Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 01.11.2000, Az.: 20 U 11/00

Tieraufseherhaftung; Bissverletzung ; Übertragung der Aufsichtsführung; Führen eines Hundes ; Tiergefahr ; Verschulden

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
01.11.2000
Aktenzeichen
20 U 11/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 19830
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2000:1101.20U11.00.0A

Amtlicher Leitsatz

Bei Anwesenheit des Tierhalters genügt das bloße Führen eines Hundes an der Leine durch einen Dritten nicht, um den Übergang der Aufsichtsführung im Sinne von § 834 BGB anzunehmen.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 8. Februar 2000 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts ..... wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Wert der Beschwer für den Kläger: 18. 000 DM.

Gründe

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I.

Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Landgericht hat die erhobenen Beweise zutreffend und erschöpfend gewürdigt. Eine etwaige mitwirkende Tiergefahr des Eurasiers der Beklagten tritt gegenüber dem Verschulden des Klägers zurück.

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Dazu bemerkt der Senat im Einzelnen:

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1. Das Landgericht hat es nicht als erwiesen angesehen, dass die von dem Kläger erlittene Bissverletzung am Daumen der rechten Hand vom Hund der Beklagten verursacht worden ist. Die dagegen gerichteten Berufungsangriffe des Klägers verfangen nicht. Der Kläger gründet seine Einwände gegen die landgerichtliche Beweiswürdigung auf die Prämisse, dass es als Folge sofortiger Unterwerfungshaltung des Eurasiers nicht zu einer Beißerei zwischen den beteiligten Hunden kam. Soweit sich der Kläger zum Beweis dieser Behauptung auf Einholung eines Sachverständigengutachtens beruft, ist dieser Beweisantritt ungeeignet. Ein Sachverständiger kann nur Auskunft über das üblicherweise zu erwartende Verhalten eines Hundes in einer bestimmten Situation geben, die Feststellung zum tatsächlichen Ablauf eines Geschehnisses vermögen Erkenntnisse über die Üblichkeit tierischen Verhaltens nicht zu ersetzen. Was nun den tatsächlichen Geschehensablauf anbelangt, so hat die Zeugin ....... , die das Geschehen aus kürzester Distanz hat beobachten können, detaillierte Angaben zu einer Bisswunde am rechten Hinterlauf des Eurasiers gemacht. Allein der Umstand, dass die Zeugin (durchaus verständlich) verärgert über die Tatsache war, dass die beiden Tibet-Doggen (Tibetan-Mastiff) sich haben losreißen können, macht die Aussage der Zeugin noch nicht unglaubwürdig. Vielmehr hat auch der Zeuge ....... den äußeren Ablauf bestätigt, indem er angegeben hat: 'Ich selbst habe nicht in das Geschehen eingegriffen. Das tue ich grundsätzlich nicht, wenn sich Hunde beißen. ' Die Zeugin ....... hat dazu keine detaillierten Angaben gemacht, was aus ihrer Beobachtungsposition auch kaum möglich war, denn sie hat, worauf das Landgericht zu Recht abgestellt hat, das Geschehen nur aus einiger Entfernung beobachten können. Wenn aber feststeht, dass es vor der Intervention des Klägers zu einer Beißerei gekommen ist, dann entbehren seine Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts einer sachlichen Grundlage. Dann nämlich macht es - was offenkundig ist - durchaus einen Sinn, dass der Eurasier auch nach Beendigung der Attacke in defensiver Haltung verharrte.

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Einer Wiederholung der Beweisaufnahme bedarf es unter diesen Umständen nicht. Sie steht nach § 398 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts. Dazu besteht in der Regel nur dann Veranlassung, wenn eine Gesamtschau zu Zweifeln an der zutreffenden Würdigung des Beweisergebnisses Veranlassung gibt (OLG Oldenburg, NdsRpfl. 1992, 220), was hier gerade nicht der Fall ist.

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2. Auch Rechtsgründe geben zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung keine Veranlassung. Der Kläger verkennt schon im rechtlichen Ausgangspunkt, dass der Zeuge ....... nicht durch das schlichte Führen seines Hundes an einer gemeinsamen Leine zum Tieraufseher im Sinne von § 834 BGB wurde. Aufsichtsführung im Sinne dieser Vorschrift bedeutet nämlich Übertragung der selbstständigen allgemeinen Gewalt und der Aufsicht über das betroffene Tier durch vertragliche Vereinbarung. Zwar kann ein solcher Vertrag auch konkludent, d. h. stillschweigend geschlossen werden, wobei jedoch für eine solche Annahme wegen der Anwesenheit des Klägers in unmittelbarer Nähe und damit seiner fortbestehenden Möglichkeit direkter Einflussnahme auf das Tier nicht der geringste Anhaltspunkt besteht. Rechtsprechung und Literatur gehen deshalb auch übereinstimmend davon aus, dass ein Kutscher dann nicht zum Tierhüter wird, wenn er das Pferdefuhrwerk zwar selber lenkt, allerdings der Halter mitfährt (Staudinger-Belling/Eberl-Borges, 13. Aufl. , Rdn. 21 zu § 834 BGB). Der Kläger haftet zudem als Tierhalter und Hüter nicht nur auf der Grundlage vermuteten Verschuldens, sondern auf der Grundlage des erwiesenen bzw. unstreitigen Sachverhalts steht auch fest, dass er seine Aufsichtspflichten verletzt hat. Wer Tiere dieser Größenordnung mit sich führt, muss geeignete Maßnahmen treffen, um alltägliche Situationen, wie das Zusammentreffen mit anderen Hunden zuverlässig zu beherrschen. Schon das Zulassen des Führens beider Hunde an einer Leine war fahrlässig, denn die Tiere waren, wie das Geschehen dokumentiert, offenbar nicht durch schlichte Körperkraft zu beherrschen. Dies wäre aber notwendig gewesen, weil verbale Einwirkungen offenbar ebenso wenig Erfolgsaussicht hatten. Andernfalls wäre dem Kläger vorzuwerfen, diesen Versuch unterlassen zu haben. Zudem war es in hohem Maße leichtfertigt, mit bloßer Hand nach einem beißenden Tier zu greifen. In einem solchen Fall muss auch die mitwirkende Tiergefahr des Hundes der Beklagten zurücktreten, die sich darin realisiert hat, dass der Eurasier durch Bellen erst auf sich aufmerksam gemacht hatte (OLG Hamm, NJW-RR 1995, 600 [OLG Hamm 21.02.1994 - 6 U 225/92]).

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II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. I ZPO.

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Die sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. II. ZPO.

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