Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 13.01.2017, Az.: 7 A 167/16

Familie; Flüchtling; Syrien; Zuerkennung

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
13.01.2017
Aktenzeichen
7 A 167/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53807
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen "Rückkehrergefährdung" auch an Minderjährige.

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Sie trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach ihren Angaben und den Feststellungen der Beklagten sind die Kläger syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens. Die kurdisch und arabisch sprechenden Kläger zu 1) und 2) sind verheiratet; die Kläger zu 3) - 4) sind ihre minderjährigen, in 2010 und 2014 geborenen Kinder.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung erklärten die Klägerin 2) mit ihrer Familie am 15.10.2015 Syrien verlassen zu haben und über die Türkei und Griechenland über die sog. Balkanroute via Österreich nach einem ca. einem Monat in Deutschland eingereist zu sein, ohne zuvor anderswo internationalen Schutz beantragt oder zuerkannt bekommen zu haben.

Bei seiner Anhörung am 14.6.2016 gab der am 10.10.1982 geborene Kläger zu 1) nach der Niederschrift des Beklagten an, er sei mit 16 Jahren nach „Damaskus, Stadt Zebedane, Dorf Sehel Medayu“ gezogen. Sie hätten dort eine Landwirtschaft betrieben. 2011 habe er das Gebiet aufgrund des Krieges verlassen und sei nach „Derek (Stadt), in die Khirbet Adnanstraße“ gezogen. Dort habe er bei seinen Eltern zusammen mit seiner Frau und den Kindern bis zur Ausreise gewohnt. Syrien habe er am 15.10.2015 verlassen und sei am 13.11.2015 in Deutschland eingereist. - Vom 11.4.2001 bis 11.10.2003 habe er seinen Pflichtwehrdienst geleistet und sei in Homs, Division 72678, stationiert gewesen. Wegen seiner Kinder sei er nach Deutschland gekommen. Die Lage sei immer schlechter geworden. Er habe Syrien verlassen aus Angst, dass er zum Krieg eingezogen werde. Er habe seinen Wehrpflichtdienst abgeleistet, aber man könne ihn jederzeit einziehen.

Bei ihrer Anhörung am 14.6.2016 gab die am 20.3.1987 geborene Klägerin zu 2) nach der Niederschrift des Beklagten an, sie stamme aus „Kamishli“ und sei nach ihrer Heirat nach Damaskus gegangen. 2011 sie sie wieder „nach Derek gegangen (arab. Malikira)“. Sie habe bis zu ihrer Ausreise in der „J.“ bei ihrem Schwiegervater gewohnt. Sie hätten Syrien am 15.10.2015 verlassen und seien am 13.11.2015 in Deutschland eingereist. Die Lage in Syrien sei zurzeit sehr schlecht und kritisch. Man bekomme dort keine Lebensmittel und keine Arbeit. Die Kinder könnten nicht zur Schule gehen. Sie habe Angst um ihren Mann gehabt. Wenn sie dort geblieben wären, hätte das Regime ihn eingezogen. Wenn er in den Krieg gezogen wäre, hätte sie keinen Mann zu Hause gehabt, der sie habe ernähren können.

Von den Klägern vorgelegte Urkunden und Personaldokumente führten bei Überprüfung durch die Beklagte zu keiner Beanstandung; auf deren bei den Verwaltungsvorgängen befindliche Kopien und Übersetzungen wird Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 27.6.2016, dem Kläger zu 1) zugestellt am 1.7.2016, zuerkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Klägern den subsidiären Schutzstatus und lehnte ihre Asylanträge im Übrigen ab.

Am 5.7.2016 haben die Kläger Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Berufung auf verwaltungsrechtliche Rechtsprechung im Wesentlichen geltend machen, ihr Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG beruhe unabhängig von einer Vorverfolgung aufgrund der aktuellen Situation in Syrien aus beachtlichen Nachfluchtgründen von Verfolgung wegen ihrer illegalen Ausreise aus Syrien, der Asylantragstellung und ihrem Aufenthalt im Ausland. Eine inländische Fluchtalternative stünde nicht zur Verfügung, da sie bei einer Einreise über den Flughafen in Damaskus keinen sicheren Landesteil sicher und legal erreichen könnten. Bei einer Rückkehr würden sie die vermutete Systemfeindlichkeit bei einer Befragung durch syrische Sicherheitsbehörden nicht widerlegen können.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Die Kammer hat den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet. Der Anspruch der Kläger beruht auf § 3 Abs. 1 und 4 AsylG. Der die Zuerkennung ablehnende Bescheid der Beklagten ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können nach § 3 Abs. 1 und 4 Halbsatz 1 AsylG Personen beanspruchen, die

aus begründeter Furcht (§ 3 Abs. 1 AsylG)

vor aus bestimmten Gründen (§§ 3b, 28 Abs. 2 AsylG)

praktizierten Verfolgungshandlungen (§ 3 a ASylG)

bestimmter Akteure (§ 3c AsylG)

keinen ausreichenden Schutz (§§ 3d, 3e AsylG)

in ihrem Herkunftsstaat finden können, sofern nicht die Voraussetzungen eines gesetzlichen Ausschlussgrunds gegeben sind (§ 3 Abs. 2, 3 und 4 Halbsatz 2 und 3). Die Bestimmungen des Asylgesetzes sind im Sinn bindender völker- und europarechtlich begründeter Vorgaben, insbesondere unter Beachtung der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 (ABl. L 337/9 vom 20.12.2011) auszulegen und anzuwenden.

Insoweit hat die zuständige Kammer des erkennenden Gerichts mit Urteil vom 5.12.2016 - 7 A 35/16 - (veröffentlicht: http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris) unter Bezugnahme auf Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 7.10.2016 (- 1 K 5093/16.TR -, juris, Rn. 16 - 26) ihre Rechtsauffassung dargelegt; hieran wird festgehalten.

Maßgebend für die gerichtliche Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung im Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG). Ausgehend von den dargelegten Maßstäben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Ihm droht bei verständiger Würdigung der gesamten, einschließlich der nach § 28 Abs. 2 AsylG, Art. 5 RL 2011/95/EU als „Nachfluchtgründe“ zu berücksichtigenden Umstände im Fall der hypothetischen Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren (dazu unter 1.). Dies gilt auch bezüglich der im Kindesalter befindlichen minderjährigen Kläger zu 3) und 4) (dazu unter 2.). Zudem liegt bezüglich des Klägers zu 1) eine „Vorverfolgung“ im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG vor. Im Übrigen kann die Frage, ob die Kläger Syrien wegen einer Vorverfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG verlassen haben, offen bleiben (dazu unter 3.).

1. Zur Zumutbarkeit der Rückkehr in den Heimatstaat (Nachfluchtgründe)

Die zuständige Kammer des erkennenden Gerichts hat ihre Beurteilung mit Urteil vom 5.12.2016 - 7 A 35/16 - (VG Osnabrück, U. v. 5.12.2016 - 7 A 35/16 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris) unter Bezugnahme auf Urteile des Verwaltungsgerichts Trier vom 7.10.2016 (- 1 K 5093/16.TR -, juris, Rn. 32 - 93) sowie der Verwaltungsgerichte Köln (U. v. 25.8.2016 - 20 K 6664/15.A, juris) und Oldenburg (U. v. 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, juris) dargelegt und dazu ausgeführt:

„Dieser von der überwiegenden verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung geteilten Einschätzung vorgenannter Verwaltungsgerichte folgt die Kammer. Mit abweichenden Auffassungen haben sich die vorgenannten Entscheidungen unter Erörterung deren tragender Einwände auseinandergesetzt; auch insoweit schließt sich die Kammer diesen Ausführungen an. Auch die zuletzt ergangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig, U. v. 23.11.2016 - 3 LB 17/16 -, juris, greift lediglich die bereits bekannten Aussagen der abweichenden Auffassung auf. Die auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 7.11.2016, über „keine Erkenntnisse“ zu verfügen, gestützte Annahme, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Bedrohungslage in tatsächlicher Hinsicht ausgeschlossen sei, überzeugt die Kammer nicht. Ohne die herausgehobene Stellung des Auswärtigen Amtes zu mindern, bestimmt oder verändert das erklärte „Nichtwissen“ des Auswärtigen Amtes nicht die Realitäten des syrischen Regimes. Zwar mag man davon ausgehen, dass „auch dem syrischen Staat bekannt sein dürfte“, dass Flüchtende „aus Angst vor dem Bürgerkrieg und den daraus resultierenden Folgen ihr Heimatland verlassen haben“. Worin indes die Annahme des Senats gründet, das syrische Regime werde diese Annahme auf die „weit überwiegende Anzahl“ der Flüchtenden erstrecken, ist der Entscheidung nicht zu entnehmen, wie auch die Schlussfolgerung, illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der Auslandsaufenthalt stellten „daher“ keine Anzeichen für politische Gegnerschaft zum syrischen System dar, nicht tragfähig begründet erscheint. Damit wird dem syrischen System aus westeuropäisch geprägter Sicht eine gemutmaßte Rationalität bezüglich der Beurteilung der Flüchtlingsproblematik wie auch im Umgang mit den eigenen Staatsangehörigen, insbesondere mit faktisch kontingentiert über den Luftweg via Damaskus gegen ihren Willen zurückgeführten Asylantragstellern attestiert, was der nach gegebener Erkenntnislage gebotenen Einschätzung des von diesem Regime zu erwartenden Verhaltens widerspricht. Nicht überzeugt hat die Kammer die Aussage des Senats, seine Annahmen stünden in Übereinstimmung mit der von ihm eingeholten Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom 8.11.2016, weil dieses ausgeführt habe, dass die syrische Regierung die Kontrolle über größere Teile des Staatsgebiets verloren habe. Vielmehr verschweigt sich das Deutsche Orient-Institut zu der Frage, wie das syrische Regime zurückgeführte Flüchtlinge behandeln würde. Kontrollverluste des Regimes werden vom Deutschen Orient-Institut hinsichtlich des für die Frage der „Rückkehrergefährdung“ in den Blick zu nehmenden „Kernlands“ des Regimes bezüglich des Großraums Damaskus wie auch der insoweit nicht im Vordergrund stehenden syrischen Mittelmeerküste nicht erwogen. Dass das Deutsche Orient-Institut mit seinen Hinweisen zu Kontrollverlusten des syrischen Staats über weite Gebietsteile die These hätte aufstellen oder stützen wollen, das syrische Regime werde bei der „weit überwiegende(n) Anzahl“ der Flüchtenden die rationale Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig teilen, wird nicht ansatzweise erkennbar. Vielmehr lassen die Ausführungen des Deutschen Orient-Instituts Raum für den Umkehrschluss, für die der Herrschaft des syrischen Regimes (weiterhin) unterfallenden Gebiete sei eine „Rückkehrergefährdung“ entsprechend der ihm vom Oberverwaltungsgericht Schleswig unterbreiteten Fragestellung zu bejahen, zumal es einleitend hervorhebt, „ein entscheidender Faktor“ für die Beurteilung der „Rückkehrergefährdung“ sei „die des Orts der Wiedereinreise“. Dass insoweit indes von Damaskus und damit einem von Kontrollverlusten freien bzw. „befreiten“ Herrschaftsgebiet des syrischen Regimes auszugehen ist, wird bislang nicht in Frage gestellt. Diesbezüglich erscheinen Überlegungen zu vorübergehenden oder andauernden Kontrollverlusten des syrischen Regimes in anderen Teilen des syrischen Staatsgebiets ohne Bedeutung. Soweit das Oberverwaltungsgericht Schleswig abschließend bezüglich der Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen auf die Auskunft der Botschaft Beirut vom 3.2.2016 Bezug nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass sich die in Bezug genommene Aussage der Botschaft im Kontext darauf bezieht, dass nach diesen Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisationen „Fälle bekannt“ sind, „bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden sind, was „überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten … oder im Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst“ stehe. Dass sich die „Erkenntnisse der Menschenrechtsorganisationen“ auch auf das im vorangehenden Absatz angesprochene Fehlen von Erkenntnissen des Auswärtigen Amts erstreckten bzw. ein Fehlen eigener Erkenntnisse dieser Menschenrechtsorganisationen zum Ausdruck brächten, ist unter sprachlichen wie inhaltlichen Aspekten nicht naheliegend. (Fehlende) Erkenntnisse von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeitete, lassen sich deshalb nicht gegen die Annahme einer „Rückkehrergefährdung“ anführen. Es ist auch nicht ersichtlich, warum sich die Erkenntnislage dieser nicht näher bezeichneten Menschenrechtsorganisationen gravierend von der Erkenntnislage der in den vorstehend wiedergegebenen Entscheidungen genannten, sich (ebenfalls) der Wahrung von Menschenrechten verpflichtet fühlenden Organisationen unterscheiden sollte.

Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts Schleswig, das syrische Regime werde aus dem westeuropäischen Ausland zurückgeführte Flüchtlinge aus rationalen Gründen ebenfalls als „Bürgerkriegsflüchtlinge“ ansehen und jedenfalls die „weit überwiegende Anzahl“ der Flüchtenden weitgehend unbehelligt wieder einreisen lassen, ist nach Auffassung der Kammer nicht gerechtfertigt. Sie beruht auf einer fehlsamen Einschätzung des zuvörderst auf Machterhalt bedachten syrischen Regimes und der von diesem bereits vor dem sog. „arabischen Frühling“ ohne Ausnahme gegenüber allen gesellschaftlichen Gruppierungen rücksichtslos praktizierten Herrschaftsgebarens, das ungebunden von Recht und Gesetz jede Form der Unterdrückung einschließlich Terror, Folter und selbst Krieg gegen die eigene Bevölkerung als probates Mittel zur Ausschaltung jedweder als oppositionell erachteter Bewegung oder Betätigung ansah und praktizierte (vgl. dazu Daniel Gerlach, Herrschaft über Syrien - Macht und Manipulation unter Assad, 2015; Janine di Giovanni, Der Morgen als sie uns holten - Berichte aus Syrien, 2016; Karin Leukefeld, Syrien zwischen Schatten und Licht, 2016; Wikipedia „Politisches System Syriens, https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_Syriens, Stand: Dezember 2016). Vielmehr ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass die zahlreichen Sicherheitskräfte unterstützt von militärischen wie paramilitärischen Verbänden ohne Rücksicht auf Leben, Freiheit und körperliche Unversehrtheit zurückkehrender Menschen jedwede - sei es nach objektivierten, sei es nach subjektiven bis willkürlichen Kriterien - vermutete „Oppositionsnähe“ kompromisslos verfolgen werden, ohne dass die generell oder im Einzelfall für derartige Mutmaßungen gewählten Anknüpfungspunkte abschließend vorhersehbar wären. Ein nach ungenehmigter Ausreise im westlichen Ausland auf Asylanerkennung bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft der Natur nach mit dem Ziel des dauerhaften Verbleibs außerhalb des Herrschaftsgebiets des Regimes betriebenes Asylverfahren bietet diese Anknüpfungspunkte und begründet in einem solchen Umfeld mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung für zurückgeführte Personen im Sinne eines realen Risikos („real risk“).“

Hieran wird festgehalten. In Auseinandersetzung mit der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ablehnenden Auffassung hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim bereits mit Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (juris) überzeugend ausgeführt:

„Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - Inf- AuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.“

Das erkennende Gericht macht sich diese Ausführungen ebenso wie die daran anknüpfenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Oldenburg (U. v. 4.1.2017 - 2 A 5738/16 -, juris Rn. 23 ff) zu Eigen und folgt damit auch nicht der an die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster anschließenden Argumentation des Oberverwaltungsgerichts Koblenz (U. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris). Die Kammer teilt nicht die in letztgenannter Entscheidung zugrunde gelegten „Lebenserfahrungen“ und die daran angeknüpfte Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich um vom syrischen Regime geteilte und gelebte „Lebenserfahrungen“ handelte, an denen dieses seine gegenüber „Rückkehrern“ praktizierten Vorgehensweisen maßgeblich ausrichten würde. Auf dieser von der Kammer nicht geteilten Grundannahme beruhen auch die zwischen Haft, Misshandlungen und Folter wegen „Verdachtsmomente für terroristische Aktivitäten - oder …eine regimekritische Haltung“ einerseits bzw. weil das Regime „Rückkehrer .. ohne weitere Anhaltspunkte der Opposition zurechnen“ würde andererseits differenzierenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts (Rn. 53, 55 ff, 79) zur Frage der Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund. Diese Einschätzungen überspannen nach Auffassung der Kammer die in Anwendung der sog. Zusammenhangklausel mit Blick auf eine begründete Verfolgungsfurcht zu stellenden Anforderungen (vgl. Marx, AsylG, vor II - 5 Rn. 141 ff, 206 ff, 221 ff).

Die Kläger weisen mit ungenehmigter Ausreise, Flucht über die sog. „Balkanroute“ sowie längerem Aufenthalt in einem westlichen Land nebst der Asylantragstellung die dargelegten relevanten Merkmale auf.

Angesichts dessen droht ihnen für den Fall der Rückkehr ungeachtet weiterer individuell geltend gemachter Fluchtgründe und deren Glaubhaftigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weil davon auszugehen ist, dass im Fall einer hypothetischen Rückkehr einer vermuteten oppositionellen Einstellung gegen das derzeitige politische System mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (auch) unter verfolgungsbegründenden Umständen nachgegangen werden wird.

Dies gilt für den Kläger in gesteigertem Maße, weil in seiner Person individuell gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Zur Beurteilung gefahrerhöhender Umstände macht sich das Gericht nachfolgende Ausführungen des VG Düsseldorf (U. v. 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A, juris Rn. 58 ff) zu vom UNHCR beschriebenen Risikoprofilen zu eigen:

„In seinen aktuellen Erwägungen zum Schutzbedarf hat der UNHCR Risikoprofile beschrieben, bei deren Einschlägigkeit die betreffende Person wahrscheinlich internationalen Schutz im Sinne der Genfer Konvention benötige. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammen. Ebenso drohe eine asylrelevante Verfolgung Personen, die Mitglieder religiöser Gruppen oder Angehörige ethnischer Minderheiten seien, aber auch Wehrdienstverweigerern und Deserteuren der Streitkräfte der Regierung. Gefährdet seien auch Frauen, insbesondere ohne Schutz durch Männer, und Kinder.
Das Gericht teilt diese Einschätzung. Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sind, besonders relevant.
Im Hinblick hierauf ist zu beachten, dass der Kläger bei einer Rückkehr mit einer individuell erhöhten Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, von den syrischen Sicherheitskräften als Regimegegner angesehen und verfolgt zu werden. Der Kläger wäre bei seiner Rückkehr nämlich im wehrfähigen Alter.
Männliche Staatsbürger Syriens unterliegen ab dem Alter von 18 Jahren dem verpflichtenden Wehrdienst. Die Ablehnung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen wird in Syrien nicht anerkannt und es gibt keine Möglichkeit eines Ersatzdienstes (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a. a. O., Bl. 29 ff). Männlichen Staatsangehörigen im Alter von 18 bis 42 Jahren ist es untersagt bzw. nur nach einer zuvor erteilten Genehmigung gestattet, aus Syrien auszureisen, auch wenn diese bereits ihren Wehrdienst abgeleistet haben (vgl. Auskunft des Deutschen Orient- Institutes an das OVG Schleswig-Holstein vom 8. November 2016).
Als (nunmehr) Wehrpflichtiger erfüllt der Kläger in seiner Person ein vom UNHCR beschriebenes Risikoprofil. Er läuft deshalb Gefahr, im Hinblick auf den Umstand, dass er durch seinen Aufenthalt im westlichen Ausland sich dem Wehrdienst entzogen hat, von dem syrischen Regime als Gegner angesehen und entsprechend behandelt zu werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt drohen dem Kläger bei einer Rückkehr asylerhebliche Maßnahmen in Anknüpfung an ein Konventionsmerkmal. Dies wird auch durch die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Februar 2016 bestätigt. Danach sind der Botschaft in Beirut Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt, zeitweilig inhaftiert oder dauerhaft verschwunden seien. Dies stehe überwiegend in Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten oder einem nicht abgeleisteten Militärdienst. Dies entspreche auch den Erkenntnissen von Menschenrechtsorganisationen, mit denen das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Beirut zusammen arbeite.“

Der 34jährige Kläger hat nach eigenen Angaben in der Zeit vom 11.4.2001 bis 11.10.2003 in Homs, Division 72678, Wehrdienst abgeleistet und steht als Reservist in den gegenwärtigen Kriegszeiten zur Einberufung an. Er gehört aus Sicht des syrischen Staates zu einer Altersgruppe von Reservisten, deren Heranziehung zum Kriegsdienst bevorzugt konkret in Betracht kommt. Dies setzt ihn wegen seiner ungenehmigten Ausreise dem Verdacht der Kriegsdienstentziehung und in besonderer Weise dem Risiko aus, im Fall seiner Rückkehr als (potentieller) Gegner des syrischen Regimes angesehen zu werden.

2. Vorverfolgung der minderjährigen Kinder

Auch den minderjährigen Klägern zu 3) und 4) droht bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung, weshalb sie nicht auf die Inanspruchnahme von Familienasyl nach § 26 Abs. 2 und 5 AsylG zu verweisen sind.

Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen (U. v. 23.11.2016 - A 5 K 1495/16 -, juris Rn. 116 ff) ausgeführt:

„Zur Überzeugung der Kammer sind mit ihren Eltern in das westeuropäische Ausland ausgereiste Kinder im (hypothetischen) Fall einer Rückkehr gleichermaßen gefährdet. Dem U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria) zufolge ist auch weiterhin eine beträchtliche Anzahl von Berichten über außerordentlich brutale Fälle des Missbrauchs von Kindern seitens der syrischen Regierung zu verzeichnen (S. 8, 47); regelmäßig würden Ingewahrsamnahmen und Folterungen von Kindern unter 13 Jahren - in einigen Fällen bei Elfjährigen - geschildert. Dabei würden sie gezielt wegen ihrer tatsächlichen oder nur vermuteten familiären Beziehungen zu Dissidenten, Mitgliedern der Freien Syrischen Armee oder Aktivistengruppen gefoltert. Ihnen gegenüber würden die gleichen Methoden wie bei Erwachsenen angewendet. Über sie sollte z.T. Druck auf ihre Eltern ausgeübt werden. Auch das Immigration and Refugee Board of Canada (Bericht vom 19.01.2016, a.a.O.) berichtet beispielsweise davon, dass bei Einreisen über Grenzkontrollpunkte überprüft werde, ob Familienangehörige des Einreisenden gesucht seien; für diesen Fall komme es zu Ingewahrsamnahmen und „Verschwindens“-Fällen, um Druck auf die Gesuchten auszuüben, was die sippenhaftähnlichen Verhältnisse vor Ort illustriert. Auch die Schnellrecherche der SFH vom 10.09.2015 mit dem Titel „Reflexverfolgung“ fasst Erkenntnisse zusammen, denen zufolge Personen vielfach aufgrund ihrer familiären Zugehörigkeit Opfer zielgerichteter Verfolgung wurden; Familienangehörige würden verhaftet und gefoltert, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen. Auch Kinder sollen von derartigen Maßnahmen betroffen gewesen sein, Frauen würden auch zur gezielten Demütigung ihrer männlichen Verwandten gefangen genommen. Das so umrissene Vorgehen werde weiterhin systematisch angewandt. Der UNHCR stellt in seinen bereits zitierten Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01, S. 12, 15), heraus, dass eine Besonderheit des Konflikts in Syrien gerade in dem Umstand bestehe, dass oftmals größeren Personengruppen eine politische Meinung schlicht undifferenziert unterstellt werde; Kinder seien nicht nur massiv von den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land betroffen, sondern würden auch vielfach festgenommen, entführt, gefoltert oder Opfer sexueller Gewalt (S. 15). Mit Blick auf die bereits mehrfach betonte Rücksichtslosigkeit des Vorgehens des syrischen Regimes, das selbst Kliniken unter Beschuss nimmt, hält es die Kammer vor diesem Hintergrund auch für beachtlich wahrscheinlich, dass Kinder bei einer Rückkehr nach Syrien am Flughafen oder an anderen Grenzkontrollpunkten entweder selbst einer mit Verfolgungshandlungen verbundenen Befragung unterzogen werden oder aber bei der Befragung ihrer Eltern in menschenrechtswidriger Weise instrumentalisiert und ggf. gefoltert werden, um Druck auf ihre Verwandten auszuüben.

Die vorstehenden Erwägungen gelten gleichermaßen für den derzeit 16-jährigen männlichen Kläger zu 4), der bereits ein Alter erreicht hat, das womöglich sogar die Mobilisierung für Kampfhandlungen erwarten ließe. In diesem Alter kann ihm seitens des syrischen Regimes auch bereits die Bildung einer politischen Überzeugung zugeschrieben werden, sodass ihm persönlich die illegale Ausreise und der längere Aufenthalt in Deutschland als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung angelastet werden kann.

Auch für den derzeit 12-jährigen männlichen Kläger zu 5) hält die Kammer eine individuelle Verfolgungsfurcht nach den vorstehenden Ausführungen für begründet, auch wenn er selbst noch nicht mit dem Begehren der Teilnahme an Kampfhandlungen oder Militärdiensten konfrontiert werden dürfte. Immerhin befindet auch er sich in einem Alter, in dem Jugendliche schon eine gewisse eigenständige geistige Reife aufweisen können; sein männliches Geschlecht dürfte ihn dabei in gesteigertem Maße vulnerabel für Verfolgungshandlungen der syrischen Sicherheitskräfte machen.

Letztlich ist die Kammer ebenso der Überzeugung, dass auch der fünfjährigen Klägerin zu 6) mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die in ihrem Fall - wie im Übrigen auch ohnehin bei ihren Geschwistern - daran ansetzen würden, über Misshandlungen ihrer Person Druck auf ihre Eltern ausüben zu können. Dabei ist in ihrem Fall nicht maßgeblich, dass sie wegen ihres Alters noch nicht in der Lage ist, sich eine politische Überzeugung zu bilden (so aber beispielhaft etwa VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -, Juris; VG Magdeburg, Urteil vom 18.10.2016 - 9 A 464/16 MD -, Juris).

All diese Verfolgungshandlungen gegenüber den Klägern zu 4) bis 6) würden wegen des Bezugsrahmens zu ihren Eltern nämlich auch die erforderliche Asylrelevanz aufweisen. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge (vgl. Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) kann eine politische Verfolgung bereits dann zu bejahen sein, wenn der Betroffene nicht einmal nach der Überzeugung des Verfolgers Träger oder Inhaber des asylerheblichen Merkmals ist, er aber etwa als Mittel zur Verfolgung dritter Personen eingesetzt wird. Es reicht, wenn er lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dies wäre hier der Fall.“

Dieser Rechtsprechung schließt sich die Kammer und mit ihr der urteilende Einzelrichter an (VG Osnabrück, B. v. 12.1.2017 - 7 A 346/16 -, n.v.; anders noch U. v. 5.12.2016 - 7 A 35/16 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris). In Anbetracht der nach Lage der Dinge gebotenen Einschätzung des syrischen Regimes droht nach dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit auch Kindern Verfolgung seitens des syrischen Regimes im Sinne eines „real risk“. Dies lässt sich insbesondere vor dem Hintergrund nationaler Erfahrungen mit dem sog. „DDR-Unrecht“ bezüglich der Instrumentalisierung von Kindern durch das totalitäre Regime insbesondere durch gewalthafte dauerhafte Trennung von ihren Eltern unter bewusster Aufrechterhaltung eines Zustands der Ungewissheit nicht überzeugend verneinen (vgl. Marie-Luise Warnecke, Zwangsadoptionen in der DDR, 2009; Katrin Behr, Entrissen - Der Tag, als die DDR mir meine Mutter nahm, 2011; https://www.welt.de/geschichte/article132503916/Kinder-zwangsweise-zur-Adoption-freigegeben.html; https://www.mauerfall-berlin.de/ddr/zwangsadoptionen/;
http://www.spiegel.tv/filme/vor-zwanzig-jahren-zwangsadotionen-ddr/; http://www.planet-wissen.de/gesellschaft/familie/adoptivkinder/pwieentrissenzwangsadoptioneninderddr100.html).

3. Zur Vorverfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG

Zudem bejaht das Gericht eine „Vorverfolgung“ im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylG.

Der 34jährige Kläger hat nach eigenen Angaben in der Zeit vom 11.4.2001 bis 11.10.2003 in Homs, Division 72678, Wehrdienst abgeleistet und steht als Reservist in den gegenwärtigen Kriegszeiten zur Einberufung an. Er gehört aus Sicht des syrischen Staates zu einer Altersgruppe von Reservisten, deren Heranziehung zum Kriegsdienst bevorzugt konkret in Betracht kommt.

Die zuständige Kammer des erkennenden Gerichts hat hierzu ihre Beurteilung mit Urteil vom 5.12.2016 - 7 A 35/16 - (VG Osnabrück, U. v. 5.12.2016 - 7 A 35/16 -, http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de = juris) unter Bezugnahme auf Urteil des Verwaltungsgericht Magdeburg, U. v. 12.10.2016 - 9 A 175/16 - (juris Rn. 17 ff) dargelegt und hierzu ausgeführt:

„Diese Ausführungen macht sich die Kammer zu eigen. Der Kläger zu 1) hat zu vergegenwärtigen, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr solch staatlicher Verfolgung wegen der Entziehung von der Dienstpflicht ausgesetzt wäre, wie auch, dass der Dienst in der syrischen Armee mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Handlungen beinhalten könnte, welche die Grundsätze der Menschlichkeit und des humanitären Völkerrechts missachten.

Dies gilt angesichts der aktuellen Entwicklungen in Syrien ausweislich aussagekräftiger Berichte auch für den bereits fünfzehnjährigen jugendlichen Kläger zu 3), der zwar nach den gesetzlichen Bestimmungen des syrischen Staates noch nicht der allgemeinen Wehrpflicht unterliegt, aufgrund der in jeder Hinsicht krisenhaften Zuspitzung des Kriegsgeschehens jedoch im Sinn des „real risk“ mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen hat, von einer kriegsführenden Partei, insbesondere von den paramilitärischen Verbänden und Gruppierungen (auch) des syrischen Regimes tatsächlich im Kriegsdienst eingesetzt zu werden. Nach Berichten insbesondere der UN werden Kinder von verschiedenen Konfliktparteien, insbesondere auch regierungsnahen bewaffneten Gruppen, für Unterstützungs- wie auch Kampfhandlungen rekrutiert und verstärkt der Gefahr ausgesetzt, verletzt, gefoltert, traumatisiert und getötet zu werden (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 4. aktualisierte Fassung, November 2015, S. 10 Rn. 13, S. 15 Rn. 19 jew. m. w. Nachw.; zurückhaltender Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime And Armed Opposition vom 23.8.2015)).“

Hieran wird festgehalten.

Da dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft aus vorstehenden Gründen zuzuerkennen ist, kann im Übrigen jedoch dahingestellt bleiben, ob dieser Anspruch, insbesondere die Annahme einer „Vorverfolgung“, auch unter weiteren Gesichtspunkten begründet ist (vgl. BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 -, juris Rn. 28 f.; Dietz in Gärditz, VwGO § 124 Rn. Rn. 20; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage, Vor § 124 Rn. 62; § 124 Rn. 98). Durch die ausgesprochene Verpflichtung der Beklagten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wird ihrem Rechtsschutzbegehren in vollem Umfang entsprochen. Auch mit Blick auf ein mögliches künftiges Widerrufsverfahren i. S. d. § 73 Abs. 1 AsylG besteht kein formell- oder materiell-rechtlicher „Überhang“ im Sinn eines weitergehenden Rechtsschutzinteresses. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U. v. 2.3.2010 - C-175/08 u. a. -, juris) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, EuGH-Vorlage v. 7.2.2008 - 10 C 33/07 -, juris; EuGH-Vorlage v. 31.3.2008 - 10 C 32/07 -, juris; U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09, BVerwGE 136, 377 = juris; U. v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 -, BVerwGE 140, 22 = juris) wird auch im Fall einer künftigen Widerrufsprüfung vom Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit („real risk“) auszugehen und die Prüfung beweisrechtlich von der Verpflichtung der Beklagten geprägt sein, den Klägern nach Art. 14 Abs. 2 RL 2011/95/EU nachzuweisen, dass sie nicht länger Flüchtling sind, sowie von der aus Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU folgenden Vermutung, dass nach wie vor eine Verfolgungslage besteht (so Funke-kaiser in GK-AsylG, 106. Lieferung 2016, II § 73 Rn. 24; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl., Kapitel 7 Rn. 54 ff insb. 70 - 72, Kapitel 10 Rn. 118 - 120). Nicht auszuschließende Probleme einer „nachträglichen Beweisführung“ (so Marx, a. a. O., Kapitel7 Rn. 72; Kapitel 10 Rn. 119) treffen danach die Beklagte, zumal der Europäische Gerichtshof in vorgenanntem Urteil Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ausdrücklich auch auf den Fall erstreckt, dass der Flüchtling (im Widerrufsverfahren) einen anderen Verfolgungsgrund als den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend macht und er vor seinem ursprünglichen Antrag auf internationalen Schutz Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung ausgesetzt war, die aus diesem anderen Grund gegen ihn gerichtet worden waren, er diese aber damals nicht geltend gemacht hat. Dies erfasst insbesondere die Nichtgeltendmachung von Verfolgungsgründen mit Blick auf die bereits aus anderen Gründen erfolgende Gewährung internationalen Schutzes.