Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 22.11.2000, Az.: 9 U 104/00
Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung wegen Verletzung der Streupflicht gegenüber Radfahrern; Besondere Sturzgefahren eines Radfahrers bei Schnee- und Eisglätte; Anforderungen an die Räum- und Streupflicht
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 22.11.2000
- Aktenzeichen
- 9 U 104/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 19901
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2000:1122.9U104.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Verden 5 O 333/99 vom 28.03.2000
Rechtsgrundlagen
- § 839 BGB
- § 52 Nds. StrG
Fundstellen
- NJW-RR 2001, 596-597 (Volltext mit amtl. LS)
- NZV 2001, 217
- NdsVBl 2001, 148
- OLGReport Gerichtsort 2001, 17-18
- VRS 2001, 8-9 (Volltext mit amtl. LS)
- VRS 100, 8 - 9
- VersR 2001, 1441 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
An die Räum- und Streupflicht gegenüber Radfahrern sind grundsätzlich keine größeren Anforderungen zu stellen als sie für die Fahrbahnbenutzung durch Kraftfahrzeuge gelten, auch wenn Radfahrer bei Schnee- und Eisglätte besonderen Sturzgefahren ausgesetzt sein können.
Tenor:
- 1.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 28. März 2000 wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- 4.
Beschwer: 4. 000 DM.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte nach einem Fahrradunfall aus Amtspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch, weil die Unfallstelle nicht ordnungsgemäß geräumt und gestreut gewesen sein soll.
Die Klägerin befuhr am 7. Dezember 1998 gegen 15:40 Uhr die ############## und bog mit ihrem Fahrrad nach rechts auf den kombinierten Fuß- und Radweg (Zeichen 241) der Straße ####### #######, beide Wege sind durch eine grau gepflasterte Linie optisch getrennt. Hierbei stürzte sie vor dem Haus des Eckgrundstückes und erlitt eine stationär behandelte Fibulafraktur. Von der Darstellung des weiteren Vorbringens wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Abstand genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil die Beklagte keine Amtspflicht verletzt hat.
Der Unfallort gehört zu einer Straße im Innenstadtbereich mit gemeindlicher Räum- und Streupflicht gemäß § 3 Abs. 1 in Verb. mit Anlage 2 der Reinigungssatzung vom 24. November 1988. Der Winterdienst umfasst nach § 3 Abs. 2 in Verb. mit § 2 Abs. 2 S. 1 der Satzung auch die Radwege. Inhalt der Pflicht zum Winterdienst ist die Räumung von Schnee und Eis. Die Streupflicht gilt nach § 3 der Satzung nur für gefährliche Fahrbahnstellen mit nicht unbedeutendem Verkehr; durch diese Formulierung wird die gesetzliche Regelung des § 52 Abs. 1 S. 3 c) NStrG aufgenommen.
An die Räum- und Streupflicht gegenüber Radfahrern sind grundsätzlich keine größeren Anforderungen zu stellen als sie für die Fahrbahnbenutzung durch Kraftfahrzeuge gelten, auch wenn Radfahrer bei Schnee- und Eisglätte besonderen Sturzgefahren ausgesetzt sein können. In welchem Umfang für spezielle Gefahrstellen, die nur Radfahrer betreffen, Ausnahmen zu machen sind, bedarf keiner Entscheidung, weil ein derartiger Sachverhalt nicht gegeben ist. Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH Urt. v. 12. November 1964 - III ZR 200/63). Ein Radfahrer kann die Sturzgefahr zumutbarerweise dadurch mindern, dass er entweder vor glatten und gefährlichen Stellen vom Rad steigt und zu Fuß geht, oder aber dadurch, dass er dann erlaubtermaßen den Radweg verlässt und - ggf. - die gestreute bzw. geräumte Fahrbahn benutzt (vgl. BGH BGHR BGB § 839 Abs. 1 S. 1 Streupflicht 12, Nichtannahmebeschluss vom 20. Oktober 1994 - III ZR 60/94).
Die Beklagte hat einen Radwegstreifen von Schnee geräumt, wie die unmittelbar nach dem Unfall von der Polizei gefertigten Fotos zeigen. Rechtlich unerheblich ist, dass der geschwungene Verlauf des Radweges bei der Schneeräumung nicht voll beachtet wurde, sondern der geräumte Streifen über die Markierung hinweg auch einen Teil des Gehwegs erfasste. Ob die Räumung ausreichend war, ist nicht entscheidend, denn bei der Unfallstelle handelt es sich nicht um eine gefährliche Stelle - geschweige denn, wie das Landgericht gemeint hat, um eine besonders gefährliche Stelle -, für die eine Streupflicht bestanden hätte. Straßeneinmündungen sind nicht generell als gefährliche Straßenstellen anzusehen, wovon sowohl der BGH (BGH VersR 1965, 68) als auch der Senat in ständiger Rechtsprechung (VersR 1989, 158; Urt. v. 11. Januar 1995 - 9 U 11/94) ausgehen. Überdies liegt die Unfallstelle nicht einmal im Einmündungsbereich der Straßenkreuzung, sondern befindet sich bereits wieder auf gerader Strecke, wie die polizeiliche Skizze ausweist. Die Erwägungen der Klägerin zum personellen Schutzbereich der Streupflicht an Fußgängerüberwegen sind sachverhaltsfremd, da sich in räumlicher Nähe zur Unfallstelle kein Überweg befindet.
Selbst wenn man eine Streupflicht bejahen würde, wie es das Landgericht getan hat, träfe die Klägerin doch ein weit überwiegendes Mitverschulden. Nach der Beschaffenheit der Straße, die die Klägerin zuvor befahren hatte, konnte sie nicht von Eisfreiheit der Straßen und Radwege ausgehen, wie das Polizeifoto zeigt. Überdies war die Sicht auf den Radweg, auf den sie einbog, durch das Haus auf dem Eckgrundstück versperrt. Sie musste damit rechnen, dass z. B. durch den Fahrbetrieb angetauter Schneematsch aus den Reifenprofilen auf den Radweg getragen wurde, der zur Bildung von Glatteis führen konnte.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.