Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 08.02.2017, Az.: 9 A 340/16

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
08.02.2017
Aktenzeichen
9 A 340/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 23031
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In der Verwaltungsrechtssache
des Herrn A.,
Staatsangehörigkeit: syrisch,
Klägers,
Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Michael Anding,
Ruhfäutchenplatz 3, 38100 Braunschweig, - B. -
gegen
die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Klostermark 70-80, 26135 Oldenburg, - C. -
Beklagte,
Streitgegenstand: Asylrecht - Hauptsacheverfahren
- Flüchtlingseigenschaft -
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 9. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 2017 durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Karger, die Richterin am Verwaltungsgericht Struckmeier, die Richterin Holz sowie die ehrenamtliche Richterin D. und den ehrenamtlichen Richter E. für Recht erkannt:

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Der im Januar F. geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Am 24. März 2016 meldete er sich als asylsuchend, wobei er seinen Asylantrag auf die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz beschränkte. Bei der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 29. März 2016 durchgeführten Anhörung gab er an, in Aleppo gelebt und Syrien am 12. November 2015 verlassen zu haben. Seine Eltern lebten noch gemeinsam mit seinem elfjährigen Bruder und seiner 18 Jahre alten Schwester in Aleppo. Dort habe er 14 Jahre lang die Schule besucht, diese dann aber abgebrochen. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Politisch habe er sich nicht betätigt. Zu seinen Asylgründen erklärte er im Wesentlichen, aus Syrien geflohen zu sein, weil er keinen Wehrdienst habe leisten wollen. Im März 2016 habe er den Wehrdienst antreten sollen. Er wolle sich aber nicht am Krieg beteiligen. Er habe mit eigenen Augen beobachtet, wie Heckenschützen drei Kinder erschossen hätten. An solchen Taten wolle er keinen Anteil haben. Aus dem vom Kläger beim Bundesamt vorgelegten Wehrdienstheft ergibt sich eine Zurückstellung vom Wehrdienst bis 15. März 2015.

Mit Bescheid vom 18. Juli 2016, zugestellt am 18. Oktober 2016, erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu (Ziffer 1). Im Übrigen lehnte es das Schutzgesuch ab (Ziffer 2). Zur Begründung führte es aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft seien nicht gegeben. Der Kläger habe eine Kausalität zwischen möglichen Verfolgungshandlungen und Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 AsylG nicht ausreichend substantiieren können. Eine solche sei auch sonst nicht ersichtlich. Weder gehöre der Kläger einer besonderen vulnerablen Gruppe an noch habe er vor seiner Ausreise eine exponierte Funktion innegehabt.

Der Kläger hat am 31. Oktober 2016 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Syrischen Staatsangehörigen drohe im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien ungeachtet individuell geltend gemachter Vorverfolgungsgründe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Aufenthalt im Ausland. Nach der Erkenntnislage laufe in Syrien jede Person, die als oppositionell wahrgenommen werden könne, Gefahr, willkürlich inhaftiert zu werden, zu verschwinden, Folter bzw. Misshandlung zu erleiden und möglicherweise in Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit variierten dabei. Die Zustände in syrischen Gefängnissen verletzten das Recht der Inhaftierten auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Bei Rückführungen nach Syrien seien sowohl Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht hätten, als auch solche mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft verschärften Ermittlungen ausgesetzt gewesen. Das Gesetz erlaube die Verfolgung jeder Person, die in einem anderen Land um Asyl nachgesucht habe, um einer Bestrafung in Syrien zu entgehen. Die Regierung inhaftiere regelmäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Verbindungen, die nach Jahren oder sogar nach Jahrzehnten des selbstgewählten Exils versuchten, in das Land zurückzukehren. Auch der UNHCR habe erklärt, dass für viele aus Syrien geflohene Zivilisten der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien bestehe. Erschwerend komme für ihn persönlich hinzu, dass er sich dem Militärdienst entzogen habe. Damit gehöre er nach Einschätzung des UNHCR zu einer besonders verletzlichen Gruppe, die wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention benötige.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 18. Juli 2016 zu Ziffer 2 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bescheid,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 18. Juli 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit darin die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt worden ist (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist und keiner der genannten Ausnahmetatbestände einschlägig ist. Ein Ausländer ist gemäß § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b).

§ 3a Abs. 1 AsylG definiert den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bezeichneten Begriff der Verfolgung als dauerhafte oder systematische schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte. In Absatz 2 werden besondere Beispiele für Verfolgungshandlungen genannt. § 3b Abs. 1 AsylG beschreibt abschließend die maßgeblichen Verfolgungsgründe, darunter insbesondere die Verfolgung wegen der politischen Überzeugung (Nr. 5).

Ob eine Verfolgung der vorstehend näher beschriebenen Art droht, d. h. der Ausländer sich im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG aus begründeter Furcht vor einer solchen Verfolgung außerhalb des Herkunftslandes befindet, ist anhand einer Verfolgungsprognose zu beurteilen, die auf der Grundlage einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (BVerwG, Urt. v. 06.03.1990 - 9 C 14/89 - , Rn. 13 m. w. N.). Die Prognose in Bezug auf eine bei Rückkehr in den Heimatstaat drohende Verfolgung hat nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl. EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl. EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 - einheitlich anhand des Maßstabs der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" zu erfolgen (vgl. dazu im Einzelnen BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 - 10 C 25/10 - , Rn. 22; Urt. v. 01.03.2012 - 10 C 7/11 - , Rn. 12 m. w. N.).

Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 07.02.2008 - 10 C 33/07 - , Rn. 37 m. w. N.) eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 Prozent Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr "beachtlich" ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 Prozent für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die "reale Möglichkeit" (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (so auch OVG Rhein.-Pf., Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 - , Rn. 34).

Die begründete Furcht vor Verfolgung kann gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens oder durch das Erstverfahren verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Im Hinblick auf die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urt. v. 18.12.2008 - 10 C 27/07 - Rn. 14; vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 18.07.2012 - 3 L 147/12 - , Rn. 26). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 28 Abs. 1a AsylG die entsprechenden Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt und hiermit zugleich die grundsätzliche Relevanz von Nachfluchttatbeständen klargestellt. Der beachtliche Nachfluchttatbestand ist damit kein Ausnahmetatbestand, sondern ebenso wie der Vorfluchtgrund ein Regelfall des § 3 AsylG (vgl. auch VG Regensburg, Urt. v. 29.06.2016 - RO 11 K 16.30707 - [...], Rn. 22; VG Trier, Urt. v. 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - , Rn. 23f.).

Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Verbindung mit den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Wer eine ihm geltende Verfolgungshandlung (§ 3a AsylG) sowie den Wegfall nationalen Schutzes (§ 3c bis § 3e AsylG) darlegen kann, wird als Flüchtling anerkannt, wenn die Verfolgung auf einem oder mehreren der in § 3b Abs. 1 AsylG bezeichneten Verfolgungsgründen beruht. Kann die Anknüpfung der Verfolgung an einen solchen Verfolgungsgrund nicht dargelegt werden, besteht nach Maßgabe der entsprechenden Voraussetzungen lediglich Anspruch auf subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylG).

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anhand des inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, ob eine spezifische Zielrichtung vorliegt, die Wirkung mithin "wegen" eines geschützten Merkmals erfolgt. So begründet nicht jede gezielte Verletzung von Rechten bereits eine asylerhebliche Verfolgung. Vielmehr ist erforderlich, dass die Maßnahme den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen soll (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 = BVerfGE 80, 315, 335 [BVerfG 10.07.1989 - 2 BvR 501/86], [...], Rn. 44; BVerfG, Beschl. v. 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 = BVerfGE 81, 142, 151, [...], Rn. 25ff.). Dem Begriff der Verfolgung wohnt ein finales Element inne, da nur dem auf bestimmte Merkmale einzelner Personen oder Personengruppen zielenden Zugriff erhebliche Wirkung zukommt. Das Kriterium "erkennbare Gerichtetheit der Maßnahme" und das Erfordernis, dass die Verfolgung an geschützte Merkmale anknüpfen muss, verdeutlichen, dass es auf die in der Maßnahme objektiv erkennbar werdende Anknüpfung ankommt (Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3a Rn. 54).

Dabei ist es für die Annahme von Verfolgung nicht erforderlich, dass von politischer Verfolgung Betroffene entweder tatsächlich oder nach der Überzeugung des verfolgenden Staates selbst Träger eines verfolgungsverursachenden Merkmals sind. Politische Verfolgung kann auch dann vorliegen, wenn der oder die Betroffene lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist (BVerfG, Kammerbeschluss v. 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - [...], Rn. 5). In diesem Sinne sieht § 3b Abs. 2 AsylG vor, dass es bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich ist, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden. Dafür, dass die Verfolger einen Verfolgungsgrund unterstellen, müssen jedoch Umstände ermittelt werden (vgl. Marx, a.a.O., § 3b Rn. 78).

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Bei verständiger Würdigung droht ihm bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung wegen einer zugeschriebenen politischen Überzeugung im Sinne von § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG).

Die Kammer geht in ihrer Rechtsprechung zwar davon aus, dass Asylsuchenden aus Syrien im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht allein wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalt im (westlichen) Ausland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung droht. Selbst wenn angenommen würde, dass dieser Personenkreis bei einer Rückkehr nach Syrien im Zusammenhang mit der dort bei der Einreise erfolgenden Rückkehrerbefragung der konkreten Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung ausgesetzt wäre, fehlt jedenfalls die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung der darin liegenden Verfolgungshandlung mit Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Das Handeln des syrischen Staates stellt sich insoweit letztlich nicht als zielgerichtet, sondern als wahllos und schlicht willkürlich dar. Die allgemeine, jeden unterschiedslos treffende Gefahr potentieller Befragungen unter Einsatz von Folter vermag einen über die Zuerkennung subsidiären Schutzes hinausgehenden Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu begründen (vgl. dazu eingehend Urteil der Kammer vom 8.2.2017 - 9 A 246/16 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, unter Bezugnahme insbesondere auf OVG Rh.-Pf., Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, ).

Der Kläger hat sich aber durch die Ausreise aus Syrien dem Militärdienst entzogen, weshalb für ihn ein erhöhtes Risiko besteht, bei einer Rückkehr nach Syrien im Rahmen der Rückkehrerbefragung bzw. in deren Anschluss wegen unterstellten illoyalen Verhaltens und regimefeindlicher Gesinnung menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zu Folter ausgesetzt zu sein.

Die Schwelle, ab deren Überschreiten einem Rückkehrer seitens der syrischen Regierung eine vermeintlich oppositionelle Haltung zugeschrieben wird, ist nach Ansicht der Kammer grundsätzlich niedrig anzusetzen. Es genügt insoweit ein geringer Verdachtsgrad (vgl. Urteil der Kammer vom 8.2.17 - 9 A 246/16 -, unter Hinweis auf Immigration and Refugee Board of Canada, Bericht vom 19.01.2016, S. 4, Ziff. 3: Treatment of Failed Refugee Claimants: "However, the conflict has probably raised the suspicion levels of officials."; UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. akt. Fassung, November 2015, S. 12).

Bei Personen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, sieht die Kammer die Verdachtsschwelle jedenfalls als überschritten an (so wohl auch Bay. VGH, Urt. v. 13.12.2016 - 21 ZB 16.30338; 21 ZB 16.30364; 21 ZB 16.30371; 21 ZB 16.30372 -, noch nicht veröffentlicht; VG Aachen, Urt. v. 27.01.2017 - 9 K 2245/15.A - noch nicht veröffentlicht). Für diese Einschätzung spricht die Auskunft der Deutschen Botschaft Beirut an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 03. Februar 2016. Danach stehen die dort bekannten Fälle, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind, überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammenarbeite. In seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 12. Oktober 2016 führt das Auswärtige Amt aus, dass an syrischen Flughäfen umfangreiche Personen- und Grenzkontrollen durch Geheimdienste stattfänden, wobei den Sicherheitskräften Listen gesuchter Personen zur Verfügung gestellt würden, in denen unter anderem Wehrdienstverweigerer aufgeführt seien. Nach dem Bericht des Immigration and Refugee Board of Canada vom 19. Januar 2016 (S. 4, Ziff. 5) deuten Quellen darauf hin, dass die Sicherheitskontrollen am Flughafen Damaskus auch die Überprüfung beinhalten, ob Rückkehrer den Militärdienst abgeschlossen haben. Männer im militärfähigen Alter seien besonders anfällig für Misshandlungen durch Sicherheitsbehörden am Flughafen und an anderen Punkten. Ein emeritierter Professor habe sie als die "am meisten gefährdete" Gruppe in Bezug auf menschenrechtswidrige Behandlung durch syrische Sicherheitskräfte bezeichnet, insbesondere, wenn sie nie im Militär gedient hätten. Dementsprechend würden junge Männer zwischen 16 und 40 Jahren von den Grenzbehörden besonders verfolgt und unterlägen zudem Zwangsrekrutierungen von allen Seiten, auch wenn sie bereits ihren Militärdienst abgeschlossen hätten ("Sources indicate that the security check conducted by border authorities at the Damascus International Airport and other ports of entry includes checking if the returnee completed military service <CIVIC 11 Dec. 2015; Executive Director 14 Dec. 2015; Emeritus Professor 11 Dec. 2015>. Several sources state that men of military age are particularly vulnerable to mistreatment by security authorities at the airport and other points of entry <ibid.; CIVIC 11 Dec. 2015; Executive Director 14 Dec. 2015>. The Emeritus Professor described militaryaged men as 'the most vulnerable' group in terms of treatment by Syrian authorities at points of entry, 'especially if they never served in the military' <Emeritus Professor 11 Dec. 2015>. According to the Program Officer, young men of 16 to 40 are 'particularly persecuted' by border authorities and are subject to 'forced conscription on all sides,' even if they already completed their military service <CIVIC 11 Dec. 2015>.").

In Syrien besteht für männliche Staatsangehörige eine allgemeine Wehrpflicht. Die Registrierung für den Wehrdienst erfolgt im Alter von 18 Jahren. Die Wehrpflicht besteht bis zum Alter von 42 Jahren (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014, S. 1). Andere Quellen gehen davon aus, dass die Wehrpflicht in der Praxis bis zum 50. Lebensjahr ausgeweitet wird (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf v. 02.01.2017, GZ: 508-9-516.80/48808; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014, S. 1). Auch seien zahlreiche Berichte bekannt, nach denen Reservisten zum Militärdienst eingezogen werden (vgl. Auswärtiges Amt, a. a. O.). Nach Angaben des Fact-Finding Mission Report des Finnish Immigration Service vom 23. August 2016 (S. 5) beläuft sich die Altersgrenze für die Reservepflicht nach dem Gesetz auf 52 bzw. 54 Jahre, wenn ein Mann einen Bachelor-Abschluss hat. Darüber hinaus lägen Anhaltspunkte für eine Anhebung der Altersgrenze für Reservisten in bestimmten Fällen und Gebieten auf bis zu 60 Jahre vor (Finnish Immigration Service, a. a. O, S. 11). Je nach Eignung beläuft sich die Dauer des Wehrdienstes auf ein bis drei Jahre (Dt. Orient-Stiftung, Auskunft an das OVG Schleswig-Holstein vom 08.11.2016).

Nach Angaben des Auswärtigen Amtes in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 02. Januar 2017 (GZ: 508-9-516.80/48808) besteht die allgemeine Wehrpflicht auch weiterhin und wird durchgesetzt. Wehrpflichtige Männer werden per Einberufungsbescheid zum Ableisten des Wehrdienstes aufgefordert. Wehrpflichtige Männer, die auf diesen Einberufungsbescheid nicht reagieren, werden von Mitarbeitern der Geheimdienste für den Militärdienst zwangsrekrutiert. Es sei damit kaum möglich, sich der Wehrpflicht zu entziehen. Es gäbe auch Berichte, dass junge Männer an Checkpoints verschleppt und zwangsrekrutiert würden. Männern im wehrpflichtigen Alter werde die Ausreise aus dem Land verboten und der Reisepass vorenthalten.

Freigestellt vom Wehrdienst sind nach syrischem Recht grundsätzlich Einzelkinder bzw. einzige Söhne sowie Studenten während ihres Studiums (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf v. 02.01.2017, GZ: 508-9-516.80/48808). Syrische Männer, die im Ausland leben, können sich für 4.000 bis 5.000 USD vom Wehrdienst freikaufen. Gemäß Gesetz Nr. 33 vom 06. August 2014 müssen Wehrpflichtige bei einem Auslandsaufenthalt von über vier Jahren sogar 8.000 USD zahlen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf v. 02.01.2017, GZ: 508-9-516.80/ 48808). Sofern ein Mann Ernährer der Familie ist und er jüngere Brüder hat, kann er seinen Militärdienst verschieben, bis der jüngere Bruder sechzehn Jahre alt ist (Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting syrian Regime and armed opposition, 23.08.2016, S. 9). Nach Angaben der Schweizer Flüchtlingshilfe sind auch Männer mit medizinischen Einschränkungen von der Wehrpflicht ausgenommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014, S. 2). Hinsichtlich der rechtlich vorgesehenen Ausnahmen von der Wehrpflicht sowie der Zurückstellungsmöglichkeiten mehren sich allerdings Hinweise darauf, dass es in der Praxis zunehmend schwieriger ist, eine Frei- oder Zurückstellung vom Militärdienst zu erhalten und sogar bereits gewährte Frei- bzw. Zurückstellungen willkürlich ohne Berücksichtigung bleiben (vgl. Bericht des Danish Immigration Service, September 2015, "Syria, Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG", S. 12; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting syrian Regime and armed opposition, 23.08.2016, S. 10). Dafür sprechen auch die an Universitäten durchgeführten Rekrutierungsaktionen (vgl. etwa Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015, S. 5). Nach Angaben des Auswärtigen Amtes ist jedenfalls im Hinblick auf die syrische Armee unterstützende Milizen nicht auszuschließen, dass Zwangsrekrutierungen auch außerhalb des für die Armee üblichen Personenkreises erfolgen und etwa Einzelkinder erfassen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf v. 02.01.2017, GZ: 508-9-516.80/ 48808). Bei dieser Sachlage geht die Kammer davon aus, dass Asylsuchende mangels hinreichender Verlässlichkeit rechtlich bestehender Freistellungs- bzw. Rückstellungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht darauf verwiesen werden können, sich bei einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien auf ihre Zugehörigkeit zu einem freistellungs- bzw. zurückstellungsberechtigten Personenkreis zu beziehen, sondern dass auch dieser Personenkreis mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, wegen einer angenommenen illoyalen Haltung gegenüber dem syrischen Regime menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zu Folter ausgesetzt zu sein.

Die Möglichkeit eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerung wird gemäß dem Military Penal Code von 1950, der 1973 angepasst wurde, bestraft. In Artikel 68 ist festgehalten, dass mit einer Haftstrafe von einem bis sechs Monaten in Friedenszeiten und bis zu fünf Jahren in Kriegszeiten bestraft wird, wer sich seiner Einberufung entzieht. Wer das Land ohne eine Adresse zu hinterlassen verlässt und sich so der Einberufung entzieht, wird mit drei Monaten bis zu zwei Jahren Haft und einer Geldbuße bestraft. Gemäß Artikel 101 wird Desertion mit fünf Jahren Haft oder mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft, wenn der Deserteur das Land verlässt. In Artikel 102 ist festgehalten, dass ein Deserteur, der im Angesicht des Feindes desertiert, mit lebenslanger Haft bestraft wird. Exekution ist bei Überlaufen zum Feind und bei geplanter Desertion im Angesicht des Feindes vorgesehen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Rekrutierung durch die Syrische Armee, 30.07.2014, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf v. 02.01.2017, GZ: 508-9-516.80/48808). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 02.01.2017 (GZ: 508-9-516.80/48808) wurden bereits 2011 Dutzende syrische Deserteure erschossen, da sie sich den Aufständischen anschließen wollten. Dem Auswärtigen Amt vorliegenden Berichten zufolge kann auch ein Wehrdienstentzug durch "illegale" Ausreise von nicht gemusterten bzw. nicht einberufenen Wehrpflichtigen durch Geldbuße oder Gefängnis bestraft werden. Regimegegnerschaft kann dabei zu härteren Reaktionen führen (Auswärtiges Amt, a. a. O.).

Das syrische Regime hat bereits seit Beginn des Bürgerkrieges die Mobilisierungsmaßnahmen für Rekruten und Reservisten intensiviert. Seit Herbst 2014 kommt es angesichts einer erheblichen Dezimierung der syrischen Armee durch Desertion und Verluste zur Mobilisierung von Reservisten sowie zur Verhaftung von Deserteuren und Männern, die sich bislang dem Wehrdienst entzogen haben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015, S. 1ff.). Deserteure und Personen, die sich dem Militärdienst entzogen haben, werden inhaftiert und verurteilt. In der Haft kommt es zu Folter. Menschenrechtsorganisationen berichten über Exekutionen von Deserteuren. Einige der Verhafteten werden vom Militärgericht zu Haftstrafen verurteilt, bevor sie eingezogen werden, andere werden verwarnt und direkt in den Militärdienst geschickt (Schweizer Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015, S. 4).

Rückkehrer, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, laufen nach Ansicht der Kammer vor diesem Hintergrund mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr, bei einer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien im Rahmen der zu erwartenden Rückkehrerbefragung bzw. einer etwaigen anschließenden Verbringung in ein Haft- oder Verhörzentrum einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt zu sein, weil die Entziehung von der Wehrpflicht seitens des syrischen Regimes als illoyal wahrgenommen wird und der Wehrdienstpflichtige in den Verdacht gerät, eine abweichende, oppositionelle politische Einstellung zu vertreten (so offenbar auch Bay. VGH, Urt. v. 12.12.2016 - 21 ZB 16.30338; 21 ZB 16.30364; 21 ZB 16.30371; 21 ZB 16.30372, noch nicht veröffentlicht). Für eine solche Haltung der syrischen Regierung spricht auch eine Äußerung des syrischen Präsidenten Assad, der in einer Rede im Juli 2015 erklärt hat, "Syrien sei für die, die es verteidigen" (Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting syrian Regime and armed opposition, 23.08.2016, S. 7: "...the country is for those who protect it.").

Da bei der Behandlung von erstmalig Wehrdienstpflichtigen und Reservisten, die sich der Wehrpflicht entziehen, seitens des syrischen Regimes keine Unterschiede ausgemacht werden können, erscheint aus Sicht der Kammer auch hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft keine unterschiedliche Handhabung angezeigt.

Weil (Zwangs-) Rekrutierungen nach der Erkenntnislage auch jenseits eines formalen Einberufungsverfahrens vorgenommen werden, beispielsweise an Checkpoints oder bei Razzien in Wohnquartieren und Universitäten (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Düsseldorf v. 02.01.2017, GZ: 508-9-516.80/48808; Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups supporting syrian Regime and armed opposition, 23.08.2016, S. 6; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, 28.03.2015, S. 3), kommt es für die Kammer auch nicht darauf an, ob bereits ein Einberufungsbescheid vorliegt oder nicht. Dies gilt umso mehr, als Einziehungen zum Wehrdienst auch an der Grenze erfolgen (Finnish Immigration Service, a. a. O., S. 7).

Einer Wehrdienstentziehern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung steht dabei nicht entgegen, dass das syrische Regime angesichts der Vielzahl von ausgereisten Personen nicht in der Lage wäre, die erforderlichen Mittel und Kräfte aufzubringen, um eine tatsächliche Verfolgung zu gewährleisten. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass Wiedereinreisen bei Rückführungen kanalisiert über den zentralen internationalen Flughafen Damaskus stattfinden und so nur verhältnismäßig wenige Ressourcen beanspruchen würden (so zu diesem Gesichtspunkt auch: Thür. OVG, Beschl. v. 14.12.2016 - 3 ZKO 638/16 - [...], Rn. 13).

Der Annahme einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung steht auch nicht die vom Bundesamt wiederholt angeführte Passerteilungspraxis des syrischen Regimes entgegen, die im Jahr 2015 zur Ausstellung von mehr als 800.000 Pässen geführt haben soll (vgl. Schriftsatz des BAMF an das VG Saarland vom 16.09.2016 unter Bezugnahme auf Presseberichte des Tagesspiegels vom 05.11.2015 und 26.10.2015 sowie die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016). Denn sowohl nach der vom Bundesamt in Bezug genommenen Presseberichterstattung als auch nach der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03. Februar 2016 erscheint es naheliegend, dass die umfängliche Ausstellung von Pässen wesentlich auf finanziellen Erwägungen beruht und geopolitische Absichten verfolgen könnte. Nach Angaben von Pro Asyl (Stellungnahme vom 23.05.2016, "BAMF-Entscheidungspraxis geändert: Für immer mehr SyrerInnen wird der Familiennachzug ausgesetzt") verdiente der syrische Staat mit der Passausstellung rund 470 Millionen Euro. Hingewiesen wird zudem auf ein Interview mit dem türkischen Migrationsforscher G., wonach die Passerteilungspraxis möglicherweise auch auf der Erwartung des Regimes beruht, der Flüchtlingsansturm werde die europäischen Staaten zu einer Lösung des Syrien-Konflikts unter Beibehaltung der derzeitigen Assad-Regierung bewegen (vgl. auch Tagesspiegel vom 05.11.2015, wiedergegeben im Schriftsatz des BAMF an das VG Saarland vom 16.09.2015). Unabhängig davon, kann aus dem Umstand, dass die syrische Regierung durch die Passerteilung die Ausreise erleichtert, ohnehin nicht verlässlich auf eine Minderung der Rückkehrgefahren für wehrpflichtige Männer geschlossen werden, denn jedenfalls bei einer hypothetischen Rückkehr bestünde für das syrische Regime Veranlassung, die Regimetreue zu hinterfragen, um insbesondere auszuschließen, dass sich diese Männer im Konfliktfall vor die Wahl gestellt ggf. der Gegenseite anschließen.

Vor diesem Hintergrund besteht für den im Zeitpunkt der Ausreise aus Syrien 19 Jahre und im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts 21 Jahre alten Kläger, der in Syrien der Wehrpflicht unterliegt, ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Die Verfolgungsgefahr ist unmittelbar bei der Einreise nach Syrien gegeben, so dass eine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG nicht eröffnet ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Struckmeier
Karger
Holz