Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.06.2014, Az.: 1 ME 67/14

Verhinderung des Berührens von Grundzügen der Planung durch die Befristung einer Befreiung (hier: Anlegung eines Park-und Ride-Platzes)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.06.2014
Aktenzeichen
1 ME 67/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 16749
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0612.1ME67.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 07.04.2014 - AZ: 4 B 7512/14

Fundstellen

  • BauR 2014, 1746-1748
  • BauR 2015, 165
  • FStNds 2014, 635-639

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Befristung einer Befreiung verhindert, dass die Grundzüge der Planung berührt sind.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 7. April 2014 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000,-- € festgesetzt.

Gründe

Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht dem Eilantrag gegen die Anlegung eines 80 PKW-Einstellplätze umfassenden, für drei Jahre genehmigten Park- und Ride-Platzes (P+R-Platz) stattgegeben, den die Antragsgegnerin westlich des Bahnhofsgebäudes und östlich von Eigentumsflächen der Antragstellerin schon angelegt hat und im April 2014 in Gebrauch hatte nehmen wollen. Anlass für diese Maßnahme ist die Absicht, den östlich des hier nordsüdlich verlaufenden Bahnstrangs, d. h. zur Innenstadt hin gelegenen Bahnhofsvorplatz umzugestalten. Durch diese bereits eingeleitete Maßnahme - der Vorplatz ist planiert - verlorengehende P+R-Plätze möchte die Antragsgegnerin westlich von Bahnhof und -trasse auf einem querrechteckigen Areal provisorisch anlegen, welches teils auf dem Flurstück 662/Flur 23 der Gemarkung Neustadt, teils dem Nordteil des anschließenden Flurstücks 664 derselben Flur liegt. Die U-förmige Binnenerschließung soll von der Bahnseite her anzufahren und zu verlassen sein.

Dieses Grundstück liegt im Geltungsbereich des am 11. März 1982 rechtsverbindlich gewordenen Bebauungsplanes der Antragsgegnerin Nr. 137 "Auf der Linde". Dieser wandelte - nach mehreren erfolglosen Anläufen - ein westlich der Bahn gelegenes Industrie- zu einem allgemeinen Wohngebiet um. Zum Schutze der Baugebiete vor Lärm setzt er nicht nur am Westrand der Straße "An der Eisenbahn" sowie des zweireihigen P+R-Platzes westlich des Bahnhofsgebäudes Lärmschutzwälle von 3,40 m Höhe, sondern auch fest, dass unmittelbar westlich davon auf zwei langgestreckten Bauteppichen in zwingend dreigeschossiger Bauweise Wohngebäude in geschlossener Bauweise als "Riegel" gegen den Bahnlärm entstehen sollen. Diese Bebauung ist nicht entstanden. Auf einem Teilbereich davon sollen - mit Bauschein vom 20. Februar 2014 unter Befreiung von den Planfestsetzungen befristet bis zum 1. März 2017 - die 80 P+R-Plätze entstehen. Die Antragstellerin hatte auf den westlich davon an der Südseite der Walter-Gropius-Straße und am Bruno-Traut-Weg gelegenen Flächen gartenhofartige Gebäude in dem als WA 11 bezeichneten Bereich mit Genehmigung errichtet. Sie schickt sich an, östlich davon auf dem Flurstück 657 ein Mehrfamilienhaus zu errichten. Die dafür erforderliche Baugenehmigung wurde 2013 erteilt.

Dem Eilantrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss, auf dessen Einzelheiten Bezug genommen wird, und im Wesentlichen folgender Begründung stattgegeben:

Weil eine Inbetriebnahme der bereits hergestellten Flächen unmittelbar bevorgestanden habe, habe die Antragstellerin die Bescheidung des am Vortag gestellten Aussetzungsantrages nicht abwarten müssen. Das Vorhaben widerspreche der festgesetzten Nutzungsart. Weil sich die Antragstellerin auf die Einhaltung der Festsetzungen zur Nutzungsart berufen könne - deren Grundstücke und das Bauareal lägen in einem allgemeinen Wohngebiet -, könne sie das Vorhaben schon deshalb abwehren, weil die Befreiung objektiv rechtswidrig sei. Denn sie berühre nachteilig die Grundzüge des 1982 rechtsverbindlich gewordenen Bebauungsplanes Nr. 137. Ein Grundkonzept des Planes, unter anderem die Wohnbebauung der Antragstellerin durch östlich davon, d. h. in Richtung Bahntrasse zu positionierende Riegel abzuschirmen, werde mit dem Vorhaben aufgegeben. Dass dies nur auf Zeit geschehe, ändere daran nichts. Zudem sei unklar, weshalb die Genehmigung auf drei Jahre befristet sei, wo die Umbauarbeiten am Bahnhofsvorplatz nur ein bis zwei Jahre dauern sollten.

Hiergegen führt die Antragsgegnerin Beschwerde, welcher die Antragstellerin entgegen tritt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Eine wegen § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die geltend gemachten Gründe zu beschränkende Prüfung führt zu einem der Antragsgegnerin nachteiligen Ergebnis.

Den Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts stellt die Beschwerde nicht in Frage. Danach braucht derjenige, der die Einhaltung von Planfestsetzungen als eigenes Recht einfordern darf, die davon erteilte Befreiung nur dann hinzunehmen, wenn diese vollständig objektiv rechtmäßig ist. Er ist mit anderen Worten nicht darauf beschränkt, geltend machen zu können, die Befreiung würdige und berücksichtige seine nachbarlichen Belange (§ 31 Abs. 2 letzter Halbs. BauGB) nicht zureichend. Dass das Verwaltungsgericht in der Festsetzung "des" allgemeinen Wohngebiets eine Festsetzung erblickte, welche die Antragstellerin in Anwendung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 1993 (- 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151) zur Abwehr artfremder Nutzungen berechtigte, attackiert die Beschwerdebegründung nicht und ist hier daher nicht zu prüfen. Leichte Zweifel an der Richtigkeit dieser Annahme hätten sich ergeben können, weil die Grundstücke der Beteiligten in unterschiedlichen (allgemeinen Wohn-)Gebieten liegen, nach der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September 1993 störungsunabhängiger Nachbarschutz grundsätzlich aber nur gewährt wird, wenn die Grundstücke in demselben Baugebiet liegen. Allerdings dürften hier die Grundsätze gebietsübergreifenden Nachbar-, d. h. Erhaltungsanspruchs zur Anwendung kommen. Danach kann sich der in dem einen Baugebiet gelegene Eigentümer auf die für das benachbarte Gebiet getroffenen Festsetzungen zur Nutzungsart berufen, wenn die planende Gemeinde beide Gebiete bei ihrer Schaffung nicht nur in einer § 1 Abs. 7 BauGB genügenden Weise koordiniert, sondern - darauf aufbauend - auch noch bestimmt hat, beide Festsetzungen sollten so miteinander verschränkt sein, als seien sie ein "Gebiet". Dies anzunehmen kommt hier in Betracht, weil die Antragsgegnerin im Jahre 1982 die beiden langgestreckten, in geschlossener Bauweise mit zwingend drei Vollgeschossen zu bebauenden Zeilen mit dem Ziel geschaffen hatte, der damit garantierte "Riegel" solle den Bahnlärm von der westlich dahinter stehenden Wohnbebauung abhalten (vgl. Seiten 2, 6 und 9 der Planbegründung, Bl. 52 ff. GA). Das legt die Annahme nahe, die allgemeinen Wohngebiete, in denen die Antragstellerin die gartenhofartigen Flachdachbauten errichtet hat (WA11) und das Mehrparteienhaus errichten will (Flurstück 657, Flur 23 der Gemarkung Neustadt), solle von den Festsetzungen profitieren, welche unter dem 20. Februar 2014 mit der Befreiung für drei Jahre außer Kraft gesetzt werden sollen.

Ohne Erfolg wendet sich die Antragsgegnerin gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Befreiung scheitere schon daran, dass sie Grundzüge des Planes Nr. 137 "Auf der Linde" berühre. Dieses Tatbestandsmerkmal gilt für alle drei Befreiungsgründe. Berührt sind die Grundzüge einer Planung (schon) dann, wenn das Vorhaben einen planerischen Grundgedanken des Planes, d. h. eine seiner Leitideen, das Grundgerüst, einen seine Aufstellung regierenden "roten Faden" tangiert und es daher nur zugelassen werden könnte als Ergebnis einer Abwägung, in der das Für und Wider dieser Nutzung unter Beachtung der konkurrierenden Nutzungsinteressen auf der Grundlage von § 1 Abs. 7 BauGB neuerlich abgewogen worden sind (vgl. zum Vorstehenden: Battis/Krautzberger/Löhr-Reidt, BauGB, Kommentar, 12. Aufl. 2014, § 31 Rdnr. 29). Das hat das Verwaltungsgericht zu Recht bejaht. Dabei kommt es hier nicht auf die Frage an, ob das umso eher anzunehmen ist, wenn die Nutzungsart in Rede steht. Die Planbegründung (Bl. 52 ff. GA) zeigt: Es war dem Plangeber ein ganz wesentliches, das Grundgerüst wesentlich mitbestimmendes Anliegen, das einst westlich der Gleise liegende Industrie- in ein Areal mit verschiedenartigen allgemeinen Wohngebieten umzuwandeln. Dabei störende "Randbedingung" waren die "starken(n) Störungen vom Bundesbahngelände im Osten" (S. 2 = Bl. 53 GA). Deren Auswirkungen sollte gemildert werden durch "eine riegelartige Bebauung und einen Lärmschutzwall im Bereich der Bundesbahn" (aaO). Diese westlich der Bahngleise in nordsüdlicher geschlossener Anordnung festgesetzten "riegelartigen Bauzeilen" sollten zur Sicherstellung ihrer Effizienz zwingend dreigeschossig bebaut werden/sein (Bl. 57 GA). Das war neben dem Lärmschutzwall das tragende Elemente, das übrige Baugebiet von noch weitergehendem Lärm zu bewahren (Bl. 58 unten GA). Der Rat der Antragsgegnerin war sich zwar bewusst, auch diese beiden Maßnahmen reichten zur Einhaltung der in der DIN 18005 enthaltenen Orientierungswerte nicht aus; selbst zur Nachtzeit würden die Orientierungswerte um mehr als 10 dB(A) überschritten. Doch sollte dies wegen der attraktiven Lage des Gebiets im Übrigen hingenommen werden müssen (Bl. 53 und 60 GA). Die aus gutem Grund am Westrand des Bahngeländes positionierten P+R I und II sollten mit eigenen Lärmschutzwällen versehen werden, um deren Auswirkungen auf die westlich davon stehende Wohnbebauung zu vermindern (Bl. 61 f. GA).

Das streitige Vorhaben läuft dem diametral entgegen. Auf dem entsprechenden Bauteppich wird nicht nur keine Baumaßnahme verwirklicht, welche unter anderem die bebauten und noch unbebauten Flächen der Antragstellerin vom Bahnlärm abschirmte. Sie verlässt den Bereich, auf dem die Antragsgegnerin im Jahre 1982 die P+R-Plätze I und II konzentriert und mit eigenen Lärmschutzeinrichtungen versehen hatte, und führt auf den westlich davon gelegenen Bauflächen damit sogar zu zusätzlichem Lärm.

Von einer nur geringen Einbuße gegenüber dem plangewollten Zustand, welche dazu führen mag, dass Plangrundzüge nicht "berührt" werden, kann daher schon quantitativ, erst recht qualitativ nicht die Rede sein.

Diese Auswirkungen sind vor dem Tatbestandsmerkmal "Grundzüge der Planung" weder deshalb unbeachtlich, weil die Planfestsetzungen "riegelartige Bebauung" seit Inkrafttreten des Planes, mithin rund 33 Jahre lang nicht ausgenutzt worden sind, noch deshalb, weil die Antragsgegnerin diese auf drei Jahre begrenzt hat.

Der erstgenannte Gesichtspunkt griffe nur dann durch, wenn die Planfestsetzungen durch jahrzehntelange Nichtausnutzung derogiert, d. h. funktionslos geworden wären. Das ist nicht der Fall. Funktionslos werden Festsetzungen erst dann, wenn die bauliche Entwicklung in einer Weise über die Planfestsetzungen hingegangen ist, die deren Umsetzung auf Dauer ausschließt, und dies so deutlich zu erkennen ist, dass ein in die Fortgeltung der Planfestsetzungen gesetztes Vertrauen nicht schutzwürdig wäre. Davon kann ernstlich keine Rede sein. Die riegelartige Bebauung lässt sich unverändert verwirklichen. Es mag zwar sein, dass sich die Antragsgegnerin mit dem Gedanken trägt, die Planfestsetzungen zum ersten Mal zu ändern (vgl. das Einwendungsschreiben der Antragstellerin vom 19. März 2013, Bl. 37 f. BA A) und auf der Fläche des nördlichen "Riegels" eine Parkpalette verwirklicht sehen will (s. dazu Einzeichnung in der genehmigten Bauzeichnung, "Tasche" BA A). Dieses Änderungsverfahren ist aber nicht untrügliches Zeichen für die Annahme, die 1982 gefundene Plankonzeption habe sich insoweit irreversibel und für jeden erkennbar überholt. Vielmehr ist dies Ausdruck einer neuen Beurteilung der Planungssituation, unter Umständen auch der Einsicht, für die beiden Flächen zur "Riegelbebauung" werde sich nur mit erheblichen Mühen ein Investor finden lassen. Obsolet geworden ist die Plankonzeption damit noch nicht.

In diesem Zusammenhang kann die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg geltend machen, die Einrichtung der 80 provisorischen P+R-Plätze diene der Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes. Diese wiederum liege nicht zuletzt im Interesse der Antragstellerin. Daher sei diese in besonderem Maße verbunden, diese befristeten Misshelligkeiten hinzunehmen. Der östlich der Bahngleise in Richtung Innenstadt orientierte Bahnhofsvorplatz ist für die Attraktivität der Grundstücke der Antragstellerin mehr oder minder irrelevant. Das Rechte- und Pflichtengefüge des Bebauungsplanes Nr. 137 endet nicht ohne Grund am westlichen Fuß des Bahndamms/-geländes.

Die Begrenzung der Befreiungsentscheidung auf drei Jahre führt entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht dazu, dass der genannte Grundzug der 1982 durchgeführten Planung Nr. 137 "Auf der Linde" nicht (mehr) "berührt" wäre. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf den Beschluss des OVG Hamburg vom 17. Juni 2013 (- 2 Bs 151/13 -, NVwZ-RR 2013, 990, [...]Rdnrn. 12 ff.; s. a. VG Ansbach, B. v. 5.2.2009 - AN 18 S 09.00077 -, [...]Rdnrn. 38 - 42) verwiesen. Auch die Zulassung befristeter, d. h. sogenannter Zwischennutzungen kann danach einen Planungsgrundzug berühren, jedenfalls dann, wenn wie hier - das Rechte- und Pflichtengefüge eines Bebauungsplanes verlassen und auf ins Gewicht fallende Zeit ein Zustand herbeigeführt wird, der nicht nur auf die abschirmende Wirkungen der Riegel-Wohnbebauung weiterhin verzichtet, sondern darüber hinaus sogar noch in der Nähe der Wohngebäude, welche durch diese "Riegel" hatten geschützt werden sollen, neue Lärmquellen schafft, welche anders als die aus gutem Grund so positionierten P+R I und II keine Lärmschutzeinrichtungen aufweisen.

Es ist allerdings nicht zu leugnen, dass die Auffassung, befristetes Außerkraftsetzen planerischer Festsetzungen könne sich auf § 31 Abs. 2 BauGB stützen, ohne am Tatbestandsmerkmal der Planungsgrundzüge scheitern zu müssen, Anhänger hat. Zu verweisen ist nicht nur auf die Kommentierung von Krautzberger (in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, Std. Januar 2010, § 13 Rdnr. 18), sondern auch/vor allem auf die Ausführungen von Pietzcker (NVwZ 2001, 968, 972) und Schmidt-Eichstaedt (ZfBR 2009, 738, 742 f.). Diese meinen, befristete, d. h. planwidrige Zwischennutzungen stellten den Geltungsanspruch des Planes allenfalls ausnahmsweise, nämlich dann in einer seine Grundzüge berührenden Weise in Frage, wenn Anzeichen die Annahme trügen, diese würden es nach Beendigung nicht mehr gestatten, zu dem vom Plangeber "auf Dauer" gewollten Zustand zurückzukehren. Gleiches solle gelten, wenn der Zwischenzustand ersichtlich nur "transitorisch", d. h. dazu bestimmt sei, eine Neuordnung vorzubereiten. Es soll mit anderen Worten sogar eine Art Vermutung dafür streiten, das temporäre Beiseiteschieben der Planfestsetzungen sei mit seiner Konzeption zu vereinbaren. Nachdem Pläne - anders als früher - kein Verfallsdatum mehr aufwiesen (vgl. dazu etwa OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.1997 - 6 K 6014/96 -, Langtext [...]), deren Geltungsanspruch mithin unbegrenzt sei, werde deren Gestaltungskraft in einer die Befreiung ermöglichenden Weise nur unwesentlich beiseitegeschoben, wenn ihre Festsetzungen für einen Teilbereich und einen bestimmten Zeitraum außer Vollzug gesetzt würden. Auf dieser Linie läge es hier zu berücksichtigen, dass die für den Bauplatz geltenden Planfestsetzungen (Herstellung eines als Lärmschutzeinrichtung fungierenden Wohn-Riegels) seit 33 Jahren unausgenutzt sind und keine Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigten, innerhalb der im Bauschein vom 20 Februar 2014 genannten Frist (bis 1. März 2017) werde sich an diesem Zustand etwas zum Vorteil der Antragstellerin ändern.

Dem ist indes entgegenzuhalten: Die angegriffene Baumaßnahme führt nicht nur dazu, dass die Herstellung der/einer schalldämmenden Riegelbebauung um weitere 3 Jahre aufgeschoben wird, sondern sogar dazu, dass in der Nähe der westlich davon stehenden Wohnbebauung eine "ungehemmt" lärmverursachende Nutzung einer Art entstehen soll, welche der Plan Nr. 137 im Jahre 1982 aus guten Gründen am Fuß des Bahngeländes positioniert und noch dazu mit einem Kokon von Lärmschutzwällen versehen hatte. Mit der hier in Rede stehenden Baumaßnahme werden die Festsetzungen des Planes Nr. 137 nicht nur befristet beiseitegeschoben, sondern das vom Plan gewollte Schutzregime durch Einführung einer nicht "eingehausten" neuen Lärmquelle ohne jede Kompensation auf nicht unerhebliche Zeit zum Nachteil der Wohnbebauung verschlechtert.

Nur ergänzend ist daher darauf hinzuweisen, dass Anhaltspunkte für die (auch nach Auffassung von Schmidt-Eichstaedt eine Befreiung ausschließende) Annahme bestehen dürften, mit der temporär zugelassenen Nutzung solle ein Prozess eingeleitet oder fortgesetzt werden, die Wohltat schalldämmender Riegelbebauung aufzugeben. Vom 20. Februar bis 20. März 2013 hatte die Antragsgegnerin den Entwurf der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 137 "Auf der Linde" im beschleunigten Verfahren ausgelegt. Ziel der Planung ist es nach der im Netz aufzufindenden Auslegungsbekanntmachung sowie dem Entwurf der Begründung zur Planänderung unter anderem, unmittelbar nördlich der hier in Rede stehenden Fläche ein öffentliches P+R-Deck zu schaffen. Seite 17 dieses Entwurfs zufolge verspricht sich die Antragsgegnerin davon zwar auch eine Verbesserung der Immissionssituation für die westlich davon stehende Bebauung. Es bleibt aber dabei, dass damit das Konzept eine Riegel-Schutzbebauung endgültig aufgegeben werden soll. Die streitige Nutzung steht damit in nicht nur räumlichem Zusammenhang. Es ist bemerkenswert, dass die mit dem Genehmigungsvermerk versehene Bauzeichnung (Tasche Beiakte A) nördlich davon schon jenes langgestreckte dreigeschossige Parkdeck zeigt, für das die Planungsgrundlage erst noch geschaffen werden soll. Es sprechen daher durchaus Anhaltspunkte für die Annahme, selbst nach der insbesondere von Schmidt-Eichstaedt (aaO) verfochtenen Auffassung scheide hier die Annahme aus, die Befristung hindere die Annahme, dass die Befreiung Grundzüge bestehender Planung berühre.

Es dürfte hinzukommen, dass die Auffassung von Krautzberger, Pietzcker und Schmidt-Eichstaedt (jeweils aaO) erheblichen Bedenken begegnet. Der Gesetzgeber hat mit dem zum 20. Juli 2004 in § 9 BauGB eingefügten Absatz 2 (Art. 1 Nr. 9 lit. b des EAG Bau vom 26.4.2004, BGBl. I S. 1359) eine Möglichkeit geschaffen, die Verheißungen des Planes zeitweise außer Kraft zu setzen. Diese Vorschrift dürfte die Einschätzung des Gesetzgebers voraussetzen, § 31 Abs. 2 BauGB setze der Zulassung befristeter, d. h. sog. Zwischennutzungen Grenzen, wenn in das Geflecht der seinerzeit getroffenen Abwägungsentscheidung eingegriffen werde. Auch eine befristete Außerkraftsetzung von Planverheißungen schafft irreversible Zustände; die so verbrachte Lebenszeit kann nicht unter plangerechten Umständen nachgeholt werden. Daher solle mit § 9 Abs. 2 BauGB die Möglichkeit geschaffen werden, in einer vom Rat abwägend verantworteten und im Aufstellungsverfahren zur Diskussion der Gemeindeöffentlichkeit gestellten Weise Zwischennutzungen zu ermöglichen. Es ist jetzt Sache des Rates, d. h. desjenigen, der 1982 die konkurrierenden Interessen in anderer Weise geordnet hatte, in einem Abwägungsprozess zu entscheiden, ob eine Zwischennutzung und ggf. unter welchen Voraussetzungen sie, d. h. mit welchen Gegenleistungen für die (befristete) Schlechterstellung benachbarter Bauflächen zugelassen wird/werden kann. Zeit genug stand der Antragsgegnerin zur Verfügung. Dem Entwurf der Begründung zur ersten Planänderung zufolge (Seiten 4/5) trägt sie sich schon etwa seit den Jahren 2007 oder 2009 mit dem Gedanken, die P+R- und B+R-Situation auf dem Bahnhofsvorplatz zu verbessern. Seit dem 20. Juli 2004 stand das Instrument des § 9 Abs. 2 BauGB n. F. zur Verfügung.