Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.03.2017, Az.: 1 B 74/17

Beschränkung; Folgenabwägung; Polizeilicher Notstand; stationäre Kundgebung; Versammlung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.03.2017
Aktenzeichen
1 B 74/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54202
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Darlegung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 NVersG hat die Versammlungsbehörde aufgrund einer schlüssigen Gefahrenprognose darzulegen, welcher Bedarf an Kräften zum Schutz einer Versammlung besteht und das sowie aus welchem Grund der behauptete Bedarf nicht gedeckt werden kann (vgl. Wefelmeier in Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8 Rn. 45).

2. Im Rahmen der Folgenabwägung sind die Folgen, die eine Nichtdurchführung des Aufzugs bei tatsächlichem Nichtvorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands für den Antragsteller und die Aufzugsteilnehmer hätte, und die Folgen, die eine Durchführung des Aufzugs bei Vorliegen der Voraussetzungen des polizeilichen Notstands für den Antragsteller, die Aufzugsteilnehmer sowie Dritte hätte, gegenüberzustellen (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 11.09.2015 - 4 Bs 192/15 -, juris, Rn. 25)

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine versammlungsrechtliche „Untersagungs- und Beschränkungsverfügung“ für einen am 01.04.2017 in H. geplanten Aufzug.

Der Antragsteller ist Mitglied der K. und des sogenannten „L. M. /N.“, der jüngst auch unter dem Namen „O.“ aufgetreten ist. Mit E-Mail vom 11.01.2017 zeigte er der Antragsgegnerin für den 01.04.2017 eine Versammlung unter dem Motto „Gemeinsam für Deutschland“ mit Aufzug durch das Stadtgebiet H. an. Zu dem Aufzug erwarte er 150 Teilnehmer. Der Aufzug solle unter Einsatz von Lautsprecheranlagen, Lautsprecherwagen, Mikrofonen, eines Megaphon, Fahnen, Transparenten und Trageschildern in der Zeit von 15.00 Uhr bis 20:00 Uhr stattfinden und sich auf der Route P. - Q. Straße - R. - S. - T. - U. - V. - W. - X. -Q. Straße - P. fortbewegen. Zwischenkundgebungen sollten dabei auf den Kreuzungen S./R., S./T., X. /W. stattfinden, eine Abschlusskundgebung sodann auf dem P..

In der Folge zeigten verschiedene Personen aus dem linken und gewerkschaftlichen Spektrum ebenfalls für den 01.04.2017 Gegendemonstrationen an. Sechs der sieben Demonstrationen wurden als stationäre Kundgebungen für den Zeitraum von 10:00 Uhr bzw. 12 Uhr bis 20 Uhr angezeigt, eine weitere Gegendemonstration wurde als Aufzug für den Zeitraum 12:30 bis 14:30 Uhr angezeigt. Die Gegendemonstrationen sollten auf der Strecke des vom Antragsteller angezeigten Aufzugs stattfinden. Die Antragsgegnerin hat diese Versammlungen jeweils örtlich verlegt. Diesbezüglich wird auf die Anlage 1 zur Antragserwiderung vom 27.03.2017 (Bl. GA) sowie die Anlage 1 zum Schriftsatz vom 27.03.2017 (Bl. GA) verwiesen.

Am 08.03.2017 fand das Kooperationsgespräch zwischen dem Antragsteller sowie Vertretern der Antragsgegnerin und der Polizeiinspektion und -direktion H. statt. Hierbei wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass von massiven Gegendemonstrationen auszugehen sei und sie zur Sicherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung beabsichtige.

Am 15.03.2017 legte die Polizeiinspektion H. der Antragsgegnerin ihre Gefahrenprognose vor. In dieser heißt es, der Antragsteller habe gute soziale Kontakte in die rechtsextremistische Szene in Y. und im Z. AA.. Über die Facebook-Seite des „L. M. /N.“ hätten sich verschiedene Gruppen als Teilnehmer des Aufzugs angekündigt, unter anderem die Gruppen „AB. AC. AD.“, „AE. AF.“, „AG. AH. AI.“ (AJ.) AK., „AL. AM. AN.“. Auch seien insgesamt acht Redner, die der rechten Szene angehören, aus N., M. und AO. angekündigt. Zudem habe die so genannte „AP. AQ.“ auf ihrer Facebook-Seite mehrfach zur Teilnahme an der Versammlung aufgerufen. Dabei wurde angekündigt, dass „weitaus mehr Leute“ als in der Versammlungsanzeige angekündigt zur Versammlung erscheinen werden. Die Polizeiinspektion wies zudem darauf hin, dass es im Rahmen vergangener Versammlungen des „L. M. /N.“ aus der Versammlung heraus vereinzelt zu Straftaten und im Anschluss an eine Versammlung bereits zu einer körperlichen Auseinandersetzung auf offener Straße zwischen Versammlungsteilnehmern und Angehörigen der linken Szene gekommen sei. Für den 01.04.2017 sei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit einer überregionalen Mobilisierung zu rechnen. Mit der Teilnahme von bis zu 100 Personen sei zu rechnen. Für den Fall der Durchführung eines Aufzugs seien verbale Provokationen gegenüber den Gegendemonstranten wahrscheinlich.

Zu den geplanten Gegenveranstaltungen heißt es in der Gefahrenprognose vom 15.03.2017, dass der von Herrn Dr. AR. unter dem Motto „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ angemeldete Aufzug aller Voraussicht nach unter Federführung der „Antifaschistischen Linken International“ (AS.) durchgeführt werde. Auf der Internetseite der AS. (AT.) werde der Aufruf zur Demonstration wie folgt ergänzt: „Anschließend: Den Neonaziaufmarsch des faschistischen "L. M. /N. " verhindern!“ Auf der Internetplattform „AU.“ nahm die AS. ebenfalls auf den Aufzug der Gegendemonstranten Bezug: „[…] Die Demonstration ist dabei zeitlich so gelegt, dass es anschließend die Möglichkeit für Blockaden geben wird. Kein Fußbreit den Faschisten. […]“ In einem weiteren Beitrag auf der Seite unter der Überschrift “Schluss mit lustig - Nazifreie Zonen erkämpfen“ würden gewalttätige Aktionen gegen die Versammlung des „L. M. /N.“ wie folgt angekündigt: „[…] Uns ist es scheißegal, ob die Stadt die Demo der Nazis verbietet oder nicht. Kein Recht der Welt sollte Menschenfeinden wie diesen einen öffentlichen Auftritt gewähren. Wenn die Verwaltung den Auftritt der Faschos nicht verhindert, dann nehmen wir das selbst in die Hand. Wir können und wollen das Verhalten der Stadt und der Bullen nicht weiter hinnehmen - und wir dulden keine Nazis auf unseren Straßen. Wenn Nazis in H. laufen wollen, dann greifen wir an!“

Diese Texte seien zudem auf der hierfür erstellten Facebook-Seite „AV. - H.“, die offensichtlich als Informationsplattform dienen solle und bisher von 293 Personen abonniert worden sei, veröffentlicht worden. Der „Schluss mit lustig“-Aufruf sei auf der Facebook-Seite der „AW.“ sowie der Homepage der „AX.“ geteilt worden.

Weiterhin thematisiere die linksextreme Gruppierung „AY.“ aus H. die Versammlungsanzeige des L. auf ihrer Facebook-Seite (AZ.) mit dem Hinweis: „Wir werden einen Naziaufmarsch in H. nicht zulassen“. Auch die „BA. H.“ sowie die „BB. H.“ würden auf die Gegendemonstrationen hinweisen und Informationsmaterial bereitstellen.

Insgesamt sei mit 1150 Teilnehmern an den angezeigten Gegendemonstrationen zu rechnen. Dazu gehörten neben als friedlich eingeordneten Teilnehmern aus dem bürgerlichen Spektrum bis zu 250 Personen aus der linksextremen Szene in H.. Deren primäres Ziel werde die Verhinderung einer sich fortbewegenden Versammlung des „L. M. /N.“ sein. In diesem Zusammenhang sei mit militanten Aktionsformen zur Erreichung dieses Ziels zu rechnen. Die Errichtung von Blockaden sowie das Abstellen von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBV) an oder auf den Anreisestrecken der Teilnehmer der Versammlung des „L. M. /N.“ seien sehr wahrscheinlich. Auch das Inbrandsetzen von Blockaden sei wahrscheinlich. Die einsatzrelevanten Aktionen der linksextremen Szene würden dabei nicht von der Gesamtheit der Personen, sondern eher aus Kleingruppen heraus erfolgen. Zudem würden sich die Aktionen nicht nur auf den unmittelbaren Bereich der Versammlung des „L. M. /N.“ beschränken, sondern sich wahrscheinlich über das Stadtgebiet ausweiten. Den Kleingruppen würden die verschiedenen angezeigten Protestversammlungen, der Campus der BC. H., die selbstbestimmt Wohnobjekte der linken Szene im Bereich der östlichen X. und der BD. als Rückzugsort für kurzfristige Absprachen sowie als Fluchtmöglichkeit dienen. Als Ausgangs- und Sammelpunkt solle wahrscheinlich der von Herrn Dr. AR. angezeigte Aufzug dienen, um auf die geplante Aufzugsstrecke des „L. M. /N.“ zu gelangen. Konkret sei unter anderem mit gezielten körperlichen Auseinandersetzungen mit (vermeintlichen) ideologischen Gegnern (etwa Verbindungsstudenten), Auseinandersetzung mit Polizeikräften, dem Anlegen von Depots für Wurfgegenstände im Nahbereich der Fortbewegungsstrecke, dem Abbrennen und Werfen von pyrotechnischen Gegenständen, dem Mitführen und Einsatz von Tierabwehrspray sowie mit dem Durchbrechen polizeilicher Absperrungen, dem Umgehen/Übersteigen vorhandener Bebauung zum Zwecke der Annäherung an die Teilnehmer der Veranstaltung des „L. M. /N.“ zu rechnen. Wahrscheinlich seien ebenfalls die gezielte Begehung von Sachbeschädigungen an Verbindungshäusern im Stadtgebiet und die Errichtung von Straßenblockaden zur Bindung von Polizeieinheiten.

Aufgrund dieser Umstände sei eine sich fortbewegende Kundgebung nach Einschätzung der Polizeiinspektion H. unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kaum zu schützen. Eine stationäre Kundgebung biete demgegenüber dem gewaltgeneigten und -bereiten Protestklientel weniger Störungsmöglichkeiten. Aufgrund der Erfahrungen aus dem Vorjahr sei zudem bekannt, dass eine stationäre Kundgebung des „L. M. /N.“ - wenn auch mit einer erheblichen Anzahl von Einsatzkräften - von der Polizei geschützt werden könnte.

Auf Grundlage dieser Einschätzung verfügte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller mit Bescheid vom 16.03.2017 ein Verbot des Aufzugs entlang der in der Anzeige angegebenen Strecke (Ziffer 1). Das Verbot gelte auch für jede Form einer Ersatzveranstaltung (Ziffer 2). Die Antragsgegnerin ließ für den Zeitraum von 15:00 bis 20:00 Uhr eine stationäre Kundgebung auf dem P., Ausgang Innenstadt, in einem in der Anlage zum Bescheid gekennzeichneten und dem Antragsteller bekannten Bereich zu (Ziffer 3). Sie gab dem Antragsteller auf, jede Änderung in der Person der Versammlungsleitung bekannt zu geben (Ziffer 4). Sie untersagte die Ausrichtung der Lautsprecheranlage frontal auf das Bahnhofsgebäude und beschränkte die Laustärke der Lautsprecher auf 90 dB(A) am Bahnhofseingang bzw. in der Mitte einer weiteren Kundgebung (Ziffer 5). Zudem ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung dieser Regelungen an (Ziffer 6).

Zur Begründung der Anordnungen zu Ziffer 1 und 2 führte die Antragsgegnerin aus, die Voraussetzungen für ein Verbot der Versammlung nach § 8 Abs. 2, Abs. 3 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes lägen vor. Eine Gefährdung werde voraussichtlich nicht von der Versammlung des Antragstellers, sondern von Teilnehmern angezeigter Gegendemonstrationen ausgehen. Allerdings sei sie zu den Anordnungen berechtigt, weil sie von einem echten und wie einem unechten polizeilichen Notstand ausgehe.

Hierzu nimmt die Antragsgegnerin in erster Linie Bezug auf die Ereignisse im Zusammenhang mit Versammlungen der K. am 29.10.2005 sowie im Mai und im Oktober 2006 sowie einer Versammlung des Antragstellers am 10.09.2016 und den jeweils ergangenen gerichtliche Entscheidungen. Bei den Polizeieinsätzen in den Jahren 2005 und 2006 habe selbst die hohe Anzahl von 4.000 bzw. 6.000 Beamten nicht ausgereicht, um sämtliche Straftaten im Zusammenhang mit den Demonstrationen zu verhindern. Aktuell könne die Polizei Kräfte in vergleichbarer Größenordnung nicht aufbringen. Die Kammer, das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht sowie - zur K. -Versammlung vom Mai 2006 - das Bundesverfassungsgericht hätten festgestellt, dass ein Aufzug rechter Demonstranten bei einer zu erwartenden großen Beteiligung linksextremer Störer von der Polizei unabhängig von der Zahl der tatsächlich zur Verfügung stehenden Kräfte logistisch nicht zu bewältigen sei und daher ein echter polizeilicher Notstand vorliege. Im Jahr 2006 seien die Gerichte außerdem von einem unechten polizeilichen Notstand ausgegangen und hätten angenommen, dass vorbeugende polizeiliche Maßnahmen nicht erfolgversprechend seien und es voraussichtlich zu einer unmittelbar drohenden massiven Gefährdung der öffentlichen Sicherheit kommen werde.

An den damaligen Umständen habe sich nach aktueller polizeilicher Lageeinschätzung nichts geändert. Nach wie vor sei in H. eine sehr aktive linksautonome Szene präsent, die sich vermehrt durch erhebliche, teils sehr gewalttätige Übergriffe auf rechtsextreme oder vermeintlich rechtsextreme Personen und Personengruppen bemerkbar mache. Zu diesen Personen würden auch Verbindungsstudenten zählen, die von Mitgliedern der linksextremen Szene pauschal als rechtsextrem angesehen würden. H. sei seit Jahren Brennpunkt links-motivierter Straftaten. Seit dem 01.01.2016 habe die Polizei 35 linke Straftaten zum Nachteil von Studentenverbindungen und weitere 23 Straftaten zum Nachteil politisch rechts einzustufen der Personen bzw. Personengruppen gezählt. Aus diesen werde ersichtlich, dass bereits die Göttinger linksextreme Szene ohne Berücksichtigung der potenziell aus dem Bundesgebiet anreisenden Personen über ein erhebliches Gewaltpotenzial verfüge, welches die Erheblichkeit der Gewalttätigkeiten aus 2005 erreiche oder sogar übertreffe.

Auch aufgrund der Aufrufe aus der linksextremen Szene zur Teilnahme an den Gegendemonstrationen am 1. April in H. müsse mit gewalttätigen Angriffen gegen die Teilnehmer der angezeigten Versammlung gerechnet werden. Zwar gehe die Polizeiinspektion H. zunächst von 30 gewaltbereiten Gegendemonstranten der Kategorie rot und 250 der Kategorie rot aus. Aufgrund der bundesweiten Aufrufe sei jedoch mit einem deutlichen Anwachsen der Anzahl der linksextremen Gegendemonstranten zu rechnen.

Das Aufzugsverbot stelle das einzig wirksame Mittel zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Insbesondere könne eine andere Streckenführung Ausschreitungen von Autonomen und die hierdurch zu erwartenden Rechtsverletzungen nicht verhindern, da diese aufgrund der erfahrungsgemäß eingesetzten Kleingruppentaktik ihre An- und Übergriffe an jeder Stelle in H. durchführen könnten und würden.

Zu Ziffer 3 des Bescheids führte die Antragsgegnerin aus, dass eine stationäre Kundgebung auf dem P. in der Zeit von 15:00 Uhr bis 20:00 Uhr zugelassen werde, weil ein Totalverbot der Versammlung im Lichte des Art. 8 GG nicht zu rechtfertigen sei. Dieser Standort sei dem Antragsteller in der Vergangenheit mehrfach zugewiesen worden. Dort könne der beste Schutz der Versammlungsteilnehmer gegen Angriffe aus der linksextremen Szene gewährleistet werden.

Sie begründete auch die Anordnungen zu Ziffer 4 und 5. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 6 begründete sie damit, dass der Verhinderung der Störung der öffentlichen Sicherheit durch Begehung von Straftaten und konkret drohender Personen- und Sachschäden Vorrang vor dem Interesse an der Durchführung der angezeigten Versammlung eingeräumt würde. Würde die sofortige Vollziehung nicht angeordnet, könnte das Verbot durch eine Klage unterlaufen werden.

Gegen Ziffer 1. und 2. des Bescheids hat der Antragsteller am 24.03.2017 Klage erhoben (1 A 75/17) und ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt.

Zur Begründung führt er aus, dass die Voraussetzungen für einen polizeilichen Notstand nicht vorlägen. Anders als bei den vorangegangenen Entscheidungen sei in der nunmehr gegebenen Situation eine Inanspruchnahme der Störer möglich. Wie die Antragsgegnerin festgestellt habe, sei der der angezeigte Aufzug von Herrn Dr. AR. Anlauf- und Sammelpunkt möglicher Störer. Ein Vorgehen gegen diesen Aufzug durch versammlungsrechtliche Beschränkung sei möglich. Hierdurch könne den linksautonomen Kleingruppen der Rückzugsraum genommen. Dies ließe sich zudem durch eine (weitere) Verlegung der anderen stationären Kundgebungen sowie durch eine Verlegung der Aufzugsstrecke - weg von den selbstbestimmten Wohnprojekten - erreichen. Soweit im Übrigen eine Gefahr durch die linksautonomen Kleingruppen bestehe, handele es sich um eine latente Gefahr, der durch die Beschränkung nicht begegnet werden könne.

Zudem weist der Antragsteller darauf hin, dass sich der aktuellen polizeilichen Lageeinschätzung weder entnehmen lasse, dass der Polizei nicht genügend Kräfte zum Schutz der Versammlung und des Stadtgebiets zur Verfügung stünden, noch was alles versucht worden sei, um genügend Kräfte zum Schutz der seit langer Zeit bekannten Versammlung anzufordern. Aus der Situation in den Jahren 2005 und 2006 könne ein aktueller Bedarf zum Schutz des Aufzugs des Antragstellers jedenfalls nicht hergeleitet werden. Ebenfalls ergebe sich eine aktuelle Gefährdungssituation für die Stadt H. nicht hieraus. Im Vergleich zur Situation im September 2016 sei schließlich mit einer kleineren Anzahl Störer und mit keiner erhöhten Gefahr durch brennende Barrikaden zu rechnen, da es keine falsche Sperrmüllankündigung gegeben habe.

Aus dem Verhalten der Polizeiinspektion H. sei insgesamt zu schließen, dass der Aufzug des Antragstellers mit einem entsprechenden Polizeiaufgebot geschützt werden könnte, hierbei jedoch eine massive Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens befürchtet werde. Eine solche sei zwar mit Unannehmlichkeiten verbunden, rechtfertige jedoch nicht die Annahme eines polizeilichen Notstands.

Schließlich könne auch eine reine Interessenabwägung nicht zu einer Beschränkung des Aufzugs führen. Von der Versammlung des Antragstellers gehe keinerlei Gefahr aus, eine spürbare Beeinträchtigung des innerstädtischen Lebens für wenige Stunden sei angesichts des Gewichts der Versammlungsfreiheit hinzunehmen. Beeinträchtigungen könnten durch Kürzung der Aufzugsstrecke vermindert werden. Die Gefahr, dass Verbindungsstudenten und ihre Wohnanlagen Opfer von Straftaten werden, bestehe sowohl mit als auch ohne die angegriffene Beschränkung.

Mit Schriftsatz vom 29.03.2017 hat der Antragsteller klargestellt, dass „sich der mit Schriftsatz vom 24.03.2017 gestellte Eilantrag auch gegen Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15.03.2017 richtet, soweit durch diesen die Versammlung des Antragstellers auf eine stationäre Kundgebung beschränkt wird“.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziff. 1, 2 und 3 des Bescheids vom 16.03.2017, Az. BE., wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie vertieft die Begründung ihres Bescheids und führt ergänzend aus, dass ein Aufzug mehr Polizeikräfte als eine stationäre Kundgebung binde, so dass weniger Beamte für Einsätze außerhalb der Versammlung zur Verfügung stünden. Angriffe auf stationäre Kundgebung seien zudem aus Sicht von Störern einerseits risikobehafteter und andererseits uninteressanter.

Zudem verweist die Antragsgegnerin auf eine Stellungnahme der Polizeiinspektion H. vom 27.03.2017, wonach zur Unterstützung erforderlicher Einsatzmaßnahmen sieben Einsatzhundertschaften zum Schutz der Versammlung und des übrigen Stadtgebiets angefordert worden seien. Nach der Stellungnahme sei die Anforderung am 13.03.2017 in Kenntnis des angefochtenen Bescheids unter Berücksichtigung der Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung erfolgt.

Nach einer Stellungnahme der Polizeiinspektion H. vom 28.03.2017, welcher sich die Antragsgegnerin zu eigen macht, sei nunmehr für die Gegenveranstaltungen von einer Teilnehmerzahl von insgesamt 1250 Personen auszugehen. Die Polizei prognostiziere, dass an den ortsfesten Versammlungen insgesamt 800 Personen teilnähmen, davon 50 Personen mit Störerpotenzial. Bezüglich des Aufzugs sei mit einer Teilnehmerzahl von 450 Personen zu rechnen, wovon 260 Personen dem gewaltgeneigten bzw. gewaltbereiten Spektrum zuzurechnen seien.

Zudem weist die Antragsgegnerin hinsichtlich der von den Mitgliedern der H. linken Szene verfolgten Kleingruppentaktik und des Gewaltpotenzials nochmals auf die zahlreichen Einsätze im Zusammenhang mit dem öffentlichen Auftreten von Mitgliedern des „L. M. /N.“ aus dem vergangenen Jahr hin. Diesbezüglich wird auf die Anlage 2 des Schriftsatzes vom 28.03.2017 (Bl. GA) wird verwiesen. Die hieraus gewonnene Einsatzerfahrung zeige, dass Gegner bereits im Fall einer stationären Kundgebung versuchen würden, Polizeikräfte durch Aktionen kleiner Gruppen im gesamten Stadtgebiet zu binden. Hinsichtlich des angezeigten Aufzugs seien die Umstände aus den Jahren 2005 und 2006 noch aktuell, so dass unabhängig von der Anzahl der eingesetzten Polizeikräfte ein Schutz der Versammlung nicht zu gewährleisten und eine massive Beeinträchtigung im gesamten Stadtgebiet H. nicht zu verhindern sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und den vom Gericht zum Klageverfahren (1 A 75/17) beigezogenen Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin (Beiakte 001) Bezug genommen.

II.

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag ist zulässig. Soweit der Antragsteller auch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen Ziff. 3 des Bescheids vom 15.03.2017 begehrt, ist seine zunächst nur gegen Ziff. 1. und 2 des Bescheids erhobene Klage dahingehend auszulegen, dass auch die Regelung unter Ziff. 3 aufgehoben werden soll.

Allerdings ist der Antrag unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt, dessen sofortige Vollziehung die Behörde gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat, wiederherstellen. Bei dieser Entscheidung bedarf es einer Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einerseits und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts andererseits, bei der insbesondere auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des im Hauptsacheverfahren eingelegten Rechtsbehelfs zu berücksichtigen sind. Bei Versammlungen, die auf einen einmaligen Anlass bezogen sind, ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die sofortige Vollziehung der angegriffenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der vom jeweiligen Antragsteller beabsichtigten Form führt. Soweit möglich, ist die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen, im Übrigen kommt es auf eine sorgsame Interessenabwägung an (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 363f. - "Brockdorf II"), in die wiederum die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache mit einzubeziehen sind.

Zwar kann aufgrund des Vortrags der Antragsgegnerin nicht festgestellt werden, dass die nach § 8 Abs. 1 und 3 NVersG erforderlichen Voraussetzungen zur Beschränkung des Aufzugs auf eine stationäre Kundgebung vorliegen (1.). Auch das Vorliegen eines gesetzlich nicht geregelten unechten polizeilichen Notstands, auf den sich die Antragsgegnerin beruft, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden (2.). Da das Vorliegen eines polizeilichen Notstands letztendlich aber auch nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden kann, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen, welche im Ergebnis zum Nachteil des Antragstellers ausfällt (3.).

1. Rechtsgrundlage der angefochtenen Anordnungen in dem Bescheid vom 16.03.2017 ist § 8 Abs. 1 und 3 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes (NVersG) vom 07.10.2010 (Nds. GVBl. S. 465). Nach Absatz 1 kann die zuständige Behörde eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (a.). Geht die Gefahr nicht von der Versammlung aus, so sind die in den Abs. 1 genannten Maßnahmen nach Absatz 3 nur zulässig, wenn erstens Maßnahmen gegen die die Gefahr verursachenden Personen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen (b.) und zweitens die zuständige Behörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder mit durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzten Mitteln und Kräften abwehren kann (c.).

§ 8 Abs. 2 Satz 1 NVersG, auf den sich die Antragsgegnerin als Rechtsgrundlage für die Anordnungen zu Ziffern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids beruft, kommt hingegen nicht zur Anwendung. Nach dieser Regelung kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten oder auflösen, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Hier hat die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung des Antragstellers nicht verboten, sondern örtlich auf den P. von H. beschränkt. Die Anordnungen zu Ziffern 1 und 2 haben nach Auffassung der Kammer neben der Anordnung zu Ziffer 3 keinen eigenständigen Regelungsgehalt. Das Niedersächsische Versammlungsgesetz kennt nur die Unterscheidung zwischen der Beschränkung einer Versammlung (§ 8 Abs. 1 NVersG) und dem Verbot (§ 8 Abs. 2 NVersG). Kategorien wie „Verbot mit Beschränkung“ und „Totalverbot“ finden sich in dem Gesetz nicht.

a. Zu Recht ist die Antragsgegnerin vom Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgegangen. Eine unmittelbare Gefahr im versammlungsrechtlichen Sinn liegt vor bei einer Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintritt (vgl. Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8, Rn. 23)

Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) darf die Behörde keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus (st. Rspr., vgl. BVerfGE 69, 315, 363; BVerfG, Beschluss vom 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 –, juris, Rn. 17). Dies gilt auch in den Fällen der Inanspruchnahme der friedlichen Versammlungsteilnehmer als Nichtstörer (vgl. nur Nds. OVG, Beschluss vom 13.08.2010 – 11 ME 313/10 –, juris, Rn. 7 f.).

Die Antragsgegnerin hat zu Recht angenommen, dass im Fall der Durchführung des Aufzugs in der angezeigten Form eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht, die von erwarteten Gegendemonstrationen ausgehen wird. Sie hat in dem angefochtenen Bescheid detailliert und unter Benennung konkreter und aktueller Umstände und Indizien dargelegt, woraus sie für den Fall der Durchführung des Aufzuges des Antragstellers die hohe Wahrscheinlichkeit schwerer Gewalttaten durch Nichtversammlungsteilnehmer ableitet. Wie die Polizei in ihrer ersten Gefahrenprognose vom 15.03.2017 darlegt, haben diverse Aufrufe zur Teilnahme an Aktionen gegen die Versammlung des Antragstellers im Internet und in sozialen Netzwerken bereits Verbreitung weit über H. hinaus gefunden. Dabei werden die Teilnahmeaufrufe auch verbunden mit dem Aufruf zu Störungen der Versammlung des Antragstellers sowie der Verletzung von Rechtsgütern Dritter. Dass insbesondere letztgenannte Aufrufe nicht bloße Rhetorik sind, hat sich in den von der Antragsgegnerin näher dargestellten Straftaten seit Januar 2016 durch Mitglieder der linksextremen Szene in H. bestätigt. Auch die Störungen von oder anlässlich von stationären Kundgebungen des „L. M. /N.“ im Mai, Juli, August, September und November 2016, mit denen sich auch die Kammer in Teilen zu befassen hatte und noch hat, unterstreichen die Gewaltbereitschaft von Anhängern der linksextremen Szene. Diese scheuen ersichtlich auch nicht davor zurück, Rechtsgüter unbeteiligter Dritter zu beeinträchtigen, um ihrem Protest öffentlichkeitswirksam Nachdruck zu verleihen. So wurden die Bewohner der H. Innenstadt im vergangenen September durch eine erfundene Sperrmüllsammlung kurz vor der Kundgebung des Antragstellers veranlasst, in erheblichem Umfang auch brennbaren Hausrat auf die Straße zu stellen. Wie sich aus der Stellungnahme der Polizeiinspektion H. vom 28.03.2017 ergibt, wurden zudem brennende Barrikaden errichtet und Fahrbahndecken erheblich beschädigt. Ebenfalls hieraus ergib sich, dass am 18. März diesen Jahres, zwei Wochen vor dem geplanten Aufzug, bis zu 25 vermummte und mit Schlagwerkzeugen bewaffnete Personen eine Bäckereifiliale in der H. Innenstadt zu stürmen versuchten, in der sich der Antragsteller und andere Mitglieder des „L. M. /N.“ aufhielten. Vor Ort befindliche Polizeikräfte wurden teilweise mit Kuchenblechen und Tischen angegriffen. Nach Einschätzung der Kammer geht die Antragsgegnerin aufgrund einer Zusammenschau dieser Umstände zutreffend davon aus, dass die linksextreme Szene zum einen selbst in Teilen gewaltbereit ist und zum anderen ebenfalls gleichgesinnte Unterstützer aus anderen Städten mobilisieren kann, und dass ein Aufzug des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit auch erhebliche Gewalt freizusetzen droht.

b. Ebenfalls noch zu Recht ist die Antragsgegnerin davon ausgegangen, dass Maßnahmen gegen die die Gefahr verursachende Person nicht möglich sind bzw. keine Aussicht auf Erfolg versprechen. Eine Inanspruchnahme der Störer aus dem gewalttätigen linksautonomen Spektrum ist voraussichtlich nicht wirksam möglich, da diese nur in kleinen Gruppen ohne versammlungsrechtliche Anmeldung oder aus der Menge heraus auftreten. Sie können schon deshalb nicht Adressaten von versammlungsrechtlichen Maßnahmen sein. Auch Maßnahmen nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung lassen insbesondere deshalb keine wirksame Gefahrenabwehr erwarten, weil zahlreiche Anhänger der linksextremen Szene im Innenstadtbereich und im Bereich der Aufzugsstrecke wohnen und damit nicht Adressaten z.B. von Zugangssperren u.ä. Maßnahmen zur Aufzugstrecke sein könnten.

Eine versammlungsrechtliche Trennung von rechten Versammlungsteilnehmern und linken Gegendemonstranten durch unterschiedlichen Aufzugstrecken sowie eine Erhöhung des Abstands zur angezeigten Aufzugsstrecke, die der Antragsteller nach dem Vorbild anderer Städte für wirksam hält, ist nach Auffassung der Kammer bei diesem Lagebild ebenfalls keine effektive Maßnahme zur versammlungsrechtlichen Gefahrenabwehr. Weitergehende Maßnahmen als die bereits von der Antragsgegnerin getroffenen gegen die angezeigten Gegendemonstrationen sind voraussichtlich ebenfalls nicht geeignet, die von den gewaltbereiten linksextremen Störern ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wirksam einzudämmen. Die Gegendemonstrationen sind im Übrigen nach Einschätzung der Antragsgegnerin, die die Kammer für nachvollziehbar hält, allenfalls Plattform und Rückzugsort für die Störer. Von ihnen geht aber nicht als Ganzes eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aus. Maßnahmen gegen diese Gegendemonstrationen dürften daher auch am Maßstab von § 8 Abs. 1, Abs. 3 NVersG zu messen sein.

Eine Ausnahme könnte allenfalls der von Herrn Dr. AR. angezeigte Aufzug darstellen, auf den der Antragsteller insbesondere verweist. Dieser Aufzug besteht nach aktueller polizeilicher Prognose aus Personen besteht, die dem gewaltgeneigten bzw. -bereiten linken Spektrum zuzurechnen sind. Eine Beschränkung dieses Aufzugs könnte allerdings allenfalls ein Baustein für eine effektive Gefahrenabwehr sein. Die Polizeiinspektion H. hat in ihrer Gefahrenprognose vom 15.03.2017, die Grundlage für den streitgegenständlichen Bescheid war, dargestellt, dass auf der Aufzugsstrecke des Antragstellers weitere Rückzugsräume für linksextreme Störer bestehen und die linksextreme Szene grundsätzlich autark agieren werde. Eine weitergehende Beschränkung dieser Gegendemonstration - wie auch der übrigen Gegendemonstrationen - und eine Anpassung der vom Antragsteller angezeigten Aufzugsstrecke  würde die erwartete Kleingruppentaktik der Störer nach Ansicht der Kammer deshalb allenfalls erschweren, jedoch nicht wirksam verhindern. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass sich die erwarteten Aktionen voraussichtlich nicht nur auf den Aufzug des „L. M. /N.“ beschränken, sondern über das Stadtgebiet ausweiten würde.

c. Nicht schlüssig dargelegt hat die auch insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegnerin indes, dass sie (bzw. nach Einsatzbeginn die Polizeiinspektion H. als zuständige Behörde) die von linksautonomen Störern ausgehende Gefahr für Rechtsgüter der Teilnehmer der Versammlung des Antragstellers wie für Rechtsgüter unbeteiligter Dritter im Stadtgebiet H. nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder mit durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzten Mitteln und Kräften abwehren kann.

Hierfür ist es - worauf die Kammer durch richterliche Verfügung des Berichterstatters hingewiesen hat - erforderlich, dass die Versammlungsbehörde zunächst aufgrund einer schlüssigen Gefahrenprognose darlegt, welcher Bedarf an Kräften tatsächlich besteht. In einem zweiten Schritt ist dann darzulegen, dass und aus welchem Grund der behauptete Bedarf nicht gedeckt werden kann (vgl. Wefelmeier/Miller, NVersG, 2012, § 8 Rn. 45).

Die Antragsgegnerin hat weder im streitgegenständlichen Bescheid noch auf zweimalige Nachfrage der Kammer offen gelegt, wie viele Polizeibeamtinnen und -beamte voraussichtlich erforderlich wären, um einen ungestörten Verlauf eines Aufzugs des Antragstellers sicherzustellen, und ob diese Anzahl verfügbar wäre.

Sie hat sich unter Berufung auf die vergangenen Entscheidungen zu Versammlungen in H. vielmehr ersichtlich auf die Position zurückgezogen, dass Aufzüge von „Rechten“ per se in H. nicht ermöglicht werden können. Sie hat offenbar deshalb nur auf die Anzahl der von der Polizeiinspektion H. tatsächlich angeforderten sieben Einsatzhundertschaften verwiesen, die diese neben eigenen 100 Polizeibeamtinnen und -beamten am 01.04.2017 insgesamt einsetzen will. Diese Haltung wird der Schutzpflicht des Staates nicht gerecht, den das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit anhält, die Grundrechtsausübung möglichst vor Störungen und Ausschreitungen Dritter zu schützen und behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu richten, um die Durchführung der Versammlung zu ermöglichen (vgl. BVerfGE 69, 315, 355 f., 360 ff.).

Die Antragsgegnerin kann auch nicht damit durchdringen, dass eine konkrete Berechnung „reine Förmelei“ wäre, da ein Aufzug unabhängig von der Anzahl der tatsächlich zur Verfügung stehenden Polizeibeamtinnen und -beamten nicht zu bewältigen sei. Nichts anderes ergibt sich aus den von der Antragsgegnerin für diese Auffassung herangezogenen Entscheidungen der Kammer vom 14.09.2006 (- 1 B 322/06 -) und vom 08.09.2016 (- 1 B 222/16 -). In der Entscheidung aus 2006 ist die Kammer aufgrund ausführlicher und detaillierter Darlegungen davon ausgegangen, dass zum Schutz eines Aufzugs ein Bedarf von über 6.000 Beamtinnen und Beamten erforderlich wäre. Ein entsprechender Einsatz sei aber aus logistischen Gründen nicht zu bewältigen. Vorliegend hat die Antragsgegnerin jedoch gerade nicht substantiiert vorgetragen, dass zum Schutz eines Aufzugs eine nicht mehr zu versorgende Anzahl an Beamten benötigt werde. Der Entscheidung aus 2016 lag der Vortrag der Polizeiinspektion zu Grunde, dass ihr am Einsatztag trotz Anforderung weiterer Kräfte insgesamt nur neun Einsatzhundertschaften zur Verfügung stünden. Auf Grundlage dieses Vortrags hat die Kammer hochgerechnet, dass zum Schutz eines Aufzugs mehr Kräfte erforderlich wären, und ist deshalb vom Vorliegen eines (echten) polizeilichen Notstands ausgegangen.

Allerdings kann die Kammer das Vorliegen eines polizeilichen Notstands auch nicht ausschließen. Gerade die von der Antragsgegnerin beschriebene und zu erwartende Guerilla-Taktik von Angehörigen der linksextremen Szene lässt erwarten, dass es zu einer nicht absehbaren Vielzahl von Übergriffen auf die Versammlung des Antragstellers auch mit Waffen und als Waffen genutzten Gegenständen, mit Brandsätzen, Feuer u.a. kommen könnte, die nur mit einer sehr hohen Anzahl von Polizeikräften sowie dem Einsatz von Hilfsmitteln einzudämmen wäre. Diese hohe Anzahl ist nicht nur durch ihre Verfügbarkeit begrenzt. Ob die erforderliche Anzahl von Polizeikräften in H. versorgt und untergebracht werden könnte (vgl. hierzu Beschluss der Kammer vom 14.09.2006, Az. 1 B 322/06), kann die Kammer nicht überprüfen, weil diese Anzahl nicht beziffert ist. Sie geht aber davon aus, dass es nach oben eine Grenze von einsetzbaren Polizeikräften gibt. Da weitere Aufklärungsmaßnahmen aufgrund der Kürze der Zeit im Eilverfahren nicht mehr erfolgen können, sind die Erfolgsaussichten der Klage jedenfalls offen. Die abschließende Beurteilung, ob die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands tatsächlich vorliegen, wird im Hauptsacheverfahren erfolgen.

2. Auch mit dem Vortrag, ein sogenannter unechter polizeilicher Notstand rechtfertige die Beschränkung der Versammlung des Antragstellers auf eine stationäre Kundgebung, kann die Antragsgegnerin nicht durchdringen.

Die Kammer lässt offen, ob auch unter Geltung des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes die Rechtsfigur des unechten polizeilichen Notstands weiterhin anwendbar ist. Mit unechtem polizeilichen Notstand ist eine Lage gemeint, in der die Polizei mit vorhandenen Kräften zwar in der Lage ist, die verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte von Versammlungsteilnehmern durchzusetzen, hierzu aber Mittel wie z.B. Wasserwerfer, Sonderwagen und Reizstoffe einsetzen müsste, die zu wesentlich größeren Schäden für Dritte führen würden. Die Schäden für Rechtsgüter Dritter und damit für die öffentliche Sicherheit stünden bei einem Einschreiten gegen die Störer in einer solchen Lage in einem extremen Missverhältnis zu den Nachteilen, die im Vergleich dazu durch ein Vorgehen gegen die friedliche Versammlung eintreten (vgl. Ullrich, NVersG, 2011, § 8 Rn. 129 m.w.N.).

An die Darlegungslast für das Vorliegen eines solchen unechten polizeilichen Notstands wären dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungslast für das Vorliegen eines (echten) polizeilichen Notstands im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 NVersG. Auch hier genügte eine pauschale Behauptung nicht aus. Die Antragsgegnerin behauptet aus Sicht der Kammer vorliegend aber lediglich, dass sie Hilfsmittel einsetzen müsste, um die erwarteten linksextremen Störer wirksam einzudämmen. Wenn sie schon nicht vortragen kann, wie viele Polizeikräfte erforderlich wären, um (ohne den Einsatz von Hilfsmitteln) effektiv gegen die Störer Maßnahmen zu ergreifen, ist auch der Vortrag, Hilfsmittel wären erforderlich, nicht hinreichend dargelegt.

3. Da das Vorliegen eines polizeilichen Notstands nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden kann, die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs somit offen sind (vgl. 1. c.), ist von der Kammer eine reine Folgenabwägung vorzunehmen.

Im Rahmen dieser Abwägung sind einerseits die Folgen zu berücksichtigen, die es für den Antragsteller und die Teilnehmer der angemeldeten Versammlung in Bezug auf die Ausübung ihres durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Rechts hätte, wenn der Aufzug nicht durchgeführt werden kann, sich bei einer späteren Überprüfung aber herausstellen sollte, dass die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands in Wahrheit nicht vorlagen. Andererseits ist zu würdigen, welche Folgen es für den Antragsteller und die Teilnehmer des Aufzugs sowie für Dritte hätte, wenn die Versammlung stattfinden könnte, sich aber später herausstellt, dass ein polizeilicher Notstand tatsächlich bestand (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 11.09.2015 - 4 Bs 192/15 -, juris, Rn. 25; bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 11.09.2015 - 1 BvR 2211/15 -, juris).

Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Gesamtumstände das Interesse des Antragstellers an der Durchführung des Aufzugs auf der angezeigten Strecke gegenüber den Rechten Dritter zurückzutreten hat. Hierbei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass eine Überprüfung der Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes deshalb nicht möglich war, weil die Antragsgegnerin weder den konkreten Personalbedarf zum Schutz des Aufzugs noch dargelegt hat, welche Kräfte ihr nach entsprechender Anforderung zur Verfügung gestanden hätten.

Nach Auffassung der Kammer  würde eine Durchführung des Aufzugs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Gesundheit der Teilnehmer der Versammlung, der sie schützenden Polizeibeamten, der Gegendemonstranten und unbeteiligten Dritten sowie zu Beschädigungen öffentlichen und privaten Eigentums in erheblichem Ausmaß führen. Dem Schutz dieser Rechtsgüter gebührt Vorrang gegenüber dem Recht des Antragstellers auf Durchführung des angezeigten Aufzugs.

Die Beschränkung der Versammlung auf eine stationäre Kundgebung beeinträchtigt den Antragsteller zwar in seinem Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG. Die Beeinträchtigung ist jedoch nicht als erheblich einzustufen. So kann der Antragsteller grundsätzlich sein Anliegen durch die stationäre Kundgebung - wenngleich auch nicht mit derselben Effektivität - nach außen tragen. Zudem hat das Versammlungsthema „Gemeinsam für Deutschland“ weder einen spezifischen Bezug zu H. noch zu den an der geplanten Route gelegenen Örtlichkeiten. Folglich liegt in der Beschränkung zwar eine Begrenzung der Möglichkeit, Aufmerksamkeit an mehreren Orten zu erreichen, nicht aber eine Beeinträchtigung des inhaltlichen Anliegens der Versammlung.

Sollte die Versammlung hingegen als Aufzug auf der angemeldeten, aber auch auf einer veränderten bzw. verkürzten Route durchgeführt werden, käme es nach Ansicht der Kammer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht nur zu spürbaren Beeinträchtigungen des innerstädtischen Lebens für wenige Stunden, wie der Antragsteller meint. Zu erwarten sind vielmehr schwer Ausschreitungen in der von der Antragsgegnerin und der Polizeiinspektion H. in ihrer Prognose und ihren Stellungnahmen beschriebenen Art. Wie oben (unter 1. a.) ausgeführt, ist nach dem Verhalten der Angehörigen der linksextremen Szene H. im letzten Jahr und nach den überregionalen Aufrufen zur Verhinderung des Aufmarschs auch mit Mitteln der Gewalt mit einer umfassenden Gefährdung und Verletzung geschützter Rechtsgüter - insbesondere körperliche Unversehrtheit und das Eigentum Dritter-  zu rechnen. Durch die verfügte Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung vermindert die Antragsgegnerin nach eigenen Darstellungen, die die Kammer für überzeugend hält, wesentlich die Gefahr solcher Störungen. Die Kammer folgt der Einschätzung der Antragsgegnerin, dass eine stationäre Kundgebung in deutlich geringerem Maße gewaltbereite Gegendemonstranten anzieht als ein Aufzug.

Die Beschränkung auf eine stationäre Kundgebung stellt sich auch als verhältnismäßig dar. Eine Verkürzung der Aufzugsstrecke oder ihre räumliche Verlagerung wäre demgegenüber zwar das mildere Mittel, aber nicht in gleicher Weise geeignet zur Gefahrenabwehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Danach trägt der Antragsteller als Unterliegender die Kosten des Verfahrens.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da durch die Entscheidung im Eilverfahren die Entscheidung in der Hauptsache faktisch vorweggenommen wird, besteht keine Veranlassung, den für das Hauptsachverfahren anzunehmenden Streitwert in Höhe des Auffangwertes zu reduzieren.