Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.07.2018, Az.: 7 B 1812/18

Asyl; Betreibensaufforderung; Verfahrenseinstellung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
23.07.2018
Aktenzeichen
7 B 1812/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74338
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu den Anforderungen an eine Betreibensaufforderung nach § 33 AsylG.

Tenor:

1. Der Antragstellerin wird für das vorläufige Rechtsschutzverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Stadt, ohne Ratenzahlung bewilligt.

2. Die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Klage 7 A 1810/18 wird gegen die unter Ziffer 3) der Entscheidungsformel des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Februar 2018 enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Antragstellerin legt keinerlei Identifikationsdokumente vor. Sie trägt vor, am C. 1998 in D. /Syrien geboren und syrische Staatsangehörige kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit zu sein. Sie spricht kurmanci und sei Analphabetin. Aus Syrien will sie im September/Oktober 2016 aus- und in die Türkei eingereist sein. Ihre syrischen Identitätspapiere habe sie bei ihren Großeltern zurückgelassen. Zweieinhalb Monate habe sie sich in der Türkei aufgehalten, dann sei nach einer Reisedauer von vier Tagen am 21. Januar 2017 auf dem Landweg nach Deutschland eingereist. Am 2. Februar 2017 beantragte sie ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Diesen Antrag beschränkte sie am 3. Februar 2017 auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Im Rahmen ihrer Anhörungen am 2. und 3. Februar 2017 vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt - führte sie aus, Syrien aus Furcht vor dem IS verlassen zu haben. Die Niederschrift vermerkt Verständigungsschwierigkeiten in der Sprache kurmanci mit arabischem Dialekt.

Die Antragstellerin wurde daraufhin vom Bundesamt mit Verfügung vom 16. November 2017 zur „(erneuten) erkennungsdienstlichen Behandlung (Sprachbiometrie)“ am 29. November 2017 geladen. Diese Ladung enthält einen Hinweis nach § 33 Abs. 4 des Asylgesetzes – AsylG - über die Folgen des Nichterscheinens zum Termin (Bl. 80 VV). Ersichtlich erschien die Antragstellerin, Das Bundesamt vermerkte jedoch: „Sprachbiometrie nicht möglich. AST spricht nur kurdisch und kein arabisch“ (Bl. 89 VV).

Hierauf richtete das Bundesamt an die Antragstellerin unter dem 2. Januar 2018 folgende weitere Verfügung (Bl. 90 VV):

„“…betreffend Ihr Asylverfahren bestehen beim Bundesamt weiterhin Zweifel daran, dass Sie, wie von Ihnen bisher behauptet, aus D. in Syrien stammen.

Sie erhalten hiermit Gelegenheit, dem Bundesamt bis spätestens 17. Januar 2017 durch Vorlage von Personalpapieren bzw. die Vorlage von anderen Dokumenten, die Ihre Herkunft belegen können, Ihre Herkunft aus Syrien nachzuweisen. Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass es zu Ihrem Nachteil gereichen wird, wenn Sie innerhalb der oben genannten Frist diese Unterlagen nicht beibringen.“

Diese Verfügung wurde der Antragstellerin am 4. Januar 2018 durch Postzustellungsurkunde zugestellt. Die Antragstellerin legte keine Dokumente vor und äußerte sich nicht.

Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 12. Februar 2018 entscheid das Bundesamt daraufhin, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt wird (Ziffer 1] der Entscheidungsformel). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – lägen nicht vor (Ziffer 2] der Entscheidungsformel). Außerdem wurde der Antragstellerin die Abschiebung in den Herkunftsstaat oder einen anderen Staat angedroht, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, sofern sie nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides ausgereist sei (Ziffer 3] der Entscheidungsformel). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4] der Entscheidungsformel). Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Antragstellerin einer Aufforderung nach § 15 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 AsylG zur Vorlage von Urkunden nicht nachgekommen sei. Der Asylantrag gelte als zurückgenommen, weil die Antragstellerin ihr Verfahren nicht weiter betrieben habe.

Mit ihrer am 19. Februar 2018 beim Verwaltungsgericht Hannover erhobenen Klage verfolgt die Antragstellerin ihre Asylanerkennung weiter – 7 A 1810/18 -. Zugleich sucht sie um vorläufigen Rechtsschutz nach. Zur Begründung führt sie aus, dass sie nicht verpflichtet sei, ihre Staatsangehörigkeit mittels Dokumenten des Verfolgerstaates zu beweisen. Es existierten auch keine unterschiedlichen Dialekte der Sprache kurmanci.

Die Antragstellerin beantragt,

1. ihr unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe zu bewilligen und

2. die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde Bezug genommen, die dem Gericht zur Einsichtnahme vorgelegen haben.

II.

1. Der prozessarmen Antragstellerin ist gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit den §§ 114, 121 ZPO Prozesskostenhilfe für das vorläufige Rechtsschutzverfahren unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, weil ihre Rechtsverfolgung aus den nachstehenden Gründen zu II.2) hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg.

Der Antrag ist statthaft, weil das Bundesamt das Asylverfahren gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestellt und gemäß § 38 Abs. 2 AsylG eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt hat, so dass der Klage gemäß § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung beikommt (VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 22.8.2017 – 7 L 601/16.A – juris).

Der Antrag ist auch zulässig. Insbesondere ist trotz der Wiederaufnahmemöglichkeit des § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG das Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG gegeben, weil dieses Wiederaufnahmeverfahren möglicherweise ein späteres Wiederaufnahmebegehren selbst dann sperrt, wenn die erste Verfahrenseinstellung nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG rechtswidrig gewesen ist, und daher andere Rechtsfolgen nach sich zieht als die begehrte Bescheidaufhebung (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16InfAuslR 2016, S. 390).

Der Antrag ist nach Auffassung des Gerichts auch im Übrigen zulässig, selbst wenn vom Bundesamt kein Abschiebezielstaat bezeichnet ist, weil die Antragstellerin Anspruch auf Fortsetzung ihres Asylverwaltungsverfahrens hat.

Der Antrag ist auch in der Sache begründet.

Das Gericht kann die aufschiebende Wirkung der rechtzeitig erhobenen Klage gegen die unter Ziffer 3) der Entscheidungsformel des Bescheides des Bundesamtes enthaltene und auf die §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung anordnen, wenn das Interesse der Antragstellerin an einem vorläufigen weiteren Verbleib im Bundesgebiet zur Fortsetzung ihres Asylverwaltungsverfahrens überwiegt.

Dies ist vorliegend der Fall. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides.

Diese Zweifel bestehen vorliegend nicht bereits deshalb, weil die streitbefangene Abschiebungsandrohung den noch ungeklärten „Herkunftsstaat“ als Zielstaat der Abschiebung bezeichnet. Ist der Herkunftsstaat ungeklärt, darf in der Abschiebungsandrohung von der Angabe eines Zielstaates nach § 60 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden. Wird der Herkunftsstaat später geklärt, muss dieser der Antragstellerin jedenfalls so rechtzeitig vor der Abschiebung mitgeteilt werden, dass sie erneut gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kann (BVerwG, Urteil vom 25.7.2000 – 9 C 42/99BVerwGE 111, S. 343 = NJW 2000, S. 3798). Hierauf hat auch das Bundesamt auf Seite 3 des streitbefangenen Bescheides vom 12. Februar 2018 hingewiesen.

Es bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einstellung ihres Asylverwaltungsverfahrens. Das Bundesamt hat zu Unrecht das Asylverwaltungsverfahren der Antragstellerin mit dem Vorwurf eingestellt, dass sie ihr Verfahren nicht betrieben habe und daher ihr auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkter Antrag als zurückgenommen gelte. Zwar wird gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 1 AsylG vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 AsylG nicht nachgekommen ist. Hierzu zählt gemäß § 15 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 AsylG auch die Vorlage des Heimatpasses und aller sonstigen Unterlagen, die (hier:) die Identität und Staatsangehörigkeit des Asylbewerbers belegen können.

Vorliegend ist die Antragstellerin zwar zum Betreiben des Verfahrens durch Vorlage der vorgenannten Urkunden mit Verfügung vom 2. Januar 2018 aufgefordert worden. Jedoch hat es das Bundesamt ausweislich des Akteninhalts versäumt, sie gemäß § 33 Abs. 4 AsylG schriftlich auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretende Folge der vermuteten Rücknahmefiktion gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der allgemeine Hinweis

„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass es zu Ihrem Nachteil gereichen wird, wenn Sie innerhalb der oben genannten Frist diese Unterlagen nicht beibringen“

genügt diesen Anforderungen nicht. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes. Rechtsfolge der Nichtvorlage der Urkunden ist, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Hierauf ist die Antragstellerin – anders als noch als bei der vorausgegangenen Aufforderung vom 16. November 2017 zum Erscheinen bei einem Sprachtest – nicht hingewiesen worden. Die Aufforderung vom 2. Januar 2018 lässt diese gesetzlich vorgeschriebene deutliche Warnfunktion vermissen (vgl. VG Frankfurt/Oder, aaO). Zudem nennt die Aufforderung vom 2. Januar 2018 eine bereits abgelaufene Frist (17. Januar 2017) und ist – ebenfalls anders als die vorausgehende Aufforderung zum Erscheinen bei einem Sprachtest vom 16. November 2017 - entgegen § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylG nicht (zusätzlich) in einer für die Antragstellerin verständlichen Sprache verfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.9.2013 – 10 C 1/13 – NVwZ 2014, S. 158, 161 Rdnr. 31). Ebenso fehlt es an der ausdrücklich vorgeschriebenen Empfangsbestätigung.

Nach alledem ist die Betreibensaufforderung vom 2. Januar 2018 in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Das Bundesamt durfte deshalb nicht vermuten, dass die Antragstellerin ihr Asylverfahren nicht betreibt. Es durfte als Rechtsfolge nicht von einer Antragsrücknahme ausgehen und das Asylverfahren einstellen. Erst recht durfte es aufgrund der fehlerhaften Einstellung des Verfahrens nicht die Abschiebungsandrohung erlassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.