Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2006, Az.: 7 LA 45/06
Anforderungen an eine Ersatzzustellung durch Niederlegung; Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht; Voraussetzungen für die Beurteilung einer Beweiserhebung als notwendig
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.2006
- Aktenzeichen
- 7 LA 45/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 32089
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:1130.7LA45.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 12.01.2006 - AZ: 5 A 177/04
Rechtsgrundlagen
- § 86 Abs. 2 VwGO
- § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO
Fundstellen
- GK 2007, 214-217
- NJW 2007, 1079 (Volltext mit amtl. LS) "Ersatzzustellung an Scheinadresse durch Niederlegung"
- NdsVBl 2007, 110-111
Amtlicher Leitsatz
Zu den Anforderungen an eine Ersatzzustellung durch Niederlegung, wenn der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift den Rechtsschein gesetzt hat, dort zu wohnen.
Gründe
Der Beklagte hat dem Kläger mit Bescheid vom 7. August 2001 die weitere Ausübung seiner Tätigkeit als Geschäftsführer für die Firma B. GmbH sowie jede andere selbständige Tätigkeit und jedwede Tätigkeit als verantwortlich handelnder Geschäftsführer untersagt. Den hiergegen unter dem 9. Juni 2004 eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Lüneburg als verfristet zurück, da der Untersagungsbescheid ordnungsgemäß durch Niederlegung am 9. August 2001 zugestellt worden sei und Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen. Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid vom 7. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 14. September 2004 unter Bezugnahme auf seinen Beschluss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom 1. Februar 2005 (5 B 79/04) und den Beschluss des Senats vom 12. Mai 2005 (7 ME 35/05) abgewiesen, da der im Jahr 2004 eingelegte Widerspruch nicht innerhalb der Widerspruchsfrist eingelegt worden sei und auch Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgetragen oder ersichtlich seien.
Mit seinem Berufungszulassungsantrag macht der Kläger Verfahrensmängel sowie daraus resultierend ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Er ist nicht begründet, da weder Verfahrensmängel, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), noch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gegeben sind.
1.
Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Die Frage, ob das Verfahren der Vorinstanz an einem Mangel leidet, ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt aus zu beurteilen, den die Vorinstanz eingenommen hat. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht liegt regelmäßig nicht vor, wenn das Gericht den entscheidungserheblichen Sachverhalt für aufgeklärt gehalten hat und die sachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten Beweiserhebungen nicht in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt haben (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 23.5.2005 - 7 LA 302/04 -; Beschl. v. 13.9.2006 - 7 LA 159/05 -). Daran gemessen hat das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht nicht verletzt.
Die Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschlüsse ist zulässig (vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 117, Rn. 16 m. N.) und begründet keinen Verfahrensmangel, weil sich das Verwaltungsgericht ausdrücklich die Ausführungen in den Beschlüssen zu eigen gemacht und an der darin enthaltenen Einschätzung auch in Ansehung des Vorbringens im Klageverfahren festgehalten hat.
Ein Verfahrensmangel ist auch nicht ersichtlich, weil das Verwaltungsgericht weder den Zeugen C. zu der Frage eines Zustellungsversuchs in der Wohnung noch die Ehefrau des Klägers, Frau D., und Herrn E. zur der Frage, ob der Kläger seine Wohnung im Zeitpunkt der angeblichen Zustellung tatsächlich in F. hatte, vernommen hat. Der anwaltlich vertretene Kläger hat ausweislich des Protokolls in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht dahingehende förmliche Beweisanträge, die den Anforderungen des § 86 Abs. 2 VwGO genügt haben, nicht gestellt (GA Bl. 98 f.). Eine derartige Beweiserhebung musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht aufdrängen, da nach dessen Auffassung der Kläger den Rechtsschein gesetzt hatte, unter der in dem angefochtenen Bescheid vom 7. August 2001 angegebenen Adresse zum Zeitpunkt der Zustellung gewohnt zu haben. Daher konnte der Postzusteller von einem erfolglosen Zustellungsversuch in der Wohnung des Klägers ausgehen.
Die Vermutung des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe den angefochtenen Bescheid vom 7. August 2001 jedenfalls innerhalb der Niederlegungsfrist erhalten, da die Post nach Ablauf der Lagerfrist den Bescheid nicht an den Beklagten zurückgesandt habe, erweist sich ebenfalls nicht als verfahrensfehlerhaft. Die Möglichkeit anderer Geschehensabläufe, die der Kläger aufzeigt, schließt die Vermutung des Verwaltungsgerichts nicht aus. Ein Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze liegt nicht vor. Selbst wenn das Verwaltungsgericht insoweit seine Aufklärungspflicht verletzt hätte, vermag dies die Zulassung der Berufung nicht zu begründen, da auf diesem Verfahrensfehler die angefochtene Entscheidung nicht im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beruhen könnte. Denn insoweit handelt es sich lediglich - wie die Bezugnahme im Urteil auf den Beschluss des Senats vom 12. Mai 2005 zeigt - um eine Hilfsbegründung. Bereits der Umstand, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten den Rechtsschein gesetzt hat, unter der Anschrift in G. erreichbar zu sein, führt nach der angefochtenen Entscheidung zur Rechtswirksamkeit der Ersatzzustellung und begründet die Abweisung der Klage. Auf die Frage, wann der Kläger tatsächlich den Untersagungsbescheid erhalten hat, kommt es danach entscheidungserheblich nicht mehr an. Darüber hinaus steht das klägerische Vorbringen im Zulassungsverfahren, der jetzige Geschäftsführer der B. GmbH, Herr E., habe im Postfach der Firma mindestens eine an den Kläger gerichtete gerichtliche oder behördliche Zustellung, bei der es sich um den Untersagungsbescheid gehandelt haben könnte, gefunden und an die Behörde zurückgesandt, in Widerspruch zu der von Herrn E. im Verfahren 7 ME 35/05 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung, wonach er seit Anfang 2001 in dem Postfach der Firma niemals ein an den Kläger gerichtetes Schriftstück vorgefunden habe (GA 7 ME 35/05, Bl. 131).
Die Auffassung des Klägers, allein der Umstand, dass er ein von dem Veterinäramt des Beklagten an die Firma B. GmbH adressiertes Schreiben beantwortet habe, reiche für die Annahme eines Rechtsscheins, dort auch zu wohnen, nicht aus, vermag eine Verletzung der Aufklärungspflicht ebenfalls nicht zu begründen. Das Verwaltungsgericht hat die Annahme, dass der Kläger einen solchen Rechtsschein gesetzt habe, im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Sitz der Gesellschaft, für die der Kläger als Geschäftsführer tätig war, und seine Wohnung über mehrere Jahre identisch gewesen sind, es nur einen Briefkasten mit dem Namen der Firma gegeben hat und an den Kläger persönlich adressierte Post offenbar jahrelang problemlos in diesen Briefkasten eingeworfen und unter dieser Adresse zugestellt worden ist. Dem ist der Kläger in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht entgegengetreten. Nach der vom Verwaltungsgericht zitierten und entgegen der Auffassung des Klägers einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung reichen diese Feststellungen zur Setzung eines Rechtsscheins und für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung aus.
2.
Da ein Verfahrensmangel nicht festzustellen ist, hat der Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Form dargelegt, aus welchen Gründen sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sollen. Solche Gründe sind auch sonst nicht ersichtlich.