Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.07.2018, Az.: 1 B 4254/18

Ehre; Ehrschutz; Ratsmitglied; Unterlassung; Verwaltungsausschuss; Wiederholungsgefahr; Äußerung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.07.2018
Aktenzeichen
1 B 4254/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74345
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Teilt ein Mitglied des nicht öffentlich tagenden Verwaltungsausschusses dem Bürgermeister mit, ein als Zuhörer bei einer Sitzung des Verwaltungsausschusses anwesendes Ratsmitglied habe seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit verletzt, kann der Bürgermeister die kommunalverfassungsrechtlichen vorgesehenen Verfahren initiieren, in denen die Berechtigung des Vorwurfs geklärt wird. Daneben ist für ein gerichtliches Ehrschutzverfahren regelmäßig kein Raum.

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller macht gegen den Antragsgegner im Eilverfahren einen Unterlassungsanspruch wegen ehrverletzender unwahrer Tatsachenbehauptungen geltend. Sowohl der Antragsteller als auch der Antragsgegner sind Mitglieder des Rates der Stadt A-Stadt. Der Antragsteller ist zugleich Ratsvorsitzender; der Antragsgegner gehört - anders als der Antragsteller - zudem dem Verwaltungsausschuss an. Der Verwaltungsausschuss befasste sich in seiner Sitzung am 11. Dezember 2017 (erneut) mit einem vom Rat zuvor bereits beschlossenen Grundstückserwerb für den Bau einer Turnhalle, nachdem der Antragsteller - der als Zuhörer an der nicht öffentlichen Sitzung teilnahm - ein an ihn gerichtetes Schreiben des Eigentümers eines nicht für das Turnhallenprojekt ausgewählten Grundstücks vorgelegt hatte. Am 14. Dezember 2017 unterrichtete der Antragsgegner den Bürgermeister der Stadt A-Stadt per E-Mail darüber, dass ihn der Eigentümer des nicht ausgewählten Grundstücks angerufen und Details aus dem Verwaltungsausschuss zum Thema Turnhallenbau/Standort mitgeteilt habe. Dieser habe davon in einem Gespräch mit dem Antragsteller erfahren. Der Antragsgegner stellte dem Bürgermeister Maßnahmen anheim und wies darauf hin, dass von ihm die Information außer an ein weiteres Mitglied des Verwaltungsausschusses nicht weitergegeben worden sei. Nachdem der Antragsteller infolge einer Akteneinsicht von der E-Mail erfahren hatte, verlangte er unter dem 19. April 2018 vom Antragsteller die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Der Antragsteller lehnte unter dem 27. April 2018 die Abgabe einer solchen Erklärung ab, weil dem Antragsteller die behaupteten Ansprüche nicht zustehen würden. Daraufhin hat der Antragsteller am 11. Mai 2018 beim Landgericht Hildesheim einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt gestellt, dass dem Antragsgegner bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden und fälligen Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, verboten wird, Dritten gegenüber zu behaupten oder behaupten zu lassen, der Antragsteller habe Details aus einer nicht öffentlichen Sitzung des Verwaltungsausschusses zum Thema "Turnhallenbau" an Dritte weitergeleitet, so wie es in der E-Mail vom 14. Dezember 2017 geschehen sei. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 24. Mai 2018 - 2 O 112/18 - den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Hannover verwiesen. Es liege eine kommunalverfassungsrechtliche, nicht aber privatrechtlich zu beurteilende Streitigkeit vor, weil sowohl die streitgegenständlichen Äußerungen des Antragsgegners als auch das angezeigte (angebliche) Verhalten des Antragstellers die Rechte und Pflichten der Beteiligten als Träger hoheitlicher Befugnisse beträfen, deren Überschreitungen zu kommunalrechtlichen Sanktionen führen könnten.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg; er ist bereits unzulässig.

Hinsichtlich des Rechtsweges ist die Kammer nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts vom 24. Mai 2018 gebunden. Die Kammer ist zwar nicht zugleich an die vom Landgericht wohl angenommene Passivlegitimation des Antragsgegners im Rahmen einer kommunalverfassungsrechtlichen Streitigkeit gebunden, weil eine Verweisung keine über die Rechtswegfrage hinausgehenden Vorfestlegungen zur Folge hat (Nds. OVG, Beschl. v. 07.04.2011 - 13 OB 62/11 -, juris Rn. 5); sie teilt indessen im Ergebnis die Auffassung des Landgerichts. Zwar liegt kein "typischer" Kommunalverfassungsstreit vor, in dem unmittelbar um die Beeinträchtigung oder Verletzung spezifischer Organ- oder Organteilrechte bzw. deren Reichweite gestritten wird (vgl. etwa Urt. d. Kammer v. 04.08.2016 - 1 A 675/16 -, juris Rn. 17). Der Streit betrifft aber eine auf die kommunalverfassungsrechtliche Rechtsstellung des Antragstellers bezogene und von diesem als ehrverletzend empfundene Äußerung des Antragsgegners, die dieser wiederum in seiner Eigenschaft als Mitglied des Verwaltungsausschusses - und nicht etwa als Privatperson bei Gelegenheit seiner Amtswaltung - gegenüber dem Bürgermeister und einem weiteren Mitglied des Verwaltungsausschusses getätigt hat. Diese Äußerung ist erkennbar erfolgt, um den Bürgermeister auf einen aus Sicht des Antragsgegners erfolgten Verstoß des Antragstellers gegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (§ 54 Abs. 3 NKomVG i. V. m. § 40 NKomVG) hinzuweisen. Ein solcher Streit, der ersichtlich über ein kommunalverfassungsrechtliches Internum nicht hinausgeht, ist nach Auffassung der Kammer ein Kommunalverfassungsstreit. Daraus ergibt sich auch, dass der Antragsgegner als kommunalverfassungsrechtlicher Akteur, der die als ehrverletzend empfundene Äußerung getätigt hat, passivlegitimiert ist. Es liegt gerade kein Ehrschutzverfahren eines außerhalb einer juristischen Person stehenden Rechtsschutzsuchenden vor, bei dem regelmäßig nicht der eine Äußerung tätigende Amtswalter, sondern der Rechtsträger auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen ist, dem die Äußerung seines Amtswalters zugerechnet wird (vgl. dazu Beschl. d. Kammer v. 03.06.2014 - 1 B 7660/14 -, juris Rn. 51). Das "Rechtsträgerprinzip" bei Ehrschutzverfahren vermag nach Auffassung der Kammer bei einem rein kommunalverfassungsrechtlichen Innenrechtsstreit keine Geltung zu beanspruchen (a. A. in Bezug auf einen Innenrechtsstreit über Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden einer kommunalen Eigengesellschaft offenbar: VG Regensburg, Urteil vom 08. März 2006 - RN 3 K 05.00184 -, juris). Zum einen sind nämlich die verwaltungsprozessualen Vorschriften, aus denen das Rechtsträgerprinzip abgeleitet wird (vgl. dazu VG Regensburg, a. a. O., juris Rn. 68), auf Innenrechtsstreitigkeiten wie einen Kommunalverfassungsstreit nicht "zugeschnitten". Zum anderen überzeugt aber auch der Gedanke einer unmittelbaren Zurechnung einer Äußerung zum Rechtsträger bei einer reinen Innenrechtsstreitigkeit nicht.

Allerdings fehlt es dem Antragsteller am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, weil die von ihm als ehrverletzend empfundenen Äußerungen im Zusammenhang mit weiteren geregelten Verfahren über etwaige Sanktionen stehen, welche vom Bürgermeister initiiert werden können. Es liegt hier nicht anders als bei einer verwaltungsinternen und nicht öffentlichen Stellungnahme, die allein der Unterrichtung der vorgesetzten Behörde in einem Disziplinarverfahren dient. In einer solchen Situation kann seitens des betroffenen Beamten mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht die Feststellung der Unrichtigkeit begehrt werden (Sächs. OVG, Urt. v. 08.12.2016 - 2 A 625/15 -, juris). Dieser Sichtweise pflichtet die Kammer bei. Sie deckt sich mit der Rechtsansicht des Bundesgerichtshofs, dass die im Rahmen eines Prozesses oder Verwaltungsverfahrens getätigten Äußerungen regelmäßig nicht in einem weiteren, gesonderten Gerichtsverfahren abgewehrt werden können. Der Bundesgerichtshof hat zu solchen Konstellationen von Ehrschutzklagen ausgeführt (Urt. v. 16.11.2004 - VI ZR 298/03 -, juris Rn. 18):

"Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats können ehrenkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt werden. Das sogenannte Ausgangsverfahren soll nämlich nicht durch eine Beschneidung der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt werden [...]. Vielmehr sollen die Parteien und infolgedessen auch die von ihnen bevollmächtigten Rechtsanwälte in einem Gerichtsverfahren alles vortragen dürfen, was sie zur Wahrung der Rechte der Parteien für erforderlich halten, auch wenn hierdurch die Ehre eines anderen berührt wird. Ob das Vorbringen wahr und erheblich ist, soll allein in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft werden. Mit den schutzwürdigen Belangen der Betroffenen und mit den Erfordernissen eines sachgerechten Funktionierens der Rechtspflege wäre es nämlich unvereinbar, wenn die Kompetenzen des Gerichts des Ausgangsverfahrens durch die Möglichkeit einer Geltendmachung von Abwehransprüchen in einem gesonderten Prozess vor einem anderen Gericht unterlaufen werden könnten. Deshalb fehlt in derartigen Fällen für eine Ehrenschutzklage grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis. Diese Grundsätze gelten auch für Verfahren vor Verwaltungsbehörden [...]."

Diese rechtliche Sichtweise hält auch die Kammer für überzeugend. Sie ist auch auf die vorliegende Verfahrenskonstellation übertragbar. Bei einem geäußerten Verdacht auf Verstoß eines Ratsmitgliedes gegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit kann zum einen ein Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren initiiert werden (vgl. 54 Abs. 3 NKomVG i. V. m. § 40 Abs. 2 NKomVG), zum anderen kommt auch in Betracht, dass der Bürgermeister auf einen Ratsbeschluss hinwirkt, mit dem festgestellt wird, dass ein Ratsmitglied gegen seine Verschwiegenheitspflicht verstoßen hat (vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 27.062012 - 10 LC 37/10 -, juris). In diesen im Kommunalverfassungsrecht vorgesehenen Verfahren ist zu klären, ob der im Raum stehende Vorwurf einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht berechtigt ist, oder nicht. Damit hat es auch bezüglich eines Schutzes der persönlichen Ehre sein Bewenden, es sei denn, die als ehrverletzend erachteten Äußerungen stellen sich als reine Schmähkritik dar (vgl. dazu Sächs. OVG, Urt. v. 08.12.2016 - 2 A 625/15 -, juris Rn. 18). Das ist hier jedoch offenkundig nicht der Fall, da die Äußerung des Antragsgegners über eine sachbezogene Information nicht hinausgeht, mit welcher dem Bürgermeister anheimgestellt wird, etwaige Maßnahmen zu ergreifen. Dass zugleich (in "cc") ein weiteres Mitglied des Verwaltungsausschusses die E-Mail vom 14. Dezember 2017 erhalten hat, ändert an dem Charakter der Äußerung nichts.

Der Antrag ist aber auch in der Sache nicht begründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Kammer vermag weder vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs noch eines Anordnungsgrundes auszugehen.

Der Antragsteller hat eine aus dem öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch resultierende Rechtsposition gegenüber dem Antragsgegner und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft machen können. Der in der Rechtsprechung allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Anspruch auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setzt bei allgemeinen Ehrschutzklagen voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht (BVerwG, Beschl. v. 11.11. 2010 - 7 B 54/10 -, juris Rn. 14). Ob es in einem Innenrechtsstreit der vorliegenden Art überhaupt (ausnahmsweise) um grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte gehen kann, weil der Antragsteller von der Äußerung nicht nur als Mitglied des Rates, sondern zugleich als Privatperson betroffen sein könnte, kann dahinstehen. Gleiches gilt für die Frage, ob Organ(teil)rechte als wehrfähige Rechtspositionen im Rahmen eines Ehrschutzverfahrens angesehen werden können (vgl. zu der Problematik: Sächs. OVG, Beschl. v. 02.06.2009 - 4 B 287/09 -, juris). Der Antragsteller hat nämlich jedenfalls die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche konkrete Wiederholungsgefahr nicht glaubhaft gemacht. Diese ist im Bereich des öffentlichen Rechts nicht schon dann gegeben, wenn gegenüber dem Betroffenen - wie hier - keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben wurde. Maßgeblich sind stattdessen die Umstände des Einzelfalls. Bei deren Bewertung ist eine verweigerte Unterlassungserklärung lediglich als Indiz zu berücksichtigen (vgl. Beschl. d. Kammer v. 03.06.2014 - 1 B 7660/14 -, juris Rn. 65 m. w. N.). Vorliegend steht ungeachtet der nicht unterschriebenen Unterlassungserklärung ersichtlich nicht zu befürchten, dass der Antragsgegner seine Äußerung aus eigenem Antrieb wiederholen wird. Er hat bereits in der E-Mail vom 14. Dezember 2017 deutlich gemacht, dass keine Weitergabe der von dem Eigentümer des nicht für den Turnhallenbau ausgewählten Grundstücks erhaltenen Information erfolgt ist. Dies impliziert, dass der Antragsgegner seine Äußerung nur einmal - insbesondere gegenüber dem Bürgermeister - tätigen wollte. Die "Einmaligkeit" der Äußerung ist auch vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass der Antragsgegner sich offenbar lediglich verpflichtet fühlte, einen nur ihm zur Kenntnis gelangten Verdacht über eine Verletzung der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit an die zuständige Stelle innerhalb der Kommune weiterzugeben. Dieser "Meldepflicht" ist der Antragsgegner nachgekommen, so dass das er nicht mehr befürchten muss, seinerseits einzuhaltende Verpflichtungen nicht erfüllt zu haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nrn. 1.5 Satz 1 und 22.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (NordÖR 2014, 11).