Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 05.12.2016, Az.: 7 A 35/16
Familie; Flüchtling; Syrien; Zuerkennung
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 05.12.2016
- Aktenzeichen
- 7 A 35/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 43076
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern zu 1) - 3) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Jeder Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Nach ihren Angaben und den Feststellungen der Beklagten sind die Kläger syrische Staatsangehörige arabischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Die arabisch sprechenden Kläger zu 1) und 2) sind verheiratet; die Kläger zu 3) - 6) sind ihre minderjährigen, in 2001, 2004, 2009 und 2016 geborenen Kinder.
Im Rahmen ihrer Erstbefragung erklärten die Kläger zu 1) und 2) mit ihrer Familie am 15.9.2015 Syrien verlassen zu haben und über den Libanon, die Türkei und Griechenland über die sog. Balkanroute via Österreich am 30.9.2015 nach Deutschland eingereist zu sein, ohne zuvor anderswo internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen zu haben.
Bei seiner Anhörung am 21.4.2016 gab der in 1976 geborene Kläger zu 1) nach der Niederschrift des Beklagten an, er habe Syrien am 18.9.2015 verlassen und sei in Deutschland am 30.9.2015 eingereist. Er habe zuvor in „Qudsaya, Azar Nr. 8“ gewohnt. Neben Angaben zu Verwandten erklärte er, an einem Gymnasium „Jawdat Al Hachime“ das Abitur gemacht und an der Universität in Damaskus „Finanzen“ studiert und einen „Master“ erworben zu haben. Er habe als Lehrer an der Universität „Finanzen und Banking“ unterrichtet. Bei der Armee habe er eineinhalb Jahre seinen Wehrdienst geleistet. Befragt zu seinem Verfolgungsschicksal gab er an, seine Frau sei schwanger gewesen und er habe seine Kinder in Sicherheit bringen wollen. Bei einer Rückkehr würde er vielleicht Probleme kriegen, weil er Syrien ohne Erlaubnis verlassen habe. Er würde sicherlich gekündigt werden, sei aber sonst im Ungewissen. Er wisse nicht, was ihn dort erwarte oder was mit seinem Haus passiert sei.
Bei ihrer Anhörung am 25.4.2016 gab die in 1983 geborene Klägerin zu 2) nach der Niederschrift des Beklagten an, am 18.9.2015 sei ihr Flugzeug vom Libanon in die Türkei gegangen und am 30.9.2015 seien sie in Deutschland eingereist. Vor ihrer Ausreise habe sie in „Rifdi, Stadt Qusia, Mahad 8 adari“ gewohnt; die Stadt liege 15 Minuten von Damaskus entfernt. Neben Angaben zu Verwandten und zu lokalen Verhältnissen erklärte sie, bis zur 9. Klasse zur Schule gegangen und danach immer Hausfrau gewesen zu sein. Ihr Mann sei Doktor an der Universität Hiba in Damaskus gewesen. Befragt zu ihrem Verfolgungsschicksal gab sie danach an, vor dem Krieg und um Angst um ihre Kinder ausgereist zu sein. Es habe keine Sicherheit gegeben.
Von den Klägern neben Reisepässen vorgelegte Personaldokumente (Personalausweise, Familienregisterauszug, Zivilregisterauszüge) hielten einer Überprüfung des Beklagten stand; auf deren bei den Verwaltungsvorgängen befindliche Übersetzungen wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 3.5.2016, dem Kläger zu 1) zugestellt am 12.5.2016, zuerkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Klägern den subsidiären Schutzstatus und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab.
Am 25.5.2016 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Berufung auf verwaltungsrechtliche Rechtsprechung im Wesentlichen geltend machen, ihr Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG beruhe unabhängig von einer Vorverfolgung aufgrund der aktuellen Situation in Syrien aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und ihrem Aufenthalt im Ausland (wird näher ausgeführt). Zudem sei der Kläger zu 1) als Professor der Universität in Damaskus und Generalmanager des Instituts für Verwaltung und Wirtschaft höherer Regierungsbeamter gewesen und habe mit einem entsprechenden Vermerk in seinem Reisepass Syrien nur für einen Tag wegen einer ärztlichen Behandlung in Beirut verlassen dürfen. Nach § 365 des syrischen Strafgesetzbuchs werde ein höherer Regierungsbeamter, der das Land ohne entsprechende Genehmigung verlasse, mit einer Gefängnisstrafe zwischen 3 und 5 Jahren bestraft. Er habe seinen Wohnsitz in Deutschland bereits verlegt, da er befürchte, vom syrischen Geheimdienst entdeckt worden zu sein (wird näher dargelegt).
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte unter Bezugnahme auf ihren Bescheid beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Die Kläger zu 1) und 2) wurden in der mündlichen Verhandlung angehört.
Der Kläger zu 1) erläuterte, die Universität „Hiba“ entspreche dem Institute for Business and Administration. Es handele sich um eine Abkürzung. Das Institut heiße zwar Institut, sei aber wie eine Universität oder Hochschule anzusehen. Als Lehrender an diesem Institut sei er Regierungsbeamter des Kultusministeriums, dem das Institut nachgeordnet sei. Deswegen befürchte er wegen seiner illegalen Ausreise bei Rückkehr nach Syrien eine Haftstrafe von drei bis fünf Jahren. Wehrdienst habe er von etwa 1 1/2 Jahren abgeleistet und zwar als Unteroffizier in einem Krankenhaus. Dort habe er in der Verwaltung gearbeitet. Er befürchte bei einer Rückkehr nach Syrien zum Kriegsdienst eingezogen zu werden. Im Moment sei die Situation in Syrien so: Zwei Freunde von ihm hätten auch schon zur Armee gemusst. Ein Freund habe ihn wissen lassen, er würde als Sunnit, zumal er in Saudi-Arabien geboren worden sei, bestimmt Probleme bekommen. Hinzu komme, dass er im Kreis Damaskus gelebt habe, weil diese Gegend von der Opposition regiert werde. In den Universitäten in Syrien habe man Sicherheitsbüros eingerichtet, die den Lehrbetrieb und die Studenten kontrollierten. Wer dort auffalle, werde verhaftet. Das Sicherheitsbüro teile auch Einberufungen mit. Das gelte nicht nur für Studenten, sondern auch für dort Beschäftigte. Die Studenten hätten noch Möglichkeiten ihre Einberufung zu schieben, aber den Angestellten werde gesagt, dass sie bei gleichem Geld künftig bei der Armee dienen müssten. Bei seiner Ausreise über den Libanon sei es so gewesen, dass er aufgrund einer Erkrankung eine medizinische Behandlung gebraucht habe, die es in Damaskus nicht gegeben habe; dazu habe er nach Beirut gemusst. Er habe in Syrien beantragt, nach Beirut fahren zu dürfen und nach einer ärztlichen Untersuchung habe er die Erlaubnis für einen Tag und eine einmalige ärztliche Untersuchung in Beirut erhalten. Mit der Genehmigung sei er dann nach Beirut gefahren und habe seine Familie, seine Mutter und einen Bruder mitgenommen. Sie seien alle mit dem gleichen Bus gefahren. Bei der Grenzkontrolle habe es keine Probleme gegeben, weil er eine Genehmigung gehabt und seine Familie ihn ins Krankenhaus begleitet habe.
Bezüglich der Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung wird ergänzend auf die Niederschrift Bezug genommen.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Verpflichtungsklage ist zulässig, bezüglich der Kläger zu 1) bis 3) begründet, bezüglich der Kläger zu 4) bis 6) unbegründet. Der Anspruch der Kläger zu 1) bis 3) beruht auf § 3 Abs. 1 und 4 AsylG. Der die Zuerkennung ablehnende Bescheid der Beklagten ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können nach § 3 Abs. 1 und 4 Halbsatz 1 AsylG Personen beanspruchen, die
aus begründeter Furcht (§ 3 Abs. 1 AsylG)
vor aus bestimmten Gründen (§§ 3b, 28 Abs. 2 AsylG)
praktizierten Verfolgungshandlungen (§ 3 a ASylG)
bestimmter Akteure (§ 3c AsylG)
in ihrem Herkunftsstaat finden können, sofern nicht die Voraussetzungen eines gesetzlichen Ausschlussgrunds gegeben sind (§ 3 Abs. 2, 3 und 4 Halbsatz 2 und 3). Die Bestimmungen des Asylgesetzes sind im Sinn bindender völker- und europarechtlich begründeter Vorgaben, insbesondere unter Beachtung der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 (ABl. L 337/9 vom 20.12.2011) auszulegen und anzuwenden.
Hierzu hat das Verwaltungsgericht Trier mit Urteil vom 7.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (juris, Rn. 16 - 26) ausgeführt:
„1. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Hiernach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juni 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -, BGBl. 1953 II S. 560) unter anderem, wer sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
a. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -, BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgung gelten gemäß § 3a Abs. 2 AsylG unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG), eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG), die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung (§ 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG) und die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG).
b. Zwischen den in den § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen und den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen. Zu dem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund der Rasse stellt § 3b Abs. 1 Nr. 1 AsylG klar, dass dies insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe umfasst. Den Verfolgungsgrund der Religion definiert § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere als theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der Verfolgungsgrund der Nationalität beschränkt sich gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 3 AsylG nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird. Dabei ist eine soziale Gruppe insbesondere dann gegeben, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 AsylG). Den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgrund der politischen Überzeugung konkretisiert § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG dahingehend, dass hierunter insbesondere zu verstehen ist, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Bei allen genannten Verfolgungsgründen ist gemäß § 3b Abs. 2 AsylG bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen. Es genügt vielmehr, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
c. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative (sog. „interner Schutz“). Dieser ist nach Maßgabe des § 3e Abs. 1 AsylG zu bestimmen und führt zur Nichtanerkennung des Ausländers als Flüchtling, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und wenn er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
2. Ob Bedrohungen der vorgenannten Art und damit eine politische Verfolgung drohen, ist anhand einer Prognose zu beurteilen, die von einer zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes auszugehen und die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 1990- 9 C 14.89 -, BVerwGE 85, 12, juris Rn. 13, m.w.N.).
a. Ausgangspunkt der zu treffenden Prognoseentscheidung ist das bisherige Schicksal des Schutzsuchenden. Die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat beziehungsweise von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war (Vorverfolgung), ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein ernsthafter Hinweis auf die Begründetheit seiner Furcht vor Verfolgung. Dies gilt nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Antragsteller im Falle der hypothetischen Rückkehr erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die hierdurch bewirkte Beweiserleichterung setzt jedoch einen inneren Zusammenhang zwischen dem vor Ausreise erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden einerseits und dem befürchteten künftigen Schaden voraus. Diese sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientierende, auf die tatsächliche Gefahr (real risk) abstellende, Verfolgungsprognose hat in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie, ABl. EU L 337 vom 20. Dezember 2011, S. 9 ff.) anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 - 10 C 7.11 -, juris Rn. 12, m.w.N.). In der Vergangenheit liegenden Umständen kommt damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, BVerwGE 136, 377, juris Rn. 23, unter Hinweis auf: EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u.a. [Abdulla u.a.] -, NVwZ 2010, 505 [EuGH 02.03.2010 - Rs. C-175/08; C-176/08; C-178/08; C-179/08], juris Rn. 92 ff.).
Der Asylsuchende muss danach bei verständiger Würdigung der gesamten Um- stände seines Falles sein Heimatland aus Furcht vor politischer Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen haben. Aufgabe des Schutzsuchenden ist es insoweit, von sich aus unter genauer Angabe von Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung Verfolgung droht. Der Vortrag eines Schutzsuchenden, der sein Verfolgungsschicksal wie viele Asylbewerber nicht durch andere Beweismittel nachweisen kann, ist dabei gemäß dem Gebot der freien richterlichen Beweiswürdigung zu würdigen (§ 108 Abs. 1 VwGO). Diese bindet das Gericht dabei nicht an starre Regeln, sondern ermöglicht ihm, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden. Im Ergebnis muss das Gericht von der Wahrheit der klägerischen Behauptung eines individuellen Verfolgungsschicksals und nicht nur von der Wahrscheinlichkeit die volle Überzeugung gewinnen. Hierbei darf das Gericht jedoch insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180, juris Rn. 16).
b. Die begründete Furcht vor Verfolgung kann jedoch gemäß § 28 Abs. 1a AsylG auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während eines Erstverfahrens oder durch das Erstverfahren verwirklicht worden sind, greift damit keine Einschränkung. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 26). Erst für nach dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (vgl. § 28 Abs. 2 AsylG; BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2008 - 10 C 27/07 -, BVerwGE 133, 31, juris Rn. 14).
Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchttatbeständen beruht, genügt es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe, wenn der Antragsteller befürchten muss, dass ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. § 3b Abs. 2 AsylG). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des § 28 Abs. 1a AsylG die entsprechenden Vorgaben des Art. 5 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie umgesetzt und hiermit zugleich die grundsätzliche Relevanz von Nachfluchttatbeständen klargestellt. Der beachtliche Nachfluchttatbestand ist damit kein Ausnahmetatbestand, sondern ebenso wie der Vorfluchtgrund ein Regelfall des § 3 AsylG (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 22).
Ist der Asylsuchende unverfolgt ausgereist, liegt eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht vor Verfolgung vor, wenn ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Antragstellers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer „quantitativen“ oder mathematischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht. Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 1988 - 9 C 32.87 -, DVBl. 1988, 653, juris Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 - 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143, juris Rn. 23; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37).
Maßgebend ist damit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Juli 1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367, juris Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90-, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17). Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar er- scheint. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn nur ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist. In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1990- 9 C 60.89 -, BVerwGE 87, 52, juris Rn. 31; BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90-, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37). Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ (real risk) einer Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine geringe mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, macht es auch aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen erheblichen Unterschied, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber die Todesstrafe riskiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1991 - 9 C 118.90-, BVerwGE 89, 16, juris Rn. 17; BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 -, DVBl. 2008, 118, juris Rn. 37).“
Diese von der Verwaltungsrechtsprechung wohl allgemein geteilte Rechtsauffassung macht sich die Kammer zu eigen.
Maßgebend für die gerichtliche Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung im Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG). Ausgehend von den dargelegten Maßstäben ist den Klägern zu 1) und 3), nicht aber den Klägern zu 4) bis 6) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Den Klägern zu 1) und 3) droht bei verständiger Würdigung der gesamten, einschließlich der nach § 28 Abs. 2 AsylG, Art. 5 RL 2011/95/EU als „Nachfluchtgründe“ zu berücksichtigenden Umstände im Fall der hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihnen nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren (dazu unter 1.). Bezüglich der Kläger zu 1) und 3) bejaht die Kammer zudem eine „Vorverfolgung“ im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG. Im Übrigen kann die Frage, ob die Kläger Syrien wegen einer Vorverfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen haben, offen bleiben (dazu unter 2.). Bezüglich der im Kindesalter befindlichen minderjährigen Kläger zu 4) bis 6) im Alter von unter einem Jahr bzw. 7 und 12 Jahren fehlt es in jeder Hinsicht am Vorliegen einer anspruchsberechtigenden Verfolgungssituation (dazu unter 3.).
1. Zur Zumutbarkeit der Rückkehr in den Heimatstaat (Nachfluchtgründe)
Mit vorgenanntem Urteil vom 7.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - hat das Verwaltungsgericht Trier diesbezüglich in Fortführung seiner Rechtsprechung wie folgt (juris Rn. 32 - 93) ausgeführt:
„b) Die rechtliche Bewertung des Sachverhalts durch die Kammer führt indes auch zu dem Ergebnis, dass Nachfluchtgründe in den Personen der Kläger vorhanden sind. Ihnen droht aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nach Abwägung aller bekannten Umstände bei hypothetischer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Verfolgung jedenfalls wegen zugeschriebener politischer Überzeugung (§ 3a Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG), die eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheinen lässt.
aa) Das Gericht ist im Rahmen seiner bisherigen Rechtsprechung auf der Grundlage der vorhandenen Erkenntnisquellen davon ausgegangen, dass die syrische Regierung die illegale Ausreise aus dem Land, den entsprechenden Aufenthalt im westlichen Ausland und die dortige Stellung eines Asylantrags als Anknüpfung und Ausdruck einer politisch missliebigen Gesinnung und damit als Kritik am herrschenden System ansieht, die das Gebot der Loyalität gegenüber diesem verletzt (vgl. nur VG Trier, Urteil vom 14. Juni 2016 - 1 K 1105/16.TR -, n.v.; VG Trier, Urteil vom 16. Juni 2016 - 1 K 1576/16.TR -, juris, jeweils m.w.N.). Daher war Asylbewerbern aus Syrien ungeachtet zusätzlich individuell geltend gemachter Gründe und deren Glaubhaftigkeit bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen der Flüchtlingsstatus zuzusprechen, weil mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten stand, dass ihnen im Falle der hypothetischen Rückkehr nach Syrien die Festnahme und damit verbunden die Gefahr von Folter seitens der Sicherheitskräfte drohte, um einer vermuteten Einstellung gegen das derzeitige politische System nachzugehen.
Diese Rechtsprechung folgte erstens aus Berichten über die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des europaweiten Abschiebestopps im April 2011 nach Syrien abgeschoben wurden und dem Umgang der syrischen Behörden insbesondere seit Beginn 2012 mit Personen, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen (nachfolgend 1.), zweitens der umfassenden Beobachtung von oppositionsverdächtigen syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste (nachfolgend 2.) sowie drittens der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und aus der aktuellen Berichterstattung zur Situation des Regimes (nachfolgend 3.).
(1) So hatte das Auswärtige Amt bei der Bewertung der asyl- und abschiebungsrechtlichen Lage in Syrien festgestellt, dass Personen, die im Rahmen des deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens vor dem Abschiebestopp 2011 zwangsweise nach Syrien zurückgeführt worden waren, bei ihrer Einreise nicht nur - wie üblich - durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt, sondern auch willkürlich verhaftet und ohne Kontakt zur Außenwelt zum Teil mehrwöchig inhaftiert sowie körperlich und psychisch misshandelt worden waren (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 20).
Seit dem Ausbruch der Unruhen im März 2011 ging das syrische Regime nach den seinerzeit vorliegenden Erkenntnissen zudem mit massiver Gewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vor. Das Auswärtige Amt sah zugleich eine präzedenzlose Verhaftungswelle gegen die Protestbewegung (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 7). Die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung war nach Auffassung des Auswärtigen Amtes in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang hatten, als besonders hoch einzustufen, zumal jeder der vier großen militärischen und zivilen Geheimdienste in Syrien eigene Gefängnisse und Verhörzentralen unterhielt, bei denen es sich um rechtsfreie Räume handelte. Vieles deutete nach Auffassung des Auswärtigen Amtes darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste vom Regime eine carte blanche erhalten hätten (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 6, 11).
(2) Zugleich hatte nach den damals vorliegenden Erkenntnissen das Interesse der syrischen Geheimdienste an der Exilopposition auch nach der Eskalation der innenpolitischen Lage in Syrien nicht abgenommen. Im Ausland lebende Syrer wurden systematisch von Angehörigen der syrischen Auslandsvertretungen oder anderen Personen im Auftrag der syrischen Regierung überwacht und eingeschüchtert. Ziel war vor allem die Ausforschung von oppositionellen Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus Sicht des Regimes eine Gefahr darstellen konnten. Der Verfassungsschutz verzeichnete laut Verfassungsschutzbericht 2012 seit der Eskalation des syrischen Konflikts im Frühjahr 2011 sogar eine gesteigerte Aktivität der syrischen Geheimdienste in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2012, S. 400). Hieraus schloss das Gericht, dass der syrische Staat bei Rückkehrern, die die Situation in Syrien vom Ausland aus unter Zuhilfenahme unabhängiger Berichterstattung beurteilen konnten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit oppositionelles Gedankengut vermuten werde (vgl. auch VG München, Urteil vom 9. Juli 2014 - 22 K 14. 30752 -, juris Rn. 35 ff.).
Da schon der bloße Verdacht oppositioneller Umtriebe oder exilpolitischer Betätigung, die bereits niederschwellig angenommen werde, zu einem hohen Folterrisiko führte (vgl. Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungs- rechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 10 f.), war auch vor diesem Hintergrund von der realen Möglichkeit einer Befragung und körperlichen Misshandlung von Personen auszugehen, die nach einem längeren Aufenthalt im westlichen Ausland in ihre Heimat zurückkehren.
(3) Dem stand bereits seinerzeit auch nicht die Annahme entgegen, dass die syrische Regierung keine Veranlassung und angesichts der Bürgerkriegssituation in vielen Landesteilen auch keine Ressourcen habe, alle zurückgeführten Asylbewerber ohne erkennbaren zusätzlichen individuellen Grund oder konkreten Bezug zu einer regimegegnerischen Haltung aus den in § 3 AsylG genannten Gründen zu verfolgen. Vielmehr sprach nach den damaligen Erkenntnissen zur militärischen Lage im Land alles dafür, dass die syrische Regierung sich zwar in vielen Landesteilen mit den jeweiligen aufständischen Gruppierungen in massiven Kampfhandlungen befand, es dieser jedoch lokal auch des Öfteren gelang, Gebiete zurückzuerobern. Das syrische Militär und die von ihm eingesetzten verbündeten Milizen konnten vielfache Erfolge gegenüber den Aufständischen verbuchen und waren trotz der Desertionswelle in den Jahren 2011 und 2012 nach wie vor in der Lage, zumindest weitere Teile des Kernlandes unter Kontrolle zu behalten (vgl. VG Trier, Urteil vom 14. Juni 2016 - 1 K 1105/16.TR -, n.v., m.w.N.). Gerade der Flughafen in Damaskus als Einreisepunkt aus dem europäischen Ausland rückkehrender Asylantragsteller war jederzeit in der Hand der Regierungstruppen, so dass diese ohne weiteres in der Lage waren, Rückkehrer zu kontrollieren oder zu inhaftieren.
Daher sprach alles dafür, dass die Behandlung, der sich abgelehnte Asylantragsteller bei einer Rückkehr nach Syrien würden unterziehen müssen, an eine vermutete regimegegnerische Haltung oder an die vermutete Nähe zu einer solchen anknüpfen würde (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -, juris Rn. 5 ff.). Das Gericht folgte insoweit insbesondere der durch das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt erarbeiteten und nach wie vor gültigen Gesamtschau der Situation, wonach der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam war, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den längeren Aufenthalt im westlichen Ausland zum Anlass für Verfolgungsmaßnahmen nahm und auch die Möglichkeit zu deren Durchsetzung hatte (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris).
(4) Diese Rechtsprechung der Kammer stand im Einklang mit der weit überwiegenden Zahl der Verwaltungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Juni 2013 - A 11 S 927/13 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - A 11 S 2046/13 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Januar 2014 - OVG 3 N 91.13 -, juris; HessVGH, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 3 A 917/13.Z.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 14. März 2013 - RN 6 K 12.30059 -, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 - A 7 K 2987/12 -, juris; VG Kassel, Urteil vom 2. Juli 2013 - 5 K 200/13.KS.A -, juris; VG Saarland, Urteil vom 16. Oktober 2013 - 3 K 986/13 -, juris; VG Aachen, Urteil vom 21. November 2013 - 9 K 1844/13.A -, juris; VG München, Urteil vom 9. Juli 2014 - M 22 K 14.30752 -, juris; VG Gießen, Urteil vom 17. Juli 2014 - 2 K 3472/12.GI.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 9. September 2014 - RN 1 K 14.30205 -, n.v.; VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 26. September 2014 - 3 K 1489/13.A -, n.v.; VG Augsburg, Urteil vom 25. November 2014 - Au 2 K 14.30422 -, juris; VG Köln, Urteil vom 18. Juni 2015 - 20 K 4052/14.A -, juris; aA OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 2012 - 14 A 2485/11.A -, juris). Auch Gerichte aus dem europäischen Ausland vertraten diese Rechtsprechung (vgl. UK Upper Tribunal [Immigration and Asylum Chamber], Urteil vom 7. August 2012 - Syria CG UKUT 00426 [KB ./. Secretary of State for the Home Department] -, verfügbar unter: https://moj-tribunals-docmentsprod.s3.amazonaws.com/decision/pdf_file/37443/00426_ukut_iac_2012_kb_syria_cg.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Bis vor kurzer Zeit - Frühjahr 2016 - entsprach es zudem der Praxis der Beklagten, syrischen Flüchtlingen aus eben diesen Gründen grundsätzlich den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.
bb) Die Verfolgungssituation gegenüber tatsächlichen und vermuteten politischen Gegnern in Syrien hat sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht maßgeblich geändert. Zur Überzeugung des Gerichts liegt auch zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung weiterhin eine Verfolgungsgefahr und damit eine begründete Furcht der Kläger vor Verfolgung vor. Ihnen droht nach dem vorstehend beschriebenen Maßstab bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände ihres Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihnen nicht zumutbar ist, nach Syrien zu- rückzukehren.
Zwar sind hinsichtlich der Behandlung von aus westlichen Ländern abgeschobenen Personen belastbare Fakten aus der jüngeren Vergangenheit nur lückenhaft vorhanden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit der Verschärfung des inneren Konfliktes in Syrien in den Jahren 2011 und 2012 wegen verschiedener Abschiebestopps keine abgelehnten Flüchtlinge aus Syrien mehr in ihre Heimat abgeschoben wurden. Die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer im Falle der Rückkehr drohenden Verfolgung, ihres Charakters und ihrer Schwere muss daher in erster Linie im Wege einer Prognose aufgrund der zur Verfügung stehenden verifizierbaren Tatsachenberichte zu Verfolgungshandlungen gegenüber politischen Gegnern im Inland erfolgen (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 – RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 32; VG Meiningen, Urteil vom 27. März 2014 - 1 K 20092/12 Me -, juris Rn. 31). Dies zugrunde gelegt, führt die „qualifizierende Betrachtungsweise“ im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu dem Ergebnis, dass in einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage der Kläger berechtigt die Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, da die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.
(1) Nach der gegenwärtigen Erkenntnislage werden Personen, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen, weiterhin systematisch Opfer einer Behandlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt (vgl. § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG).
(a) Das US State Department, dem auch Erkenntnisse über das Schicksal von Personen vorliegen, die in jüngerer Vergangenheit durch nichteuropäische Staaten nach Syrien zurückgeführt worden sind, führt in seinem jüngsten Menschenrechtsbericht 2016 zur Lage in Syrien aus, dass bei ihrer Rückkehr in das Land sowohl Personen, die erfolglos in anderen Ländern um Asyl nachgesucht haben, als auch solche, die Verbindungen zur syrischen Muslimbruderschaft hatten, verschärften Ermittlungen ausgesetzt waren. Das Gesetz erlaube die Verfolgung jeder Person, die in einem anderen Land um Asyl nachgesucht habe, um einer Bestrafung in Syrien zu entgehen. Die Regierung inhaftiere regelmäßig Dissidenten und ehemalige Bürger ohne bekannte politische Verbindungen, die nach Jahren oder sogar nach Jahrzehnten des selbstgewählten Exils versuchten, in das Land zurückzukehren (vgl. United States Department of State, 2015 Human Rights Report: Syria, Bureau of Democracy, Human Rights and Labor. 2015 Country Reports on Human Rights Practices, April 13th, 2016, S. 35/36, verfügbar unter http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
(b) Das Immigration and Refugee Board of Canada stellt in seinem Jahresbericht Syrien 2015 vom 19. Januar 2016 fest, dass Personen, die erfolglos im Ausland um Asyl nachgesucht hätten, im Falle ihrer Rückkehr regelmäßig inhaftiert würden und in konkreter Gefahr stünden, gefoltert zu werden, um die Gründe ihrer Ausreise zu offenbaren. Zudem werde in vielen Fällen der Vorwurf gegen die Rückkehrer erhoben, der Regierung gegenüber feindselig eingestellt zu sein und im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. In diesen Fällen riskiere der erfolglose Asylsuchende eine lange Inhaftierung oder Folter. Zwar bestehe insoweit kein Automatismus. Während traditionell ausgerichtete Entscheidungsträger einen Rückkehrer immer als potenziellen Oppositionellen erachten würden, gebe es auch Fälle, in denen etwa eine Ausreise aus wirtschaftlichen Gründen als berechtigt anerkannt werde. Die Zuspitzung des Bürgerkrieges habe jedoch die Schwelle für Verdächtigungen erheblich gesenkt. Besonderes Augenmerk werde bei Rückkehrern zudem auf die Form der Ausreise aus Syrien gerichtet. Da eine Genehmigung der Regierung für die Ausreise erforderlich sei und Frauen zudem die Erlaubnis eines männlichen Verwandten vorlegen müssten, könne die Regierung jederzeit feststellen, ob eine Person das Land legal verlassen habe und zu welchem Zeitpunkt dies erfolgt sei (vgl. Immigration an Refugee Board of Canada [IRB], Syria: Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed milita- ry service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion [2014- December 2015], January 19th, 2016, verfügbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/445626_en.html, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
(c) Diese Verhaltensmuster finden ihre Bestätigung im allgemeinen Vorgehen der syrischen Regierung gegen Personen, die im Verdacht stehen, die Oppositionsbewegungen zu unterstützen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International führt im jüngsten Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien betreffend das Jahr 2016 an, dass die Nachforschungen der Organisation seit dem Beginn der Krise 2011 darauf hindeuten würden, dass jeder, der als oppositionell wahrgenommen werden könnte, Gefahr laufe, willkürlich inhaftiert zu werden, zu „verschwinden“ oder gefoltert bzw. misshandelt zu werden und möglicherweise in der Haft zu sterben. Die Gründe für eine Verhaftung wegen des Verdachts der Regimefeindlichkeit würden variieren und könnten sowohl friedliche Aktivitäten wie die eines Menschenrechtsaktivisten, medizinische Hilfe für bedürftige Zivilisten als auch die Mitorganisation von reformbestrebten Demonstrationen umfassen (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 16, verfügbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508 /2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
Inhaftierungen nach freiem Ermessen der Sicherheitsbehörden werden auch dadurch gefördert, dass der syrische Staat mit dem „Gesetz Nr. 55“ vom 21. April 2011 regelt, dass eine Inhaftierung ohne konkreten Vorwurf oder gar eine förmliche Anklage für eine Dauer von bis zu 60 Tagen möglich ist. Ein Zugang zu staatlichen Gerichten ist den so Inhaftierten nicht möglich. Seit 2012 wurde zudem ein sog. Anti-Terrorismus-Gericht etabliert, dessen Verfahrensgestaltung grundsätzliche rechtsstaatliche Verfahrensregeln missachtet (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 14, Fn. 23, verfügbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
(d) Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat in ihrem Bericht vom 11. August 2016 das Vorliegen zehntausendfacher Fälle des Verschwindenlassens von Personen seitens der syrischen Regierung festgestellt:
„75. Civilians, mainly men of fighting age, continue to vanish from the streets of the Syrian Arab Republic. Tens of thousands of Syrians are missing, many in circumstances that suggest they have been forcibly disappeared. (…)
77. In a pattern that began in March 2011 and which continues to this day, Syrians are arrested or abducted by State agents and thereafter disappear from public view. Relatives continue to report cases of those who disappeared between 2011 and 2015. Common sites of arrest and abduction include checkpoints, hospitals, workplaces and homes.
78. Throughout the Commission’s existence, Syrians have recounted the terror they feel when passing through government checkpoints for fear of being taken and never heard from again. Some women indicated the final trigger for their becoming refugees was the fact that their adolescent sons faced increasing risks of being held at checkpoints. This fear is well justified: many Syrians have had family members vanish following arrest or abduction by government forces. (…)
79. Other victims have disappeared while imprisoned, having been transferred from a known detention centre to an unknown location. (…)” (Human Rights Council, 33rd session, Report of the Independent International Commission Inquiry on the Syrian Arab Re- public, August 11th, 2016, UN-Doc A/HRC/33/35, verfügbar unter: https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G16/178/60/PDF/G1617860.pdf?OpenElement, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohl- begründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“ (sinngemäße Übersetzung durch die Kammer)
(e) Dabei beschränken sich nach der bestehenden Erkenntnislage die Verhaftungen, Befragungen und dauerhaften Inhaftierungen sowie Folterungen nicht nur auf Personen, bei denen eine regierungsfeindliche Haltung bereits durch die Teilnahme an öffentlichen Kundgebungen, Internetaktivitäten oder sonstige Handlungen nachweislich kundgetan worden ist. Vielmehr werden in zunehmendem Maße menschenrechtsrelevante Eingriffe auf Grundlage von Vermutungen, Denunziationen, bestehender Verwandtschaft mit anderen Verdächtigen oder kraft reiner Willkür vorgenommen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UN- HCR) stellt insoweit in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf syrischer Flüchtlinge in der aktualisierten Fassung vom November 2015 fest:
„Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größere Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften die Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen.
Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extra- legalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist.“ (UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. Aktualisierte Fassung, November 2015, S. 11-14, verfügbar unter: http://www.ref world.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reldoc=y&docid=56ba17344, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
Den Berichten des UNHCR kommt dabei besonderes Gewicht zu, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. März 2008 - 2 BvR 378/05 -, juris Rn. 38).
(f) Bestätigt werden diese Erkenntnisse auch durch die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Diese hat im Rahmen einer Schnellrecherche vom 10. September 2015 unter Bezugnahme auf verschiedene sonstige Quellen und unter Auswertung der seinerzeit bekannten Erkenntnislage festgestellt, dass in zahllosen Fällen von Familienangehörigen berichtet werde, die von den Sicherheitskräften verhaftet und gefoltert würden, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen (sog. Reflexverfolgung). Auch Kinder seien von den Maßnahmen betroffen gewesen, die sich zum einen gegen Angehörige bewaffneter Gruppierungen, zum anderen aber auch gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten, Regierungskritiker wie auch gegen Mitglieder von Menschenrechtsgruppen richteten. Die meisten Verhaftungen seien im Geheimen und auf Befehl eines der Sicherheitsapparate durchgeführt worden. Dabei habe in vielen Fällen eine offizielle Begründung für die Verhaftung gefehlt, häufig habe es sich um willkürliches Vorgehen gehandelt. Diese Dynamik der Reflexverfolgung stelle eine „ganz entscheidende Charakteristik des anhaltenden syrischen Konflikts“ dar. Betroffen seien demnach insbesondere Familienangehörige von mutmaßlichen Protestierenden, Aktivisten, Mitglieder von Oppositionsparteien und bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen, Dienstverweigerer und Überläufer. Zudem seien Fälle bekannt, in denen es durch Reflexverfolgung zu „willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Folter und anderen Misshandlungen, sexueller Gewalt sowie standrechtlichen Hinrichtungen“ gekommen sei (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH- Länderanalyse vom 10. September 2015 zu Syrien: Reflexverfolgung, verfügbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/150908-syr-reflexverfolgung.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
(g) Die so Inhaftierten sind zudem jenseits der bestehenden Gefahr der Folter, des Verschwindenlassens und der willkürlichen Tötungen jedenfalls Haftbedingungen ausgesetzt, die ihrerseits Menschenrechtsverletzungen im Sinne von § 3a Abs. 1 AsylG darstellen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 23. Mai 2016 darüber, dass nach Angaben der in London ansässigen „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ in den Gefängnissen der syrischen Regierung mindestens 60.000 Menschen zu Tode gekommen seien, seitdem die Kampfhandlungen im Jahr 2011 ausbrachen (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23. Mai 2016, S. 7).
(h) Eine Recherche von Amnesty International, die in ihrem aktuellen Bericht zu den Haftbedingungen in Syrien anhand zahlreicher Beispiele umfassend darlegt, bestätigt, dass die Verhörpraktiken der syrischen Behörden maßgeblich auf Folter und Erniedrigung beruhen und dass die Häftlinge in überfüllten Gefängnissen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Wasser und Nahrung sowie adäquaten Unterkünften und sanitären Einrichtungen haben (vgl. Amnesty International, It breaks the human - torture, disease and death in Syria’s prisons, 2016, S. 37 ff., verfügbar unter https://www.amnesty.org/en/docu-ments/mde24/4508/2016/en/, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
(i) Gleichlautend ist ein Bericht der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch aus dem Dezember 2015, in dem unter anderem systematisch Augenzeugenberichte zur Lage in den staatlichen Gefängnissen ausgewertet wurden. Darin heißt es exemplarisch:
„Alle von Human Rights Watch befragten ehemaligen Gefangenen beschrieben Zustände in ihren Zellen, welche das Recht der Inhaftierten auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzten. In einigen Fällen lag eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Folter vor. Nach der Auskunft von Gefangenen, die nach verbesserten Haftbedingungen fragten und von einem Deserteur, der als Gefängniswärter arbeitete, wussten die Behörden von diesen Bedingungen und förderten sie durch die Verweigerung von angemessener Nahrung, gesundheitlicher Versorgung, Hygieneartikeln, ausreichender Durchlüftung und ausreichend Raum.“ (vgl. Human Rights Watch, If the Dead could speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Fecilities, Dezember 2015, verfügbar unter https://www.hrw.org/report/2015/12/16/if-dead-could- speak/ mass-deaths-and-torture-syrias-detention-facilities, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016).
(j) Die Gesamtschau der verfügbaren Erkenntnisquellen, im Rahmen derer den regelmäßigen und übereinstimmenden Berichten von internationalen Nichtregierungsorganisationen besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 -, juris Rn. 11, unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. [N.S../. Secretary of State for the Home Department] -, NVwZ 2012, 417 [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10], juris Rn. 90), führt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegungen sowie ihren Angehörigen die konkrete Gefahr der willkürlichen Inhaftierung zu menschenunwürdigen Bedingungen und der Misshandlung bis hin zur Folter und der willkürlichen Tötung droht. In der Durchführung der willkürlichen Inhaftierungen liegen Verletzungen von Art. 7 EMRK, in der Durchführung der Folter und der unmenschlichen Behandlung in der Haft Verletzungen von Art. 3 EMRK und in der willkürlichen Tötung oder dem Verschwindenlassen Verletzungen von Art. 2 Abs. 1 EMRK. Alle genannten Konventionsrechte sind nach Art. 15 Abs. 2 EMRK notstandsfest, so dass jedwede der genannten Verletzungen eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG darstellt.
Die übereinstimmenden Berichte belegen zudem, dass sich die Verfolgung in erster Linie gegen Personen und Personengruppen richtet, die seitens der syrischen Regierung in dem - berechtigten oder unberechtigten - Verdacht stehen, politisch nicht fest im Regime verankert zu sein und die aus Sicht der Regierung gebotene Treuepflicht durch ein vermeintlich illoyales Verhalten oder schlichte Passivität in der Bürgerkriegssituation verletzt zu haben. Hierin liegt eine Verfolgung wegen der tatsächlichen oder zugeschriebenen politischen Überzeugung der Betroffenen im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG, die eine in hinreichendem Maße gefestigte Verknüpfung zur Verfolgungshandlung im Sinne von § 3a Abs. 3 AsylG aufweist.
(2) Auch die Erkenntnislage zum fortbestehenden Interesse der syrischen Regierung an der Exilopposition im Ausland lässt keine maßgebliche Änderung der Sachlage erkennen. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass die syrischen Geheimdienste im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine weitreichende Beobachtung von oppositionsverdächtigen syrischen Staatsangehörigen im Ausland vornehmen.
(a) Der Verfassungsschutzbericht 2015 des Bundesministeriums des Innern stellt insoweit unmissverständlich fest:
„Die syrischen Nachrichtendienste verfügen ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen. Ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische Gruppierungen als auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen.
Bei anhaltenden unkontrollierten Einreisen syrischer Staatsangehöriger in die EU ist auch mit weiteren Ausforschungsaktivitäten syrischer Nachrichtendienste zu rechnen.“ (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.)
(b) Dies deckt sich mit den Erkenntnissen aus den Verfassungsschutzberichten der Länder. So hat der Verfassungsschutz des Landes Rheinland-Pfalz festgestellt, dass die Geheimdienste aus den Staaten des Nahen Ostens und aus Nordafrika ihre Aktivitäten gegen Regimegegner und Oppositionelle in der Bundesrepublik Deutschland „forcieren“ (vgl. Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 82). Der Verfassungsschutz des Freistaats Sachsen führt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015 explizit aus:
„Insbesondere die syrischen Nachrichtendienste dürften starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden. Als Agenten können vermeintliche Flüchtlinge oder seit längerem in Deutschland lebende Landsleute zum Einsatz kommen.“ (vgl. Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S.236).
Der Verfassungsschutz der Freien und Hansestadt Hamburg stellt in seinem Verfassungsschutzbericht 2015 fest, dass verschiedene Nachrichtendienste des Mittleren und Nahen Ostens in der Hansestadt aktiv seien, die ein „besonderes Interesse (…) an oppositionellen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden“, haben (vgl. Landesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 215). Der Hessische Verfassungsschutzbericht 2015 beschreibt die Aktivitäten syrischer Geheimdienste im Land folgendermaßen:
„Der überwiegende Teil der im Berichtsjahr in die Bundesrepublik eingereisten Flüchtlinge stammt aus Ländern, in denen staatliche Strukturen nur noch begrenzt vorhanden sind, wie etwa Syrien und Irak. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Nachrichtendienste dieser Länder nach wie vor existent sind. Daher gilt für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge: Wer sich im Heimatland gegen das Regime engagierte, gerät eventuell auch in Deutschland in das Visier fremder Nachrichtendienste. Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat können ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert sind, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.“ (vgl. Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162).
(c) Diese übereinstimmende Erkenntnislage der deutschen Verfassungsschutzbehörden belegt das uneingeschränkt fortbestehende Interesse der syrischen Regierung an der Erlangung von Kenntnissen über die bestehenden Strukturen der Exilopposition sowie an deren perspektivischer Schwächung oder Zerschlagung. Zugleich dürften bereits aufgrund der hohen Zahl von Asylsuchenden aus Syrien in den Jahren 2014 und 2015 die personellen und sachlichen Mittel der syrischen Geheimdienste unzureichend sein, um eine systematische Erfassung und Bewertung der Oppositionsnähe aller in Deutschland lebenden Syrer zuverlässig zu gewährleisten. Aus diesen Grund steht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass Personen, die illegal aus Syrien ausgereist sind, sich längere Zeit im westlichen Ausland aufgehalten und dort um internationalen Schutz nachgesucht haben, im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr allein schon aufgrund der lückenhaften geheimdienstlichen Erkenntnislage verdachtsunabhängig Befragungen und Inhaftierungen unterzogen werden, um die Motive der Ausreise sowie die etwaige Verbindung zu oppositionellen Gruppierungen in Erfahrung zu bringen.
(d) Schließlich hat auch die immer stärker eskalierende Situation in Syrien mit der steigenden Zahl an Flüchtlingen nicht zur Folge, dass der Einzelne sich im westlichen Ausland aufhaltende Flüchtling wegen dieses Massenphänomens nicht mehr als potenzieller politischer Gegner angesehen wird. Nach der Auffassung der syrischen Regierung handelt es sich bei dem sich zu einem Bürgerkrieg ausgewachsenen Aufstand um eine von außen organisierte und finanzierte Verschwörung gegen das Land, der mit allen verfügbaren Mitteln zu begegnen sei. Daher muss mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer politischen Verfolgung von zurückkehrenden Asylbewerbern gerechnet werden (vgl. VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 34; VG Stuttgart, Urteil vom 15. März 2013 - A 7 K 2987/12 -, juris Rn. 27). Während schon vor Beginn der Aufstände teilweise wochenlange Inhaftierungen und Verhöre von aus dem Ausland kommenden und nicht exponiert auftretenden Syrern nicht unüblich waren, wird unter den konkreten derzeitigen Umständen jeder sich im westlichen Ausland aufhaltende Syrer im Falle seiner Rückkehr als möglicher Oppositioneller angesehen werden (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris Rn. 34; VG Aachen, Urteil vom 11. Januar 2012 - 9 K 1698/10.A -, juris Rn. 20 ff.).
(3) Die Entwicklung der innenpolitischen und militärischen Lage in Syrien rechtfertigt auch nicht die Annahme, dass der syrischen Regierung im Falle der hypothetischen Rückkehr der Kläger keine ausreichenden finanziellen oder personellen Ressourcen zur Verfügung stehen könnten, so dass aus diesem Grunde die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung nicht bestünde.
(a) Es bestehen gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Regierung in absehbarer Zukunft militärisch oder wirtschaftlich kollabieren könnte. Vielmehr hat sich die militärische Situation seit Frühjahr 2013 aufgrund des zunächst kleineren zu verteidigenden Gebiets, dem Ende der Massendesertionen und gestützt auf die Luftwaffe sowie massierte Artillerieeinsätze stabilisiert. Die Regierungstruppen konnten im Wesentlichen ihre Stellungen halten und lokal begrenzte Erfolge erzielen. Im Mai 2013 trafen Milizen der schiitischen Hisbollah in großer Zahl aus dem Libanon kommend in Syrien ein und schlossen sich den Regierungstruppen an. Mit dieser Unterstützung gelang es den syrischen Streitkräften an mehreren Stellen, die Rebellen zu schlagen und größere Gebiete, etwa die als Schlüsselstellung für den Rebellennachschub wichtige Stadt Kusseir, zu erobern.
Mitte August 2015 begann Russland mit dem Aufbau einer Basis in Latakia, die es den Luftstreitkräften ermöglichen sollte, die Regierungstruppen zu unterstützen. Im September 2015 begannen russische Kampfflugzeuge, Stellungen des Islamischen Staates, aber auch anderer Oppositionsgruppen aus der Luft anzugreifen.
Anfang des Jahres 2016 rückten regimetreue Kräfte aus dem Iran, dem Libanon und aus Afghanistan unter dem Schutz russischer Luftangriffe in die Region nördlich von Aleppo vor und vertrieben die dortigen Oppositionsgruppen. Die Stadt ist seit Sommer 2016 eingekesselt. Im September 2016 kam es zu massiven Luftangriffen gegen das Stadtzentrum, die von einer Bodenoffensive gefolgt wurde (vgl. The New York Times vom 23. September 2016, 'Doomsday Today in Aleppo': As- sad and Russian Forces Bombard City, verfügbar unter http://www.ny- times.com/2016/09/24/world/middleeast/aleppo-syria-airstrikes.html; Süddeutsche Zeitung vom 24. September 2016, Massive Luftangriffe gegen Aleppo, verfügbar unter http://www.sueddeutsche.de/news/politik/konflikte-massive-luftangriffe-gegen-aleppo-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-160924-99-573005; Tagesschau vom 27. September 2016, Auf Luftangriffe folgt Bodenoffensive, verfügbar unter https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-aleppo-offensive-101.html, letzter Auf- ruf jeweils: 7. Oktober 2016).
(b) Russische Streitkräfte unterstützen die Regierungstruppen weiterhin uneingeschränkt militärisch, logistisch und mit Geheimdienstinformationen (vgl. The New York Times vom 30. September 2016, Russia Fighting in Syria for a Year, Still at Odds With US, verfügbar unter http://www.nytimes.com/aponline/2016/09/30/us/ politics/ap-us-united-states-russia.html; Spiegel-Online vom 1. Oktober 2016, Luftangriffe in Syrien - Krankenhaus in Aleppo bombardiert, verfügbar unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-krankhaus-in-aleppo-bombardiert- russland-schickt-flugzeuge-a-1114858.html, letzter Aufruf jeweils: 7. Oktober 2016). Diese fortdauernde Unterstützung der syrischen Regierung trotz ausgehandelter Waffenruhe hat auch zum Scheitern der Friedensgespräche geführt (vgl. The New York Times, Tension With Russia Rises as US Halts Syria Negotiations, verfügbar unter http://www.nytimes.com/2016/10/04/world/middleeast/us-sus pends-talks-with-russia-on-syria.html, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Dieses Vorgehen beweist, dass offensichtlich jedenfalls ausreichende personelle und wirtschaftliche Ressourcen vorhanden sein müssen, um neben militärischen Erfolgen zumindest die überwiegende Zahl der Rückkehrer einer Befragung und Inhaftierung zu unterziehen, zumal für diese Tätigkeiten auch die Rekrutierung oder Reaktivierung von Soldaten und Sicherheitskräften in Betracht kommt, die - etwa aufgrund ihres Alters oder ihres Gesundheitszustands - nicht mehr zur Beteiligung an aktiven Kampfhandlungen an der Front geeignet sind.
(c) Auch steht der internationale Flughafen in Damaskus als einziges mögliches Ziel einer zwangsweisen Rückführung nach Syrien unverändert unter der Kontrolle der Regierungskräfte. Bereits aus diesem Grund fehlt den Klägern auch eine inländische Fluchtalternative („interner Schutz“). Selbst wenn innerhalb eines beschränkten Teils von Syrien keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG für die Kläger bestünde (vgl. hierzu aber bereits Auswärtiges Amt, ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungs- rechtlich relevante Lage in der Republik Syrien vom 17. Februar 2012, S. 10), könnten diese jedenfalls nicht sicher und legal in diesen Landesteil reisen, bevor sie in die Hände der Sicherheitskräfte der Regierung fallen (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Die Kammer bezweifelt freilich, dass die Kläger selbst bei der unterstellten Möglichkeit, im Falle der hypothetischen Rückkehr sicher und frei innerhalb Syriens zu reisen, eine inländische Fluchtalternative bestünde, da die dortigen Machthaber der Opposition oder des Islamischen Staats Ausreisenden aus regierungskontrollierten Gebieten ebenfalls mit Misstrauen und Zwangsmaßnahmen begegnen dürften. Hiervon ist ersichtlich auch die Beklagte ausgegangen, da sie den Klägern den subsidiären Schutzstatus zugebilligt hat, der ebenfalls von dem Fehlen internen Schutzes abhängig ist (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e AsylG).
(4) Nach alledem muss in Ansehung der vorliegenden Erkenntnisse trotz gestiegener Ausreisezahlen nach wie vor davon ausgegangen werden, dass wegen der illegalen Ausreise der Kläger, ihrem Aufenthalt in westlichen Ausland und der hiesigen Asylantragstellung im Falle ihrer Abschiebung nach Syrien eine Befragung und gegebenenfalls Inhaftierung durch syrische Sicherheitskräfte erfolgen wird, bei der mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter zu erwarten ist und die zumindest auf einer den Klägern durch die Verfolger zugeschriebenen politischen Überzeugung beruht.
Dieses Ergebnis entspricht auch der weit überwiegenden aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. VG Köln, Urteil vom 23. Juni 2016 - 20 K 1599/16.A -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707-, juris; VG Meiningen, Urteil vom 1. Juli 2016 - 1 K 20205/16 Me -, n.v.; VG Regensburg, Urteil vom 6. Juli 2016 - RN 11 K 16.30889 -, juris; VG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2016 - VG 23 K 486.16 A -, n.v.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 10. August 2016 - 3 K 7501/16.A -, juris; VG Schleswig-Holstein, Gerichtsbescheid vom 15. August 2016 - 12 A 149/16 -, asyl.net; VG Köln, Urteil vom 25. August 2016 - 20 K 664/15.A -, juris; VG Würzburg, Urteil vom 7. September 2016 - W 2 K 16.30603 -, asyl.net).
Daneben hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung eine faktische Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zukommt und die damit mittelbar die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflusst (vgl. statt vieler: BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a.-, BVerfGE 128, 326, juris Rn. 88, 89, m.w.N.) in einer Entscheidung vom 15. Oktober 2015 die beabsichtigte Rückführung von erfolglosen Asylbewerbern aus der Russischen Föderation nach Syrien aufgrund der dortigen Verfolgungsgefahr wegen zugeschriebener oppositioneller Einstellung als Verletzungen von Art. 2 EMRK und Art. 3 EMRK bewertet. Hierfür hat er neben den im Einzelnen aufgeführten Erkenntnisquellen als ausreichend erachtet, dass es sich bei einem Beschwerdeführer um einen staatenlosen Palästinenser handelte, ein weiterer Beschwerdeführer einen Verwandten in dem Konflikt verloren hatte, alle Beschwerdeführer im wehrfähigen Alter waren und aus Aleppo bzw. Damaskus stammten, wo besonders schwere Kämpfe stattgefunden hatten (vgl. EGMR, Urteil vom 15. Oktober 2015 - 40081/14, 40088/14, 40127/14 [L.M. u.a../. Russische Föderation] -, HUDOC, Rn. 123-125).
cc) Soweit die Beklagte in anderen Verfahren die Auffassung vertreten hat, dass sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge im Rahmen der Massenausreise geändert habe und daher im Vergleich zu früheren Jahren nur noch ein geringeres Interesse der syrischen Regierung zur Befragung von Rückkehrern bestehe, verkennt die Kammer nicht, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Beginn des Bürgerkriegs mehr (tatsächliche) Oppositionelle aus dem Land geflohen sind, während die in den Jahren 2014 bis 2016 ausgereisten Personen überwiegend wegen der Kriegsereignisse das Land verlassen haben. Dies führt jedoch zur Überzeugung der Kammer nicht dazu, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Menschenrechtsverletzungen im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG entfiele. Erstens ist angesichts der weiteren Zuspitzung des Konflikts in Syrien nicht zu erwarten, dass die totalitär ausgerichtete Regierung den Verfolgungsdruck auf potenzielle Gegner mit der Erwägung mildert oder gar aufgibt, dass eine etwas geringere Wahrscheinlichkeit besteht, einen schon vor der Ausreise aktiven Oppositionellen ausfindig zu machen. Zweitens dürfte sich aufgrund des Umstands der illegalen Ausreise für den Rückkehrer im Einzelfall auch nicht mehr belegen lassen, dass er erst zu einem Zeitpunkt das Land verlassen hat, als sich die Zusammensetzung der Flüchtlinge bereits von den mehrheitlichen Regimegegnern zu den mehrheitlichen Kriegsopfern verschoben hatte.
Zudem ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Zahl von über 4 Millionen Flüchtlingen, die Syrien seit dem Beginn des Bürgerkriegs verlassen haben, und von der die Beklagte jeweils bei der Darstellung der Massenauswanderung im Rahmen ihrer Anträge auf Zulassung der Berufung ausgeht, nur zu einem untergeordneten Anteil Personen beinhaltet, die - wie die Kläger - in das westliche Ausland geflohen sind. Die weit überwiegende Mehrzahl verbleibt in den Nachbarstaaten Syriens. Ausweislich des jüngsten Berichts des UNHCR über die globale Flüchtlingssituation 2015 sind von den 4,9 Millionen Flüchtlingen aus Syrien rund 2,5 Millionen in die Türkei, circa 1,1 Millionen in den Libanon und etwa 600.000 nach Jordanien geflohen (vgl. UNHCR, Global Trends. Forced Displacement in 2015, June 20th, 2016, S. 21; verfügbar unter https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fileadmin/redaktion/Infomaterial/global_trends_2015.pdf, letzter Aufruf: 7. Oktober 2016). Damit hat im Ergebnis nur rund ein Siebtel der aus Syrien ausgereisten Personen in anderen als den genannten Staaten um internationalen Schutz nachgesucht. In Anbetracht dessen erscheint es nach dem Maßstab eines vernünftigen und besonnenen Menschen ebenfalls nicht als weniger wahrscheinlich, dass dem wiederum geringeren Anteil der Ausreisenden, der im westlichen Ausland um internationalen Schutz nachgesucht hat, im Falle der Rückkehr ins Heimatland im Vergleich zu den in der Großregion verbliebenen Kriegsflüchtlingen eine erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Sicherheitskräfte zuteil wird.
dd) Soweit einzelne Gerichte davon ausgehen, dass die syrische Regierung zu systematischen Verfolgungsmaßnahmen angesichts der Massenausreise und des partiellen Zusammenbruchs staatlicher Strukturen schon aus Kapazitätsgründen nicht mehr in der Lage sei oder kein Interesse mehr an solchen hätte (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 14 A 1008/13.A -, juris Rn. 11; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 14 A 215/14.A -, juris; bestätigt durch: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. September 2016 - 14 A 1802/16.A -, juris Rn. 12), handelt es sich dabei um eine Mutmaßung, die die Kammer den vorliegenden Erkenntnisquellen so nicht zu entnehmen vermag (vgl. auch VG Regensburg, Urteil vom 29. Juni 2016 - RO 11 K 16.30707 -, juris) und die auch die gestärkte Position der syrischen Regierung in der allerjüngsten Vergangenheit verkennt.
Zudem entfällt die beachtliche Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen nicht dadurch, dass ein Regime möglicherweise durch Überlastung seiner Sicherheitskräfte im Falle massenhafter Rückkehr/Abschiebung ab einem gewissen Moment nicht mehr in der Lage ist, die Verfolgungsmaßnahmen effektiv und systematisch durchzusetzen. Es kann bereits bei der Prognose der Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht unterstellt werden, dass die Masse der Flüchtlinge „auf einen Schlag“ in die Heimat zurückkehrt. Vielmehr muss bei realitätsnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die Rückkehrer allenfalls in Gruppen von einigen Hundert bis wenigen Tausend Personen pro Tag zurückgeführt werden. Diese Größenordnung dürften auch auf lange Sicht durch einen effektiven Sicherheitsapparat, der faktisch keinen verfahrensrechtlichen oder sonstigen rechtsstaatlichen Beschränkungen unterliegt, zu bewältigen sein. Daneben kann der Wahrscheinlichkeitsprognose des individuellen Asylsuchenden nicht zulässigerweise zugrunde gelegt werden, dass er erst zu einem Zeitpunkt in das Heimatland zurückgeführt wird, zu dem das Sicherheitssystem zusammengebrochen ist und daher keine effektive Verfolgung mehr stattfindet. Im Gegenteil muss auch die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass er vor diesem Zeitpunkt nach Syrien gelangt und (noch) Opfer systematischer Verfolgung wird oder dass seine Rückkehr in die Phase des Zusammenbruchs fällt, die nach den empirischen historischen Erfahrungen mit im Untergang befindlichen totalitären Systemen in der Regel von besonderer Unnachgiebigkeit und Brutalität geprägt ist. Angesichts dieser Ungewissheit kann die Rückkehr aus der Sicht eines besonnen und vernünftigen Menschen, gerade auch in Ansehung der Schwere der zu befürchtenden Menschenrechtsverletzungen, nicht mehr als zumutbar erachtet werden.
ee) Soweit das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz im Beschluss vom 15. September 2016 - 1 A 10655/16.OVG - die Frage als klärungsbedürftig angesehen hat, ob Flüchtlingen aus Syrien im Falle ihrer Rückkehr dorthin allein aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt beachtlich wahrscheinlich politische Verfolgung droht oder ob individuelle Gründe hinzutreten müssen, ist zu betonen, dass die genannten Voraussetzungen bereits für sich genommen individuelle Verfolgungsgründe darstellen. Es handelt sich nämlich nicht um eine Gruppenverfolgung, sondern um eine „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ (vgl. bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Juli 2012 - 3 L 147/12 -, juris Rn. 24 ff.). Das Merkmal, das seinen Träger als Angehörigen einer missliebigen Gruppe ausweist, stellt in dieser Konstellation für den Verfolger nur ein Element in seinem Feindbild dar, das die Verfolgung erst bei Hinzutreten weiterer Umstände auslöst. Das vom Verfolgungsstaat zum Anlass für eine Verfolgung genommene Merkmal ist hierbei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ein mehr oder minder deutlich im Vordergrund stehender, die Verfolgungsbetroffenheit des Opfers mitprägender Umstand, der für sich allein noch nicht die Annahme politischer Verfolgung jedes einzelnen Merkmalsträgers rechtfertigt, wohl aber bestimmter unter ihnen, etwa solcher, die durch weitere Besonderheiten in den Augen des Verfolgerstaates zusätzlich belastet sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1996 - 9 B 14.96 -, DVBl. 1996, 623, juris Rn. 5).
In diesem Sinne liegen die zum Anlass für die Verfolgung genommenen Merkmale vorliegend erstens in der illegalen Ausreise und der damit verbundenen Aufkündigung der von der syrischen Regierung geforderten Loyalität im Kampf gegen die Oppositionsgruppierungen, zweitens in der Flucht und dem längeren Aufenthalt in einem westlichen Land, durch die die Ausreisenden nach Sicht der Regierung eine Identifikation mit der dortigen Werteordnung und der westlichen Unterstützung der Opposition in Syrien zum Ausdruck bringen sowie drittens der Asylantragstellung, die den dauerhaften Bruch mit dem syrischen Staat nach außen zum Ausdruck bringt. Da die Prognose einer Einzelverfolgung, die neben anderen die Verfolgungsgefahr auslösenden Umständen auch die Zugehörigkeit zu einer dem Verfolger missliebigen Gruppe berücksichtigt, nicht voraussetzt, dass die Verfolgung von Angehörigen dieser Gruppe bereits eine Dichte erreicht hat, die die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 1996 - 9 B 14.96 -, DVBl. 1996, 623, juris Rn. 4), ist es angesichts dessen auch unschädlich, dass vor dem Hintergrund der Massenausreise einzelne Rückkehrer möglicherweise von Verfolgungsmaßnahmen verschont bleiben.“
Dieser Rechtsprechung folgen auch die Verwaltungsgerichte Köln (U. v. 25.8.2016 - 20 K 6664/15.A, juris) und Oldenburg (U. v. 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, juris). Das Verwaltungsgericht Köln (juris Rn. 24 f) führt insoweit mit Blick auf die vom syrischen Staates praktizierte Erteilung von Reisepässen (dazu auch VG Schleswig, U. v. 5.10.2016 - 12 A 602/16 -, juris Rn. 29 ff mit Bezug auf VG Regensburg, U. v. 29.6.2016 - RN 11 K 16.30666, juris) aus:
„Soweit der hier streitgegenständliche Bescheid in Abweichung von der bisherigen Entscheidungspraxis der Beklagten die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnt, entbehrt er einer nachvollziehbaren Begründung und nennt keinerlei Quellen, die diese Neubewertung stützen. Solche sind dem Gericht auch nicht bekannt. Aus Parallelverfahren ist dem Gericht bekannt, dass die Beklagte zur Begründung ihrer geänderten Entscheidungspraxis gelegentlich auf eine neue Passpraxis Syriens abstellt, die im Jahr 2015 zur Ausstellung von mehr als 800.000 Pässen geführt haben soll. Abgesehen davon, dass es sich bei vielen dieser Pässe um im Ausland ausgestellte Proxy-Pässe handeln dürfte und die Motive für die geänderte Passpraxis nicht zuletzt in finanziellen Erwägungen liegen, ist nach Auffassung des Gerichts irgendein Zusammenhang zwischen syrischer Passpraxis und Rückkehrgefährdung ohnehin nicht gegeben und rein spekulativ. Angesichts der ungebremsten Eskalation der politischen und militärischen Auseinandersetzungen in Syrien ist für das Gericht auch nicht im Ansatz erkennbar, dass das Informations- und Verfolgungsinteresse des um seinen Machterhalt kämpfenden syrischen Regimes an Rückkehrern aus dem westlichen Ausland nachgelassen haben könnte. Das Gegenteil ist anzunehmen.“
Das Verwaltungsgericht Oldenburg führt ergänzend (juris Rn. 24 ff) aus:
Insofern kann zur Begründung der geänderten Entscheidungspraxis der Beklagten auch nicht auf eine neue Passpraxis Syriens abgestellt werden, die im Jahr 2015 zur Ausstellung von mehr als 800.000 Pässen geführt haben soll (vgl. VG Köln, Urteil vom 25. August 2016 - 20 K 6664/15.A - juris, Rn. 24). Denn auch insofern wird nicht die spezifische Situation eines vormalig Ausgereisten, der in Europa Asyl beantragt hat und nunmehr nach Syrien zurückkehrt, im Rahmen der anzustellenden Prognose in den Blick genommen, sondern auf Umstände abgestellt, die möglicherweise die Ausreise erleichtert haben können, denen für die Beurteilung der Situation im Fall der derzeitigen Rückkehr aber keine Aussagekraft zukommt.“
Dieser von der überwiegenden verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung geteilten Einschätzung vorgenannter Verwaltungsgerichte folgt die Kammer. Mit abweichenden Auffassungen haben sich die vorgenannten Entscheidungen unter Erörterung deren tragender Einwände auseinandergesetzt; auch insoweit schließt sich die Kammer diesen Ausführungen an. Auch die zuletzt ergangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig, U. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris, greift lediglich die bereits bekannten Aussagen der abweichenden Auffassung auf. Die auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7.11.2016, über „keine Erkenntnisse“ zu verfügen, gestützte Annahme, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Bedrohungslage in tatsächlicher Hinsicht ausgeschlossen sei, überzeugt die Kammer nicht. Ohne die herausgehobene Stellung des Auswärtigen Amtes zu mindern, bestimmt oder verändert das erklärte „Nichtwissen“ des Auswärtigen Amtes nicht die Realitäten des syrischen Regimes. Zwar mag man davon ausgehen, dass „auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte“, dass Flüchtende „aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben“. Worin indes die Annahme des Senats gründet, das syrische Regime werde diese Annahme auf die „weit überwiegende Anzahl“ der Flüchtenden erstrecken, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen, wie auch die Schlussfolgerung, illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellten „daher“ keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen System dar, nicht tragfähig begründet erscheint. Damit wird dem syrischen System aus westeuropäisch geprägter Sicht eine gemutmaßte Rationalität bezüglich der Beurteilung der Flüchtlingsproblematik wie auch im Umgang mit den eigenen Staatsangehörigen, insbesondere mit faktisch kontingentiert über den Luftweg via Damaskus gegen ihren Willen zurückgeführten Asylantragstellern attestiert, was der nach gegebener Erkenntnislage gebotenen Einschätzung des von diesem Regime zu erwartenden Verhaltens widerspricht. Nicht überzeugt hat die Kammer die Aussage des Senats, seine Annahmen stünden in Übereinstimmung mit der von ihm eingeholten Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 8.11.2016, weil dieses ausgeführt habe, dass die syrische Regierung die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebiets verloren habe. Vielmehr verschweigt sich das Deutsche Orient-Institut zu der Frage, wie das syrische Regime zurückgeführte Flüchtlinge behandeln würde. Kontrollverluste des Regimes werden vom Deutschen Orient-Institut hinsichtlich des für die Frage der „Rückkehrergefährdung“ in den Blick zu nehmenden „Kernlands“ des Regimes bezüglich des Großraums Damaskus wie auch der insoweit nicht im Vordergrund stehenden syrischen Mittelmeerküste nicht erwogen. Dass das Deutsche Orient-Institut mit seinen Hinweisen zu Kontrollverlusten des syrischen Staats über weite Gebietsteile die These hätte aufstellen oder stützen wollen, das syrische Regime werde bei der „weit überwiegende(n) Anzahl“ der Flüchtenden die rationale Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig teilen, wird nicht ansatzweise erkennbar. Vielmehr lassen die Ausführungen des Deutschen Orient-Instituts Raum für den Umkehrschluss, für die der Herrschaft des syrischen Regimes (weiterhin) unterfallenden Gebiete sei eine „Rückkehrergefährdung“ entsprechend der ihm vom Oberverwaltungsgericht Schleswig unterbreiteten Fragestellung zu bejahen, zumal es einleitend hervorhebt, „ein entscheidender Faktor“ für die Beurteilung der „Rückkehrergefährdung“ sei „die des Orts der Wiedereinreise“. Dass insoweit indes von Damaskus und damit einem von Kontrollverlusten freien bzw. „befreiten“ Herrschaftsgebiet des syrischen Regimes auszugehen ist, wird bislang nicht in Frage gestellt. Diesbezüglich erscheinen Überlegungen zu vorübergehenden oder andauernden Kontrollverlusten des syrischen Regimes in anderen Teilen des syrischen Staatsgebiets ohne Bedeutung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Schleswig abschließend bezüglich der Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen auf die Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016 Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass sich die in Bezug genommene Aussage der Botschaft im Kontext darauf bezieht, dass nach diesen Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisationen „Fälle bekannt“ sind, „bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind, was „überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten … oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst“ stehe. Dass sich die „Erkenntnisse der Menschenrechtsorganisationen“ auch auf das im vorangehenden Absatz angesprochene Fehlen von Erkenntnissen des Auswärtigen Amts erstreckten bzw. ein Fehlen eigener Erkenntnisse dieser Menschenrechtsorganisationen zum Ausdruck brächten, ist unter sprachlichen wie inhaltlichen Aspekten nicht naheliegend. (Fehlende) Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeitete, lassen sich deshalb nicht gegen die Annahme einer „Rückkehrergefährdung“ anführen. Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich die Erkenntnislage dieser nicht näher bezeichneten Menschenrechtsorganisationen gravierend von der Erkenntnislage der in den vorstehend wiedergegebenen Entscheidungen genannten, sich (ebenfalls) der Wahrung von Menschenrechten verpflichtet fühlenden Organisationen unterscheiden sollte.
Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Schleswig, das syrische Regime werde aus dem westeuropäischen Ausland zurückgeführte Flüchtlinge aus rationalen Gründen ebenfalls als „Bürgerkriegsflüchtlinge“ ansehen und jedenfalls die „weit überwiegende Anzahl“ der Flüchtenden weitgehend unbehelligt wieder einreisen lassen, ist nach Auffassung der Kammer nicht gerechtfertigt. Sie beruht auf einer fehlsamen Einschätzung des zuvörderst auf Machterhalt bedachten syrischen Regimes und der von diesem bereits vor dem sog. „arabischen Frühling“ ohne Ausnahme gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppierungen rücksichtslos praktizierten Herrschaftsgebarens, das ungebunden von Recht und Gesetz jede Form der Unterdrückung einschließlich Terror, Folter und selbst Krieg gegen die eigene Bevölkerung als probates Mittel zur Ausschaltung jedweder als oppositionell erachteter Bewegung oder Betätigung ansah und praktizierte (vgl. dazu Daniel Gerlach, Herrschaft über Syrien - Macht und Manipulation unter Assad, 2015; Janine di Giovanni, Der Morgen als sie uns holten - Berichte aus Syrien, 2016; Karin Leukefeld, Syrien zwischen Schatten und Licht, 2016; Wikipedia „Politisches System Syriens, https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_Syriens, Stand: Dezember 2016). Vielmehr ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass die zahlreichen Sicherheitskräfte unterstützt von militärischen wie paramilitärischen Verbänden ohne Rücksicht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit zurückkehrender Menschen jedwede - sei es nach objektivierten, sei es nach subjektiven bis willkürlichen Kriterien - vermutete „Oppositionsnähe“ kompromisslos verfolgen werden, ohne dass die generell oder im Einzelfall für derartige Mutmaßungen gewählten Anknüpfungspunkte abschließend vorhersehbar wären. Ein nach ungenehmigter Ausreise im westlichen Ausland auf Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Natur nach mit dem Ziel des dauerhaften Verbleibs außerhalb des Herrschaftsgebiets des Regimes betriebenes Asylverfahren bietet diese Anknüpfungspunkte und begründet in einem solchen Umfeld mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung für zurückgeführte Personen im Sinne eines realen Risikos („real risk“).
Die Kläger zu 1) -3) weisen mit illegaler Ausreise, Flucht über den Libanon in die Türkei und über die sog. „Balkanroute“ sowie längerem Aufenthalt in einem westlichen Land nebst der Asylantragstellung die dargelegten relevanten Merkmale auf. Ihre Angaben bei den Anhörungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind durch die Einlassungen in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden.
Angesichts dessen droht ihnen für den Fall der Rückkehr ungeachtet weiterer individuell geltend gemachter Fluchtgründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weil davon auszugehen ist, dass im Fall einer hypothetischen Rückkehr einer vermuteten oppositionellen Einstellung gegen das derzeitige politische System mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (auch) unter verfolgungsbegründenden Umständen nachgegangen werden wird.
Dies gilt für den Kläger zu 1) in gesteigertem Maße, weil in seiner Person individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Zur Beurteilung gefahrerhöhender Umstände macht sich die Kammer nachfolgende Ausführungen des VG Düsseldorf (U. v. 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A, juris Rn. 58 ff) zu vom UNHCR beschriebenen Risikoprofilen zu eigen:
„In seinen aktuellen Erwägungen zum Schutzbedarf hat der UNHCR Risikoprofile beschrieben, bei deren Einschlägigkeit die betreffende Person wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Konvention benötige. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Ebenso drohe eine asylrelevante Verfolgung Personen, die Mitglieder religiöser Gruppen oder Angehörige ethnischer Minderheiten seien, aber auch Wehrdienstverweigerern und Deserteuren der Streitkräfte der Regierung. Gefährdet seien auch Frauen, insbesondere ohne Schutz durch Männer, und Kinder.
Das Gericht teilt diese Einschätzung. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant.
Im Hinblick hierauf ist zu beachten, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit einer individuell erhöhten Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, von den syrischen Sicherheitskräften als Regimegegner angesehen und verfolgt zu werden. Der Kläger wäre bei seiner Rückkehr nämlich im wehrfähigen Alter.
Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst. Die Ablehnung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen wird in Syrien nicht anerkannt und es gibt keine Möglichkeit eines Ersatzdienstes (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a. a. O., Bl. 29 ff). Männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren ist es untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet, aus Syrien auszureisen, auch wenn diese bereits ihren Wehrdienst abgeleistet haben (vgl. Auskunft des Deutschen Orient- Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016).
Als (nunmehr) Wehrpflichtiger erfüllt der Kläger in seiner Person ein vom UNHCR beschriebenes Risikoprofil. Er läuft deshalb Gefahr, im Hinblick auf den Umstand, dass er durch seinen Aufenthalt im westlichen Ausland sich dem Wehrdienst entzogen hat, von dem syrischen Regime als Gegner angesehen und entsprechend behandelt zu werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt drohen dem Kläger bei einer Rückkehr asylerhebliche Maßnahmen in Anknüpfung an ein Konventionsmerkmal. Dies wird auch durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2016 bestätigt. Danach sind der Botschaft in Beirut Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeite.“
Der vierzigjährige Kläger zu 1) hat nach eigenen Angaben seinen Wehrdienst abgeleistet und gehört damit aus Sicht des syrischen Staates zu der Altersgruppe der Reservisten, deren Heranziehung zum Kriegsdienst konkret in Betracht kommt. Dies setzt ihn wegen seiner illegalen Ausreise dem Verdacht der Kriegsdienstentziehung und in besonderer Weise dem Risiko aus, im Fall seiner Rückkehr als (potentieller) Gegner des syrischen Regimes angesehen zu werden.
Ein weiterer gefahrerhöhender Umstand ist darin zu sehen, dass der Kläger zu 1) als Lehrender an einer Universität eine herausgehobene Stellung in der syrischen Gesellschaft hatte, weshalb von ihm in gesteigertem Maße Regimetreue gefordert und abweichendes Verhalten den nachhaltigen Verdacht oppositioneller Neigungen ausgelöst haben wird. Dies gilt bereits unabhängig davon, ob der Kläger zu 1) - wie geltend gemacht - sogar (status-) rechtlich in herausgehobener Stellung in den Regierungs- und Verwaltungsapparat integriert gewesen ist.
2. Zur Vorverfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG
Bezüglich der Kläger zu 1) und 3) bejaht die Kammer zudem eine „Vorverfolgung“ im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.
Der vierzigjährige Kläger zu 1) hat nach eigenen Angaben seinen Wehrdienst abgeleistet hat und gehört damit aus Sicht des syrischen Staates zu der Altersgruppe der Reservisten, deren Heranziehung zum Kriegsdienst konkret in Betracht kommt.
Das Verwaltungsgericht Magdeburg, U. v. 12.10.2016 - 9 A 175/16 - (juris Rn. 17 ff) hat zur Frage der Vorverfolgung infolge einer bevorstehenden Einziehung zum Militärdienst ausgeführt:
„Der Kläger ist zur Überzeugung des Gerichts bereits vorverfolgt aus Syrien ausgereist, denn er hat sich seiner unmittelbar bevorstehenden Einziehung zum Dienst als Reservist durch das syrische Militär entzogen. Das Gericht muss für die Annahme der die Verfolgung begründenden Tatsachen die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten individuellen Schicksals gewinnen. Dem persönlichen Vorbringen des Schutzsuchenden kommt dabei besondere Bedeutung zu. Ihm selbst obliegt es, seine Gründe für das Vorliegen politischer Verfolgung folgerichtig, substantiiert, widerspruchsfrei und mit genauen Einzelheiten vorzutragen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.07.1989 - 9 B 239/89 -, juris). Dies ist hier der Fall. Dem Kläger drohte die Mobilisierung zum Dienst als Reservist, welcher er sich durch seine Flucht entzogen hat. Dass diese unmittelbar bevorstand, hat der Kläger sowohl in seiner persönlichen Anhörung bei der Beklagten als auch im Klageverfahren substantiiert und glaubhaft geltend gemacht. Insoweit geht das Gericht von folgenden Erkenntnissen zur Mobilisierung von Reservisten in Syrien aus:
Den syrischen Männern im wehrfähigen Alter der Jahrgänge 1985 - 1991 ist seit dem 20.10.2014 durch ein Verbot der General Mobilisation Administration des Verteidigungsministeriums die Ausreise verboten, so dass diese seither nicht mehr die Möglichkeit der legalen Ausreise haben (SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, S. 4). Das Danish Refugee Council schildert in seinem Bericht "Update on Military Service, Mandatory Self-Defence Duty and Recruitment to the YPG" (Stand: September 2015), dass es in Syrien zwar Gerüchte über eine generelle Mobilmachung gäbe, die so bisher jedoch noch nicht erfolgt sei; die Männer würden lediglich bei entsprechendem Bedarf der syrischen Armee und je nach Gebiet zum Reservistendienst herangezogen (vgl. S. 9, 14). Der Finnish Immigration Service bestätigt hierzu in seinem Bericht (vgl. Fact-Findung-Mission-Report: SYRIA: MILITARY SERVICE, NATIONAL DEFENSE FORCES, ARMED GROUPS SUPPORTING SYRIAN REGIME AND ARMED OPPOSITION, Stand: August 2016), dass das syrische Militär gegenwärtig aufgrund von Todesfällen, Abtrünnigkeit und Desertion einen enormen Bedarf an Personal hat (vgl. S. 5). Danach werden alle Männer bis zu einem Alter von 42 Jahren nach Ableistung ihres Grundwehrdienstes aufgrund eines Gesetzes von 2007 als Reservisten geführt; teilweise wird auch berichtet, dass das Alter für den Dienst als Reservist mittlerweile wegen der angespannten Personalsituation auf 45 Jahre oder älter angehoben wurde. Laut einer Quelle des DRC erfolge meist eine Bedarfsanzeige der Armee gegenüber dem Wehrmeldeamt. Dieses schicke dann an die lokalen Rekrutierungsbüros eine Liste mit den Namen der Reservisten in dem Gebiet, welche dann die örtliche Polizei damit beauftrage, die Betreffenden zu Hause zu kontaktieren. Die Aufforderung, sich zum Dienst zu melden, erfolge mündlich, die schriftliche Benachrichtigung werde nicht ausgehändigt. Die Einberufung zum Grundwehrdienst ist dem Verfahren zur Einberufung zum Wehrdienst vergleichbar. Die Betreffenden können aber auch an Kontrollpunkten eingezogen werden (vgl. DRC, a. a. O., S. 15; FIS, a. a. O., S. 11) … .
Dem Kläger stand somit nach eigenem Vortrag die Mobilisierung als Reservist zur syrischen Armee bei seiner Ausreise konkret bevor. Das Gericht hat keinen Anhalt, an den Angaben des Klägers zu zweifeln. Denn der Vortrag wird durch die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse, dass die syrische Armee jahrgangsweise (vgl. DRC, a. a. O., S. 16) rekrutiert bzw. mobilisiert, gedeckt. Dass der Kläger noch keine persönliche Mitteilung durch die örtliche Polizei erhalten hatte, steht der Annahme nicht entgegen. Dies zu verlangen wäre bloße Förmelei, denn der Kläger hat hinreichende Anhaltspunkte vorgetragen, welche die Annahme seiner (drohenden) Mobilisierung rechtfertigen.
Dem Kläger droht bereits bei seiner Ausreise aus Syrien wegen seiner Entziehung von dieser Pflicht ein erheblicher Eingriff von beträchtlicher Intensität durch den syrischen Staat als Verfolger (§ 3 c Nr. 1 AsylG), weil die ihm hierfür drohende Bestrafung sich als Bestrafung wegen einer vermeintlichen oder - nach dem Klägervortrag wohl anzunehmenden - tatsächlichen politischen Gesinnung (sog. polit-malus) darstellt (§ 3 a Abs. 2 Nr. 3 AsylG) und er sich an Verbrechen und Handlungen beteiligen müsste, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen (§ 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG). Danach kommen als Verfolgungshandlungen u. a. die unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung in Betracht (aa) wie auch die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die gegen den Frieden gerichtet sind, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, beinhalten (bb).
aa) Das syrische Militärstrafrecht sieht für verschiedene Abstufungen der Entziehung von der militärischen Dienstpflicht unterschiedliche Strafmaße vor, welche von kürzeren Freiheitsstrafen von 2 Monaten bis zu einem Jahr bei Nichterscheinen zum militärischen Aufgebot in Friedenszeiten bis zu langer Haft von fünf bis zehn Jahren bei Desertion ins Ausland und der Todesstrafe bei Überlaufen zum Feind reichen (vgl. hierzu die Aufzählung in BVerwG der Schweiz, Urt. v. 18.02.2015 – D-5553/2013 m. w. N.).
Soweit allein die Bestrafung wegen der Entziehung vom Wehr- bzw. Reservistendienst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts keine Asylerheblichkeit begründet (vgl. hierzu BVerfG, Urt. v. 11.12.1985 - 2 BvR 361/83, 2 BvR 449/83 -; BVerwG, Urt. v. 31.03.1981 - C 6/80 -, beide juris), steht dies der Annahme der Verfolgung im Fall des Klägers nicht entgegen. Denn dieser, grundsätzlich keine einen Asylanspruch auslösende Maßnahme, wohnt eine politische Verfolgungstendenz inne. Auch einer generellen Maßnahme oder Regelung wie gerade der Verpflichtung zum Waffendienst kann eine - nicht offen zutage liegende - politische Verfolgungstendenz innewohnen, etwa dann, wenn zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt wird. Anhaltspunkte für derartige Intentionen könnten sich aus der besonderen Ausformung der die Wehrpflicht begründenden Regelungen, aus ihrer praktischen Handhabung, aber auch aus ihrer Funktion im allgemeinen politischen System der Organisation ergeben. Der totalitäre Charakter einer Organisation oder einer Staatsform, die Radikalität ihrer Ziele, der Rang, den sie dem Einzelnen und seinen Belangen einräume, sowie das Maß an geforderter und durchgesetzter Unterwerfung seien wichtige Gradmesser für Verfolgungstendenzen in Regelungen, denen eine gezielte Diskriminierung nicht ohne weiteres anzusehen sei. Deutlich werden kann der politische Charakter von Wehrdienstregelungen etwa daran, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet würden. Ein Flüchtling, den ein solches Schicksal erwarte, ist politisch Verfolgter im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG, § 3 AsylG (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 31.03.1981, a. a. O., Rn. 14).
Dabei geht das Gericht von folgenden Erkenntnissen zur Strafverfolgung bei Wehrdienstentzug in Syrien aus:
Denjenigen, die sich der Einberufung bzw. Mobilisierung entziehen, droht bei einer Ergreifung Haft und/oder Verurteilung, die über den normalen Strafrahmen hinausgehen. Verschiedenen, der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Berichten ist hierzu zu entnehmen, dass den Betreffenden in Syrien nach ihrer Ergreifung und Inhaftierung Einzelhaft, Militärverfahren, Folter, lebenslange Haft, Hinrichtung und die Todesstrafe drohen (vgl. DRC, a. a. O., S. 19; FIS, a. a. O., S. 12 f.; SFH, Syrien: Mobilisierung in die syrische Armee, Stand: 28. März 2015, S. 3 f.).
Recherchen von Amnesty International haben zudem ergeben, dass das syrische Regime sowohl Fahnenflüchtlinge als auch diejenigen als Gegner des Regimes betrachtet, bei denen lediglich die Absicht der Desertion vermutet wird. Diese sehen sich - ebenso wie andere tatsächliche oder vermeintliche Regimegegner - gewaltsamem Verschwinden, Haft sowie Folter und unmenschlicher Haftbedingungen bis hin zum Tod ausgesetzt, ohne dass sie die Chance auf eine anwaltliche Beratung oder ein faires gerichtliches Verfahren haben (vgl. Amnesty International: `Between Prison and Grave`- Enforced Displacement in Syria, Stand: November 2015, S. 8, 44).
Nach den Erwägungen des UNHCR zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, erfüllen Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen, ein Risikoprofil; zu dieser Gruppe zählen auch Wehrdienstverweigerer und Deserteure der Streitkräfte (vgl. S. 26).
Das Regime betrachtet nach diesen Erkenntnissen bereits Regierungssoldaten, denen es lediglich die Absicht des Überlaufens oder der oder Fahnenflucht unterstellt, als Verräter; diese werden verhaftet oder verschwinden auf gewaltsame Weise (vgl. Amnesty International: `Between Prison and Grave`- Enforced Displacement in Syria, Nov. 2015, S. 7, 44). Die Betreffenden werden in eines der Haftzentren des Landes verbracht, die von den militärischen und politischen Geheimdiensten betrieben werden, und leben dort unter menschenunwürdigen Bedingungen ohne ausreichende Versorgung mit Nahrung, Wasser und Medizin (Amnesty International, a. a. O., S. 8; Human Rights Watch: If the Dead could speak, 2015, S. 8).
Die Gefangenen werden dort regelmäßig diversen Foltermethoden ausgesetzt (wie vor; DRC, a. a. O., S. 19), ohne dass sie Zugang zu einem Anwalt oder einem fairen gerichtlichen Verfahren erhalten (vgl. Amnesty International, a. a. O., S. 8). Seitens der unter dem UN-Mandat stehenden Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission zu Syrischen Arabischen Republik stellt der staatliche Feldzug des gewaltsamen Verschwindens ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar (vgl. Amnesty International, a. a. O., S. 15 m. w. N.).
Die den Fahnenflüchtigen drohenden Strafen dienen damit nicht lediglich der Sicherstellung der Wehrpflicht und der Ahndung des mit der Dienstverweigerung verbundenen kriminellen Unrechts; vielmehr sind sie als Maßnahmen zu qualifizieren, die darüber hinaus eine vermutete staatsfeindliche Gesinnung treffen und diese eliminieren sollen. Die so festgestellten unverhältnismäßig hohen Strafen stellen einen Malus dar, bei deren Vorliegen eine über den legitimen Strafzweck hinausgehende und damit flüchtlingsrechtlich relevante Motivation zu vermuten ist (vgl. ARK, Urt. v. 20.12.2005 i. S. L. H., Eritrea, publiziert in EMARK 2006 Nr. 3, abrufbar unter: http://www.ark-cra.ch/emark/2006/03.htm#top). Angesichts der anhaltenden Bestrebungen des syrischen Regimes, die oppositionellen Kräfte im Land zu bekämpfen, und der aktuellen Angaben des FIS aus April diesen Jahres (fact-finding mission April 25-29, 2016, FIS, a. a. O., S. 4), vermag das Gericht nicht auszuschließen, dass das syrische Regime die Verfolgung und Bestrafung des Klägers wegen seiner Entziehung vom Militärdienst bei einer (fiktiven) Abschiebung unterlassen würde.
bb) Die Bestrafung des Klägers wegen der Entziehung vom Militärdienst stellt sich zudem als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG dar, wonach eine Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt dann als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 fallen, die sich mithin als Verbrechen gegen den Frieden, als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, darstellen würden. Mit dieser Vorschrift wird die generelle asylrechtliche Unbeachtlichkeit einer staatlichen Sanktionierung von Fahnenflucht und Desertion aufgehoben, weil mit ihr unabhängig vom Inhalt und der Anwendung eines nationalen Wehrstrafrechts die Bestrafung dann Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist, wenn sich der Militärdienst, welchem sich der Ausländer entzogen hat, als Teilnahme an Kriegsverbrechen und anderen völkerrechtswidrigen Handlungen darstellt. Unter diesen Umständen entfällt die Legitimität einer strafrechtlichen Sanktionierung des Wehrdienstentzuges, weil dem Wehrdienstentzug kein kriminelles Unrecht zugrunde liegt.
Der Dienst in der syrischen Armee, zu dem der Kläger mobilisiert werden sollte, beinhaltet gerichtsbekanntermaßen Handlungen, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten. Die unabhängige UN-Untersuchungskommission klassifiziert das Verhalten der Kriegsparteien in Syrien als „aktuellen Beweis für die Rohheit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nach Gerechtigkeit, Verantwortung und Frieden verlangen” (vgl. UNHCR, Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. akt. Fassung Nov. 2015, S. 9 f.). Sofern der EuGH in seiner Entscheidung vom 26.02.2015 (Shepherd, Rs C-472/13) in Auslegung des Art. 9 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie die weitere Voraussetzung aufgestellt hat, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfordere, dass die Verweigerung des Militärdienstes das einzige Mittel darstellen muss, das es dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrenden Antragstellers erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen, schließt dies vorliegend den Anspruch des Klägers nicht aus. Denn aus den der Entscheidung zugrunde liegenden Erkenntnissen ist zu entnehmen, dass die Regelungen zur Befreiung vom Militärdienst in Syrien sich auf medizinische/gesundheitliche Gründe, den Status als einziger Sohn der Familie, Studenten und Männer, deren Brüder bereits aktiven Dienst leisten, beschränken (vgl. DRC, a. a. O., S. 11 f.; SFH, a. a. O., S. 5). Regelungen zur Dienstverweigerung aus anderen – insb. Gewissensgründen – vermag das Gericht den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht zu entnehmen. Für das Fehlen eines solchen Verfahrens spricht zudem, dass es so gut wie keine Entlassungen mehr aus dem Militärdienst – auch nach Ableistung des Wehrdienstes – gibt und die Dienstzeit sich seit 2011 verlängert hat bzw. auf unbestimmte Zeit festgesetzt wurde (vgl. FSI, a. a. O., S. 12). Soweit in den gerichtsbekannten Berichten die Möglichkeit angeführt wird, sich dem Dienst durch Bestechung zu entziehen (DCR, a. a. O., S. 12; FIS, a. a. O., S. 6 f.; SFH, a. a. O., S. 4), vermag dies den klägerischen Anspruch ebenfalls nicht zu hindern; denn der Kläger kann nur auf legale Verfahrensmöglichkeiten verwiesen werden.
Die Verfolgung ging und geht vom syrischen Staat aus, § 3 c Nr. 1 AsylG. Denn die Bestrafung erfolgt durch diesen. Das Gericht hat keinen Anhalt für die Annahme, dass der Staat aktuell hierzu nicht mehr Willens oder in der Lage wäre. Denn trotz der anhaltenden Kämpfe zwischen den verschiedenen Konfliktparteien in und um Aleppo, dem Herkunftsort des Klägers, werden große Teile des Stadtgebietes und des Umlands von der Regierung weiterhin kontrolliert (vgl. Spiegel online: Assad-Regime kesselt Rebellen in Aleppo ein, Bericht vom 04.09.2016, abgerufen am 10.10.2016 unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-regime-kesselt-rebellenin- aleppo-ein-a-1110854.html; Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Russland und Syrien drängen Söldner in Aleppo in die Defensive, Bericht vom 09.10.2016, abgerufen am 10.10.2016 unter: http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/10/09/russland-und-syrien-draengen-soeldnerin- aleppo-in-die-defensive/).
Drohten dem Kläger die unter 1. festgestellten Verfolgungsmaßnahmen wegen seiner Desertion bereits bei seiner Ausreise, gilt dies auch im Falle seiner Rückkehr. Hierbei gilt für die Annahme der fortbestehenden Begründetheit der Furcht vor Verfolgung zwar ebenfalls der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 – 10 C 25/10 -, zur Verfolgungsprognose und dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab bei Vorverfolgung; EuGH, Urt. v. 02.03.2010 – C-175/08 u.a. -, beide juris). Zu Gunsten des Vorverfolgten erfolgt aber über Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG eine Privilegierung dergestalt, dass mit dieser Vorschrift eine tatsächliche Vermutung normiert wird, wonach sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Denn ihrem Wortlaut nach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits vorverfolgt wurde oder einen sonstigen Schaden erlitten bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solchen Verfolgungen oder einem solchen Schaden bedroht wird. Der Vorverfolgte wird dadurch von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei einer Rückkehr erneut realisieren werden. Die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht dabei im Wesentlich auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.09.2010 - 10 C 11/09 -; VG Aachen, Urt. v. 26.07.2016 - 3 K 664/16.A -, beide juris).
In Ansehung dessen begründet bereits die oben unter 1. festgestellte Vorverfolgung des Klägers die Vermutung, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch bei einer Rückkehr staatlicher Verfolgung wegen der Entziehung von der Dienstpflicht ausgesetzt wäre. Der Kläger hat sich mit seiner Ausreise aus Syrien noch weiter dem Militärdienst und so der staatlichen Verfügungsgewalt entzogen und damit seine - vermeintliche oder tatsächliche - regimefeindliche Einstellung zum Dienst für den syrischen Staat zum Ausdruck gebracht.
Dem Umstand, dass der syrische Präsident seit Ausbruch des Bürgerkrieges mindestens sechs Amnestien auch für Deserteure erlassen hat, zuletzt mit dem Dekret Nr. 32/2015 im Juli 2015 (vgl. SFH, Syrien: Umsetzung der Amnestien, Stand: 14.04.2015, S. 1; DRC, a. a. O., S. 19), steht der oben dargelegten Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht entgegen. Denn die Amnestien wurden jeweils bezogen auf einen Stichtag gewährt (vgl. wie vor), von welchem der Kläger nicht erfasst ist. Dem Kläger ist es mit der bloßen theoretischen Möglichkeit des künftigen Erlasses weiterer, ihn ggf. erfassender Amnestien nicht zuzumuten, in seinen Heimatstaat zurückzukehren.“
Diese Ausführungen macht sich die Kammer zu eigen. Der Kläger zu 1) hat zu vergegenwärtigen, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr solch staatlicher Verfolgung wegen der Entziehung von der Dienstpflicht ausgesetzt wäre, wie auch, dass der Dienst in der syrischen Armee mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Handlungen beinhalten könnte, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten.
Dies gilt angesichts der aktuellen Entwicklungen in Syrien ausweislich aussagekräftiger Berichte auch für den bereits fünfzehnjährigen jugendlichen Kläger zu 3), der zwar nach den gesetzlichen Bestimmungen des syrischen Staates noch nicht der allgemeinen Wehrpflicht unterliegt, aufgrund der in jeder Hinsicht krisenhaften Zuspitzung des Kriegsgeschehens jedoch im Sinn des „real risk“ mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen hat, von einer kriegsführenden Partei, insbesondere von den paramilitärischen Verbänden und Gruppierungen (auch) des syrischen Regimes tatsächlich im Kriegsdienst eingesetzt zu werden. Nach Berichten insbesondere der UN werden Kinder von verschiedenen Konfliktparteien, insbesondere auch regierungsnahen bewaffneten Gruppen, für Unterstützungs- wie auch Kampfhandlungen rekrutiert und verstärkt der Gefahr ausgesetzt, verletzt, gefoltert, traumatisiert und getötet zu werden (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, S. 10 Rn. 13, S. 15 Rn. 19 jew. m. w. Nachw.; zurückhaltender Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime And Armed Opposition vom 23.8.2015)).
Da den Klägern zu 1) - 3) die Flüchtlingseigenschaft aus vorstehenden Gründen zuzuerkennen ist, kann im Übrigen jedoch dahingestellt bleiben, ob dieser Anspruch, insbesondere die Annahme einer „Vorverfolgung“, auch unter weiteren Gesichtspunkten begründet ist (vgl. BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 -, juris Rn. 28 f.; Dietz in Gärditz, VwGO § 124 Rn. Rn. 20; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, Vor § 124 Rn. 62; § 124 Rn. 98). Durch die ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wird ihrem Rechtsschutzbegehren in vollem Umfang entsprochen. Auch mit Blick auf ein mögliches künftiges Widerrufsverfahren i. S. d. § 73 Abs. 1 AsylG besteht kein formell- oder materiell-rechtlicher „Überhang“ im Sinn eines weitergehenden Rechtsschutzinteresses. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 2.3.2010 - C-175/08 u. a. -, juris) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33/07 -, juris; EuGH-Vorlage v. 31.3.2008 - 10 C 32/07 -, juris; U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09, BVerwGE 136, 377 = juris; U. v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 -, BVerwGE 140, 22 = juris) wird auch im Fall einer künftigen Widerrufsprüfung vom Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit („real risk“) auszugehen und die Prüfung beweisrechtlich von der Verpflichtung der Beklagten geprägt sein, den Klägern nach Art. 14 Abs. 2 RL 2011/95/EU nachzuweisen, dass sie nicht länger Flüchtling sind, sowie von der aus Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU folgenden Vermutung, dass nach wie vor eine Verfolgungslage besteht (so Funke-kaiser in GK-AsylG, 106. Lieferung 2016, II § 73 Rn. 24; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., Kapitel 7 Rn. 54 ff insb. 70 - 72, Kapitel 10 Rn. 118 - 120). Nicht auszuschließende Probleme einer „nachträglichen Beweisführung“ (so Marx, a. a. O., Kapitel7 Rn. 72; Kapitel 10 Rn. 119) treffen danach die Beklagte, zumal der Europäische Gerichtshof in vorgenanntem Urteil Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich auch auf den Fall erstreckt, dass der Flüchtling (im Widerrufsverfahren) einen anderen Verfolgungsgrund als den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend macht und er vor seinem ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung ausgesetzt war, die aus diesem anderen Grund gegen ihn gerichtet worden waren, er diese aber damals nicht geltend gemacht hat. Dies erfasst insbesondere die Nichtgeltendmachung von Verfolgungsgründen mit Blick auf die bereits aus anderen Gründen erfolgende Gewährung internationalen Schutzes.
3. Minderjährige Kläger zu 4) - 6)
Den noch im Kindesalter befindlichen minderjährigen Klägern zu 4) bis 6) steht indes kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu. Sie sind nicht vorverfolgt aus Syrien ausgereist. Auch droht ihnen bei einer Rückkehr nach Syrien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit staatliche Verfolgung. Bei den Klägern zu 4) und 5) handelt es sich zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts um 7 und 12 Jahre alte Kinder. Da diese aufgrund ihres Alters auch aus der anzunehmenden Sicht des Regimes noch nicht in der Lage sind, eine ernst zu nehmende politische Überzeugung zu bilden, kann bei ihnen - anders als bei den Klägern zu 1) - 3) - nicht angenommen werden, dass ihr Aufenthalt im westlichen Ausland und die Asylantragstellung vom syrischen Staat als Ausdruck einer regimefeindlicher Gesinnung aufgefasst wird und sie wegen einer vermuteten politischen Überzeugung im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Für den erst in Deutschland geborenen Kläger zu 6) liegt dies auf der Hand.
Sie haben derzeit auch keinen Anspruch auf internationalen Schutz für Familienangehörige gemäß §§ 26 Abs. 2 und 5 AsylG, da dieser voraussetzt, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei einem Elternteil unanfechtbar ist. Die mit der vorliegenden Entscheidung ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, den Klägern zu 1) - 3) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, ist jedoch noch nicht unanfechtbar. Sobald die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu Gunsten der Kläger zu 1) oder 2) unanfechtbar geworden ist, können die Kläger zu 4) - 6) diesen Anspruch verfolgen, sofern ihnen die Flüchtlingseigenschaft nicht ohnehin von Amts wegen zuerkannt wird (VG Schleswig, GB v. 22.9.2016 - 12 A 232/16 -, juris Rn. 32 f.; VG Regensburg, U. v. 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 - juris Rn. 49 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Dabei wird darauf abgestellt, dass jeweils die Hälfte der Kläger obsiegt hat bzw. unterlegen ist. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.