Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 03.07.2018, Az.: 12 B 3173/18

Abschiebungsandrohung; Abschiebungshindernisse; Ausreisefrist

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.07.2018
Aktenzeichen
12 B 3173/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74321
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei Missachtung der Fristbestimmung des § 36 Abs. 1 AsylG in einem Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig.
Der Antrag ist allerdings unbegründet, wenn in Bezug auf Rumänien als Zielstaat der Androhung keine Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Antragsteller haben mit ihrem Antrag,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.03.2018 anzuordnen,

keinen Erfolg. Der Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag ist - entgegen der Rechtsauffassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - statthaft gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.

Zwar hat die Klage der Antragsteller nach § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung, da das Bundesamt den Antragstellern für den Fall der Klagerhebung eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens gesetzt hat. Das Rechtsschutzziel des hier gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO geht jedoch über den bloßen Abschiebungsschutz hinaus (entgegen VG Göttingen, Beschluss vom 15.06.2018 - 2 B 218/18 -).

In dem - hier vorliegenden - Fall eines nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG unzulässigen Asylantrags beträgt die Ausreisefrist nach dem insoweit einschlägigen § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche. Die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes hat, da der Fall in § 75 Abs. 1 AsylG nicht genannt ist, keine aufschiebende Wirkung; ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist stets statthaft. Hat der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO Erfolg, entfällt allerdings nicht nur die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, sondern darüber hinaus werden gemäß § 37 Abs. 1 AsylG die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit des Antrags und die Abschiebungsandrohung unwirksam und das Bundesamt hat das Asylverfahren fortzuführen. Diese weitergehenden Rechtsfolgen können die Antragsteller nur durch einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO erreichen.

Den Antragstellern fehlt für ihren Antrag auch nicht das Rechtsschutzinteresse. Sie können ein berechtigtes Interesse daran geltend machen, in den Genuss der Wirkungen des § 37 Abs. 1 AsylG zu gelangen.

Ein Antragsteller, der in einem Fall der Missachtung des § 36 Abs. 1 AsylG durch das Bundesamt keinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt, riskiert, dass Umstände, die im Zeitpunkt der Entscheidung über seinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu einer Stattgabe und damit zu dem Eintritt der Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 AsylG führen würden (Fortführung des Verfahrens durch das Bundesamt), bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über seine Klage wegfallen mit der Folge, dass es zu keinem weiteren Asylverfahren kommt. Es wäre mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar, wenn das Bundesamt es in der Hand hätte, durch die offensichtlich rechtswidrige Wahl einer Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylG - der nur in den sonstigen Fällen der Ablehnung eines Asylantrags greift - die gesetzliche Systematik auszuhebeln und dem Betroffenen dadurch das in § 37 Abs. 1 AsylG verbürgte Verfahren abzuschneiden (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 28.05.2018 – 12 B 2385/18 -; VG Trier, Beschluss vom 13.12.2017 - 7 L 14132/17.TR -, juris Rdnr. 12).

Der Antrag der Antragsteller ist allerdings unbegründet.

Gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung einer Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Dieser Maßstab der ernstlichen Zweifel ist auch dann anzuwenden, wenn - wie im Falle der Antragsteller - ein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt worden ist (vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 31.03.2017 - 3 B 271/17 -). Unter Berücksichtigung des Zwecks des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens, der in der Sicherung des Hauptsacheverfahrens liegt, sind solche ernstliche Zweifel aber nur dann gegeben, wenn das Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolgreich sein wird, d.h., wenn die zugehörige Klage zulässig und der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und rechtsverletzend ist (vgl. zum Begriff der ernstlichen Zweifel Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 80 Rdnr. 142).

Danach ergeben sich (entgegen der Ansicht des VG Göttingen, Beschluss vom 03.04.2018 - 3 B 155/18 - in einem vergleichbaren Fall) zunächst keine ernstlichen Zweifel an der Abschiebungsandrohung, soweit das Bundesamt den Antragstellern für eine freiwillige Ausreise - rechtswidrig - eine Frist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens gewährt hat. Die gesetzte Ausreisefrist ist zwar, wie oben ausgeführt, rechtswidrig, sie verletzt die Antragsteller aber nicht in eigenen Rechten, weil rechtmäßig allein die kürzere Frist von einer Woche gewesen wäre.

Auch an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach Rumänien im Übrigen bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.

Die Androhung der Abschiebung der Antragsteller nach Rumänien beruht auf § 35 AsylG. Danach droht das Bundesamt dem Ausländer in einem Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war.

Die Antragsteller waren in Rumänien vor Verfolgung sicher. Auf ihre in Rumänien gestellten Asylanträge ist ihnen ausweislich zweier Schreiben des rumänischen Außenministeriums vom 09.02.2018 dort am 29.08.2017 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt worden.

Auf - von den Antragstellern angeführte - systemische Mängel des Asylverfahrens kommt es insoweit nicht an, da die Antragsteller in Rumänien nicht in ein laufendes Asylverfahren zurückkehren werden. Ihre Asylverfahren sind durch die Gewährung internationalen Schutzes - positiv - abgeschlossen. Das Bundesamt hat deshalb gerade keinen Bescheid auf der Grundlage der Dublin III-VO erlassen.

Es bestehen auch keine auf Rumänien als Zielstaat der Androhung bezogenen Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Eine Abschiebung ist weder nach den Bestimmungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (§ 60 Abs. 5 AufenthG) noch deshalb unzulässig, weil den Antragstellern konkrete Gefahren für die in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG genannten Rechtsgüter drohen.

Insbesondere bestehen nach der aktuellen Auskunftslage in Bezug auf anerkannte Schutzberechtigte in Rumänien keine Anhaltspunkte für eine Verletzung von Art. 3 EMRK i.V.m. § 60 Abs. 5 AufenthG. Die Lebensbedingungen für Personen mit internationalem Schutzstatus sind dort zwar schwierig, zumal sie - anders als die rumänische Bevölkerung - in der Regel nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen. Es herrschen jedoch keine Missstände, die allein den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt (vgl. AIDA vom Februar 2018, Country Report (First Report February 2018), im Internet verfügbar; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Ansbach vom 05.12.2017; vgl. zur Rechtsprechung insbesondere VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 15.03.2018 - Au 4 K 17.34984 -, juris Rdnr. 17f.; VG Berlin, Beschluss 12.07.2017 - 23 L 293.17 A -, juris Rdnr. 13).

Konkrete Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG haben die Antragsteller selbst nicht geltend gemacht.

Dahinstehen kann schließlich, ob bei den Antragstellern derzeit ein inländisches Vollstreckungshindernis vorliegt, weil noch nicht sichergestellt ist, dass die Antragsteller (der Antragsteller zu 3) ist noch keine drei Jahre alt) in Rumänien eine gesicherte Unterkunft erhalten. Denn für die Prüfung einer sich daraus möglicherweise ergebenden Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne (vgl. dazu VG Berlin, Beschluss vom 12.07.2017 - 23 L 293.17 A -, juris Rdnr. 23) ist im vorliegenden Fall - anders als bei einer Abschiebungsanordnung - allein die Ausländerbehörde als Vollstreckungsbehörde zuständig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.