Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.08.2018, Az.: 13 B 4935/18
Abschiebungsanordnung; Griechenland; Visumerteilung; Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 08.08.2018
- Aktenzeichen
- 13 B 4935/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 73964
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 12 EUV 604/2013
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, § 76 Abs. 4 AsylG.
Der zulässige Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seiner am 01.08.2018 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.07.2018, zugestellt am 25.07.2018, erhobenen Klage anzuordnen,
ist zulässig, jedoch unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs (§ 80 Abs. 1 VwGO) ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. in Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen. Dabei prüft das Gericht zum einen, ob im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die Anordnung der sofortigen Vollziehung ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO begründet wurde. Zum anderen trifft das Gericht eine eigene Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse des bzw. der Antragsteller, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aufschubinteresse) und dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (Sofortvollzugsinteresse). Bei dieser Interessenabwägung sind wiederum zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs des bzw. der Antragsteller in der Hauptsache zu berücksichtigen, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind. Bestehen bereits bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und wird der Rechtsbehelf deshalb in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, ist dem Antrag regelmäßig stattzugeben, denn ein überwiegendes öffentliches (oder anderes privates) Interesse am sofortigen Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes kommt nicht in Betracht. Bestehen solche Zweifel nicht, erweist sich also der angegriffene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig und wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben, so ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel abzulehnen. So liegt es hier.
Der Bescheid vom 18.07.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens. Vielmehr ist die Republik Griechenland für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig, denn sie hat dem Antragsteller ein Visum ausgestellt.
Die Griechische Republik ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers aufgrund des dem Antragsteller ausgestellten Visums gemäß Art. 12 Abs. 1, Abs. 4 Dublin III-VO i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b Dublin III-VO zuständig.
Eine Überstellung in nach Griechenland ist auch zulässig. Es besteht keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO auszuüben, weil in Griechenland die ordnungsgemäße Durchführung des Asylverfahrens nicht gewährleistet wäre.
Damit die Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen zum Schutz der Grundrechte der Asylbewerber nachkommen, obliegt es ihnen nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 21.12.2011, C-411/10 u.a., juris), einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Staat“ im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) ausgesetzt zu sein (EuGH, a.a.O., Rn. 94). Ist eine Überstellung danach nicht möglich, muss der Mitgliedsstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, prüfen, ob anhand eines der nachrangigen Kriterien ein anderer Mitgliedsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist; erforderlichenfalls muss er den Antrag gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO selbst prüfen (EuGH, a.a.O., Rn. 96 ff.).
Nach der Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) besteht dabei eine Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht, wobei nicht ausgeschlossen werden könne, dass das der Dublin-VO zugrunde liegende System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stoße, so dass die ernstzunehmende Gefahr bestehe, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedsstaat in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar sei. Allerdings berühre nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedsstaat die Verpflichtung der übrigen Mitgliedsstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Dublin-VO (EuGH, a.a.O., Rn. 82). Es wäre mit den Zielen und dem System der Dublin-VO nicht vereinbar, wenn schon geringere Verstöße gegen europäische Asyl-Richtlinien genügen würden, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedsstaat zu vereiteln, weil mit der Dublin-VO eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden sollte, mit der rasch bestimmt werden könne, welcher Mitgliedsstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig sei.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) (Urt. v. 21.01.2011, Nr. 30696/09 M.S.S./Belgien u. Griechenland, NVwZ 2011, 413) darf ein Konventionsstaat im Hinblick auf Art. 3 EMRK einen Asylbewerber nicht in einen Mitgliedsstaat abschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Asylbewerber im Aufnahmeland tatsächlich Gefahr läuft, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Abschiebung ist nach Auffassung des EGMR auch unzulässig, wenn keine Gewähr besteht, dass der Asylantrag von den Behörden des Aufnahmestaates ernsthaft geprüft werde (Urt. v. 21.01.2011, a.a.O.).
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung besteht, seien die absehbaren Konsequenzen einer Rückführung zu berücksichtigen und zwar im Lichte der Gesamtsituation vor Ort, aber auch anhand der persönlichen Verhältnisse des Asylbewerbers (EGMR, Beschl. v. 02.04.2013, Nr. 27725/10, M.S. u.a./Niederlande und Italien, ZAR 2013, 336). Eine zentrale Bedeutung komme hierbei dem Informationsaustausch zwischen den Vertragsstaaten über die individuellen Bedürfnisse des Asylbewerbers zu (EGMR, Beschl. v. 02.04.2013, a.a.O.; Beschl. v. 18.06.2013, Nr. 53852/11 H./Österreich und Italien, ZAR 2013, 338).
Dabei folge aus Art. 3 EMRK keine Verpflichtung des Aufnahmestaates, jede Person mit einem Obdach zu versorgen oder Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Auch gewähre Art. 3 EMRK Ausländern, die von einer Ausweisung betroffen sind, grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Verbleib im Aufenthaltsstaat, um dort von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Art. 3 EMRK schütze auch nicht davor, dass es dem Asylbewerber im Aufnahmestaat wirtschaftlich schlechter gehe (EGMR, Beschl. v. 02.04.2013, a.a.O.). Nötig seien zwingende humanitäre Gründe.
Eine Abschiebung ist danach unzulässig, wenn es systemische Mängel des Asylsystems und/oder der Aufnahmebedingungen gibt. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des EGMR müssen im Hinblick auf eine mögliche Verletzung von Art. 3 EMRK - darüber hinaus - die persönlichen Verhältnisse des Asylbewerbers in den Blick genommen werden.
In diesen Fällen ist der Mitgliedsstaat zwar nicht verpflichtet, den Asylantrag auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO selbst zu prüfen, er ist aber verpflichtet, den Asylbewerber nicht an den ursprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen (EuGH, Urt. v. 14.11.2013, C-4/11, Rn. 36 f., juris).
Nach derzeitigem Kenntnisstand kann nicht angenommen werden, dass dem Antragsteller im Falle seiner Rücküberstellung nach Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende Gefahr droht. Das Gericht geht nach den vorliegen vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass Griechenland nun wieder über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist.
Zwar hatte der EGMR (NVwZ 2011, 413) hinsichtlich Griechenland systemische Mängel festgestellt, woraufhin alle Mitgliedsstaaten Dublin-Überstellungen ausgesetzt hatten. Inzwischen gibt es jedoch eine Empfehlung die EU-Kommission an die Mitgliedsstaaten vom 08.12.2016 über die Wiederaufnahme von Überstellungen an Griechenland (abrufbar unter: https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/ european-agenda-migration/proposal-implementation-package/docs/ 20161208/recommendation_ on_the_resumption_of_transfers_to_ greece_en.pdf). Danach können Überstellungen für Personen stattfinden, die nach dem 15.03.2017 illegal nach Griechenland eingereist sind; besonders schutzbedürftige Personen sind auszunehmen. Zusätzlich müssen die griechischen Behörden eine individuelle Zusicherung abgeben, dass die zu überstellende Person entsprechend den Normen der Richtlinie 2013/33/EU untergebracht und ihr Antrag nach Maßgabe der Richtlinie 2013/32/EU bearbeitet wird. Unter Bezugnahme auf diese Empfehlung hat das Bundesministerium des Innern daraufhin mit Erlass vom 15.03.2017 an das Bundesamt die Wiederaufnahme von Dublin-Überstellungen nach Griechenland unter Beachtung der in der EU-Empfehlung formulierten Bedingungen angeordnet (abrufbar unter: http:// www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/Dublin/BMI v._15.3.17_zu_Dublin-UEberstellungen_nach_GR.pdf). Ausgehend von diesen Maßstäben läuft der Kläger derzeit in Griechenland nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylsystems einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (so im Ergebnis auch VG Kassel, Beschl. v. 10.05.2017, 1 L 2756/17.KS.A; VG Augsburg BeckRS 2017, 101497 und BeckRS 2018, 9749; VG Hamburg BeckRS 2017, 108656; VG Hannover BeckRS 2018, 4297; VG Köln BeckRS 2018, 2852 gegen etwa VG Berlin BeckRS 2018, 11309; VG Bremen BeckRS 2018, 10957; VG Kassel, Beschluss vom 24. Juli 2018 – 1 L 1671/18.KS.A –, Rn. 26, juris).
Dem schließt sich das Gericht an.