Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.03.2004, Az.: 2 K 535/03
Abzugsfähigkeit von Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen; Notwendige Begleitung während einer Urlaubsreise aufgrund einer schweren Behinderung als Krankheitskosten ; Abzugsfähigkeit der Kosten bei Begleitung durch die Eltern ; Abgeltung der Aufwendungen innerhalb der übertragenen Pauschbeträge für Körperbehinderte
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.03.2004
- Aktenzeichen
- 2 K 535/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 14009
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0324.2K535.03.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 26.01.2006 - AZ: III R 22/04
Rechtsgrundlagen
- § 33 Abs. 1 EStG
- § 33 Abs. 2 EStG
- § 33b Abs. 5 EStG
- § 33b Abs. 3 S. 3 EStG
Fundstellen
- DStR 2004, VIII Heft 33 (Kurzinformation)
- DStRE 2004, 1074-1075 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2004, 1455-1456
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen dadurch entstehen, dass er während einer Urlaubsreise infolge seiner schweren Behinderung auf ständige Begleitung angewiesen ist, können ihrer Art nach zu den als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähigen (unmittelbaren) Krankheitskosten gehören.
- 2.
Aufwendungen von Eltern, die im Urlaub ihre schwer behinderten Kinder begleiten, sind mangels Zwangsläufigkeit nicht als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig. Das gilt vor allem dann, wenn nicht die Funktion der Eltern als behinderungsbedingte Begleiter ihrer Kinder im Vordergrund steht, sondern wenn es den Eltern vornehmlich darauf ankommt, als Familienverband zusammen mit den Kindern Urlaub zu machen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Kläger im Streitjahr 2001 Aufwendungen, die ihnen wegen Begleitung ihrer behinderten Kindern bei zwei Urlaubsreisen entstanden sind als außergewöhnliche Belastungen abziehen können.
Die Kläger sind im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger war im Streitjahr als Angestellter tätig, die Klägerin war im gesamten Streitjahr mit einem Arbeitslohn von 580 DM pro Monat geringfügig beschäftigt. Die Kläger sind die Eltern der Kinder A, geb. 1985 und B, geb. 1988. Beide Kinder sind schwer behindert. Das Versorgungsamt hat für beide Kinder den Grad der Behinderung auf 100 sowie die Merkzeichen "G", "aG" und "H" festgesetzt. Die Schwerbehindertenausweise enthalten zudem den Hinweis: "Die Notwendigkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen." Die Kläger erhielten im Streitjahr 2001 für A 3.240 DM und für B 3.600 DM Kindergeld.
Im Streitjahr unternahmen die Kläger mit ihren beiden behinderten Kindern zwei Campingurlaube mit einem behindertengerecht umgebauten Wohnwagen. Für den Aufenthalt in X hatten sie 669 DM und in Y 613,50 DM zu zahlen. Wegen der Art der Aufwendungen im Einzelnen wird auf Bl. 27 + 28/01 d. ESt-Akte verwiesen.
Die Kläger machten in ihrer Einkommensteuererklärung, neben weiteren unstreitigen Aufwendungen, die das FA berücksichtigte, Aufwendungen im Zusammenhang mit den Campingurlauben in Höhe von 575 DM als außergewöhnliche Belastungen geltend. Im Einzelnen ermittelten sie die Aufwendungen wie folgt:
Aufenthalt X 669,12 DM : 5 x 2 Personen = | 268 DM |
---|---|
Aufenthalt Y 613,50 DM : 4 x 2 Personen = | 307 DM |
Gesamt | 575 DM |
Zur Begründung gaben die Kläger an, der Aufwand im Zusammenhang mit den beiden Campingurlauben sei insoweit als außergewöhnliche Belastung abziehbar, als er auf sie als die Eltern der behinderten Kinder entfalle. Denn sie hätten die Kinder zur Betreuung in den Urlaub begleitet. So haben sie einmal 2/5 der Aufwendungen und einmal 2/4 der Aufwendungen als Mehraufwand errechnet.
Der Beklagte berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid der Kläger die Behinderten-Pauschbeträge der Kinder mit jeweils 7.200 DM sowie die Pflege-Pauschbeträge von jeweils 1.800 DM. Weiterhin ließ er Aufwendungen in Höhe von 11.352 DM als außergewöhnliche Belastungen nach§ 33 EStG zum Abzug zu. Die von den Klägern darüber hinaus geltend gemachten Aufwendungen von 575 DM für die Campingurlaube ließ der Beklagte unberücksichtigt.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Die Kläger sind der Auffassung, die Aufwendungen seien steuermindernd zu berücksichtigen. Die Kinder seien aufgrund ihrer Behinderung auf ständige Betreuung angewiesen. Dies gelte auch für Urlaubsreisen. Soweit durch diese Betreuung ein Aufwand entstehe, so sei dieser als unmittelbare Krankheitskosten nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung abzuziehen. Dieser Aufwand sei auch nicht durch die Behinderten- oder Pflegepauschbeträge abgegolten. Die Kläger berufen sich für ihre Auffassung auf das BFH-Urteil vom 4. Juli 2002, III R 58/98 (BStBl. II 2002, 765).
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 14. August 2003 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung weiterer Aufwendungen in Höhe von 575 DM als außergewöhnlicher Belastung festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, die Aufwendungen für die Urlaubsbegleitung der Kläger als Eltern ihrer behinderten Kinder seien nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Eltern hätten ihre Kinder zu betreuen, auch wenn diese nicht behindert seien. Im Streitfall seien zudem die Aufwendungen weniger durch die Betreuung als durch die Urlaubsreise an sich entstanden. Der Aufwand für die Pflege und Betreuung der Kinder habe sich durch die Reise nicht erhöht. Der tägliche Betreuungsmehraufwand sei aber bereits durch den Pflege-Pauschbetrag abgegolten. Das von den Klägern angeführte BFH-Urteil sei mit dem Streitfall nicht vergleichbar, da dort nicht die Eltern sondern eine fremde Dritte Betreuungsperson die behinderten Personen in den Urlaub begleitet hatte.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht einen weiteren Abzug von außergewöhnlichen Belastungen abgelehnt.
1.
Die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen sind schon dem Grunde nach nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar.
a.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird nach § 33 Abs. 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Nach § 33 Abs. 2 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.
b.
Aufwendungen für die Urlaubsbegleitung einer behinderten Person können zwar dem Grunde nach außergewöhnliche Belastung sein. Denn sie können zu den unmittelbaren Krankheitskosten des Behinderten gehören.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, sind krankheitsbedingte Maßnahmen und die dadurch veranlassten Aufwendungen stets aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig, soweit sie entweder der Heilung dienen oder den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglich zu machen (BFH-Urteil vom 18. Mai 1999, III R 46/97, BStBl. II 1999, 761). Abziehbar sind derartige Aufwendungen jedoch nur, soweit es sich um unmittelbare Krankheitskosten handelt. Dagegen sind Aufwendungen, die nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen, in der Regel nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, weil sie entweder nicht außergewöhnlich i.S.d. § 33 Abs. 1 EStG sind oder die nach § 33 Abs. 2 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit aus tatsächlichen Gründen fehlt, der Steuerpflichtige diesen Aufwendungen also ausweichen kann.
Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen dadurch entstehen, dass er während einer Urlaubsreise infolge seiner schweren Behinderung auf ständige Begleitung angewiesen ist, können ihrer Art nach zu den (unmittelbaren) Krankheitskosten gehören (BFH-Urteil vom 4. Juli 2002, III R 58/98, BStBl. II 2002, 765). Wie sonstige Kosten einer Heilbehandlung bzw. von Maßnahmen zur Linderung von krankheitsbedingten Beschwerden beruhen derartige Aufwendungen darauf, dass der Steuerpflichtige aus tatsächlichen Gründen gezwungen ist, wegen seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung auch im Urlaub ständig fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Entscheidend für die Beurteilung als (unmittelbare) Krankheitskosten ist die Ursache der Aufwendungen, nämlich die Behinderung. Der Anlass für die Entstehung der Kosten - hier die beiden Urlaubsreisen der Kläger mit ihren Kindern - ist in Bezug auf die Zwangsläufigkeit dem Grunde nach unerheblich.
c.
Der Abzug der Aufwendungen scheitert im Streitfall nicht schon daran, dass nicht die behinderten Personen - nämlich die Kinder - selbst, sondern die Kläger die Aufwendungen getragen haben. Wenn nämlich diese Aufwendungen zu den Krankheitskosten ihrer Kinder gehörten, so wäre die Übernahme dieser Kosten durch die Kläger zwangsläufig. Denn die Eltern sind ihren Kindern gegenüber nach § 1601 BGB zum Unterhalt verpflichtet. Da zur Unterhaltsgewährung auch die Übernahme der Krankheitskosten des Kindes gehört, können sich Eltern diesen Aufwendungen aus rechtlichen Gründen nicht entziehen.
Die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen sind auch nicht durch die auf sie nach § 33 b Abs. 5 EStGübertragenen Pauschbeträge für Körperbehinderte nach§ 33 b Abs. 3 Satz 3 EStG von jeweils 7.200 DM abgegolten. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH (BFH-Urteil vom 4. Juli 2002, III R 58/98, a.a.O., m.w.N.), der sich der erkennende Senat anschließt, sind neben dem Körperbehinderten-Pauschbetrag nach § 33 b EStG, der als Vereinfachungsregelung laufende und typische, unmittelbar mit der Behinderung zusammenhängende Kosten als außergewöhnliche Belastung ohne Einzelnachweis abgelten soll, unter bestimmten Voraussetzungen gewisse mit der Körperbehinderung zusammenhängende Aufwendungen nach§ 33 EStG zum Abzug zuzulassen. So hat der Beklagte bereits zutreffend z.B. Kfz-Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung nach§ 33 EStG anerkannt.
Solche unregelmäßigen und außerordentlichen, nach § 33 EStG abziehbaren Kosten können auch die Aufwendungen für Begleitpersonen bei Urlaubsreisen sein. Bei den aufgrund einer Reise des Behinderten für die Begleitperson anfallenden Mehraufwendungen handelt es sich nämlich um außerordentliche, von der Typisierung des § 33 b EStG nicht erfasste Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG abziehbar sein können (vgl. BFH-Urteil vom 4. Juli 2002, III R 58/98, a.a.O.).
d.
Im Streitfall ist der Abzug der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung jedoch ausgeschlossen, weil es sich bei den Aufwendungen für die Begleitung nicht um Krankheitskosten handelt. Ursache der Aufwendungen ist nämlich nicht (allein) die Behinderung der Kinder der Kläger. Die Kinder der Kläger waren im Streitjahr 13 bzw. 16 Jahre alt geworden. Kinder in diesem Alter verreisen auch dann üblicherweise noch mit den Eltern, wenn sie nicht, wie die Kinder der Kläger, einer ständigen Begleitung bedürfen. Bis zum Eintritt der Volljährigkeit üben die Eltern nach § 1626 BGB die elterliche Sorge über ihre Kinder aus. Sie bestimmen grundsätzlich, wann, wie, wo und mit wem die Kinder ihren Urlaub verbringen. Wenn wie im Streitfall die Eltern entscheiden, mit ihren Kindern zwei Campingurlaube zu verbringen, so steht bei dieser Entscheidung nicht die Funktion der Eltern als behinderungsbedingte Begleiter ihrer Kinder im Vordergrund. Vielmehr kommt es den Eltern gerade darauf an, dass sie als Familienverband zusammen mit ihren Kindern Urlaub machen. Damit unterscheidet sich der Fall vom dem dem von den Klägern zitierten BFH-Urteil vom 4. Juli 2002, III R 58/98, a.a.O. zugrunde liegenden Sachverhalt. Dort hatte eine fremde Dritte Person zwei erwachsene Personen bei ihren Urlaubsreisen zur Betreuung begleitet. Da es sich in dem BFH-Fall um eine fremde Begleitperson gehandelt hatte, steht auch fest, dass dort private Motive bei der Entscheidung für die Begleitperson keine Rolle gespielt haben. Im Streitfall kam es den Klägern aber gerade darauf an, dass sie mit ihren Kindern den Urlaub verbringen.
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Kläger durch die Betreuung ihrer Kinder während des Urlaubs erheblich mehr leisten müssen, als andere Eltern, die mit ihren Kindern in den Urlaub fahren. Die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen stehen aber gerade nicht im Zusammenhang mit dieser persönlichen Mehrleistung. Sie sind vielmehr in Art und Höhe so entstanden, wie sie auch bei jeder anderen Familie im Campingurlaub hätten entstehen können.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
3.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, weil die Frage der Abziehbarkeit von Aufwendungen im Zusammenhang mit der Urlaubsbegleitung von Eltern zur Betreuung ihrer behinderten Kinder höchstrichterlicher Klärung bedarf.