilige Staat aufgrund bindender rechtlicher Vorgaben die Pflicht zur Versorgung mittelloser Asylsuchender mit einer Unterkunft und einer materiellen Grundausstattung hat, wie z.B. nach der Richtlinie 2013/33/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen - Aufnahmerichtlinie - (ABl. L 180/96) oder der Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie - (ABl. L 180/60). Die genannten Richtlinien haben Minimalstandards für die Aufnahme von Asylsuchenden für die Mitgliedstaaten festgelegt. Sie geben für alle Mitgliedstaaten verbindlich vor, was deren Asylsystem zu leisten imstande sein muss. Hieran muss sich dann nicht nur der Inhalt nationaler Rechtsvorschriften, sondern auch gerade die praktische Umsetzung messen lassen.

Prognosemaßstab für das Vorliegen derartiger relevanter Mängel ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Die Annahme systemischer Mängel setzt somit voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen Regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylsuchenden im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

Nach diesen Maßstäben liegt eine systemisch begründete ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK insbesondere vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die Reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat in den er als den nach der Dublin-III-VO „zuständigen“ Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. zum Ganzen, OVG Lüneburg, Urteil vom 25.06.2015 -11 LB 248/14-).

Dies zugrunde gelegt ist die Kammer der Überzeugung, dass in Bulgarien systemische Mängel des Asylverfahrens vorliegen.

Bulgarien verstößt bei Asylbewerbern, deren Rückführung im Rahmen einer Überstellung nach dem Dublin-III-Abkommen erfolgt, gegen Art. 28 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie. Danach stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass ein Antragsteller, der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Abs. 1 wieder bei der zuständigen Behörde meldet, berechtigt ist, um Wiedereröffnung des Verfahrens zu ersuchen oder einen neuen Antrag zu stellen, der nicht nach Maßgabe der Art. 40 und 41 geprüft wird (ähnlich Art. 18 Abs. 2 Dublin-III-VO). Einstellungen nach Art. 28 Abs. 1 Asylverfahrensrichtlinie sind solche, die erfolgen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass ein Antragsteller seinen Antrag stillschweigend zurückgenommen hat oder das Verfahren nicht weiter betreibt.

Nach den vom Gericht in diesem Verfahren aufgrund der Beweisaufnahme gewonnenen und der bereits vorliegenden Erkenntnissen ist es beachtlich wahrscheinlich, dass es einem rücküberstellten Asylbewerber in Bulgarien nicht gelingt, den rechtlichen Vorgaben der Asylverfahrensrichtlinie entsprechend wieder in sein - altes - Asylverfahren zu gelangen.

So berichtet Frau Dr. H. I. in ihrer Stellungnahme an das erkennende Gericht vom 29. Juli 2016, dass zwar von Rechts wegen in Fällen von Dublin-Überstellten, die einen Antrag auf Asyl in Bulgarien gestellt haben, aber die Prüfung deren Antrags nicht abgeschlossen wurde, das Asylverfahren automatisch wieder aufgenommen werde. In der Praxis könne es allerdings sein, dass der Zugang zum eigentlichen Asylverfahren nicht reibungslos verlaufe. Es könne technisch passieren, dass das ursprüngliche Asylverfahren des Asylbewerbers bei dessen Rückkehr bereits beendet sei. Zum einen könne es ausgesetzt (unterbrochen) worden sein: Art. 14 des bulgarischen Asyl- und Flüchtlingsgesetzes besage, dass das Asylverfahren unter anderem unterbrochen werde, wenn der Asylbewerber innerhalb von 10 Werktagen nicht zu einem Termin mit den Behörden erscheine oder seine Adresse ändert, ohne die staatliche Aufnahmebehörde darüber in Kenntnis zu setzen. Zum anderen könne das ursprüngliche Asylverfahren nach einer dreimonatigen Aussetzung eingestellt worden sein: Art. 15 Abs. 1 und Abs. 7 des bulgarischen Asyl- und Aufnahmegesetzes besage, dass das Asylverfahren eingestellt werde, wenn der Asylbewerber nicht innerhalb von 3 Monaten nach Aussetzung des Asylverfahrens nach Art. 14 vor der staatlichen Asylbehörde erscheine. Es sei wichtig, dass Dublin-Überstellte ihre Rechte kennten, die in Art. 18 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung festgelegt seien. Es sei allerdings anzumerken, dass Dublin-Überstellte bei ihrer Ankunft in Bulgarien üblicherweise keine Informationen bzgl. ihrer Rechte und der verfügbaren Rechtsmittel erhielten. In solchen Fällen bräuchten Dublin-Überstellte möglicherweise Rechtshilfe, damit das ursprüngliche Asylverfahren wieder aufgenommen werde. Sei jedoch eine Berufung gegen die Einstellungsentscheidung vor Gericht nicht mehr möglich, weil die Berufungsfrist von 14 Tagen versäumt sei, könnten Dublin-Überstellte nur noch einen neuen Asylantrag einreichen und vorbringen, dass dieser nicht als Folgeantrag gehandhabt werden solle. (Ebenso ergänzende Stellungnahme vom 05.10.2016 an das erkennende Gericht und Stellungnahme vom 30. Juni 2016 an das VG Aachen).

Ähnlich formuliert es das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - BFA - in seinem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien auf Seite 7: Demzufolge sei seit Januar 2016 ein Verfahren zu suspendieren, wenn sich der Antragsteller für mehr als 10 Arbeitstage entziehe. Nach weiteren 3 Monaten sei das Verfahren zu beenden. Erscheine der Antragsteller binnen einer Frist von 6 Monaten nach Beendigung und bringe triftige Gründe für sein Fernbleiben vor, sei das Verfahren wieder zu eröffnen. Ohne triftige Gründe für das Fernbleiben bleibe nur die Möglichkeit eines Folgeantrags, der aber als unzulässig gelte, wenn er keine neuen Elemente in Bezug auf den Antragsteller oder den Herkunftsstaat enthalte. Ferner heißt es, das nahezu alle Dublin-Rückkehrer in Bulgarien Folgeantragsteller seien, da ihnen die staatliche Flüchtlingsbehörde bei Rückkehr eine „termination decision“ aushändigt.

Auch der UNHCR berichtet in seiner Stellungnahme vom 25. November 2016 an das erkennende Gericht von einer unzulänglichen Praxis insoweit. Nach Einschätzung des UNHCR zeige sich in der Praxis, dass eine vollständige und angemessene Prüfung der Anträge in der Sache nicht gewährleistet sei, unabhängig von der Zeit die ein Dublin-Rückkehrer außerhalb Bulgariens verbracht habe. Zudem dauere das Asylverfahren von Dublin-Rückkehrer länger als das Verfahren anderer Asylsuchender, insbesondere im Hinblick auf den Zeitraum, der vor der Anhörung verstreicht, da die Behörde zunächst den Eingang verschiedener grundlegender Dokumente abwarte. In seiner Stellungahme an das VG Aachen vom 29. Januar 2016 führt der UNHCR aus, der Asylantragsteller werde als Irregulär anwesend betrachtet, wenn der Abtransport, d.h. die Überstellung nach mehr als 3 Monaten und 10 Tagen, nachdem der Asylantrag gestellt wurde, oder wenn der Einspruch in der Abwesenheit des Antragstellers abgelehnt worden sei geschehe. Allerdings sei es in der Praxis so, das nach einer Rückkehr bzw. Überstellung gemäß der Dublin-Verordnung, falls eine Anhörung noch nicht geführt worden sei, der Anspruch zu einer Anhörungsberechtigung gewährleistet werde. In den aktualisierten Antworten auf Fragen von UNHCR Deutschland im Zusammenhang mit Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren von Juni 2015 heißt es inhaltsgleich, es werde davon ausgegangen, dass sich der/die Antragsteller (in) irregulär im Lande aufhalte und in Abschiebehaft genommen werde, wenn die Überstellung mehr als drei Monate und zehn Tage nach Registrierung des Asylantrags erfolgt oder der Antrag in Abwesenheit des Antragstellers/der Antragstellerin abgelehnt worden sei.

Diese Auskünfte werden durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. Juli 2016 an das erkennende Gericht nicht relativiert. Das Auswärtige Amt führt zunächst aus, dass bei einem Flüchtling, der im Rahmen eines Dublin-Verfahrens nach Bulgarien zurückkehre, das von ihm vor Verlassen des Landes initiierte Asylverfahren an dem Punkt wieder aufgenommen, an dem es sich verfahrenstechnisch befand als er Bulgarien verlassen habe. Allerdings referiert auch das Auswärtige Amt die Auffassung des UNHCR, der berichtet habe, dass die nationale Flüchtlingsagentur in manchen Fällen, den zurückgekehrten Flüchtlingen den Rat gegeben habe, einen neuen Asylantrag zu stellen. Dies würde für die Betroffenen materielle Nachteile bedeuten (ähnlich schon Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Aachen).

Aus diesen Auskünften und Stellungnahmen folgt, dass der Antrag von Dublin-Rückkehrern nach einer Einstellung ihres Verfahrens in Bulgarien entgegen Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie als Folgeantrag nach Maßgabe des Art. 40 dieser Richtlinie geprüft wird. Dies versperrt den Betroffenen den Weg in das “normale“ Asylverfahren.

Es besteht für die erkennende Kammer eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dies auch den Kläger betrifft. Es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein systematisches Vorgehen der bulgarischen Behörde. Dies wird aus der Länderinformation des BFA und den Stellungnahmen des UNHCR ebenso deutlich, wie aus den Stellungnahmen der Frau Dr. I. an das VG Aachen und die erkennende Kammer.

Das Gericht verkennt nicht, dass es dem Asylbewerber bei hinreichender Information und dem gebotenen rechtlichen Beistand gelingen kann, in das “normale“ Asylverfahren zu gelangen, ohne die Nachteile eines Folgeverfahrens zu erleiden. Indes ist es faktisch so, dass dem Asylbewerber die hierfür erforderliche Kenntnis und die Informationen fehlen, die einen Zugang zu einer entsprechenden rechtlichen Beratung ermöglichen.

So fehlt es schon seit Mitte Juni 2015 an geeigneten Dolmetschern für die Anhörung der Asylbewerber (UNHCR, aktualisierte Antworten auf Fragen von UNHCR Deutschland im Zusammenhang mit Überstellungen nach dem Dublin-Verfahren, Juni 2015, Seite 3). Diese Situation hat sich, wie sich aus den aktuell vom Gericht eingeholten Auskünften ergibt, bis heute nicht verbessert (Auswärtiges Amt an das erkennende Gericht vom 29.07.2016; UNHCR an die erkennende Kammer vom 25. November 2016; BFA Länderinformationsblatt Seite 6; Dr. I. an das VG Aachen vom 30. Juni 2016). Dieser Mangel an Dolmetscherkapazitäten und die damit einhergehende Sprachlosigkeit zwischen den Asylbewerbern und der bulgarischen Flüchtlingsbehörde verstößt gegen die sich aus Art. 5 der Aufnahmerichtlinie und Art. 12 Abs. 1 a) und b) der Asylverfahrensrichtlinie ergebenden Rechte des Asylbewerbers auf Information und Anhörung in einer für sie verständlichen Sprache.

Einher geht das Fehlen einer ausreichenden Zahl von Sprachmittlern mit dem Fehlen einer entsprechenden Information der Asylbewerber durch die bulgarischen Flüchtlingsbehörden. Diese kommen ihrer aus Art. 5 der Aufnahmerichtlinie und Art. 8 der Asylverfahrensrichtlinie folgenden Informationspflicht nicht nach. Vielmehr ergibt sich aus den eingeholten Stellungnahmen und Auskünften, dass die bulgarischen Flüchtlingsbehörden eine bewusste Desinformation in dem Sinne betreiben, dass sie die Asylbewerber, die im Rahmen des Dublin-Systems nach Bulgarien zurückkehren wider das bulgarische Recht in das Asylfolgeverfahren drängen.

Fehlt es den bulgarischen Flüchtlingsbehörden schon an einer hinreichenden Anzahl von Dolmetschern, so lässt sich naturgemäß auch der aus Art. 22 der Asylverfahrensrichtlinie folgende Anspruch des Asylbewerbers auf Rechtsberatung schlechterdings nicht durchsetzen.

Mithin ist es dem Zufall überlassen, ob ein Dublin-Rückkehrer ausreichende Informationen und eine entsprechende Rechtsberatung erhält, die es ihm ermöglicht, seine auf dem Papier stehenden Rechte in Bulgarien durchzusetzen und geltend zu machen. Im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMR ist dem Asylbewerber, der im Rahmen einer Rücküberstellung nach der Dublin-III-VO nach Bulgarien zurückkehrt der Weg in das ihm eigentlich zustehende Asylverfahren durch verschiedene verwaltungstechnische Erschwernisse somit verwehrt. Diese Erschwernisse beruhen zur Überzeugung der Kammer auch nicht auf verwaltungsorganisatorischen Unzulänglichkeiten, die abzustellen sich die bulgarischen Flüchtlingsbehörde bemühen, sondern auf zielgerichteter Desinformation zum Zwecke der Abschreckung von Asylbewerbern.

Da somit davon auszugehen ist, dass die übergroße Mehrheit der Dublin-Rückkehrer ihre Rechte nur im Rahmen eines Asylfolgeverfahrens geltend machen können, kommen auf sie auch unzumutbare und erniedrigende Aufenthaltsbedingungen im Falle ihrer Rückkehr nach Bulgarien zu.

Denn Folgeantragstellern, die nicht zu einer vulnerablen Gruppe gehören, haben weder Anspruch auf Unterbringung noch auf Verpflegung oder medizinische Versorgung. Vielmehr werden diese Personen als irreguläre Emigranten betrachtet und in Abschiebezentren untergebracht, wo sie zwecks Abschiebung - zum Teil über längere Zeit - inhaftiert werden (vgl. BFA, Länderinformationsblatt, Seite 12; UNHCR an die erkennende Kammer vom 25. November 2016, Dr. I. an das VG Aachen vom 30. Juni 2016, Seite 4; dieselbe an das erkennende Gericht vom 5. Oktober 2016, Seite 3; Auswärtiges Amt an das VG Aachen vom 27. Januar 2016).

Dieses Vorgehen verstößt gegen das Recht auf Bewegungsfreiheit des Asylantragstellers aus Art. 7 der Aufnahmerichtlinie sowie gegen den Anspruch auf Leistungen für einen angemessenen Lebensstandard nach Art. 17 Abs. 2 der Aufnahmerichtlinie. Auch der Anspruch auf die erforderliche medizinische Versorgung nach Art. 19 und 21 der Aufnahmerichtlinie wird von Bulgarien verletzt. Schließlich verstößt die Ingewahrsamnahme, die nur an die Antragstellung des Dublin-Rückkehrers anknüpft, gegen Art. 26 der Asylverfahrensrichtlinie.

Insgesamt ergibt sich somit für Dublin-Rückkehrer nach Bulgarien das Bild, dass diesen der Zugang zu dem ihnen zustehenden Asylverfahren systematisch verwehrt und der Aufenthalt in Bulgarien ebenso systematisch bis hin zur Unzumutbarkeit unter mehrfachem Verstoß gegen bindende europarechtliche Vorgaben erschwert wird. Hierin erkennt die erkennende Kammer eine erniedrigende Behandlung, und damit einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK.

Da somit der angegriffene Bescheid in seiner Ziffer 1 rechtswidrig ist, ist er auch in seinen Ziffern 2 bis 4 aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.