Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.03.2004, Az.: 2 K 56/02
Anspruch auf Kindergeld bei Arbeitslosigkeit des Kindes; Pflicht zur Erneuerung des Arbeitsgesuchs durch das Kind
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.03.2004
- Aktenzeichen
- 2 K 56/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 14010
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0324.2K56.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 38 Abs. 4 S. 2 SGB III
- § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2004, VIII Heft 33 (Kurzinformation)
- DStRE 2004, 1141-1143 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2004, 1462-1463
Redaktioneller Leitsatz
Die Regelung des § 38 Abs. 4 S. 2 SGB III, nach der die Arbeitsvermittlung nach Ablauf von 3 Monaten die Bemühungen von sich aus einstellt, es sei denn, das Kind verlangt weitere Bemühungen, richtet sich vornehmlich an die Arbeitsvermittlung und ist für die Kindergeldgewährung ohne Belang.
Tatbestand
Streitig ist - nach teilweiser Erledigung der Hauptsache für die Monate Dezember 2001 und Januar 2002 - noch, ob der Klägerin für das Kind S für den Monat November 2001 Kindergeld zusteht.
Die Klägerin ist die Mutter des 1983 geborenen Sohnes S.
Das Kind war bis Juli 2000 Schüler. Danach suchte es zunächst selbst nach einem Ausbildungsplatz und meldete sich seit dem 5. Juli 2001 beim Arbeitsamt - jetzt Agentur für Arbeit - arbeitslos und ausbildungsplatzsuchend.
Der Beklagte setzte Kindergeld mit Bescheid vom 9. August 2001 ab Juli 2001 fest. Im Bescheid wies der Beklagte das Kind u.a. darauf hin, dass es mitteilen müsse, wenn es nicht mehr an einer beruflichen Ausbildung interessiert sei oder den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes nicht mehr zur Verfügung stehe. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 237 d. KG-Akte verwiesen. Der Beklagte führte den Sohn ab Oktober 2001 nicht mehr als Bewerber um einen Arbeitsplatz, weil das Bewerberangebot abgeschlossen sei und das Kind das Bewerberangebot nach 3 Monaten nicht erneuert habe. Der Beklagte hob die Kindergeldfestsetzung ab November 2001 auf. Im November 2001 beantragte die Klägerin erneut Kindergeld für Sven. Die Abteilung Arbeitsvermittlung bestätigte der Familienkasse am 10. Dezember 2001, dass das Kind durchgehend seit dem 5. Juli 2001 arbeitslos gemeldet gewesen sei.
Dennoch blieb der Beklagte bei seiner Ansicht und verweigerte die Kindergeldzahlung ab November 2001.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage. Die Klägerin ist der Meinung, Kindergeld stehe ihr auch für den Monat November 2001 zu. Das Kind sei auch in diesem Monat arbeits- bzw. ausbildungsplatzsuchend gewesen. Es habe sich am 23. November 2001 und dann nochmals im Dezember 2001 bei der Arbeitsvermittlung gemeldet. Außerdem habe es sich von zu Hause aus um Arbeit bemüht.
Mit richterlicher Verfügung ist den Klägern aufgegeben worden, schriftliche Nachweise darüber vorzulegen, wie sich das Kind um Arbeit bemüht hat, z.B. durch Kopien der Bewerbungsschreiben oder Antwortschreiben von Arbeitgebern. Hierfür ist den Klägern eine Frist nach § 79 b Abs. 2 FGO gesetzt worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfügung vom 9. Dezember 2002 verwiesen. Die Kläger haben hierzu nicht weiter vorgetragen und keinerlei Nachweise vorgelegt.
Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte einen Teilabhilfebescheid für die Monate Dezember 2001 bis Februar 2002, der nach § 68 Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
wie erkannt zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, Kindergeld sei für den Sohn S für November 2001 nicht mehr zu zahlen. Das Kind sei im November 2001 weder als arbeits- noch ausbildungsplatzsuchend gemeldet gewesen. Er habe sich nämlich trotz Hinweises in einem Bewerbermerkblatt nicht nach Ablauf von drei Monaten erneut als Bewerber gemeldet und sei damit aus dem Bewerberangebot herausgefallen.
Gründe
Die Klage ist begründet. Der Beklagte hat die Kindergeldzahlung zu Unrecht für den Monat November 2001 aufgehoben und die Zahlung eingestellt.
Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 2001 wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat und arbeitslos im Sinne des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) ist.
Arbeitslos ist ein Kind, das die Voraussetzungen des §§ 118 ff. SGB III erfüllt. Hierzu muss es eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden in der Woche umfassende Beschäftigung suchen. Weiterhin muss es der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen. Daneben hat sich das Kind auch selbst um einen Arbeitsplatz zu bemühen. Hinsichtlich dieser Bemühungen kann das Arbeitsamt einen Nachweis verlangen.
Das Kind war im November 2001 arbeitslos in diesem Sinne. Das Arbeitsamt hatte keinen weiteren Nachweis verlangt, sondern noch am 10. Dezember 2001 die Arbeitslosigkeit des Kindes seit dem 5. Juli 2001 bestätigt. Nach DA 63.3.1 Abs. 2 Satz 7 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA-FamEStG vom 15. März 2002, BStBl. I 2002, 365) ist das Vorliegen der Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung der Familienkasse durch eine Bestätigung des Arbeitsamts - Abteilung Arbeitsvermittlung - nachzuweisen. Diese Bestätigung hat die Arbeitsvermittlung des Arbeitsamts auf dem Kindergeldantrag vom 27. November 2001 am 10. Dezember 2001 abgegeben.
Es ist auch nicht erkennbar, dass sich das Kind selbst nicht um Arbeit bemüht habe. So hatte sich das Kind nach seinem Schulabschluss im Jahre 2000 bei der K-AG um einen Ausbildungsplatz bemüht und sich als Bewerber beim Arbeitsamt gemeldet. Im Kindergeldbescheid wies der Beklagte die Kindergeldberechtigte ausdrücklich darauf hin, dass mitzuteilen sei, wenn das Kind nicht mehr an einer Ausbildung oder Vermittlung interessiert sei. Die Klägerin durfte davon ausgehen, dass sich das Arbeitsamt weiterhin darum bemühte, dem Kind Arbeit bzw. einen Ausbildungsplatz zu vermitteln. Die eigenen Bemühungen des Kindes stellt der Beklagte auch nicht in Frage.
Der Beklagte hat zu Unrecht das Kind als nicht mehr den Bemühungen des Arbeitsamt zur Verfügung stehend angesehen. Obwohl weder der Kindergeldberechtigte noch das Kind selbst auf weitere Bemühungen durch das Arbeitsamt verzichtet hatten, hat aber der Beklagte die Arbeitslosmeldung des Kindes als erledigt angesehen. Diese Handhabung beruht offensichtlich auf § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III. Diese Vorschrift führt jedoch, entgegen der Ansicht des Beklagten, nicht dazu, dass das Kind nach Ablauf von drei Monaten nicht mehr als arbeitslos oder ausbildungsplatzsuchend anzusehen ist. Es steht auch nach Ablauf von drei Monaten weiterhin den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zur Verfügung. Die Vorschrift des § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III richtet sich nämlich vor allem an die Arbeitsvermittlung des Arbeitsamts. Sie regelt das Vorgehen der Arbeitsvermittlung und gibt eine Prioritätensetzung vor. So wird die Arbeitsvermittlung nämlich nach§ 38 Abs. 4 Nr. 1 SGB III - auch nach Ablauf von drei Monaten - weiterhin tätig, wenn das Kind Leistungen erhält. Nur für die Kinder, die keine Leistungen erhalten, stellt die Arbeitsvermittlung die Bemühungen von sich aus ein, es sei denn, das Kind verlangt weitere Bemühungen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Kind, das nicht ausdrücklich weitere Bemühungen des Arbeitsamts verlangt, den Bemühungen des Arbeitsamts nicht mehr zur Verfügung steht. Für die Kindergeldgewährung ist die Vorschrift des § 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III ohne Belang. Die Prioritätensetzung des Arbeitsamts bei der Arbeits- und Ausbildungsplatzvermittlung kann nicht zu Lasten des Kindergeldberechtigten gehen.
Soweit der Beklagte ein Versäumnis des Kindes darin sieht, dass es sich nicht nach drei Monaten erneut arbeits- bzw. ausbildungsplatzsuchend gemeldet hat, verkennt er die geänderte Rechtslage. Eine Verpflichtung zur Rückmeldung nach Ablauf von drei Monaten bestand im November 2001 nicht mehr. § 122 Abs. 2 Nr. 3 SGB III, der die Erneuerung des Arbeitsgesuchs nach drei Monaten vorsah, wurde mit Wirkung zum 1. August 1999 aufgehoben (Zweites Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze, Artikel 1, Nr. 12, BGBl. I 1648, (1649, 1654)). Es kann nicht angehen, wenn der Beklagte über die Vorschrift des§ 38 Abs. 4 Satz 2 SGB III nunmehr versucht, die Meldepflicht wieder einzuführen.
Es ist zudem glaubhaft, dass die Klägerin mit ihrem Sohn im November 2001 beim Arbeitsamt vorstellig war, um die Meldung zu "erneuern". Nichts anderes bestätigt auch der Vermerk der Arbeitsvermittlung auf dem Kindergeldantrag vom 10. Dezember 2001.
Ob daneben auch die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG erfüllt sind, wonach ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt wird, wenn es noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen kann, kann dahin stehen, da die Voraussetzungen für die Berücksichtigung bereits nach der Nr. 1 dieser Vorschrift erfüllt sind.
In diesem Verfahren war ausschließlich über den Kindergeldanspruch der Kläger für die Monate November 2001 bis Januar 2002 zu entscheiden. Denn der die Kindergeldfestsetzung ablehnende Einspruchsbescheid erging im Januar 2002. Die Bindungswirkung des angefochtenen Einspruchsbescheids beschränkt sich nämlich auf die Zeit bis zum Ende des Monats seiner Bekanntgabe (BFH-Urteil vom 25. Juli 2001, VI R 164/98, BStBl. II 2002, 89). Eine Bindungswirkung für die Zukunft haben nämlich nach der Konzeption des§ 70 Abs. 1 bis 3 EStG nur positive Kindergeldfestsetzungen. Da der die Kindergeldfestsetzung ablehnende Einspruchsbescheid im Januar 2002 bekannt gegeben wurde, bindet er die Beteiligten nur bis zum Ende dieses Monats. Für die von der Klage umfassten Monate Dezember 2001 und Januar 2002 hat der Beklagte der Klage abgeholfen. Insoweit ist die Hauptsache erledigt. Weiterhin hat er für den Monat Februar 2002 Kindergeld festgesetzt. Für die Monate ab März 2002 können die Kläger, auch rückwirkend, erneut Kindergeld beim Beklagten beantragen. Für eine Klage fehlt es insoweit am abgeschlossenen Vorverfahren und am Rechtsschutzbedürfnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m.§§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.