Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.02.2006, Az.: 9 LB 27/03
Anspruch eines irakischen Staatsangehörigen assyrischer Volkszugehörigkeit und christlichen Glaubens auf Gewährung von Abschiebungsschutz; Bewertung der politischen Situation im Irak; Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer konkreten Gefahr für Leib,Leben oder Freiheit bei Abschiebung in das Heimatland
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.02.2006
- Aktenzeichen
- 9 LB 27/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 24512
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0216.9LB27.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 21.10.2002 - AZ: 5 A 682/02
- nachfolgend
- BVerwG - 14.06.2006 - AZ: BVerwG 1 B 49.06
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs. 1 AufenthG
- § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG
Fundstelle
- AUAS 2006, 198-199
Gründe
Der am 1. Juli 1940 in E. im Zentralirak geborene Kläger, seine am 1. Juli 1950 in F. in der kurdischen Provinz Dohuk geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2., und ihre beiden - inzwischen volljährigen - Töchter, die in G. geborenen Klägerinnen zu 3. und zu 4. sind irakische Staatsangehörige assyrischer Volkszugehörigkeit und christlichen Glaubens. Nach Anhörung der Kläger zu 1. und zu 2. am 15. Mai 2002 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 6. August 2002 die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen.
Die auf die Gewährung von Abschiebungsschutz gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht nach Anhörung der Kläger zu 1. und zu 2. in der mündlichen Verhandlung mit Urteil vom 21. Oktober 2002 im Wesentlichen unter wörtlicher Wiedergabe des Urteils des OVG Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 2002 - 9 A 4596/01.A - mit der Begründung abgewiesen, den Klägern drohten bei einer Rückkehr in den Zentralirak nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen. Auch stünde ihnen im Nordirak eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Wegen der Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Einzelnen wird auf sein Urteil vom 21. Oktober 2002 Bezug genommen.
Auf den Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 14. Januar 2003 (9 LA 515/02) die Berufung wegen Divergenz zu seinen Urteilen vom 21. Juni 2002 - 9 LB 155/02 und 9 LB 3662/01 - zugelassen. Das Verwaltungsgericht habe - abweichend von diesen Senatsentscheidungen - angenommen, dass die autonomen Kurdenprovinzen auch für die aus G. stammende Familie assyrischer Volkszugehörigkeit und christlichen Glaubens als inländische Fluchtalternative in Betracht käme.
Die Beteiligten sind mit Schreiben des Berichterstatters vom 17. Mai 2004 - wiederholt mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 und 1. September 2005 - auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 130 a VwGO hingewiesen worden. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln, insbesondere dem Ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2003, habe sich die politische Situation im Irak so grundlegend geändert, dass an der früheren, insbesondere an die Asylantragstellung und an den Auslandsaufenthalt des Asylbewerbers anknüpfenden Rechtsprechung nicht mehr festgehalten werden könne. Die Liste der vom Senat in Asylverfahren irakischer Staatsangehöriger zu Grunde gelegten Erkenntnismittel (Stand: 8. Juli 2005) liegt den Beteiligten vor. Die Kläger machen ergänzend geltend, Christen im Irak unterlägen jetzt einer mittelbaren Verfolgung seitens der Islamisten. Die Klägerinnen zu 2. bis 4. müssten wegen ihrer christlichen Religion und wegen ihres Geschlechts nichtstaatliche Verfolgung befürchten; jedenfalls drohe ihnen Verschleppung und/oder Vergewaltigung durch moslemische Männer. Der Klägerin zu 4. sei auch deshalb Abschiebungsschutz zu gewähren, weil sie ausweislich eines vorgelegten Attestes an Entwicklungsstörungen leide und eine Therapie nur in hoch qualifizierten medizinischen Instituten möglich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet über die zugelassene Berufung der Kläger nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130 a VwGO).
Den Klägern steht kein Anspruch auf die Feststellung zu, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: 51 Abs. 1 AuslG) oder des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (früher: § 53 Abs. 6 AusLG) bei ihnen vorliegen. Der Bescheid der Beklagten vom 6. August 2002 ist im Ergebnis rechtmäßig. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts ist wegen der grundlegend veränderten politischen Verhältnisse und Gegebenheiten im Irak, die gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG Grundlage für die Entscheidung des Senats sind, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Berufung der Kläger ist zurückzuweisen. Der seit dem Frühjahr 2003 veränderten Sach- und Rechtslage ist im Rahmen dieses zugelassenen Berufungsverfahrens Rechnung zu tragen, obwohl der Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bereits am 21. Oktober 2002 war, und damit vor Beginn der Militäraktion. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG fordert eine sachliche Entscheidung auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gegebenen aktuellen politischen Lage.
Den Klägern droht bei ihrer Rückkehr in den Irak weder derzeit noch in absehbarer Zeit eine im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG beachtliche politische Verfolgung.
Dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Juni 2005 (ebenso: Lagebericht vom 24. November 2005) ist mit völliger Eindeutigkeit zu entnehmen, dass sich die politische Lage im Irak durch die am 20. März 2003 begonnene und am 1. Mai 2003 durch die Erklärung des US-Präsidenten Bush als beendet erklärte Militäraktion grundlegend verändert hat. Die Baath-Regierung unter der Führung Saddam Husseins hat, namentlich nach der Festnahme von Saddam Hussein am 13. Dezember 2003, ihre politische und militärische Herrschaft über den Irak vollständig verloren. Der Irak stand bis zum 28. Juni 2004, also knapp 15 Monate, unter Besatzungsrecht und wurde in diesem Zeitraum von einer "Zivilverwaltung" der Koalition ("Coalition Provisional Authority"- CPA) unter dem Sondergesandten des US-Präsidenten Paul Bremer sowie einem provisorischen Regierungsrat ("Governing Council") und einem Interims-Kabinett regiert. Zwei Tage früher als geplant, nämlich bereits zum 28. Juni 2004, wurde die amerikanisch-britische Besatzung Iraks formal beendet und die Souveränität Iraks wiederhergestellt. Am 1. September 2004 wurde ein Übergangs-Nationalrat gewählt, der seinerseits die Interimsregierung wählte. Am 30. Januar 2005 fanden die ersten demokratischen Wahlen im Irak statt. Als Sieger mit absoluter Mehrheit ging die Schiitenallianz aus der Wahl zum (Übergangs-)Parlament hervor. Diese bildete am 28. April 2005 mit der bei den Wahlen zur zweitstärksten Liste aufgestiegenen Kurdenallianz eine Koalition. Die Sunniten, welche die Wahlen weit gehend boykottiert hatten oder auf Grund der Bedrohung durch die militante Opposition nicht teilnehmen wollten oder konnten, wurden ebenfalls an der Regierung beteiligt. Die Schiiten stellen den Ministerpräsidenten Al-Dschaafari und 16 Minister, die Kurden acht Minister, die Sunniten sechs sowie die Christen und Turkmenen je einen Minister. Zum Staatspräsidenten wurde am 6. April 2005 der Kurde Dschalal Talabani gewählt. Das Übergangsparlament hat einen Verfassungsentwurf erarbeitet, auf dessen Grundlage am 15. Dezember 2005 Parlamentswahlen stattgefunden haben, deren amtliches Ergebnis Mitte Februar 2006 bekannt gegeben worden ist. Danach kam die Vereinigte Irakische Allianz der Schiiten auf 128 der insgesamt 275 Mandate im Parlament. Die beiden sunnitischen Blöcke Irakische Eintracht und Front für Nationalen Dialog gewannen zusammen 55. Sitze. 53 Mandate gingen an die Kurdische Koalition (ap v. 10.2.2006).
Der Sturz des Regimes von Saddam Hussein ist nach allen vorliegenden Erkenntnissen eindeutig und unumkehrbar, und zwar trotz der nach wie vor problematischen, in jüngster Zeit sogar eskalierenden Sicherheitslage im Irak, insbesondere im Hinblick auf terroristische Anschläge. Eine Rückkehr der Baath-Regierung kann nach den derzeit gegebenen Machtverhältnissen und der Offenkundigkeit der veränderten politischen Gegebenheiten eindeutig und weiterhin als ausgeschlossen bewertet werden, und zwar unabhängig von der Beantwortung der Frage, ob derzeitig bereits künftige politische Strukturen eindeutig erkennbar sind oder nicht.
Mit den veränderten politischen Gegebenheiten hat sich die Verfolgungssituation der Kläger von Grund auf geändert. Der - in der Vergangenheit in der überwiegenden Anzahl der asylrechtlichen Schicksale vorgenommenen - Anknüpfung an die Asylantragstellung und den langjährigen Auslandsaufenthalt ist mit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein der Boden entzogen. Die durch diese Umstände begründete Verfolgungssituation hat ihre asylrelevante Bedeutung verloren, weil sie ihre Grundlage allein im Unrechtsregime von Saddam Hussein hatte. Dieser Einsicht ist - soweit ersichtlich - auch die inzwischen die veränderten politischen Gegebenheiten im Irak aufnehmende und bewertende höchstrichterliche und obergerichtliche Rechtsprechung gefolgt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.2.2004 - 1 C 23.02 - zum Urt. d. Sen. v. 21.6.2002 - 9 LB 155/02 - ; Urt. v. 24.2.2004 - 1 C 24.02 - zum Urt. d. Sen. v. 21.6.2002 - 9 LB 3662/01 - ; Urt. v. 25.8.2004 - 1 C 22.03 - NVwZ 2005, 89 = BayVBl 2005, 56 = DÖV 2005, 77 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 12; Beschl. d. Sen. v. 30.3.2004 - 9 LB 5/03 - AsylMagazin 5/2004, 13 = AuAS 2004, 153; BayVGH, Urt. v. 13.11.2003 - 15 B 02.31751 - AuAS 2004, 43 sowie Beschl. v. 17.12.2003 - 15 ZB 02.31617 - AuAS 2004, 69; SächsOVG, Beschl. v. 28.8.2003 - A 4 B 573/02 - AuAS 2003, 250; Schleswig-Holsteinisches OVG, Beschl. v. 30.10.2003 - 1 LB 39/03 - u. v. 28.10.2003 - 1 LB 41/03 -; OVG NRW, Urt. v. 14.8.2003 - 20 A 430/02.A - Asylmagazin 1-2/2004, 17 u. Urt. v. 17.5.2004 - 20 A 1810/02.A - ; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 2.4.2004 - 2 L 269/02 - ).
Den Klägern droht auch nicht wegen ihres christlichen Glaubens mittelbare staatliche Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure. Der Senat verkennt nicht, dass es - worauf die Kläger zutreffend hinweisen - nicht nur Anfang August 2004 zu einer koordinierten Terroraktion gegen die christliche Minderheit im Irak kam, bei der fünf christliche Kirchen in Bagdad und Mosul Ziel von Autobomben wurden und die elf Todesopfer und weitere 50 Verletzte forderte (NZZ v. 2.8.2004; Die Welt v. 3.8.2004), und dass sich Übergriffe gegen Christen und ihre Gotteshäuser fortsetzen. Auch explodieren immer wieder vor christlichen Geschäften, die Alkohol verkaufen, und vor Friseurläden Bomben (SZ v. 10.10.2004; Die Zeit v. 21.10.2004). Am 16. Oktober 2004 folgte eine zweite Anschlagsserie auf sechs Kirchen in Bagdad, bei der eine Person getötet und neun Personen verletzt wurden (FAZ v. 18.10.2004); außerdem kommt es immer wieder zu einzelnen Entführungen von Christen (Die Zeit v. 21.10.2004; SZ v. 10.10.2004). Es fehlt indes bereits an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass aus diesen Repressalien gegenüber Christen auf eine im Wesentlichen religiös motivierte Verfolgung geschlossen werden kann (vgl. dazu ausführlich: OVG Rh.-Pf., Beschl. v. 24.1.2005 - 10 A 10001/05.OVG - Asylmagazin 5/2005, 12). Auch hält der Senat an seiner bisherigen Einschätzung fest, dass die Lage nicht dahingehend zu bewerten ist, dass die für eine Gruppenverfolgung von Christen erforderliche Verfolgungsdichte bejaht werden kann (Beschl. v. 21.5.2004 - 9 LA 133/04 -; v. 24.11.2004 - 9 LA 323/04 - u. v. 27.1.2005 - 9 LA 25/05 - ).
Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Klägerinnen zu 2. bis 4., dass ihnen bei einer Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit landesweit geschlechtsspezifische Verfolgung drohen würde und deshalb Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG zuzubilligen ist. Der Senat stimmt zwar nach Auswertung des UNHCR-Berichts vom April 2005 zur Situation der Frauen im Irak (aktualisiert im November 2005) der Einschätzung des Verwaltungsgerichts Göttingen (Urt. v. 31.1.2006 - 2 A 227/05 - ) zu, dass eine allein stehende Frau, die in nahezu allen Belangen des Lebens "westlich" orientiert ist, nicht an moslemischen Gottesdiensten teilnimmt, ein Leben nach islamisch geprägten traditionellen Sitten und Gebräuchen strikt ablehnt, nicht bereit ist, sich den im Irak herrschenden Moral- und Lebensvorstellungen anzupassen, und die überdies von ihrer Ausbildung her den Fähigkeiten der meisten irakischen Männer fachlich überlegen ist, innerhalb kürzester Zeit mit Bedrohungen, Belästigungen und Angriffen zu rechnen hat. Indes lässt sich dem Bericht nicht als beachtlich wahrscheinlich entnehmen, dass auch Frauen wie die Klägerinnen zu 2. bis 4. die in ihrer Heimat im Familienverbund leben würden und überdies ausweislich der Angaben bei der Anhörung dort noch andere Verwandte haben, in ihrem Heimatland landesweit geschlechtsspezifische Verfolgung befürchten müssen.
Die Klage bleibt auch erfolglos, soweit die Klägerinnen zu 2. bis 4. wegen befürchteter Verschleppung und/oder Vergewaltigung durch moslemische Männer - die Klägerin zu 4. überdies wegen der ihr ärztlich attestierten, im Irak angeblich nicht behandelbaren Entwicklungsstörung - die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begehren.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Liegt eine derartige Erlasslage i.S.d. § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG vor, die dem betroffenen Ausländer derzeit einen gleichwertigen Abschiebungsschutz wie § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vermittelt, sodass ihm nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung zu gewähren wäre, scheidet ein Anspruch auf Feststellung von individuellen Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen dieser Gefahren aus (vgl. ; BayVGH, Urt. v. 3.3.2005 - 23 B 04.30734 - u. Urt. v. 13.10.2005 - 23 B 05.30308 - ; zu § 53 Abs. 6 AuslG vgl.: BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379 = NVwZ 2001, 1420 = DVBl 2001, 1531 = InfAuslR 2002, 48; Beschl. v. 28.8.2003 - 1 B 192/03 - Buchholz 402.240 § 54 AuslG Nr. 7; VGH Mannheim, Urt. v. 16.9.2004 - A 2 S 471/02 - ; OVG Münster, Urt. v. 6.7.2004 - 9 A 1406/02.A - n.v.).
Für die Kläger besteht gegenwärtig ein solcher gleichwertiger Abschiebungsschutz, weil eine Abschiebung irakischer Staatsangehöriger zurzeit und in naher Zukunft nicht droht. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat im Erlasswege mit Rundschreiben vom 19. Juli 2004 (Az.: 45.11-12235/12-6-5) darauf hingewiesen, dass nach dem Beschluss der ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 7./8. Juli 2004 weiterhin eine tatsächliche Unmöglichkeit der zwangsweisen Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger irakischer Staatsangehöriger in den Irak besteht, und verfügt, dass in diesen Fällen deshalb Duldungen für die Dauer von sechs Monaten zu erteilen sind. Dieser Erlass hat weiterhin Gültigkeit und findet seitens der Ausländerbehörden Beachtung. Damit sind irakische Staatsangehörige derzeit wirksam vor einer Abschiebung in ihr Heimatland geschützt, sodass ihnen nicht zusätzlich Schutz vor der Durchführung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist. Die Kläger sind deswegen auch insoweit nicht schutzlos gestellt. Denn im Falle der Nichtverlängerung der ihr Heimatland betreffenden Erlasslage nach Rechtskraft dieses Urteils könnten sie unter Berufung auf eine extreme Gefahrenlage jederzeit ein Wiederaufgreifen des Verfahrens bei dem Bundesamt verlangen und den geltend gemachten Anspruch gegebenenfalls gerichtlich weiter verfolgen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 u. Beschl. v. 28.8.2003, a.a.O.; BayVGH, Urt. v. 13.10.2005, a.a.O.).