Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 02.07.2018, Az.: 6 A 7926/16
AAH; Asa’ib Ahl al-Haqq; Diyala; Kollaborateur; Kurdische Autonomieregion; Kurdistan; Miliz; Parlamentswahl; PMF; politische Verfolgung; Popular Mobilization Front; Umstrittene Gebiete; Wahlbeeinflussung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 02.07.2018
- Aktenzeichen
- 6 A 7926/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 74362
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3b Abs 1 Nr 4 AsylVfG
- § 3b Abs 1 Nr 5 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
(Ehemalige) Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte stellen im Irak eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG dar.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2016 wird aufgehoben, soweit er dem vorgenannten Verpflichtungsausspruch entgegensteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
Der Kläger, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Er reiste am 11. September 2015 gemeinsam mit seiner Mutter und seinen beiden jüngeren Geschwistern, den Klägern zu 1. bis 3. im Verfahren 6 A 7929/16, aus dem Irak aus. Am 24. September reisten sie, auf dem Landweg über Griechenland, die Balkanroute und Österreich kommend, in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Asylanträge stellten, die sie später auf die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkten.
In der persönlichen Anhörung beim Bundesamt gab der Kläger an, den Irak verlassen zu haben, da die schiitische Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq seine gesamte Familie mit dem Tode bedroht habe.
Zu seinen persönlichen Verhältnissen erklärte der Kläger, er habe bis zur Ausreise mit seinen Eltern und Geschwistern in der Stadt Khanaqin in der Provinz Diyala gelebt. Der Familie sei es wirtschaftlich gut gegangen; sie hätten ein eigenes Haus und mehrere Autos besessen. Sein Vater trage den Namen D. und gelte derzeit als vermisst. Er selbst habe das Abitur erfolgreich abgelegt und im Anschluss zwei Jahre am Militär-College der irakischen Streitkräfte studiert. Das Studium habe er mit dem Bachelor-Abschluss beendet. Anschließend sei er als Soldat der kurdischen Streitkräfte in seinem Heimatort stationiert und dort in einem Ausbildungszentrum im Rang eines Leutnants im Bereich der militärischen Ausbildung tätig gewesen. Unter anderem sei er von amerikanischen und deutschen Soldaten ausgebildet worden, um diese Kenntnisse später an die irakischen Streitkräfte in Erbil weitergeben zu können.
Zu den Gründen seiner Flucht erklärte der Kläger ausweislich der Feststellungen im (nicht rückübersetzten) Anhörungsprotokoll des Bundesamtes, ca. Anfang Juli 2015 sei eine Gruppe ihm unbekannter bewaffneter Männer, Mitglieder der Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq, mit zwei Autos vor der Haustür seiner Familie vorgefahren und hätte das Gespräch mit ihm und seinem Vater gesucht. Seine Mutter habe durch eine geöffnete Tür alles mithören können. Die Unterhaltung habe sich um zwei zentrale Themen gedreht. Zum einen hätten die Männer ihn aufgefordert, seine Tätigkeit in dem Ausbildungscamp einzustellen, weil dort amerikanische und deutsche Soldaten arbeiten würden. Stattdessen sollte er sich den Milizionären anschließen. Zum anderen wollten die Milizionäre seinen Vater dazu bewegen, für die Miliz wohlwollende Propaganda in seinem Heimatort zu verbreiten und überdies bei den lokalen Wahlen Partei für die von der Miliz unterstützten Personen zu ergreifen, um den Kandidaten bessere Erfolgsaussichten bei den Wahlen zu ermöglichen. Sein Vater sei im Ort sehr gut vernetzt und sehr beliebt gewesen, so dass seine Meinung ein hohes Gewicht besessen habe. Diese Fähigkeiten habe die Miliz für sich nutzen wollen. Sein Vater und er hätten dieses Ansinnen zurückgewiesen. Sein Vater habe entgegnet, dass er nicht bereit sei, die Ziele der Miliz zu unterstützen. In Reaktion hierauf hätten die Milizionäre ein weiteres Mal erfolglos versucht, seinen Vater umzustimmen. Sodann hätten sie wortlos das Haus verlassen. Einer von ihnen habe jedoch mit einem Handzeichen eine unmissverständliche Todesdrohung signalisiert. Noch am selben Abend sei er mit seinem Vater zur Polizei gegangen und habe alles geschildert. Die Polizisten hätten sich jedoch nicht sonderlich für den Vorfall interessiert, sondern lediglich Notizen gemacht, ohne eine offizielle Strafanzeige anzufertigen. Sie hätten ihm mitgeteilt, die Miliz sei in der Gegend bekannt, habe jedoch zu viel Einfluss; sie seien ihr gegenüber machtlos. Etwa zur selben Zeit, als die Milizionäre das Haus der Familie aufsuchten, sei bei der Schwester des Klägers darüber hinaus Krebs im Oberschenkel diagnostiziert worden.
Mitte Juli sei sein Vater mit seinem Auto zum Einkaufen gefahren und nicht zurückgekehrt. Während seines Dienstes habe er einen Anruf seiner Mutter erhalten, die sich Sorgen um ihren Mann gemacht habe. Er habe dann seinen Vater nach Dienstende erfolglos in den örtlichen Krankenhäusern gesucht. Anschließend habe er bei der Polizei einer Vermisstenanzeige aufgegeben. Telefonisch habe er seinen Vater nicht erreichen können, weil dessen Mobiltelefon ausgeschaltet gewesen sei. In dieser Zeit habe die Familie die Nachricht erhalten, dass die Schwester des Klägers nunmehr unverzüglich operiert werden müsse. Eine Operation sei jedoch nur in der Türkei in Frage gekommen. Da sie sich bedroht gefühlt hätten, hätten sie sich entschieden, das Land zu verlassen. Er, der Kläger, habe seine Kündigung beim Militär abgegeben, und sei aus Sorge um das Leben seiner Mutter, seiner Geschwister und auch sein eigenes Leben ausgereist, ohne den Erhalt der Kündigungsbestätigung abzuwarten. Er wisse nicht, ob sein Vater noch lebe. Die hiermit verbundene Ungewissheit belaste ihn und seine Mutter. Auch seine minderjährigen Geschwister würden häufig nach ihrem Vater fragen, doch er könne ihnen nicht die Antwort für das Verschwinden liefern. Im Falle einer Rückkehr in den Irak, so der Kläger abschließend, fürchte er, ebenso wie sein Vater entführt oder sogar getötet zu werden. Die Polizei könne die Familie nicht schützen; andernfalls hätte sie nicht den Irak verlassen. Für ihn bestehe auch keine inländische Fluchtalternative, zumal die Miliz landesweit tätig sei und erhebliche Macht besitze.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu, im Übrigen lehnte es den Asylantrag ab. Zur Begründung führte es aus, aufgrund des ermittelten Sachverhalts drohe dem Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen demgegenüber nicht vor. Der Sachvortrag des Klägers lasse kein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal erkennen. Vielmehr erscheine es als sehr wahrscheinlich, dass der vom Kläger beschriebenen Miliz jedes Mittel recht sei, um Menschen unter Druck zu setzen und für eigene Zwecke einzusetzen. Hier sei von einem strafrechtlich relevanten Hintergrund auszugehen. Ob und inwiefern die Entführung des Vaters mit dem Schicksal des Klägers in Verbindung steht, sei fraglich. Gesicherte Informationen lägen hierzu nicht vor.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 28. Dezember 2016 Klage erhoben und zudem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Zur Begründung führt er aus, ihm sei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, da er vorverfolgt ausgereist sei. Im drohe Gefahr, weil er sich der Miliz nicht habe anschließen wollen und sich sein Vater geweigert habe, Propaganda für die Gruppierung zu verbreiten.
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 5. Juni 2018 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Dieser hat dem Kläger mit Beschluss vom 6. Juni 2018 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 19. Dezember 2016 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.
Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2018 wies der Kläger darauf hin, ein Bekannter habe ihm zwischenzeitlich telefonisch mitgeteilt, dass sein Vater sich im Gefängnis befinden würde, ohne nähere Informationen zum Ort und zum Grund der Haft zu liefern. Es bleibe unklar, ob die Mitteilung auch den Tatsachen entspreche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen. In Bezug auf den Inhalt der informatorischen Anhörung des Klägers wird Bezug genommen auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 2. Juli 2018.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die der Berichterstatter gemäß § 76 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) anstelle der Kammer als Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Einzelrichter ist dabei nicht daran gehindert, auf Basis der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2018 über die Klage zu entscheiden, obgleich kein Vertreter der Beklagten erschienen ist. Das Gericht hat die Beteiligten nämlich mit der Ladung darauf hingewiesen, dass auch in ihrer Abwesenheit mündlich verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 19. Dezember 2016, mit dem dieses Begehren abgelehnt worden ist, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist aufzuheben, soweit er dem vorgenannten Anspruch entgegensteht (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, grundsätzlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. § 3 Abs. 1 AsylG bestimmt dazu, dass ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560) ist, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine „begründete Furcht“ vor Verfolgung liegt vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, BVerwGE 146, 67, Rn. 19). Der danach maßgebliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Herkunftsland als unzumutbar erscheint. Zu begutachten ist hierbei die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Schutzsuchenden in seinen Heimatstaat (BVerwG, Urteil vom 06.03.1990 - 9 C 14.89 -, juris). Dabei entspricht die zunächst zum nationalen Recht entwickelte Rechtsdogmatik zur Frage der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ auch dem neueren europäischen Recht (BVerwG, Urteil vom 01.06.2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22; Nds. OVG, Urteil vom 27.06.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 29).
Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs erfüllt der Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Das Gericht ist aufgrund der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak aus individuellen, an seine Person anknüpfenden Gründen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht. Die für die Verfolgung des Klägers sprechenden Umstände haben bei einer zusammenfassenden Bewertung größeres Gewicht als die dagegensprechenden Umstände.
Dem Kläger kommt bei der Beurteilung der Frage, ob ihm (weiterhin) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsgefahren im Irak drohen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32; Urteil vom 01.03.2012 - 10 C 7.11 - juris Rn. 12) die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) nicht zugute. Der Kläger war nach Überzeugung des Gerichts vor seiner Ausreise aus dem Irak nicht unmittelbar und persönlich von Verfolgungsmaßnahmen bedroht, die nach § 3 Abs. 1 AsylG geeignet sind, Flüchtlingsschutz zu begründen. Das Gericht geht jedoch aufgrund der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse davon aus, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner politischen Überzeugung sowie der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylG droht.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 5, § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund haben, der nicht verändert werden kann (lit. a) und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (lit. b). Eine Verfolgung wegen politischer Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 AsylG liegt vor, wenn diese an eine abweichende Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung zu Fragen des öffentlichen Staats- oder Gesellschaftslebens angeknüpft, unabhängig davon, auf welchen Lebensbereich sich diese bezieht. Entscheidend ist, ob Opposition im weiteren Sinne bekämpft wird, und sei es auch nur durch „normale“ Strafverfolgung mit Politmalus (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3b AsylG, Rn. 2). Gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist. Zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen muss dabei eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG), wobei unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG). Für den Bereich des Asylrechts hat das Bundesverfassungsgericht diese Verknüpfung von Verfolgungshandlung und Verfolgungsgrund dahingehend konkretisiert, dass es für eine politische Verfolgung ausreiche, wenn die Täter die Verfolgungsmaßnahme gegen den Ausländer als Instrument zur Verfolgung politisch missliebiger Dritter einsetzen, etwa als Druckmittel oder zur Informationserlangung, d.h. weil sie den Ausländer der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zurechnen, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. In diesem Fall geschieht die Verfolgung zugleich wegen der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe, etwa der Familie des Betroffenen (BVerfG, Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, juris Rnr. 5; BVerwG, Beschluss vom 27.04.2017 - 1 B 63.17, 1 PKH 23.17 -, juris; Nds. OVG, Urteil vom 27.6.2017 – 2 LB 91/17, BeckRS 2017, 118678, Rn. 28). Als Verfolgungen im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten dabei gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
Diesen rechtlichen Maßstab vorangeschickt, liegen im Falle der Kläger die Voraussetzungen einer politischen Verfolgung sowie der Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe vor (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4, Var. 5 AsylG). Das Gericht ist aufgrund der aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse sowie unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Erkenntnismittel zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger von der schiitischen Miliz Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH) mit Gewalt- und Willkürmaßnahmen bedroht ist, weil sich sein Vater als sunnitischer Stammesführer weigerte, für die Miliz Wahlkampfwerbung zu machen; ferner, weil der Kläger als Soldat der kurdischen Streitkräfte mit Mitgliedern ausländischer Truppen zusammenarbeitete.
Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel belegen den erheblichen Machtzuwachs schiitischer Milizen im Irak in den letzten vier Jahren. In Reaktion auf die Einnahme Mosuls durch die sunnitische Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) am 10. Juni 2014 hatte der damalige schiitische Premierminister Nouri al-Maliki Freiwillige dazu aufgefordert, gemeinsam mit der irakischen Armee gegen den IS zu kämpfen. Diesem Aufruf folgt am 13. Juni 2014 ein religiöses Edikt (Fatwa) des obersten irakischen schiitischen Geistlichen, Großayatollah Ali al-Husseini al-Sistani, der alle Männer im kampfesfähigen Alter zu den Waffen rief. Infolgedessen schlossen sich freiwillige Kämpfer bereits bestehenden oder neu gegründeten schiitischen Milizen an, die sich unter dem Dachverband der Volksmobilisierungseinheiten (Al-Haschd asch-Schaʿbī, Popular Mobilization Units (PMU) bzw. Popular Mobilization Forces (PMF)) zusammenfanden (Amnesty International (AI), Iraq: Turning a blind eye. The Arming of the Popular Mobilization Units, 2017, S. 8; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 24. August 2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23. November 2017), S. 35). Offizielle Statistiken betreffend die Anzahl der Milizen innerhalb der PMF existieren nicht. Medienberichte, die sich auf Schätzungen nicht näher spezifizierter Offizieller berufen, sprechen von 40 bis 50 Milizen. Das irakische Budget des Bundeshaushalts für das Jahr 2016 lässt nach Erkenntnissen von Amnesty International den Rückschluss darauf zu, dass sich zum damaligen Zeitpunkt 110.000 Personen in den PMF befanden; ein Sprecher der PMF nannte im Dezember 2016 eine Zahl von 141.000 affiliierten Kämpfern (AI, a.a.O., S. 9). Im Länderbericht Irak für das Jahr 2017 des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl wird eine Zahl von vierzig bis siebzig (fast ausschließlich schiitischen) Milizen genannt, die schätzungsweise zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen haben (BFA, a.a.O., S. 73):
Die PMF-Milizen stellen im Irak einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, die sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik wiederspiegeln und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beitragen (Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2017), 12. Februar 2018, S. 15). Hiermit korrespondierend suchen sie im Einklang mit den fortschreitenden militärischen Erfolgen im Kampf gegen den IS nach neuen Gründen, um ihren weiteren Einsatz auch über das Bestehen einer Fatwa hinaus zu rechtfertigen. Dies betrifft etwa den Schutz Bagdads sowie wichtiger schiitischer Stätten, ferner den Einsatz in den zwischen der Zentralregierung und der kurdischen Regionalregierung umstrittenen Gebieten im Nordirak. Der Umstand, dass sich die irakischen Streitkräfte auf die Sicherung des westlichen und nördlichen Irak konzentrieren, bietet den PMF-Milizen zudem die Möglichkeit, sich in den ölreichen südlichen Provinzen als lokale Warlords zu etablieren, insbesondere an florierenden Wirtschaftsstandorten wie Basra und Amara (Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Iraq: recruitment (including forced recruitment) of young men by Shia militias in Shia regions; consequences of refusal to be recruited [a-10168], 9. Juni 2017, S. 3). Insbesondere wehren sich die Milizen gegen Bestrebungen des irakischen Staates, sie in die irakischen Sicherheitsbehörden einzugliedern. Stattdessen wollen sie sich nach dem Vorbild der iranischen Revolutionsgarden im Staat als dritte Kraft neben der Polizei und der regulären Armee etablieren (Artikel von Heise Online vom 23. März 2016, „Schiitische Milizen drängen im Irak an die Macht“, S. 5 der Druckversion).
Die PMF- Milizen lassen sich in grob in vier inoffizielle Blöcke einteilen, wobei diese Unterteilung an ihre jeweils ähnlichen Ziele anknüpft, nicht hingegen an formelle Allianzen. Die nicht-schiitischen Milizen bilden den vierten Block und umfassen Sunniten, Yeziden, Christen und andere Minderheiten. Die ersten drei Gruppen bestehen demgegenüber aus schiitischen Milizen (ACCORD, Iraq: recruitment (including forced recruitment) of young men by Shia militias in Shia regions; consequences of refusal to be recruited [a-10168], 9. Juni 2017, S. 3). Auch diese sind innerhalb der PMF jedoch nicht als Einheit zu sehen, sondern als viele unterschiedliche und zum Teil rivalisierende Gruppierungen, alle mit ihren eigenen Zugehörigkeiten zu verschiedenen schiitischen Führern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 24. August 2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23. November 2017), S. 97). Den ersten und einflussreichsten Block bilden die pro-iranischen, d.h. vom iranischen Regime etablierten Milizen. Innerhalb dieser Gruppe handelt es sich bei der von Haidi al-Amiri geführten Badr-Organisation (Munathamat Badr, Badr Brigades bzw. Badr Organization) um die größte und am besten ausgestattete Vereinigung, welche ca. 20.000 Kämpfer umfasst. Andere hier zu verortende Milizen sind ‘Asa’ib Ahl al-Haqq (League of the Righteous bzw. Liga der rechtschaffenen Leute oder Chazali-Terrornetzwerk), Kata’ib Hizbullah (Hizbullah Brigades bzw. Hizbullah Brigaden), Saraya al-Khorasani und Harakat al-Nujaba. Hierbei handelt es sich um Gruppierungen, die jeweils der Doktrin des Obersten Religionsführers des Iran (Welāyat-e Faghīh) folgen und politische Ambitionen hegen. Der zweite Block setzt sich aus den Hashd al-Sistani zusammen, d.h. denjenigen Milizen, die im Lager des irakischen Großayatollah al-Sistani stehen (Liwa Ali al-Akbar, Furqat Imam Ali al-Qitaliyah, und Furqat al-Abbas al-Qitaliyah) und dem (früheren) Premierminister Abadi gegenüber loyal sind. Ihre Truppen sind zahlenmäßig schwächer als die pro-iranischen Gegenspieler und setzen sich aus ca. 20.000 Kämpfern zusammen. Ihre Anhänger sind überwiegend durch die Fatwa Sistanis motivierte Freiwillige ohne politischen Ambitionen., die jedoch auf die Unterstützung des irakischen Verteidigungsministeriums zurückgreifen können. Der dritte Block umfasst die Milizen, die den von Ammar al-Hakim geführten Islamic Supreme Council of Iraq (ISIC bzw. SIIC, Oberster Islamischer Rat des Irak (OIRI)) unterstützen, ferner die Anhänger des Predigers Muqtada al-Sadr. Hierbei handelt es sich um einflussreiche politische Fraktionen des Schiitentums mit komplex ausgestalteten Beziehungen zum Iran, welche sich zugleich in loser Gefolgschaft zur irakischen Zentralregierung befinden. Die Pro-Hakim-Milizen umfassen dabei die Gruppen Saraya Ansar al-Aqeeda, Liwa al-Muntathar und Saraya Ashura. Bei der wichtigsten dem Prediger Sadr loyalen Miliz handelt es sich um die Gruppe Saraya al-Salam (Peace Brigades bzw. Friedenskompanien/-brigaden/-schwadrone), ehemals bekannt als Mahdi-Armee (Jaish al-Mahdi (JAM)).
Bei der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Gruppierung Asa’ib Ahl al-Haqq (AAH) handelt es sich um eine schiitische Miliz, die im Juli 2006 als Splittergruppe der Mahdi-Armee gegründet wurde. Al-Khzahali, ein ehemaliger Kommandeur der von Muqtada al-Sadr befehligten Mahdi-Armee, wurde von der Iranischen Revolutionsgarde (Iran Revolutionary Guard Corps (IRGC)) im Jahr 2006 rekrutiert und damit beauftragt, eine neue Miliz im Irak zu etablieren, die als Stellvertreter des Iran die iranische Agenda sowie dessen Interessen im Irak vertreten sollte. Im Gegenzug erhält AAH massive finanzielle und logistische Unterstützung aus dem Iran sowie eine militärische Ausbildung von Mitgliedern der iranischen Revolutionsgarde, u.a. in Trainingscamps im Iran und im Libanon. (Stanford University, Mapping Militant Organizations: Asa'ib Ahl al-Haq, 24. März 2017, S. 1, 4 der Druckversion). AAH propagiert die Ideale der Iranischen Revolution nach den Vorstellungen der Theokratie Ayatollah Khomeinis, insbesondere die Welāyat-e Faghīh, d.h. die Einführung eines politischen Islam, in dem ein Faqīh, ein juristischer Experte im islamischen Recht, die Vormundschaft über die Gemeinschaft der Gläubigen ausübt. Unter der spirituellen und politischen Lenkung des gegenwärtigen iranischen Großayatollahs, Ayatollah Khameini, versucht AAH eine schiitische Regierung im Irak zu errichten und das Recht der Sharia im gesamten Irak zu etablieren. Obgleich es sich bei Qais al-Khazali formal um den Anführer von AAH handelt, wird die Gruppierung von Qasem Soleimani beaufsichtigt, dem Kommandeur der iranischen al-Quds-Einheiten bzw. Qods-Brigaden, einer Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden für exterritoriale Operationen. Ihm wird die Letztverantwortung in Bezug auf die Ziele, Angriffe und Gesamtstrategie von AAH zugeschrieben. AAH operiert schwerpunktmäßig im (Süd-)Irak und besitzt ein Hauptquartier in Bagdad, wo die Gruppe zwei politische Büros unterhält. Zudem befinden sich zahlreiche Büros der Gruppe im Rest des Irak, darunter in Basra, Hillah und Najaf (Stanford University, a.a.O., S. 4 f.). Mittlerweile expandiert die Organisation jedoch in den gesamten Irak und hat ein lokales, aber auf nationaler Ebene verbundenes Netzwerk geschaffen, indem sie erfolgreich Beziehungen zu verschiedenen ethnischen und sozialen Gruppen etablierte, beispielsweise durch Entsendung politischer Delegationen zu Treffen mit Anführen von Stämmen und Minderheiten in den Provinzen Dhi Qar, Muthanna und Maysan (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq [a-10041], 20. Februar 2017, S. 1 der Druckversion). Die Mitgliederzahl der Miliz wurde im Februar 2014 auf 1.000 bis 5.000 bewaffnete Militante geschätzt (ACCORD, a.a.O., S. 1), mittlerweile gilt sie mit 7.000 bis 10.0000 Mitgliedern als eine der einflussreichsten schiitischen Milizen des Irak (Counter Extremism Project, Report: Asaib Ahl al-Haq, Juli 2018, S. 1).
Nachdem AAH zunächst im Jahr 2006 im Libanonkrieg gemeinsam mit der Hizbollah gegen Israel gekämpft hatte, verlegte sie sich in den Jahren 2006 bis 2011 auf Angriffe gegen die US-Streitkräfte im Irak und übernahm für über 6.000 Angriffe auf US-Soldaten die Verantwortung. Nach dem Abzug der amerikanischen Truppen im Jahr 2011 verschob die Miliz ihre Aktivitäten vom Guerillakrieg auf das Feld der Politik, ohne jedoch ihr umfangreiches Waffenarsenal preiszugeben. Auf politischer Ebene verlagerte AAH das Image der Gruppierung von einer anti-westlichen Miliz hin zu einer irakisch-nationalistischen Partei mit dem Ziel, einen schiitisch-dominierten Staat zu etablieren, den iranischen Einfluss im Irak zu mehren und soziale Dienstleistungen für die schiitische Bevölkerung bereitzustellen. Im Jahr 2011 errichtete AAH überdies eine politische Zweigstelle im Libanon und trat auf Weisung des Iran als Konfliktpartei in den syrischen Bürgerkrieg ein, um das Assad-Regime im Kampf gegen den IS zu unterstützen (Stanford University, a.a.O., S. 2, 5). Obgleich die Gruppierung die US-Streitkräfte während der Besatzungszeit massiv bekämpft hatte, kämpfen Mitglieder von AAH mittlerweile gemeinsam mit US-Streitkräften im Irak gegen den IS. Im Jahr 2015 teilte ein Sprecher der Miliz mit, die Gruppe sei bereit, die Luftschläge sowie die Präsenz von US-Truppen im Irak zu akzeptieren, bleibe jedoch misstrauisch gegenüber den langfristigen Zielen der US-Regierung. Im März 2016 veröffentlichte AAH auf ihrem Fernsehsender Al-Ahd eine Erklärung, sie würde die US-Truppen als feindliche Besatzer ansehen, sofern diese nicht unverzüglich aus dem Irak abzögen (Stanford University, a.a.O., S. 3; Artikel von Heise Online vom 23. März 2016, „Schiitische Milizen drängen im Irak an die Macht“, S. 4 der Druckversion).
Nach ihrem Eintritt in die Politik erwarb sich AAH zudem schnell den Ruf, der militante militärische Arm der politischen Fraktion des (ehemaligen) schiitischen Premierministers Nouri al-Maliki zu sein und sektiererische Gewalt auszuüben. So wurde die Gruppe in zahlreichen Berichten beschuldigt, in der Zeit von Ende 2013 bis in das Jahr 2014 im Zentralirak sowie im Süden des Landes Mitglieder sunnitischer Stämme, die zu den politischen Gegnern Malikis zählten, exekutiert oder widerrechtlich verhaftet und in geheimen Gefängnissen eingesperrt zu haben, um Maliki eine schiitische Mehrheit in diesen Provinzen zu sichern. Zudem wird die Gruppe im Zeitraum von März bis Juli 2014 für die Tötung von 109 sunnitischen Männern in Bagdad bzw. den Randbezirken der Stadt verantwortlich gemacht (Stanford University, a.a.O., S. 2, 5 f. m.w.N.). AAH werden darüber hinaus in zahlreichen Berichten weitere massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber Sunniten zur Last gelegt, welche die Gruppierung im Zentralirak und im Süden des Landes in Kooperation mit den regulären Sicherheitskräften der irakischen Armee bzw. unter ihrer Duldung verübt haben soll. Diese reichen über gewaltsame Vergeltungsmaßnahmen gegenüber der sunnitischen Zivilbevölkerung nach Anschlägen des IS, Massenhinrichtungen, willkürliche Massenverhaftungen und Inhaftierungen von Sunniten und mutmaßlichen IS-Unterstützern in geheimen Haftanstalten nach Rückeroberung der vom IS besetzten Gebiete, Zerstörung sunnitischer Dörfer und Vertreibung der Bevölkerung, Einschüchterung von Wählern, Bedrohung von Journalisten sowie schließlich Fälle von Verschwindenlassen, Entführungen, Folter und Tötungen, die vornehmlich auf sunnitische Männer und Jungen abzielen (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen MuslimInnen [a-10480-2 (10481)], Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq [a-10041], 20. Februar 2017; Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Aktivitäten der Milizen der Asaib Ahl al-Haqq (AAH) seit 2013 bis heute; Übergriffe auf die Zivilbevölkerung [a-10409], 30. November 2017). Dabei sind auch Fälle dokumentiert, in denen AAH nach der rechtswidrigen Tötung männlicher Sunniten Bekennerschreiben am Tatort zurückließ (ACCORD, Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq [a-10041], 20. Februar 2017, S. 6 der Druckversion).
Nachdem AAH in der irakischen Parlamentswahl 2014 lediglich ein Mandat erringen konnte, erzielte die Gruppierung in der Parlamentswahl im Mai 2018 über die Liste der al-Fatih-Koalition 13 von 47 Koalitionssitzen, vorbehaltlich der Ergebnisse einer gegenwärtig erfolgenden manuellen Stimmennachzählung in zahlreichen Wahlbezirken des Irak (Counter Extremism Project, Report: Asaib Ahl al-Haq, Juli 2018, S. 2). Die vom irakischen Vizepräsidenten angeführte al-Wataniya-Koalition beschuldigte AAH Ende Mai 2018 des Wahlbetruges unter Mitwirkung einer „ausländischen Macht“, der gewaltsamen Einschüchterung von Wählern sowie der Bedrohung von Mitgliedern der Independent High Electoral Commission (IHEC) mit dem Ziel, das Wahlergebnis entgegen zahlreicher Beschwerden zu bestätigen (Artikel von Kurdistan24, vom 27. Mai 2018, „Iraqi VP’s Coalition claims ‚foreign country‘ supported Asaib Ahl al-Haq’s electoral fraud).
Des Weiteren belegen die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel, dass AAH auch in den sogenannten umstrittenen Gebieten erhebliche politische und militärische Aktivitäten entfaltet. Hierbei handelt es sich um ursprünglich mehrheitlich von Kurden bewohnte Gebiete im Nordirak, die unter der Herrschaft der Ba’ath-Partei durch eine gezielte Umsiedlungspolitik zwangsarabisiert wurden (Artikel des NGO Coordination Committee for Iraq, Diyala Governorate Profile, Stand: Januar 2016, S. 3). Sämtliche der umstrittenen Gebiete liegen südlich der im Jahr 1991 etablierten „Grünen Linie“, welche die von der irakischen Zentralregierung kontrollierten Gebieten von denjenigen der kurdischen Regionalregierung abgrenzten (Artikel des Washington Institute for Near East Policy vom 31. Mai 2017, „Preventing Allies from Fighting Each Other in Iraq’s Disputed Areas“, S. 1 f.). Hiervon betroffen sind Teile der Provinzen Ninawa, Kirkuk, Salah ad Din und Diyala. Die neue irakische Verfassung, die 2005 durch ein Referendum von ca. 80 Prozent der Wähler gutgeheißen wurde, hielt diesbezüglich in Artikel 140 fest, dass die Regierung in Bagdad vor dem 31. Dezember 2007 in den umstrittenen Gebieten ein Referendum organisieren werde, damit die betroffenen Wähler frei entscheiden könnten, ob sie der Angliederung an die Region Kurdistan zustimmten oder nicht. Dieser Verpflichtung kam die irakische Zentralregierung jedoch nicht nach, was zu einer erheblichen Instabilität der politischen Lage führte (Artikel auf www.institutekurde.org vom 16. September 2017, „Die betrogene Nation“, S. 1). Um die Verteilungsdispute zwischen der arabischen und kurdischen Bevölkerung einzudämmen, fungierte die von den USA angeführte Militärkoalition in der Zeit von 2003 bis zum Truppenabzug im Jahr 2011 in den umstrittenen Gebieten inoffiziell als Friedenssicherungstruppe und etablierte den „Combined Security Mechanism“ (CSM), der unter anderem gemeinsame Sicherheitspatrouillen des zentralirakischen Militärs, der Peshmerga und der US-Truppen vorsah. Nach dem Wegfall dieses Abkommens mit dem Abzug der US-Truppen entstand aufgrund des gegenseitigen Misstrauens der beiden Militärkräfte demgegenüber ein erhebliches Sicherheitsvakuum in den umstrittenen Gebieten, das in den Folgejahren umgehend von der sunnitischen Terrororganisation Al-Qaida im Irak und der Nachfolgeorganisation IS gefüllt wurde (Artikel des Washington Institute for Near East Policy vom 31. Mai 2017, S. 1 f.). Nachdem der IS im Sommer 2014 große Teile des Nord- und Westirak einnahm, und seine Truppen schließlich bis an die Grenze der kurdischen Autonomieregion gelangten, gingen die kurdischen Streitkräfte (Peshmerga) zur Gegenoffensive über, eroberten weite Teile der umstrittenen Gebiete zurück und stellten sie unter kurdische (Militär-)Verwaltung. Andere Teile der umstrittenen Gebiete wurden von PMF-Milizen besetzt (Infographic: Control Over Iraq’s Disputed Territories, 26. Oktober 2017, S. 2 der Druckversion). Die Provinz Diyala wurde im Januar 2015 nach mehreren Monaten heftiger Kämpfe von den regulären irakischen Sicherheitskräften und PMF-Milizen vom IS zurückerobert. Hierbei wurden ihnen gegenüber zahlreiche Anschuldigungen erhoben, insbesondere der Vorwurf rechtswidriger Verhaftungen, Entführungen und Tötungen von sunnitischen Einwohnern und Rückkehrern als mutmaßliche IS-Kollaborateure (Artikel des NGO Coordination Committee for Iraq, Diyala Governorate Profile, Stand: Januar 2016, S. 4). Am 25. September 2017 hielt der Präsident der kurdischen Regionalregierung trotz des Verbotes durch das Oberste Gericht des Irak ein zahlenmäßig erfolgreiches Unabhängigkeitsreferendum auf dem Gebiet der kurdischen Autonomieregion sowie den kontrollierten Gebieten der umstrittenen Gebiete ab. Anfang Oktober 2017 drohte Qais al-Khazali, der sich in der Vergangenheit bereits gegen die kurdische Autonomieregion positioniert hatte, der kurdischen Regionalregierung im Namen von AAH mit der Eroberung Kurdistans, sollte diese die umstrittenen Gebiete nicht räumen (Artikel der Baghdad Post vom 8. Oktober 2017, „Video: Asa’ib Ahl Haq leader Khazali threatens to invade Kurdistan, S. 1; Artikel der basnews vom 14. Dezember 2016, Kurdistan Region Presidency Warns Asaib Ahl al-Haqq Leader). Ende Oktober 2017 nahmen sodann (zentral-)irakische Truppen unter Beteiligung von PMF-Milizen die umstrittenen Gebiete gewaltsam ein. Dabei wurden sie auf diplomatischem Wege vom Anführer der Iranischen Revolutionsgarden Qassem Soleimani unterstützt, auf militärischem Wege von der ihm mittelbar unterstehenden Miliz AAH, die nach der Rückeroberung zahlreiche kurdische Militäreinrichtungen übernahm (Artikel der BBC vom 18. Oktober 2017, „Iraq takes disputed areas as Kurds ‘withdraw to 2014 lines‘, S. 2 der Druckversion; Artikel des New Yorker vom 16. Oktober 2017, „Kurdish dreams of independence delayed again“, S. 2; Artikel der Arab News vom 24. Oktober 2017, „Kurdistan Regional Government issues arrest warrants for Iraqi lawmakers, commanders, S. 1 f.).
Schließlich belegen die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel, dass Personen im Irak im Einzelfall wegen einer (zurückliegenden) Zusammenarbeit mit ausländischen Streitkräften verfolgt werden können, sei es wegen des Wohnsitzes innerhalb eines vom IS kontrollierten Gebiets, sei es infolge des Umstandes, dass eine schiitische Miliz ihr Augenmerk auf den Betroffenen gerichtet hat.
Eine Auskunft des britischen Innenministeriums aus Januar 2018 betreffend die Lage von (mutmaßlichen) Kollaborateuren der Koalitionsstreitkräfte im Irak (UK Home Office, Country Policy and Information Note. Iraq: Perceived collaborators, Version 1.0, Januar 2018, S. 5, Rn. 2.2.5 f.) hebt in diesem Zusammenhang hervor, Personen, die für Koalitionsstreitkräfte oder ausländische Sicherheitsunternehmen gearbeitet hätten, seien höchstwahrscheinlich in den vom IS kontrollierten Gebieten außerhalb Bagdads einem Risiko ausgesetzt wären, Opfer gewaltsamer Übergriffe zu werden. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete gebe es für diese Personengruppe zum gegenwärtigen Zeitpunkt zumindest kein generelles Risiko. Soweit es Hinweise auf die flächendeckende Verfolgung ehemaliger irakischer Mitarbeiter der Koalitionsstreitkräfte im militärischen Sektor gebe, bezögen sich diese insgesamt auf Ereignisse in dem Zeitraum zwischen 2003 und 2011. Innerhalb Bagdads sei das Risiko, Opfer von Übergriffen des IS zu werden, für Personen mit einem militärischen Hintergrund gegenüber den Gefahren für sonstige Einwohner allerdings leicht erhöht. (Home Office, a.a.O., Rn. 2.2.6).
Das britische Innenministerium hebt im vorgenannten Bericht des Weiteren hervor, vor dem Abzug der US-Truppen im Dezember 2011 hätten irakische Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte einer erheblichen Gefahr unterlegen, von schiitischen Milizen verfolgt zu werden, insbesondere in der besonders gewaltsamen Periode zwischen 2005 und 2008, zum Teil auch im Jahr 2012. Hintergrund der damaligen Attacken sei gewesen, dass diese Milizen den Irak von feindlichen Besatzungskräften hätten befreien wollen, was jedoch im Dezember 2011 erreicht worden sei. In der gegenwärtigen Situation seien die Milizen darauf konzentriert, ebenso wie die ausländischen Truppen den IS zu bekämpfen. Was diese Gruppen ggf. wieder dazu bringen könnte, ausländische Mächte und ihre lokalen Partner zu attackieren, wäre die Rückkehr ausländischer Bodenstreitkräfte in den Irak, was bisher jedoch nicht der Fall sei, da sich ausländische Staaten, im Kampf gegen den IS auf den limitierten Einsatz von Streitkräften im Irak beschränkt hätten, insbesondere die Ausbildung irakischer Einheiten sowie den Einsatz der Luftwaffe gegen IS-Ziele (UK Home Office, a.a.O., S. 10 f., Rn. 4.2.2 f.). Nach Erkenntnissen der Zeitschrift Business Insider Deutschland sollen zudem gemäß einer im Februar 2018 mit der irakischen Zentralregierung getroffenen Übereinkunft 60 Prozent der gegenwärtig im Irak stationierten amerikanischen Truppen abgezogen werden, womit noch ca. 4.000 Truppenangehörige zu Ausbildungszwecken zurückblieben (The Business Insider Deutschland, Artikel vom 15. Februar 2018, „With ISIS in Iraq defeated, the US military is beginning to draw down from Baghdad, S. 1 f. der Druckversion). Zahlreichen Berichten zufolge erhalten Iraker, die mit dem amerikanischen Militär zusammengearbeitet haben, in Einzelfällen jedoch weiterhin Todesdrohungen von sunnitischen wie schiitischen Extremisten (McClatchy Newspapers, Artikel vom 14. März 2013, aktualisiert am 17. Juni 2015, „U.S. pledge to help Iraqis who aided occupation largely unfulfilled“, S. 2 der Druckversion; ebenso: Foreign Policy, Artikel vom 6. Februar 2017, „For Iraqi Military Interpreters, trump Tra-vel Ban Chaos Is ‘Life and Death‘“, S. 3 der Druckversion; siehe ferner: Global Post, Artikel vom 31. Januar 2017, „Iraqi Translators who served the US military are desperate for an exemption to Trump’s travel ban“, S. 4 der Druckversion). Nach Angaben örtlicher Quellen ist es in diesem Fall nicht möglich, sich hilfesuchend an die Polizei zu wenden, da die meisten ihrer Angehörigen für die Milizen arbeiten würden (The Daily Caller, Artikel vom 20. April 2016, „Left Behind: Iraqi Interpreter Faces Death Threats For Helping US Troops, S. 2 der Druckversion).
Diese Erkenntnisse zur Bedrohung von politischen Gegnern und Mitarbeitern ausländischer Streitkräfte durch die schiitische Miliz AAH finden ihre sachliche Entsprechung in der persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung. Das Gericht ist aufgrund der glaubhaften und substantiierten Schilderungen des Klägers zu der Überzeugung gelangt, dass dieser im Falle seiner Rückkehr in den Irak Gefahr liefe, aufgrund seiner von den Zielen von AAH abweichenden politischen Auffassung sowie wegen seiner ehemaligen Zusammenarbeit mit ausländischen Streitkräften verfolgt zu werden. Dabei war die Gruppe auf den Kläger aufmerksam geworden, weil sein Vater als einflussreicher Stammesführer die Zusammenarbeit mit der Miliz bei der irakischen Parlamentswahl im Jahr 2014 verweigert hatte.
Die diesbezügliche Schilderung des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung enthielt hinreichende Realkennzeichen, welche nach den Grundsätzen der psychologischen Aussageanalyse für die Wiedergabe eines erlebten Geschehens sprechen. Er schilderte das Geschehen insbesondere im Kerngeschehen logisch konsistent, mit einem erheblichen quantitativen Detailreichtum nebst Nennung ungewöhnlicher Details, im Zuge einer unstrukturierten Erzählweise nebst spontaner Ergänzungen bzw. Verbesserungen, unter Beschreibung deliktsspezifischer Merkmale sowie unter Angabe räumlich-zeitlicher Verknüpfungen nebst Schilderung der Motivations- und Gefühlslage der Beteiligten. Diesbezüglich wird im Einzelnen auf den Inhalt der ausführlichen Sitzungsniederschrift verwiesen. Zudem erwies sich die Schilderung im Kerngeschehen als inhaltlich konstant mit der vorangegangenen Aussage gegenüber dem Bundesamt. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf einzelne Punkte abweichende Angaben gegenüber den Feststellungen im Anhörungsprotokoll traf, konnte er hierfür plausible Gründe dartun.
Der Kläger hat insbesondere substantiiert geschildert, wie er im Februar 2014 in seiner Stellung als Offizier der kurdischen Streitkräfte in Erbil an einer einwöchigen Qualifizierung bzw. Umschulung durch Angehörige ausländischer Truppen teilgenommen habe, um sodann das Wissen über die dort behandelnden Waffen (u.a. Panzerfaust und Bunkerfaust) an seine Einheit weiterzugeben. Die Gruppe habe aus ca. zehn Teilnehmern bestanden, ferner zwei deutschen Militärangehörigen und einem Dolmetscher. Des Weiteren hat er detailliert und unter plastischer Wiedergabe einprägsamer Gesprächselemente geschildert, wie Milizionäre von AAH zu einem späteren Zeitpunkt seine Familie aufsuchten und seinen Vater aufforderten, für sie Wahlwerbung zu machen. Ebenso hat der Kläger in eindrücklicher Weise den mühsam unterdrückten Ärger der Milizionäre wiedergegeben, nachdem sein Vater ihre Aufforderung deutlich ablehnte, für sie im Wahlkampf Partei zu ergreifen, ferner, wie er noch am selben Abend mit seinem Vater erfolglos die Polizei aufsuchte. Er hat dabei auch überzeugend dargelegt, dass die Gruppierung nicht – wie im Anhörungsprotokoll des Bundesamts vermerkt – Anfang Juli 2015 zu ihm nachhause gekommen sei, sondern im April 2014. Dabei kann offenbleiben, ob, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausführte, die lediglich arabisch sprechende Dolmetscherin beim Bundesamt ihn in diesem Punkt als kurdischen Muttersprachler falsch verstanden hatte, oder ob er zunächst beim Bundesamt den Vorfall aus taktischen Erwägungen zeitlich um ca. ein Jahr nach hinten verlegte, um einen engeren zeitlichen Zusammenhang zum Verschwinden seines Vaters zu konstruieren. Es steht jedenfalls zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass sich der Besuch der Milizionäre tatsächlich im April 2014 ereignete. Der Kläger hat nachvollziehbar geschildert, dass sich die Forderung der Mitglieder von AAH gerade auf die bevorstehenden Parlamentswahlen 2014 bezogen habe, wohingegen es in den umstrittenen Gebieten aufgrund ihres besonderen Status überhaupt keine regionalen Wahlen gebe, die stattdessen im Jahr 2015 hätten abgehalten werden können. Schließlich hat der Kläger plausibel darlegen können, dass die Milizionäre – abweichend von den Feststellungen im Anhörungsprotokoll des Bundesamts – an diesem Tag lediglich seinen Vater umworben hätten, nicht aber ihn selbst. Bei ihnen, so der Kläger, sei es nämlich eine Frage des Respekts, dass bei derartigen Treffen nur mit dem Älteren geredet werde. Es sei völlig unmöglich, dass er, nur einmal hypothetisch angenommen, bei dieser Gelegenheit aufgestanden wäre und gesagt hätte: „Mein Vater irrt sich, wir werden sie unterstützen!“ Die Miliz, so der Kläger in seinen substantiierten Ausführungen, habe ihn vielmehr einige Tage später auf Umwegen kontaktiert. An dem betreffenden Tag habe ihm ein befreundeter Offizier mitgeteilt, er habe von Dritten erfahren, dass AAH die Unterstützung des Klägers wolle. Sein Vater habe eine Zusammenarbeit abgelehnt, deswegen solle er sie unterstützen, indem er seine Tätigkeit bei den kurdischen Streitkräften beende und sich dem militärischen Bereich von AAH anschließe, der in seiner Heimatstadt auch einen Stützpunkt habe. Sein Freund habe ihn dann gefragt, ob sie bereits mit ihm gesprochen hätten und habe ihm auf sein Verneinen hin eingeschärft, er solle sehr vorsichtig sein, weil sie dies bestimmt noch tun würden. Von diesem Vorfall habe er, der Kläger, seinem Vater sogleich erzählt. Außerdem habe er mit seinen direkten Vorgesetzen gesprochen, der es dem nächsthöheren Offizier weitergeleitet habe. Später habe er dann von seinen direkten Vorgesetzen lediglich die Antwort erhalten, er solle sich an die Polizei wenden. In der Folgezeit sei die Familie noch vorsichtiger geworden und hätte sich nicht mehr frei bewegt, zumal AAH die Parlamentswahlen 2014 verloren habe und sodann damit begonnen habe, an ihren Gegnern Rache zu üben. Er selbst sei nur noch heimlich zur Arbeit gegangen. Sein Vater und er hätten seine Geschwister abwechselnd in die Schule gebracht; beim Spielen seien sie beaufsichtigt worden. Schließlich vermochte der Kläger auch den Tag, als sein Vater im Juli 2015 unvermittelt verschwand, anschaulich zu schildern. Dabei hat er insbesondere dargelegt, dass aus seiner Sicht in Anbetracht des Vorfalls aus 2014 allein AAH als Verantwortliche in Betracht komme, weil seine Familie seit 1952, dem Geburtsjahr seines Vaters, in seiner Heimatstadt gelebt habe, ohne jemals ernsthaften Problemen ausgesetzt gewesen zu sein. Nach dem Vorfall seien auch Stammesangehörige zu ihm nachhause gekommen und hätten gefragt, ob sie Geld zahlen sollen, damit der Vater freigelassen werde. Er habe ihnen jedoch gesagt, er könne nichts ausrichten, weil die Miliz nicht einmal zugebe, dass sein Vater in ihrer Gewalt sei. Er, seine Mutter und seine beiden jüngeren Geschwister seien dann umgehend ausgereist und hätten ihr Haus mitsamt Möbeln zurückgelassen. Anfang des Jahres 2018 habe er sodann telefonisch von einem Nachbarn erfahren, dass sein Vater sich im Gefängnis befinde. Er wisse jedoch nicht, ob dies auch tatsächlich stimme, denn sein Nachbar habe ihm nichts Näheres sagen können.
Auf Basis dieser tatsächlichen Feststellungen droht dem Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Irak Verfolgung durch Angehörige der Miliz AAH in Gestalt von Gewalthandlungen oder unberechtigter Inhaftierung (§ 3a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 HS 1, Abs. 3 AsylG). Den Anknüpfungspunkt der drohenden Verfolgung bildet dabei zum einen der Umstand, dass er in einer Angelegenheit, welche die Politik von AAH betrifft, eine abweichende Meinung vertritt (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG), weil er die Zusammenarbeit mit der Gruppe ablehnt(e). Insbesondere besteht die beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass AAH gegen den Kläger vorginge, um Druck auf seinen Vater auszuüben, nunmehr doch mit der Gruppierung zusammenzuarbeiten. Zum anderen droht ihm Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer besonderen sozialen Gruppe nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, da ein ehemaliges bzw. bereits bestehendes berufliches Verhältnis zu ausländischen Streitkräften einen nicht mehr veränderbaren Hintergrund darstellt und die irakische Gesellschaft (ehemalige) Mitarbeiter ausländischer Streitkräfte als gesellschaftlichen Fremdkörper bzw. – so im Falle von AAH – als Kollaborateure betrachtet.
Die dem Kläger drohende Verfolgung ist auch flüchtlingsrechtlich beachtlich im Sinne des § 3c AsylG. Hiernach kann die Verfolgung ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Partei-en oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat oder die in Nummer 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Bei AAH handelt es sich um eine staatliche Organisation im Sinne des § 3c Nr. 1 AsylG. Zum Staat im Sinne dieser Vorschrift rechnen alle seine Organe im weiteren Sinne (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Auflage 2018, § 3c AsylG, Rn. 4). Für die Zurechnung zur staatlichen Sphäre ist es dabei ausreichend, dass sich der Staat der betreffenden Personen oder Gruppierung zur Herrschaftsausübung bedient (Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: November 2017, § 3c AsylG, Rn. 2). Eine asylrechtlich relevante Verantwortlichkeit des Staates für Verfolgungsmaßnahmen (privater) Dritter ist ferner nicht nur in dem Fall anzunehmen, in dem diese Verfolgungsmaßnahmen auf Anregung des Staates zurückgehen oder doch dessen Unterstützung oder einvernehmliche Duldung genießen, wie z. B. bei faktischer Einheit von Staat, Staatspartei oder Staatsreligion. Übergriffe sind vielmehr auch dann einem Staat zurechenbar, wenn der an sich schutzwillige Staat zur Verhinderung von Verfolgungsmaßnahmen prinzipiell und auf gewisse Dauer außerstande ist, weil er das Gesetz des Handelns an andere Kräfte verloren hat und seine staatlichen Sicherheits- und Ordnungsvorstellungen nicht mehr durchzusetzen vermag (Bergmann, a.a.O., Rn. 4; BVerwG, Urteil vom 22. 04.1986 – 9 C 318/85 -, NVwZ 1986, S. 928 f. [BVerwG 22.04.1986 - BVerwG 9 C 318.85 u.a.], LS 3). So liegt es hier. Der irakische Staat bedient sich AAH zur Herrschaftsausübung, weil er sie unter dem Dachverband der PMF in die offizielle Struktur der irakischen Sicherheitskräfte eingegliedert hat und sie überdies finanziell sowie mit Waffen unterstützt (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 24. August 2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23. November 2017), S. 70).
AAH ist wie die übrigen PMF-Milizen mittlerweile eng mit dem irakischen Staat verknüpft. Amnesty International weist darauf hin, dass Angehörige der PMF-Milizen Militäruniformen tragen, zum Teil unabhängig von, zum Teil auch gemeinsam mit den regulären Regierungstruppen im Gefecht und an Checkpoints agieren und zudem die Stützpunkte und Haftzentren der regulären Truppen nutzen (AI, Absolute Impunity. Militia Rule in Iraq, 2014, S. 17 f.). Auch das Auswärtige Amt erklärt in seinem Lagebericht zum Irak aus Februar 2017, durch die staatliche Akzeptanz, teilweise Führung und Bezahlung der Milizen der PMF verschwimme die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 07.02.2017, S. 15).
Sämtliche der PMF zugeordneten Milizen genossen seit der Gründung des Dachverbandes starke Unterstützung durch die irakische Regierung. Am 19. Juni 2014 erließ der damalige irakische Premierminister Nouri al-Maliki eine Anweisung, PMF-Freiwilligen ein staatliches Gehalt zu zahlen und sie im Falle ihrer Verwundung oder ihres Todes den Angehörigen des Innen- und Verteidigungsministeriums gleichzustellen. Am 30. September 2014 verfügte darüber hinaus der irakische Ministerrat, die PMF-Milizen mit Waffen und anderem militärischen Equipment auszustatten. Im November 2014 wies der Generalsekretär des Kabinetts dem Verteidigungsministerium Haushaltsmittel für die Gehälter der PMF-Kämpfer zu. Das Budget des zentralirakischen Haushalts stellte den PMF im Jahr 2016 nahezu 1,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung und räumte dem Finanzministerium die Berechtigung ein, weitere 2 Milliarden US-Dollar zum Zwecke der Waffenbeschaffung und des Anlagenbaus an das Ministerium der Verteidigung, des Inneren und die PMF zu überweisen. Zudem gründete der Ministerrat im Jahr 2014 die Volksmobilisierungskommission (Popular Mobilization Commission (PMC)), die für die Verwaltung der PMF zuständig ist (AI, Iraq: Turning a blind eye. The arming of the Popular Mobilization Units, S. 9). Im Februar 2016 erließ der irakische Premierminister des Weiteren eine Verfügung, welche den PMF den Status einer „unabhängigen militärischen Formation, Teil der irakischen Streitkräfte und angekoppelt an den obersten Befehlshaber der Streitkräfte“, verlieh. Zudem spezifizierte die Verfügung, dass die PMF der Militärgesetzgebung unterliegen und verlieh ihnen eine ähnliche Organisationsstruktur wie die Iraqi Counter Terrorism Force, welche sowohl vom Verteidigungs- als auch vom Innenministerium unabhängig ist. Diese Verfügung setzte das irakische Parlament am 26. November 2016 vollumfänglich in ein Gesetz betreffend die Volksmobilisierungseinheiten um, welches am 26. Dezember 2016 in Kraft trat. Zusätzlich sah das Gesetz vor, dass der Einsatz der PMF-Milizen an spezifischen Orten der Autorität des Oberbefehlshabers der Streitkräfte unterliegt und das Parlament der Ernennung von Führungsoffizieren der PMF oberhalb eines bestimmten Ranges zustimmen muss (AI, a.a.O., S. 14).
Darüber hinaus nimmt der irakische Staat das (kriminelle) Handeln von Mitgliedern der AAH tatenlos zur Kenntnis. Die tatsächliche Möglichkeit des irakischen Staates, über Befehle und Weisungen auf die PMF Einfluss zu nehmen, beschreibt das österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem den Irak betreffenden Länderbericht für das Jahr 2017 dabei wie folgt (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Irak, 24. August 2017 (letzte Kurzinformation eingefügt am 23. November 2017), S. 78):
„Obwohl das Milizenbündnis unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die Volksmobilisierung dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Ministerpräsidenten als Oberkommandierendem unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. […] Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert […].“
An anderer Stelle heißt es zu den Einflussmöglichkeiten des irakischen Staates auf die PMF in noch deutlicheren Worten (BFA, a.a.O., S. 35, 108):
„Diese Integration der schiitischen Milizen in die Regierungskräfte, die von vielen sunnitischen Politikern bekämpft wurde (HRW 16.2.2017), ist mehr formeller Natur, um den äußeren Schein zu wahren. In der Realität gibt es im Irak keine offizielle Instanz (auch nicht die Regierung), die die Fähigkeit hat, die Milizen zu kontrollieren (Hiltermann 26.4.2017). Die Eingliederung der Milizen in die irakische Sicherheitsstruktur sichert ihnen einerseits eine Finanzierung durch den Irak, während die [effektive] Kontrolle über einige der mächtigsten Einheiten weiterhin dem Iran obliegt.“
„Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession. Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).“
Auch Amnesty International hebt hervor, dass Angehörige der PMF-Milizen nicht der Befehlsgewalt der regulären Truppen unterstellt sind. Die Milizen schienen vielmehr über größere Autorität und Schlagkraft vor Ort zu verfügen als die mitgenommenen Regierungstruppen, die als schwach und ineffektiv gälten (AI, Absolute Impunity. Militia Rule in Iraq, 2014, S. 17 f.). Nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ist zudem die irakische Polizei nicht in der Lage, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen seien hierfür die Hauptursachen (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2016), 07.02.2017, S. 9; BFA, a.a.O., S. 70). Nach Angaben örtlicher Vertrauenspersonen ist es vor allem in dicht besiedelten Gebieten wie Bagdad besonders schwierig, zufriedenstellende Polizeiarbeit zu leisten (Landin-fo/Migrationsverket – Joint Norwegian-Swedish Fact Finding Mission to Iraq, Iraq: Rule of Law in the Security and Legal system, November 2013, S. 23). Mutmaßliche Rechtsverletzungen schiitischer Milizen vermag die Polizei nicht zu ahnden. Führungs-kräfte der Polizei sind in Bagdad überdies gezwungen, mit den führenden Vertretern der Milizen, die in ihrem Stadtteil operieren, zu kooperieren, gesetzt den Fall, die Viertel be-finden sich überhaupt unter Polizeikontrolle. Diese Befunden gelten auch für die Aktivi-täten von AAH (siehe im Einzelnen: ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivi-täten der Asa'ib Ahl al-Haqq, insbesondere Verhalten gegenüber sunnitischen Musli-mInnen [a-10480-2 (10481)], Anfragebeantwortung zum Irak: Aktivitäten von Asa'ib Ahl al-Haqq [a-10041], 20. Februar 2017; Anfragebeantwortung zum Irak: Bagdad: Aktivitä-ten der Milizen der Asaib Ahl al-Haqq (AAH) seit 2013 bis heute; Übergriffe auf die Zi-vilbevölkerung [a-10409], 30. November 2017; jeweils m.w.N.).
Ausgehend von ihrer zahlenmäßigen Größe und ihrem Wirkungsgrad im Südirak han-delt es sich bei AAH selbst bei einer abweichenden Betrachtungsweise zu § 3c Nr. 1 AsylG jedenfalls um eine Organisation, die einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrscht (§ 3c Nr. 2 Var. 2 AsylG). Der Kläger könnte sich schließlich auch dann nicht auf wirksamen staatlichen Schutz berufen, sofern man die ihm drohende Verfol-gung durch AAH als eine Verfolgung von sonstigen nichtstaatlichen Akteuren im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG einstufen würde. Der irakische Staat sowie die in § 3c Nr. 2 AsylG genannten Akteure sind nämlich, wie dargestellt, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung durch Angehörige der PMF zu bieten.
Dem Kläger und seiner Familie steht vor der weiterhin drohenden Verfolgungsgefahr überdies kein interner Schutz im Sinne von § 3e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. Hiernach wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Die Kammer nimmt in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil v. 26.10.2017 - 6 A 7844/17 und 6 A 9126/17) an, dass sich Flüchtlinge im Irak aufgrund der vorherrschenden humanitären Verhältnisse in aller Regel nicht dauerhaft in andere Landesteile begeben können. Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen weist in einer Auskunft aus April 2018 darauf hin, dass interne Fluchtalternativen im Irak in Anbetracht der gegenwärtigen Sicherheitslage und humanitären Verhältnisse allenfalls in Ausnahmefällen gegeben seien (UNHCR, Auskunft vom 25. April 2018 gegenüber dem VG Sigmaringen zum Beweisbeschluss vom 19. Oktober 2017 – A 1 K 5641/16 –, S. 2). Es ist vorliegend nicht ersichtlich, dass im Fall des Klägers besondere Umstände vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, seine Lage könne von der vorgenannten Situation abweichen. Insbesondere bietet sich für den Kläger keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative durch Wegzug in die Autonome Region Kurdistan. Selbst wenn der Kläger nach Kurdistan einreisen dürfte, ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er nach der gegenwärtigen humanitären Situation mangels konkreter familiärer Anknüpfungspunkte nicht in der Lage wäre, seine Mutter und seine beiden jüngeren Geschwister zu ernähren und zumindest ihr Existenzminimum zu sichern. Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich nämlich, dass die humanitäre Lage auch in der Autonomen Region Kurdistan schwierig ist. Die Region leidet zusätzlich zur herrschenden Wirtschaftskrise unter der großen Anzahl an aufgenommenem Binnenvertriebenen, welche sich überwiegend in einer schlechten ökonomischen Lage befinden. Es halten sich derzeit über 11,3 Millionen Binnenvertriebene in der Autonomen Region Kurdistan auf. In Kurdistan sind circa 14 Prozent der Bevölkerung arbeitslos. Unter Frauen und jungen Leuten liegt Arbeitslosigkeitsquote noch höher: Bei jungen kurdischen Männern erreicht sie etwa 24 und bei jungen kurdischen Frauen 69 Prozent (vgl. zum Vorstehenden ACCORD, Anfragebeantwortung vom 10.5.2017: Wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, S. 1). Es wird gemeldet, dass sich Dienste, die bereits vor dem jüngsten Konflikt nicht ausreichten, sich weiter verschlechtert haben, einschließlich der Trinkwasserversorgung, sanitärer Anlagen, Abfallentsorgung, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 23 ff.). Ein Subventionssystem der Regierung existiert zwar, befindet sich jedoch seit einigen Jahren in Schwierigkeiten, da es teuer und von schlechter Organisation und mangelnder Transparenz entlang der Versorgungswege gekennzeichnet ist. Derzeit gibt es große Verzögerungen bei der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln (vgl. zum Vorstehenden ACCORD, Anfragebeantwortung vom 10.5.2017: Wirtschaftliche Lage in der autonomen Region Kurdistan-Irak für RückkehrerInnen, S. 4-5).
Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 S. 1, S. 2 ZPO.