Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.03.2004, Az.: 6 K 18/00

Auftragsbestand als selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut; Kundenstamm als geschäftswertbildender Faktor ; Aktivierungsfähigkeit eines Gegenstandes als Wirtschaftsgut

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
18.03.2004
Aktenzeichen
6 K 18/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 14005
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0318.6K18.00.0A

Fundstellen

  • DB 2005, 5
  • DB (Beilage) 2005, 5 (amtl. Leitsatz)
  • EFG 2004, 1428-1430
  • StuB 2004, 1113

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Ein sog. Auftragsbestand ist kein selbstständiges immaterielles Wirtschaftgut i.S.d. § 31 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 DMBilG.

  2. 2.

    Die faktisch bestehende Liefermöglichkeit ist Teil des Geschäfts- oder Firmenwertes und daher gem. § 50 Abs. 2 S. 2 DMBilG in der Steuerbilanz nicht anzusetzen.

  3. 3.

    Der Kundenstamm ist i.d.R. ein geschäftswertbildender Faktor.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin ein immaterielles Wirtschaftsgut in der DM-Eröffnungsbilanz auf den 01.07.1990 aktivieren und in der Folgezeit abschreiben durfte.

2

Die Klägerin ist Rechtsnachfolger der zum 1. Juli 1990 durch Umwandlung des VEB Mineralstoff-Mischwerk A und der hieraus aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen des Treuhandgesetzes (§ 11 Abs. 1 Treuhandgesetz) entstandenen Spezialfutter A GmbH. Mit Gesellschafterbeschluss vom 4. Oktober 1993 erfolgte eine Umfirmierung in S GmbH, die am 24. Februar 1994 in das Handelsregister eingetragen wurde. Durch Verschmelzungsvertrag vom 24. Februar 1999 wurde die Gesellschaft mit Wirkung zum 1. Juli 1998 auf die Klägerin verschmolzen. Die Eintragung in das Handelsregister erfolgte am 15. März 1999.

3

Bei der ehemaligen S GmbH handelte es sich um ein Unternehmen, das seinen Sitz am 1. Juli 1990 als volkseigener Betrieb in der früheren Deutschen Demokratischen Republik hatte. Bis zum 30. Juli 1990 wickelte die Gesellschaft als VEB ihren gesamten Absatz über den VEB AB auf der Grundlage ihr von dort erteilter Vorgaben ab. Beliefert wurden nahezu ausschließlich ihr zugewiesene Kraftfutterwerke und Handelsorganisationen. Sämtliche Fakturierungen erfolgten planmäßig zweimal wöchentlich an den VEB AB. Zum 30. Juni 1990 wurde der VEB AB aufgelöst. Wegen der seit Frühjahr 1990 absehbaren Auflösung bemühte sich die S GmbH ab Mai 1990 um den Aufbau eines eigenen Vertriebssystems durch Einstellung eines Vertriebsleiters.

4

Aufgrund der Verpflichtung nach dem DM-Bilanzgesetz erstellte die Gesellschaft auf den 1. Juli 1990 eine handels- und steuerrechtliche Eröffnungsbilanz. In dieser Eröffnungsbilanz aktivierte sie den Wert der Lieferbeziehungen als immaterielles Wirtschaftsgut in Höhe von 1.992.200 DM. Wegen der Ermittlung des Vermögenswertes wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 28. Februar 1997 (Tz. 15, Bl. 8 der Bp-Akte) Bezug genommen. In der Folgezeit schrieb die Gesellschaft das immaterielle Wirtschaftsgut in Höhe von 132.814 DM jährlich ab.

5

Nach einer Außenprüfung erkannte der Beklagte den Bilanzposten sowie die geltend gemachten Abschreibungen nicht an, da es sich nach seiner Ansicht bei dem als Auftragswert bezeichneten Wirtschaftsgut um einen Teil des Geschäfts- und Firmenwerts handelte. Der Beklagte erließ entsprechend der getroffenen Feststellungen Bescheide über Körperschaftsteuer sowie die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG für 1991 bis 1993 und über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG zum 30. Juni 1991 bis 1993 jeweils vom 3. September 1997 sowie Bescheide über Körperschaftsteuer für 1994, 1996 und 1997, die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG für 1994, 1996 und 1997 sowie über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG zum 30. Juni 1994 bis 1997 jeweils vom 24. April 1998. Die Einsprüche gegen die geänderten Bescheide wies er durch Entscheidung vom 06.12.1999 als unbegründet zurück.

6

Mit ihrer hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aktivierung des immateriellen Wirtschaftsguts sowie die Berücksichtigung der in ihren Bilanzen berücksichtigten Abschreibungen. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, die Ansicht des Finanzamtes, dass die von der Gesellschaft wahrgenommenen Belieferungsmöglichkeiten mangels Abgrenzbarkeit keinen für einen Erwerber hinreichend greifbaren Wert aufwiesen, sei unzutreffend. Da zum 1. Juli 1990 absehbar die bisherigen Abnehmer der Firma S auch weiterhin übergangsweise auf bewährte Lieferstrukturen hätten zurückgreifen müssen, wäre bei einem marktwirtschaftlichen Unternehmenserwerb hierfür auch ein besonderes, im Firmenwert nicht enthaltenes Entgelt zu entrichten gewesen. Dieser Wert könne auch nicht - wie das Finanzamt gemeint habe - nicht ins Gewicht fallend oder kaum werthaltig bzw. nicht greifbar genannt werden. Nachweislich seien vor allem im zweiten Kalenderhalbjahr 1990 hieraus resultierende besondere Gewinne in nicht unerheblicher Größenordnung erzielt worden.

7

Die besondere Greifbarkeit ergebe sich daraus, dass es sich um einen zeitlich und sachlich abgrenzbaren Quasiauftragsbestand gehandelt habe. Andere Einfluss- und Begründungsfaktoren für Übergewinne nach dem Systemübergang als ein festes übergegangenes Absatz- und Angebotssystem ließen sich nämlich nicht finden.

8

Darüber hinaus handele es sich auch nicht um einen als Teil des Firmen- bzw. Geschäftswerts zu betrachtenden Kundenstamm, sondern um im wesentlichen einmalige Lieferbeziehungen, die lediglich übergangsweise und zur Überbrückung bis zur Schaffung grundlegend neuer Kunden- und Produktstrukturen zur Verfügung stünden. Im Ergebnis erwiesen sich die übergangsweise genutzten Absatzwege als von einem Geschäfts- oder Firmenwert unabhängig und kurzfristig abnutzbar. Dementsprechend handele es sich bei dem streitigen Auftragswert zusammenfassend um einen selbst hergestellten kurzfristig abnutzbaren immateriellen Vermögensgegenstand. Wegen der Begründung im einzelnen wird auf die Klageschrift vom 05.01.2000 (Bl. 8 ff Finanzgerichtsakte) verwiesen.

9

Als Ursache für die erheblich über den üblichen und zukünftigen Gewinnmargen liegenden Gewinne könne neben den vorhandenen Auftragsbeziehungen auch eine Unterbewertung der vorhandenen Aktiva in der DM-Eröffnungsbilanz verantwortlich gewesen sein. Insbesondere der Ansatz des Vorratsvermögens sei von Klägerseite aus noch näher zu prüfen.

10

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag sowie die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG für 1991 bis 1993 und über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG zum 30. Juni 1991 bis 1993 jeweils vom 3. September 1997 sowie die Bescheide über Körperschaftsteuer für 1994, 1996 und 1997, Solidaritätszuschlag 1996 und 1997, die Feststellung nach § 47 Abs. 2 KStG für 1994, 1996 und 1997 sowie über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG zum 30. Juni 1994 bis 1997 jeweils vom 24. April 1998 alle in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 1999 dergestalt zu ändern, dass unter Berücksichtigung eines immateriellen Vermögensgegenstandes in Höhe von 1.992.200 DM jährliche Abschreibungen in Höhe von 132.814 DM gewinnmindernd berücksichtigt werden und die Körperschaftsteuer für die Jahre 1991 bis 1994, 1996 und 1997 entsprechend niedriger festgesetzt und die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 KStG zum 30. Juni 1991 bis 1997 entsprechend festgestellt werden.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Die Klage sei unbegründet. Soweit die Klägerin meine, bei dem Auftragswert handele es sich um eine werthaltige greifbare Einzelheit und gerade nicht um einen Geschäfts- oder Firmenwert, die selbstständig bewertbar sei und für die bei einem marktwirtschaftlichen Unternehmenswert auch ein besonderes - im Firmenwert nicht enthaltenes - Entgelt zu entrichten gewesen sei, könne dem nicht gefolgt werden. Eine besondere Greifbarkeit sei nicht gegeben, weil keine schwebenden Geschäfts- bzw. konkreten Lieferverträge vorgelegen hätten. Es handele sich lediglich um die allgemeine Möglichkeit, mit den bisherigen Abnehmern Geschäfte abzuschließen. Folglich stünden der Klägerin keine Gewinnchancen aus einem konkreten Auftragsbestand zu, sondern nur Gewinnchancen aus Kundenbeziehungen, die zum Zeitpunkt der Aktivierung des Auftragswertes nicht konkretisiert werden könnten.

Gründe

13

I.

Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat den Ansatz eines immateriellen Wirtschaftsgutes "Auftragswert" und die Absetzungen für Abnutzungen zu Recht versagt.

14

1.

Gemäß § 1 Abs. 1 DM-Bilanzgesetz sind Unternehmen mit Hauptniederlassung in der Deutschen Demokratischen Republik am 1. Juli 1990, die als Kaufleute nach § 238 HGB verpflichtet sind, Bücher zu führen, ein Inventar und eine Eröffnungsbilanz in Deutscher Mark für den 1. Juli 1990 aufzustellen. Auf die Eröffnungsbilanz sind die§§ 243 bis 261 des Handelsgesetzbuches entsprechend anzuwenden (§ 5 Abs. 1 DM-Bilanzgesetz). Dabei darf gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 DM-Bilanzgesetz abweichend von § 248 Abs. 2 HGB in der Handelsbilanz für die nicht entgeltlich erworbenen immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens eine vorläufige Gewinnrücklage gebildet werden. Diese Gegenstände dürfen mit dem Betrag angesetzt werden, den ein Erwerber des Unternehmens bei dessen Fortführung im Rahmen des Gesamtkaufpreises für diese Vermögensgegenstände ansetzen würde. Darüber hinaus darf gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 DM-Bilanzgesetz ein Geschäfts- oder Firmenwert berücksichtigt werden. Gemäß Abs. 2 ist der nach Abs. 1 Nr. 1 angesetzte Betrag planmäßig innerhalb der Zeit abzuschreiben, die der durchschnittlichen Restnutzungsdauer der nach § 7 DM-Bilanzgesetz neu bewerteten entgeltlich erworbenen immateriellen Vermögensgegenstände des Unternehmens entspricht.

15

Ein nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DM-Bilanzgesetz gebildeter Aktivposten (Geschäfts- oder Firmenwert) ist gemäß § 50 Abs. 2 S. 2 DM-Bilanzgesetz in der Steuerbilanz nicht anzusetzen, während es beim Ansatz eines Aktivpostens im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 DM-Bilanzgesetz auch steuerlich bleibt. Als betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer gilt für diese Wirtschaftsgüter ein Zeitraum von 15 Jahren.

16

2.

Der so genannte Auftragsbestand ist kein selbständiges immaterielles Wirtschaftsgut im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 DM-Bilanzgesetz. Die faktisch bestehende Liefermöglichkeit ist Teil des Geschäfts- oder Firmenwertes und deshalb gemäß § 50 Abs. 2 S. 2 DM-Bilanzgesetz in der Steuerbilanz nicht anzusetzen. Betriebsausgaben wegen Absetzungen für Abnutzung sind nicht zu gewähren.

17

a)

Nach ständiger Rechtsprechung sind Wirtschaftsgüter nicht nur Gegenstände im Sinne des bürgerlichen Rechts, sondern auch tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und sämtliche Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lässt und die einen wesentlichen und über die Dauer des einzelnen Steuerabschnitts hinausreichenden Wert für das Unternehmen haben und gesondert bewertbar sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9.Februar 1978 IV R 201/74, BFHE 124, 520, BStBl II 1978, 370, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Für die Frage, ob ein Gegenstand als Wirtschaftsgut in die Bilanz einzustellen und damit aktivierungsfähig ist, ist also maßgebend, ob am Bilanzstichtag ein wirtschaftlich ausnutzbarer Vermögensvorteil vorliegt, der als realisierbarer Vermögenswert angesehen werden kann (BFH-Urteil vom 23.Mai 1984 I R 266/81, BFHE 141, 261, BStBl II 1984, 723). Dies ist der Fall, wenn ein fremder Dritter bei Fortführung des Unternehmens diesen Gegenstand im Rahmen der Kaufpreisbemessung berücksichtigen würde (BFH-Urteil vom 18.Juni 1975 I R 24/73, BFHE 116, 474, BStBl II 1975, 809). Soweit sich der Vermögenswert indes lediglich als Teil eines Geschäfts- und Firmenwertes im Rahmen der Kaufpreisbemessung niederschlägt, weil eine selbständig bewertbare Gewinnchance fehlt, ist eine Aktivierung in der steuerlichen DM-Eröffnungsbilanz gemäß § 50 Abs. 2 S. 2 DM-Bilanzgesetz unzulässig.

18

b)

Um einen solchen neben dem Geschäfts- und Firmenwert einzeln konkretisierbar abgrenzbarer Vermögensvorteil handelt es sich im Streitfall nicht. Zwar ist ein konkreter Auftragsbestand als ein abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut angesehen worden. Dies setzt aber voraus, dass bereits feste Aufträge erteilt sind, die eine selbständig bewertbare Gewinnchance beinhalten (vgl. BFH-Urteil vom 01.02.1989, VIII R 361/83, BFH/NV 89, 778; Urteil vom 15.12.1993, X R 102/92, BFH/NV 94, 543). Fehlt es an einem solchen festen Auftragsbestand, ist die bloße Gewinnchance aus der Nutzung vorhandener Liefer- und Geschäftsbeziehungen, also die Möglichkeit des Abschlusses konkreter Verträge, nur ein den Geschäftswert bildender Faktor (BFH-Urteil vom 07.11.1985, IV R 7/83, BFHE 145, 194, BStBl. II 1986, 176). Da die Klägerin selbst einräumt, keinen festen Auftragsbestand auf den Stichtag der Aufstellung der Eröffnungsbilanz gehabt zu haben, kann hiernach kein selbständig bewertbares immaterielles Wirtschaftsgut entstanden sein. Der so genannte "Auftragswert" stellt sich lediglich als die Möglichkeit dar, alte Kundenbeziehungen aus früheren Zeiten faktisch weiter nutzen zu können. Diese Möglichkeit ist typischer Bestandteil eines Geschäfts- und Firmenwertes, der nicht konkret als eigenständiger Vermögenswert fassbar ist.

19

c)

Belieferungsmöglichkeiten bzw. Belieferungsrechte sind nur dann selbständige immaterielle Wirtschaftsgüter, wenn eine Rechtsbeziehung besteht, die eine fortdauernde Belieferung des Kunden ermöglicht (z.B. Erwerb eines Fortsetzungssammelwerkes eines Verlages; vgl. BFH-Urteil vom 14.03.1979, I R 37/75, BFHE 127, 386, BStBl II 1979, 470). Die Kundenbeziehungen, d.h. der sog. Auftragswert, hatten sich nicht zu rechtlichen Beziehungen dergestalt verdichtet, dass hieraus ein konkreter Auftragsbestand resultierte. Ebenso wenig bestand zu den potentiellen Abnehmern, den früheren Kunden aus der DDR-Zeit, eine rechtliche Bindung in Form eines Rahmen- oder Belieferungsvertrages. Die Kunden entschieden sich jeweils für jede Lieferung neu, ob sie diese von der Klägerin oder einem Konkurrenten beziehen wollten, so dass eine fortdauernde Belieferungsmöglichkeit nicht bestand.

20

d)

Ein immaterielles Wirtschaftsgut, welches neben den Geschäftswert getreten wäre, kann auch nicht in dem Kundenstamm der Klägerin gesehen werden. Der Kundenstamm ist in der Regel ein geschäftswertbildender Faktor (BFH-Urteil vom 16.09.1970, I R 196/67, BFHE 101, 76, BStBl II 1971, 175). Unter einem Geschäftswert ist ein immaterielles Gesamtwirtschaftsgut zu verstehen, das den Inbegriff einer Anzahl von im einzelnen nicht messbaren Faktoren wie Kundenkreis, Ruf des Unternehmens, Absatzorganisation usw. bildet und das deshalb auch dann nicht zerlegt werden kann, wenn die den Geschäftswert ergebenden Faktoren im Laufe der Zeit wechseln (vgl. BFH-Urteile I 77/64 vom 18. Januar 1967, BFH 88, 198, BStBl III 1967, 334; I 206/65 vom 1. August 1968, BFH 94, 52, BStBl II 1969, 66). Der Geschäftswert ist der Ausdruck für die Gewinnchancen eines Unternehmens, soweit sie nicht in einzelnen Wirtschaftsgütern verkörpert sind (BFH-Urteil vom 5. August 1970, I R 180/66, BFH 100, 89, BStBl II 1970, 804). Das Vorhandensein eines Kunden- oder Abnehmerkreises gehört meist untrennbar zum Geschäftswert. Der Ansatz eines erworbenen Geschäftswerts kommt immer dann in Betracht, wenn der Kaufpreis nicht nachweislich für bestimmte einzelne Wirtschaftsgüter bezahlt wurde (vgl. BFH-Urteil VI 320/64 vom 28. März 1966, BFH 85, 433, BStBl III 1966, 456).

21

Es ist bereits fraglich, ob hier ein konkreter Kundenstamm am Bilanzstichtag vorhanden war. Die Klägerin räumt selbst ein, dass sie sich wegen des absehbaren Zusammenbruchs der Vertriebsstrukturen der ehemaligen DDR um den Aufbau eines neuen selbständigen Vertriebssystems bemüht hat. Feste Kundenbeziehungen existierten aufgrund des Systemwechsels von einer plangesteuerten Zwangsbewirtschaftung zu einer freien, auf Konkurrenz angelegten Marktwirtschaft nicht mehr. Den ehemaligen VEB verblieb, ebenso wie der Klägerin, das bloße Wissen um mögliche Abnehmer. Dieser Vorteil der Kenntnis eines potentiellen Abnehmer- oder Kundenkreises wird - was der Klägerin zuzugeben ist - ihr möglicherweise für eine gewisseÜbergangszeit eine "Vorrangstellung" im Markt verschafft haben. Diese nicht näher konkretisierbare Chance ist jedoch typischerweise Teil eines Marktwertes eines Unternehmens und damit untrennbar mit dem Geschäftswert des Unternehmens verbunden.

22

Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich aufgrund der pauschalen Schilderung der allgemeinen wirtschaftlichen Situation in den Anfängen der Wiedervereinigung eine faktische, zeitlich befristete und werthaltige Liefermöglichkeit aus dem Wissen der potentiellen Abnehmer nicht ableiten. Zwar ist der Klägerin zuzustimmen, dass das Wissen um mögliche Kunden mit der Zeit durch eine Marktbereinigung auf der Abnehmerseite und die Informationsbeschaffung auf der Lieferantenseite nur von begrenzter Dauer von Wert sein würde. Der Senat vermag aber weder die Schlussfolgerung der Klägerin nachzuvollziehen, dass sich aus ihrem Wissen ein faktisches Liefermonopol ergeben haben könnte noch, dass es sich hierbei um einen abgrenzbaren Wert gehandelt hat. Der Hinweis der Klägerin, dass nachweislich vor allem im zweiten Halbjahr 1990 besondere Gewinne erwirtschaftet worden seien, die auf dieser faktischen Marktstellung beruhten, wird bereits durch den Vortrag widerlegt, dass die erheblichen Gewinne auch auf zu Unrecht durchgeführten Unterbewertung des Umlaufvermögens beruhen könnten. Hierdurch bringt die Klägerin letztlich zum Ausdruck, dass erhebliche stille Reserven im Vorratsvermögen vorhanden gewesen sein könnten, die ein Erwerber jedoch nicht als immaterielles Wirtschaftsgut gesondert entgolten hätte, sondern durch Ansatz einer marktgerechten Bewertung im Rahmen des Gesamtkaufpreises vergütet worden wären. Dies schließt den Ansatz eines selbständigen Wirtschaftsgutes "Auftragswert" jedoch aus.

23

Zudem lässt der Vortrag der Klägerin konkrete Ausführungen dazu vermissen, wie die tatsächliche Marktsituation in den Jahren nach dem Bilanzstichtag war. So fehlt es sowohl an Angaben, welche früheren Kunden tatsächlich in welchem Umfang weiter beliefert werden konnten und in welchem Umfang frühere Kunden zu anderen Lieferanten gewechselt sind als auch zu der Frage, wieso eine faktische Monopolstellung vorhanden gewesen sein soll, wenn die Klägerin selbst davon ausging, dass sie wegen des Zusammenbruchs der Vertriebsstruktur ein eigenes neues Vertriebssystem aufbauen musste. Aus der Gesamtschau der vorgenannten Gründe lässt sich die Annahme eines eigenständigen immateriellen Wirtschaftsguts aus Sicht des Senats nicht rechtfertigen.

24

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.