Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.03.2004, Az.: 7 K 393/99
Berücksichtigung des Versorgungs-Freibetrags bei sich im besonderen Vorruhestand befindenden Beamten; Möglichkeit des Urteilsspruchs durch einen konsentierten Einzelrichter in Verfahren von gewichtiger Bedeutung; Gründe für die Unbedenklichkeit dieser Abweichung vom Kollegialprinzip; Vereinbarkeit der Regelungen zur Besteuerung der Altersbezüge seit 1996 mit dem Gleichheitssatz; Anwendbarkeit der für verfassungswidrig erkannten Regeln bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung; Ruhegelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen als Teil der Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit; Steuerfreiheit des Versorgungs-Freibetrags; Geltung der anteiligen Besteuerung der Renten für 58-jährige Rentner; Beurteilung der Gleichartigkeit von Sonderurlaubsvergütungen und Ruhegehältern anhand des Gehalts der vereinbarten Regelung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 31.03.2004
- Aktenzeichen
- 7 K 393/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 18452
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0331.7K393.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 79a Abs. 3 FGO
- Art. 3 Abs. 1 GG
- § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG
- § 19 Abs. 2 S. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2004, VI Heft 46 (Kurzinformation)
- DStRE 2004, 1404-1406 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2005, 299-301 (Volltext mit red. LS)
- LGP 2005, 2
- NWB 2004, 3545
- NWB 2004, 3369-3370 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1998
Amtlicher Leitsatz
Berücksichtigung eines Versorgungs-Freibetrages (der den Belastungsunterschied zur geringen Besteuerung der Rentner abmildern soll) bei den in Anlehnung an das Ruhegehalt gekürzten Einkünften eines"unwiderruflich" vom Dienst freigestellten 58-jährigen Beamten.
Der Einzelrichter, der das Einverständnis der Prozessbeteiligten besitzt (konsentierter Einzelrichter), hat ein freies Wahlrecht, ob er wirklich allein oder zusammen mit den Senatskollegen entscheiden will.
Tatbestand
Streitig ist die Berücksichtigung des Versorgungs-Freibetrages bei den Einkünften eines 58-jährigen Beamten.
Die Kläger sind miteinander verheiratet und wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der am 12. Oktober 1939 geborene Kläger erzielte als (vom Dienst freigestellter) Stadtamtsrat und die Klägerin als Lotsenbetriebsassistentin Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Nach dem Schreiben der Stadt W. (Arbeitgeber) vom 11. Dezember 1997 wurde der damals 58-jährige Kläger auf Grund seines Antrages "unwiderruflich" mit Ablauf des 30. Dezember 1997 bis zum Eintritt bzw. bis zur Versetzung in den Ruhestand vom Dienst freigestellt. Tatsächlich hat der Kläger den Dienst auch nicht erneut angetreten. Laut einer Bescheinigung der Stadt W. vom 28. April 1999 erhielt der Kläger im Streitjahr 1998 Bruttobezüge in Höhe des zum Zeitpunkt der Freistellung nach dem Beamten-versorgungsrecht erreichten Ruhegehaltssatzes (75 vom Hundert; 62.779,00 DM) in Anwendung eines Ministererlasses vom 14. Mai 1996 (Niedersächsisches Ministerialblatt Nr. 21/1996 S. 827) in Verbindung mit der Niedersächsischen Sonderurlaubsverordnung. Nach dem zitierten Erlass ist das Ziel der Landesregierung, "den Personalbestand schnell und dauerhaft erheblich zu verringern. Beamtinnen und Beamten, die das 58. Lebensjahr vollendet haben, wird zur Erreichung dieses Zwecks angeboten, sich im dienstlichen Interesse unter teilweiser Weitergewährung der Bezüge vom Dienst freistellen zu lassen. Der einbehaltene Bezügeanteil soll zu einer spürbaren Personalkostenentlastung führen".
Mit der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten die Kläger, die Beamtenbezüge des Klägers, die als"Sonderurlaubsvergütungen" bezeichnet wurden, als Versorgungsbezüge anzusehen und den Versorgungs-Freibetrag zu gewähren. Die so genannten Sonderurlaubsvergütungen wurden als laufenden Bezüge - ohne Berücksichtigung des Versorgungs-Freibetrags - der Lohnsteuer unterworfen. Das beklagte Finanzamt lehnte ab die Anerkennung der "Sonderurlaubsvergütung" als Versorgungsbezüge, folglich auch die Berücksichtigung eines Versorgungs-Freibetrags.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erheben die Kläger Klage und tragen im wesentlichen Folgendes vor: Der Kläger sei im Streitjahr nicht mehr aktiv im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesen. Stattdessen befinde er sich in einer besonderen Form des Ruhestandes. Dabei spiele es keine Rolle, dass als Rechtsgrundlage hierfür nicht das Versorgungsrecht gelte. Nach dem Einkommensteuergesetz genüge es vielmehr, wenn die Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen"gleichartig" wie das Ruhegehalt nach dem Versorgungsrecht seien. Er erhalte gekürzte Bezüge und zwar nach Ruhegehaltsgrundsätzen. Für die Beurteilung der Gleichartigkeit seiner Bezüge mit herkömmlichen Versorgungsbezügen sei die vom beklagten Finanzamt herangezogene Beihilferegelung und die Gewährung von Leistungen nach dem Vermögensbildungsgesetz nebensächlich, da dies nur die Konsequenz aus der Nichtanwendbarkeit des "formalen" Versorgungsrechts darstelle. Das beklagte Finanzamt verkenne zudem den Umstand, dass die vom Land Niedersachsen erlassenen Vorschriften zur dienstlichen Freistellung von lebensälteren Beamten bei Personalüberhang auf Landesebene eine vorzeitige Pensionierung ermöglichen sollten.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Bescheids vom 1. März 1999 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 23. August 1999 die Einkommensteuer insoweit herabzusetzen, als sie sich ergibt, wenn bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit der Versorgungs-Freibetrag berücksichtigt wird.
Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bleibt dabei, dass der Versorgungs-Freibetrag nicht zu gewähren ist. Denn der Kläger sei im Streitjahr ausdrücklich nicht in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden, sondern lediglich nach der Sonderurlaubsverordnung vom aktiven Dienst freigestellt gewesen. Entsprechend habe er seine Bezüge nicht auf Grund früherer Dienstleistungen, wie es bei Pensionären der Fall sei, bekommen, sondern er erhalte sie, weil er auf die Ausübung des aktiven Dienstes verzichtet habe. Daher stellten die vom Kläger im Streitjahr vereinnahmten Bezüge nicht nur formal kein Ruhegehalt dar, sondern es handele sich auch bei Würdigung der Gesamtumstände nicht um Bezüge, die dem Ruhegehalt im Wesenähnlich seien. Folgerichtig gälten für die Zeit des Sonderurlaubs die Beihilfevorschriften für aktive Beamte und nicht die für Pensionäre und folgerichtig gewähre der Arbeitgeber für die Zeit des Sonderurlaubs bis zum Eintritt in den Ruhestand weiterhin vermögenswirksame Leistungen nach dem Vermögensbildungsgesetz. Dass der Arbeitgeber bei Gewährung von Sonderurlaubsbezügen nicht zusätzlich noch Urlaubsgeld und Sonderzuwendungen bei einem Dienstjubiläum gewähre, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Im Übrigen weist das beklagte Finanzamt auf die so genannte 58er-Regelung im privatwirtschaftlichen Bereich hin, wonach Arbeitnehmer von ihrer Arbeitsleistung für eine gewisse Zeit freigestellt werden. Danach würden die bis zum Eintritt in den Ruhestand gezahlten Gelder nicht durch den Versorgungs-Freibetrag begünstigt. Daneben sei auch ein Vergleich zu den verschiedenen Modellen der (insoweit nicht begünstigten) Altersteilzeit zu ziehen.
Dem Gericht hat die Einkommensteuerakte, die beim beklagten Finanzamt geführt wird, vorgelegen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter (konsentierten Einzelrichter) nach § 79a Abs. 3, 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg. Bei den Beamten-Einkünften des Klägers, der sich in einem besonderen Vorruhestand befindet, ist der Versorgungs-Freibetrag zu berücksichtigen.
I.
Der konsentierte Einzelrichter - und nicht der Vollsenat - ist im Streitfall für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Nach§ 79a Abs. 3 FGO kann im Einverständnis der Beteiligten der Vorsitzende an Stelle des Senats entscheiden; ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser an Stelle des Vorsitzenden (so§ 79a Abs. 4 FGO). Die Einschränkung des§ 6 FGO, wonach der Senat den Rechtsstreit einem seiner Mitglieder als Einzelrichter nur dann zur Entscheidung übertragen kann, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, gilt im Rahmen des § 79a Abs. 3, 4 FGO nicht. Da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt haben, liegen die Voraussetzungen für eine uneingeschränkte Entscheidung durch den konsentierten Einzelrichter an Stelle des Senats nach § 79a Abs. 3, 4 FGO vor. Der konsentierte Einzelrichter ist hier der gesetzliche Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) und des§ 119 Nr. 1 FGO.
Zwar bezweifeln Greite (Finanz-Rundschau - FR - 2003, 865) und Kanzler (Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - 2003, 1886) mit Hinweisen auf Entscheidungen der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu Vorlage- und Aussetzungsverfahren des konsentierten Einzelrichters (BVerfG-Beschlüsse vom 5. Mai 1998 1 BvL 23/97, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1998, 680, zur Gewerbesteuer, 1 BvL 24/97, HFR 1998, 682, zur Grunderwerbsteuer; anders Beschluss des 2. Senats des BVerfG vom 5. Juni 1998, BVerfGE 98, 145, 152 f.), ob der konsentierte Einzelrichter nach § 79a Abs. 3, 4 FGO auch dann der zuständige gesetzliche Richter sein kann, wenn es, wie in der Entscheidung des 7. Senats des Niedersächsischen Finanzgerichts (NFG) vom 16. April 2003 (7 K 723/98 Ki, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2003, 1250, FR 2003, 856), um eine Grundsatzentscheidung (dort: verfassungskonforme Interpretation des Jahresgrenzbetrages beim Kindergeld) geht. Jedoch bilden weder der Wortlaut des § 79a Abs. 3, 4 FGO noch die einschlägigen Gesetzgebungsmaterialien eine Grundlage für diese verfahrensrechtlichen Zweifel. Denn in der Bundestags-Drucksache 12/1061 heißt es auf S. 17:
"Damit kann der Vorsitzende oder der Berichterstatter in vollem Umfang an die Stelle des Senats treten; ihm stehen die gleichen Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es erscheint unbedenklich, dass auch die abschließende Entscheidung von einem Mitglied des Senats allein getroffen wird, wenn die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind. Das Verfahren kann dadurch nicht unerheblich beschleunigt werden".
Danach darf der konsentierte Einzelrichter auch in Verfahren von gewichtiger Bedeutung das Urteil allein sprechen. Diese Abweichung vom Kollegialprinzip ist deshalb unbedenklich, weil die Beteiligten es in der Hand haben (anders beim Einzelrichter durch Senatsbeschluss nach§ 6 FGO), ob sie sich mit der Entscheidung des Einzelrichters statt des Senats begnügen wollen; denn den Einverstandenen geschieht kein Unrecht (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, 16. Auflage Loseblatt, § 79a FGO Anm. 15, Stand: 2001). Zwar ist § 79a Abs. 3 und 4 FGO eine Kannbestimmung. Daraus folgt jedoch nicht die Annahme einer Ermessensvorschrift. Denn mit dem "kann" soll hier nach den Gesamtumständen lediglich ausgedrückt werden, dass der konsentierte Einzelrichter zur Entscheidung befugt ist - nicht mehr (zu einer ähnlichen Verständnis-Problematik der Kannbestimmung des § 367 der Abgabenordnung - AO -, Befugnis zur Verböserung im Einspruchsverfahren: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, 16. Auflage Loseblatt, § 367 AO Anm. 25, Stand: 2003). Der Berichterstatter, der das Einverständnis der Prozessbeteiligten besitzt, allein entscheiden zu dürfen, hat ein (freies) Wahlrecht, ob er wirklich allein oder zusammen mit den Kollegen entscheiden will (in der Tendenz ähnlich, sich aber nicht festlegend: Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH -, vom 9. Juli 2003 IX B 34/03, Bundessteuerblatt - BStBl. - II 2003, 858, 859). Mit anderen Worten: Die eventuelle (Mit-) Entscheidungskompetenz der übrigen Senatsmitglieder hängt allein vom (freien) Willen des konsentierten Einzelrichters ab (insoweit anderer Auffassung Seer, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Auflage 2002, 863). Im Übrigen wäre eine Ermessensausübung des konsentierten Einzelrichters in den so genannten Fällen des positiven Kompetenzkonflikts (vgl. Seer, am angegeben Ort), gemeint sind Meinungsverschiedenheiten in einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Grundsatzfragen zwischen dem konsentierten Einzelrichter und der Senatsmehrheit, praktisch nicht durchführbar. Denn um einen Kompetenzkonflikt zwischen konsentierten Einzelrichter und der Senatsmehrheit feststellen zu können, müsste sich nicht nur der konsentierte Einzelrichter, sondern auch der gesamte Senat (einschließlich der ehrenamtlichen Richter) in einem Schattenprozess, dessen Regeln noch festzulegen wären, mit der Rechtssache (einschließlich der grundsätzlichen Fragen) befassen, was dem Beschleunigungs- und Entlastungszweck des § 79a Abs. 3, 4 FGO zuwiderliefe (vgl. Bundestags-Drucksache 12/1061, 17, 31).
Nach alledem darf der konsentierte Einzelrichter als von den Prozessparteien gewillkürter gesetzlicher Richter, wie jeder andere gesetzliche Richter, (etwa Amtsrichter), auch, das Zwischenverfahren zur Klärung verfassungsrechtlicher Zweifelsfragen, deren Entscheidung allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist, einleiten (so auch Gräber/Koch, Kommentar zur FGO, 5. Auflage 2002, § 79a Anm. 30). Die von Greite und Kanzler herangezogenen und dagegenstehenden Entscheidungen der 3. Kammer des 1. Senats des BVerfG zur Entscheidungsbefugnis des konsentierten Einzelrichters sind zu Recht auf deutliche Kritik gestoßen. Denn dem § 79a Abs. 3 und 4 FGO liegt eben nicht dieselbe Vorstellung zu Grunde, die der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 FGO verfolgt. Nach Seer (in Tipke/Lang, Steuerrrecht, 17. Auflage 2002, 863 mit weiteren Nachweisen) drängt sich der Eindruck auf, als habe das BVerfG in den beiden zu entscheidenden Richtervorlagen nach irgend einem Unzulässigkeitsgrund gesucht, um sich zu den brisanten materiell-rechtlichen Vorlagefragen (Verfassungswidrigkeit der Gewerbesteuer und der Grunderwerbsteuer) sachlich nicht äußern zu müssen (vgl. auch Balke, Die Steuerberatung - Stbg. - 1998, 496, 497 f. mit weiteren Nachweisen und derselbe, Betriebs-Berater - BB - 1998, 779; so wie hier auch das Urteil eines anderen konsentierten Einzelrichters des NFG vom 15. August 2003 4 K 365/01, EFG 2004, 746, Revision eingelegt, Az. des Bundesfinanzhofs - BFH -: VIII R 16/04).
II.
Nach dem Urteil des BVerfG vom 6. März 2002 (2 BvL 17/99, Entscheidungen des BVerfG, BVerfGE 105, 73) sind die Regelungen zur Besteuerung der Altersbezüge seit 1996 mit Artikel 3 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit einerseits Versorgungsbezüge bis auf einen Versorgungs-Freibetrag von höchstens insgesamt 6.000,00 DM zu den steuerpflichtigen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit nach § 19 EStG gehören und andererseits Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 22 EStG nur mit Ertragsanteilen besteuert werden, deren Höhe unabhängig davon festgesetzt ist, in welchem Umfang dem Rentenbezug Beitragsleistungen der Versicherten aus versteuertem Einkommen vorangegangen sind. Gleichwohl bleiben die sonach als verfassungswidrig erkannten Regelungen bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung, längstens mit Wirkung bis zum 31. Dezember 2004, nach der nicht gegenwartsbezogenen, sondern ausschließlich zukunftsbezogenen (pro-futuro) Entscheidungsformel des BVerfG anwendbar.
Diese Entscheidung des BVerfG ist wegen der einstweiligen Fortgeltung der vom höchsten deutschen Gericht als verfassungswidrig erkannten Besteuerung der Alterseinkünfte problematisch. Denn auf diese Weise wird höchstrichterliche festgestelltes Unrecht nach dem Motto"das Unrecht muss nur groß genug sein, dann braucht es nicht wieder gutgemacht zu werden" (so Balke, Harzburger Steuerprotokoll, 1993, 85, 97 und BB 1995, 762) noch vertieft (umfassend gegen die grundrechtseinschränkenden Rechtsfolgenaussprüche des BVerfG: Habscheidt, Der Anspruch des Bürgers auf Erstattung verfassungswidriger Steuern, 2003, vgl. auch die zustimmenden Buchbesprechungen von Tipke, Steuer und Wirtschaft - StuW - 2004, 187, und von Sangmeister, FR 2004, 857, sowie den aktuellen Vorlage- und Aussetzungsbeschluss zur Gewerbesteuer des 4. Senats des NFG vom 21. April 2004 4 K 317/91, EFG 2004, 1065 in Verbindung mit EFG 1997, 1456, 1469 f. unter IV 1. c).
Da jedoch die Entscheidungsformel des BVerfG Gesetzeskraft hat (vgl. § 31 Abs. 2 BVerfGG), ist das hier zur Entscheidung berufene Gericht daran gebunden.
III.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (in der für 1998 fortgeltenden Fassung) gehören zu den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit auch Ruhegelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen. Sie unterliegen der vollen Einkommensbesteuerung. Von Versorgungsbezügen bleibt nach § 19 Abs. 2 Satz 1 EStG 1998 ein Betrag in Höhe von 40 vom Hundert dieser Bezüge, höchstens jedoch insgesamt ein Betrag von 6.000,00 DM im Veranlagungszeitraum, steuerfrei (Versorgungs-Freibetrag). Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 EStG 1998 sind Versorgungsbezüge Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen, die als Ruhegehalt, Witwen- oder Waisengeld, Unterhaltsbetrag oder als gleichartiger Bezug
- a)
auf Grund beamtenrechtlicher oder entsprechender gesetzlicher Vorschriften,
- b)
nach beamtenrechtlichen Grundsätzen von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtlichen Verbänden von Körperschaften
oder
in anderen Fällen wegen Erreichens einer Altersgrenze, Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit oder als Hinterbliebenenbezüge gewährt werden; Bezüge, die wegen Erreichens einer Altersgrenze gewährt werden, gelten erst dann als Versorgungsbezüge, wenn der Steuerpflichtige das 62. Lebensjahr oder, wenn er Schwerbehinderter ist, das 60. Lebensjahr vollendet hat.
Der Versorgungs-Freibetrag soll den Belastungsunterschied zur Ertragsanteilsbesteuerung nach § 22 EStG abmildern (dazu näher Korn, Kommentar zum EStG, Loseblatt, § 19 Anm. 69, Stand: 2003; Tipke/Lang, Steuerrecht, 17. Auflage, 2002, 251). Die nur anteilige Besteuerung der Renten gilt auch für 58-jährige Rentner (vgl.§ 22 Nr. 1a EStG 1998; Ertragsanteil 35 vom Hundert).
Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen für die Gewährung des Versorgungs-Freibetrages in Höhe von 6.000,00 DM. Denn die nach dem Ruhegehaltssatz von 75 vom Hundert gekürzten Vergütungen, die der Kläger in 1998 erhielt, sind Versorgungsbezüge aus dem öffentlichen Dienst im Sinne des§ 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG 1998. Die so genannten Sonderurlaubsvergütungen in Höhe von 62.779,00 DM (40 vom Hundert davon sind 25.111,00 DM, also mehr als der Höchstbetrag von 6.000,00 DM) sind unter Berücksichtigung der zu Grunde liegenden beamtenrechtlichen Regelungen und der vertraglichen Vereinbarungen zwischen dem Kläger und der Stadt W. (Arbeitgeber) keine Vergütungen für einen echten Sonderurlaub, sondern Bezüge, die den Ruhegehältern gleichartig sind. Diese Bezüge erhält der Kläger im Zusammenhang mit früheren Leistungen im öffentlichen Dienst. Nach denübereinstimmenden Erklärungen des Klägers und seines Arbeitgebers war trotz der Bezugnahme auf die Niedersächsische Sonderurlaubsverordnung nicht geplant, dass der Kläger nach einer gewissen Zeit eines "Sonderurlaubs" den Dienst wieder aufnehmen sollte oder durfte. Vielmehr stand von vornherein fest, dass der Kläger ab 30. Dezember 1997 vom Dienst "unwiderruflich" freigestellt wird und gekürzte Bezüge in Höhe des zum Zeitpunkt der Freistellung vom Dienst nach dem Beamtenversorgungsrecht erreichten Ruhegehaltssatz erhält. Diese Vereinbarung ist dann auch tatsächlich durchgeführt worden. Das Gericht folgt damit der Einschätzung des Klägers, dass dieser seit Ende 1997 kein aktiver Beamter mehr ist, sondern sich seitdem in einer besonderen Form des Ruhestandes befindet.
Die Einwendungen des beklagten Finanzamts greifen dagegen nicht durch:
Denn für die Frage, ob Versorgungsbezüge in Form gleichartiger Ruhegehälter vorliegen, kann es nicht entscheidend sein, ob eine ausdrückliche vorzeitige Versetzung in den Ruhestand oder eine formale Dienstbefreiung nach der Sonderurlaubsverordnung vorliegt. Für die steuerrechtliche Beurteilung kommt es vielmehr auf den Gehalt, nicht auf das Etikett der vereinbarten Regelung an. Hier geht es in Wahrheit nicht um einen vorübergehenden "Sonderurlaub", sondern um die endgültige, nämlich "unwiderrufliche", Freistellung vom Dienst als gleitender Übergang in den tatsächlichen Ruhestand.
Der Kläger bekommt seine nach dem Ruhegehaltssatz gekürzten Bezüge auch nicht deshalb, weil er auf die Ausübung des aktiven Dienstes verzichtet hat (so das beklagte Finanzamt), sondern er erhält das gekürzte Gehalt ohne weitere Dienstverpflichtung im Zusammenhang mit früheren Dienstleistungen und weil der Arbeitgeber mit Blick auf den in Bezug genommenen Ministererlass vom 14. Mai 1996 (Niedersächsisches Ministerialblatt Nr. 21/1996, 827) in Verbindung mit der Niedersächsischen Sonderurlaubsverordnung den Personalbestand auf Dauer erheblich verringern, entsprechend ältere Beamte in einen besonderen Vorruhestand schicken wollte und der Kläger ein solches Angebot angenommen hat.
Der Umstand, dass zwischen dem Kläger als besonderer Vorruheständler und den herkömmlichen Pensionären Unterschiede bei der Anwendung der Beihilfevorschriften und des Vermögensbildungsgesetzes bestehen, rechtfertigt es nicht, den Kläger einem Beamten im aktiven Dienst gleichzustellen. Denn für die Beurteilung, ob Versorgungsbezüge in Form gleichartiger Ruhegehälter vorliegen, können die genannten Nebenregelungen zu den Bezügen schon deshalb vernachlässigt werden, weil andere Nebenregelungen (kein Urlaubsgeld, keine Sonderzuwendungen bei Dienstjubiläen) bei Vorruheständlern (wie dem Kläger) und Pensionären identisch sind. Letztlich ist prägend, damit entscheidend, dass der Kläger, wie ausgeführt,"unwiderruflich" nicht mehr im aktiven Dienst tätig ist und gekürzte Bezüge nach Ruhegehaltssätzen bezieht.
Auch der Hinweis des beklagten Finanzamts auf die so genannte 58er-Regelung im privatwirtschaftlichen Bereich, geht fehl. Denn die Nichtbegünstigung von solchen nichtbeamtenrechtlichen Geldern (von Bezügen aus dem privaten Dienst) steht im Zusammenhang mit § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG 1998, wonach diese Bezüge erst dann als Versorgungsbezüge gelten, wenn der Steuerpflichtige das 62. Lebensjahr oder, wenn er Schwerbehinderter ist, das 60. Lebensjahr vollendet hat. Diese Altersgrenzen gelten nicht bei den Versorgungsbezügen aus demöffentlichen Dienst nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG 1998. Darin könnte zwar aus der Sicht eines im Vorruhestand befindlichen 58-jährigen Beziehers von Geldern aus dem privaten Dienst ein gleichheitssatz-, damit verfassungswidriger Begünstigungsausschluss gesehen werden. Dieser mag möglicherweise auch vorliegen (a.A. offensichtlich Finanzgericht Köln, Urteil vom 21. März 2001 14 K 7738/00, EFG 2001, 893, Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, Az. des BFH: VI B 119/01; vgl. auch Schmidt/Drenseck, Kommentar zum EStG, 23. Auflage 2004,§ 19 Anm. 51). Dies hat das Gericht jedoch nicht zu entscheiden. Das Gericht entscheidet hier allein über die Frage, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung des Versorgungs-Freibetrages nach§ 19 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 Nr. 1 (nicht Nr. 2) EStG 1998 erfüllt. Die Entscheidungüber die Frage, ob auch Nichtbeamte bei vergleichbarem Vorruhestand einen Versorgungs-Freibetrag trotz der Altersgrenzen in § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG 1998 wegen der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG beanspruchen können, bleibt gegebenenfalls einem anderen Verfahren vorbehalten.
Die vom beklagten Finanzamt herangezogene Betrachtung der verschiedenen Modelle der Altersteilzeit nach dem Altersteilzeitgesetz (AltTZG), wonach des Öfteren in einem ersten Zeitabschnitt (Block) voll und dann in einem zweiten Block nicht mehr gearbeitet wird, führt auch zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Gestaltung der Altersteitzeit nach vollen Arbeits- und Freizeitblöcken (in Abweichung zur durchgängigen Teilzeitbeschäftigung) mit anschließendem Rentenbezug betrifft einen anderen Sachverhalt. Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 10. Februar 2004 (9 AZR 401/02) entschieden, dass nach§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AltTZG eine wirksame Altersteilzeitvereinbarung voraussetzt, dass die Arbeitszeit auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit vermindert wird und danach eine völlige Freistellung von der Arbeitsleistung ausscheidet.
Die Neuberechnung der Einkommensteuer 1998 ergibt sich wie folgt:
bisher "zu versteuerndes" Einkommen: 83.249,00 DM (Einkommensteuer: 16.722,00 DM)
abzgl. Versorgungs-Freibetrag (40 v.H. der Versorgungsbezüge in Höhe von 62.779,00 DM, höchstens jedoch 6.000,00 DM), mithin 6.000,00 DM
nunmehr "zu versteuerndes" Einkommen: 77.249,00 DM
Einkommensteuer 1998 nach Splittingtabelle: 14.882,00 DM (entspricht 7.609 Euro)
Die "festzusetzende" Einkommensteuer ergibt sich nach Abzug einer Steuerermäßigung nach § 34g EStG von 133,00 DM (wie bisher) 14.749,00 DM (entspricht 7.541 Euro).
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit§§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision an den Bundesfinanzhof wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).