Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 30.03.2022, Az.: 3 U 173/21
Wirksamkeit eines Widerrufs der auf den Abschluss eines Immobiliardarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 30.03.2022
- Aktenzeichen
- 3 U 173/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 61514
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - 05.10.2021 - AZ: 10 O 288/20
Rechtsgrundlage
- § 488 Abs. 1 S. 2 BGB
In dem Rechtsstreit
1. S. S., ...,
2. F. F. S., ..,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Anwaltsbüro ...,
gegen
X Bank, ...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ... Auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2022 für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Kläger wird das am 5. Oktober 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Kläger wegen des Widerrufs vom 18. Mai 2020 nicht mehr aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag über 200.000,00 € (HauptDarlNr. 72...) verpflichtet sind, Zinszahlungen und Tilgungsleistungen zu erbringen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Widerrufs der auf den Abschluss eines Immobiliardarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen, hilfsweise die Wirksamkeit der Kündigung desselben.
Die Parteien schlossen auf einen Antrag der Kläger vom 11. Juni 2014, welchen die Beklagte am 17. Juni 2014 angenommen hat, unter der Nr. 72... einen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensvertrag über eine Nettodarlehenssumme in Höhe von 200.000,00 € zu einem bis zum 30. Juni 2034 gebundenen Sollzinssatz von 2,88 % p. a. ab (Anlage K 1, Bl. 17 ff. Bd. I d. A.).
Der Darlehensvertrag enthält die folgende Widerrufsbelehrung:
Mit Schreiben vom 18. Mai 2020 (Anlage K 2, Bl. 26 Bd. I d. A.) widerriefen die Kläger gegenüber der Beklagten ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen und erklärten hilfsweise die Kündigung des Darlehensvertrages. Zuvor hatten die Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 9. Januar 2020 (Anlage B 5, Bl. 125 Bd. I d. A.) mitgeteilt, dass die Prüfung einer Rechtsanwaltskanzlei ergeben habe, dass die Ausübung ihres Widerrufsrechts noch möglich sei und um ein angemessenes Angebot gebeten. Mit Schreiben vom 15. Januar 2020 (Anlage B 6, Bl. 126 Bd. I d. A.) hatte die Beklagte daraufhin mitgeteilt, dass sie an dem Vertrag festhalte.
Die Kläger haben ausgeführt, die Widerrufsfrist habe nicht zu laufen begonnen, da die Widerrufsbelehrung unrichtig über den Fristbeginn informiere, zudem seien nicht alle erforderlichen Pflichtangaben in dem Darlehensvertrag enthalten, insbesondere sei auch der Effektivzins falsch berechnet. Die Kündigung sei wirksam, da in den Vertragsunterlagen Angaben zur Laufzeit und zum Kündigungsrecht fehlten.
Die Beklagte hat ausgeführt, die Klage sei mangels feststellbaren Rechtsschutzziels der Kläger unzulässig. Die vorliegende Widerrufsinformation sei hinreichend klar und verständlich und unterfalle zudem dem Musterschutz. In dem Darlehensvertrag seien alle erforderlichen Pflichtangaben enthalten. Ein etwaiger Anspruch der Klägerseite sei überdies verwirkt.
Zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Vorbringens wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil nebst den dort gestellten Anträgen Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von der Beklagten verwendete Widerrufsinformation entspreche dem Muster der Anlage 6 zu Artikel 247 § 6 Abs. 2 EGBGB in der Fassung vom 4. August 2011 bis 12. Juni 2014, so dass sie Musterschutz genieße. Dass der Gesetzgeber nach der Abgabe der auf den Abschluss des streitgegenständlichen Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen durch die Kläger und vor der Annahme des Darlehensantrags durch die Beklagte eine neue Musterbelehrung eingeführt habe, von der die Widerrufsinformation abweiche, sei unschädlich. Der Darlehensvertrag enthalte alle notwendigen Pflichtangaben, die Behauptungen der Kläger zur falschen Berechnung des Effektivzinses erfolgten ins Blaue hinein. Die Kündigung sei unwirksam, da in dem Darlehensvertrag Hinweise zur Vertragslaufzeit und zu den Kündigungsrechten enthalten seien.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Berufung. Zur Begründung führen sie aus, die von der Beklagten verwendete Widerrufsinformation belehre fehlerhaft über den Fristbeginn, da der Darlehensnehmer zu einzelnen Pflichtangaben, beispielsweise dem effektiven Jahreszins oder der Vertragslaufzeit, nicht lediglich nachträglich in Textform informiert werden könne. Auf den Musterschutz könne sich die Beklagte nicht berufen, da die entsprechenden gesetzlichen Regelungen europarechtswidrig seien. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Regelungen lägen nicht vor, da es an der hervorgehobenen Form der Widerrufsbelehrung fehle. Die von der Beklagten verwendete Widerrufsinformation weiche auch von der gesetzlichen Musterbelehrung ab. Der in der Widerrufsinformation enthaltene Kaskadenverweis sei zudem nicht hinreichend klar und verständlich. Durch den außerhalb der Widerrufserklärung stehenden Zusatz, die Kläger seien für einen Monat an ihr Vertragsangebot gebunden, werde die Widerrufsinformation hinsichtlich der Widerrufsfrist verunklart. Eine Verunklarung trete auch durch Ziff. 31 der Finanzierungsbedingungen der Beklagten ein, da der Darlehensnehmer infolge der Klausel bei einem Darlehenswiderruf keine Aufrechnung gegenüber den Forderungen der Beklagten aus dem Rückgewährschuldverhältnis erklären könne. Die Beklagte habe es zudem unterlassen, zusätzliche Leistungen in Gestalt der Sicherungszweckabrede und von Grundstücks-/Gebäude- und Zubehörversicherungen in den Vertrag aufzunehmen. Es fehle zudem an (ordnungsgemäßen) Pflichtangaben zu den Kosten der abzuschließenden Gebäudeversicherung, zum Sollzinssatz, zur Vertragslaufzeit, zu Betrag und Fälligkeit der einzelnen Teilzahlungen sowie zum effektiven Jahreszins. Zudem sei auch die klägerseits ausgesprochene Kündigung wirksam, da die Beklagte nicht hinreichend über die Vertragslaufzeit und die Kündigungsrechte informiert habe.
Wegen des weiteren Vorbringens der Kläger wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 227 ff. d. A.) Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 5. Oktober 2021 - 10 O 288/20 - abzuändern und festzustellen, dass die Kläger wegen des Widerrufs [ hilfsweise wegen der Kündigung nach § 494 Abs. 6 S. 1 BGB] vom 18. Mai 2020 nicht mehr aus dem mit der Beklagten geschlossenen Darlehensvertrag über 200.000,00 € (HauptDarlNr. 72...) verpflichtet sind, Zinszahlungen und Tilgungsleistungen zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, für die Frage, welches Recht anwendbar sei, sei auf den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung des Darlehensnehmers, nicht auf denjenigen des Vertragsschlusses abzustellen, weshalb die verwendete Widerrufsinformation dem Musterschutz unterfalle. Das Widerrufsrecht der Kläger sei überdies jedenfalls verwirkt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 300 ff. d. A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat Erfolg, da die Klage zulässig (hierzu unter 1.) und begründet (hierzu unter 2.) ist.
1. Der von den Klägern verfolgte (negative) Feststellungsantrag ist zulässig, insbesondere haben die Kläger gem. § 256 Abs. 1 ZPO ein Interesse an der begehrten Feststellung.
Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist in der Regel gegeben, wenn der Beklagte sich eines Anspruchs gegen den Kläger berühmt (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 256 ZPO Rn. 7 m.w.N.). Da die Beklagte die Wirksamkeit des Widerrufs bestreitet, zielt ihre Bestandsbehauptung auf das Fortbestehen vertraglicher Erfüllungsansprüche gegen den Kläger aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB ab (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, Rn. 16, juris).
Für den gestellten Feststellungsantrag ist unerheblich, dass die Kläger nicht ausführen, welche konkreten Forderungen sie gegenüber der Beklagten nach dem Widerruf geltend machen wollen. Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage greift bei der Klage auf negative Feststellung gerade nicht ein, weil die jeweiligen Anträge nicht das gleiche Rechtsschutzziel verfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 a.a.O. Rn. 17).
2. In der Sache können die Kläger die beantragte Feststellung verlangen, dass sie der Beklagten aufgrund des Widerrufs vom 18. Mai 2020 keine Zins- und Tilgungsleistungen aus dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag schulden. Auf den streitgegenständlichen Darlehensvertrag findet das in der Zeit vom 13. Juni 2014 bis zum 30. März 2016 geltende Recht Anwendung (hierzu unter a)) mit der Folge, dass die von der Beklagten verwendete Widerrufsinformation der in dieser Zeit geltenden Bestimmungen nicht entspricht und daher die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen hat (hierzu unter b)). Der Ausübung des Widerrufsrechts kann auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden (hierzu unter c)).
a) Maßgeblich ist gem. Art. 229 §§ 32, 38 EGBGB vorliegend das in der Zeit vom 13. Juni 2014 bis zum 30. März 2016 geltende Recht (a.F.), da die genannten Übergangsvorschriften auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abstellen, der wiederum auf den Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung beim Antragenden zu bestimmen ist. Der Darlehensvertrag ist vorliegend damit nicht vor dem vom 17. Juni 2014, dem Zeitpunkt der Annahmeerklärung der Beklagten, zustande gekommen.
Der entgegenstehenden Auffassung des Landgerichts, wonach es auf die Gesetzeslage im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung der Kläger ankomme, kann schon wegen des eindeutigen Wortlauts der Art. 229 §§ 32, 38 EGBGB (vgl. Staudinger/Thüsing (2016) Artikel 229 § 32 EGBGB Rn. 2), der auf den Abschluss des Vertrages und gerade nicht auf die Abgabe der Willenserklärung des Verbrauchers abstellt, nicht gefolgt werden. Die vom Landgericht in Bezug genommene Rechtsunsicherheit bei Gesetzesänderungen wird durch entsprechende Übergangsvorschriften gewahrt. Darüber hinaus übersieht das Landgericht im Rahmen der angestellten teleologischen Erwägungen, dass die Widerrufsfrist frühestens mit Abschluss des Vertrages beginnen kann und es für den Verbraucher darauf ankommt, dass er Kenntnis seiner ihm zu diesem Zeitpunkt zustehenden Rechte hat, da sich gerade danach die Voraussetzungen der Ausübung des Widerrufsrechts ergeben.
Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass die Banken, stellte man tatsächlich auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab, im Vorlauf einer Gesetzesänderung an der Gewährung von Darlehen im Antragsverfahren gehindert wären, da sie nicht wissen könnten, wann ihnen ein Vertrag durch den Darlehensnehmer letztlich angedient würde, was zu einer Beeinträchtigung der Bankgeschäfte führe, handelt es sich um rechtspolitische Erwägungen, die im Wortlaut der Übergangsnormen keine Stütze finden. Eine dogmatische Herleitung ihrer Auffassung, wonach auf den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung des Verbrauchers abzustellen sei, teilt die Beklagte demzufolge auch nicht mit.
Daher ist auch der Vortrag der Beklagten, sie habe nicht wissen können, wann ihr der Antrag der Kläger zugehen würde, nicht entscheidungserheblich. Im Übrigen hätte es an ihr gelegen, mit der Absendung des - nach neuem Recht gestalteten - Vertrages an die Kläger noch kurze Zeit zuzuwarten, da sie auf diesem Wege hätte sicherstellen können, dass der Zugang erst nach der Gesetzesänderung erfolgen wird. Ebenso hätte sie für den Fall des Zustandekommens des Vertrages nach der Gesetzesänderung alternativ eine weitere Widerrufsbelehrung in den Vertragstext aufnehmen oder nach Abschluss des Darlehensvertrags durch eine Widerrufsinformation nach neuem Recht nachbelehren können. Soweit die Beklagte hierzu in der mündlichen Verhandlung eingewandt hat, eine Nachbelehrung sei nach § 492 Abs. 6 S. 1 BGB a.F. nur in Bezug auf die in Abs. 2 genannten Pflichtangaben möglich, weshalb eine Nachbelehrung bezüglich der Widerrufsinformation ausscheide, verfängt dieser Einwand nicht. Denn nach Art. 247 § 6 Abs. 2 a.F., auf den § 492 Abs. 2 BGB a.F. Bezug nimmt, handelt es sich auch bei der Widerrufsinformation um eine nachholbare Pflichtangabe. Ein anderes Ergebnis wäre auch nicht hinnehmbar, da sich sonst eine Bank, die - gegebenenfalls bereits kurz nach Vertragsschluss - bemerkt, dass die von ihr verwendete Widerrufsinformation fehlerhaft ist und entsprechend nachbelehren will, dies jedoch nicht darf, einem dauerhaften Widerrufsrecht ausgesetzt sehen müsste und dieses auch nicht mehr abwehren könnte.
Die Beklagte hat im Übrigen selbst vorgetragen, dass der Antrag erst am 11. Juni 2014 um 10:04 Uhr erstellt worden ist. Zwar fand die Unterzeichnung durch die Kläger noch am selben Tage statt. Allerdings mussten die Kläger den Vertrag nach Unterzeichnung noch an die Beklagte übersenden, die den Vertrag wiederum von einer vertretungsberechtigten Person gegenzeichnen lassen musste. Es war daher für die Beklagte im konkreten Fall bereits bei Erstellung des Darlehensvertrags absehbar, dass der Vertragsschluss erst nach der am 13. Juni 2014 eintretenden Gesetzesänderung erfolgen würde. Schließlich hätte die Beklagte den Antrag der Kläger auch nicht annehmen müssen, da ihr im Zeitpunkt der Annahmeerklärung bekannt war, dass auf den Vertrag das neue Recht anwendbar sein würde. Aus welchen Gründen ein Vertragsschluss dann nicht möglich gewesen wäre oder sich die Beklagte schadensersatzpflichtig gemacht hätte, legt die Beklagte nicht hinreichend dar; dies ist nach dem Vorstehenden aber auch nicht entscheidungserheblich.
b) Den bei Abschluss des streitgegenständlichen Darlehensvertrags als Verbraucher handelnden Klägern stand ursprünglich ein Widerrufsrecht gemäß § 355 Abs. 1 i. V. m. § 495 Abs. 1 a.F. zu.
Die 14-tägige Widerrufsfrist war bei Abgabe der Widerrufserklärung am 18. Mai 2020 noch nicht verstrichen, da die Beklagte die Kläger nicht ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt hat, weshalb die Widerrufsfrist gem. § 356b Abs. 2, § 492 Abs. 2 BGB, Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB a.F. nicht zu laufen begonnen hat.
aa) Sinn und Zweck des Widerrufsrechts ist es nach der Rechtsprechung des Senats, den Verbraucher vor einer übereilten Bindung an seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung zu schützen. Ihm soll deshalb bei Entscheidungen mit erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und Tragweite wie dem Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags Gelegenheit gegeben werden, den Vertragsabschluss noch einmal zu überdenken. Widerrufsangaben müssen deshalb umfassend, unmissverständlich und für den Verbraucher eindeutig sein. Der Verbraucher soll durch sie nicht nur von seinem Widerrufsrecht Kenntnis erlangen, sondern auch in die Lage versetzt werden, dieses auszuüben. Leitbild ist für das hier maßgebliche Recht der normal informierte, angemessen aufmerksame und verständige Verbraucher (Senat, Beschluss vom 29. Juni 2020 - 3 U 31/20, BeckRS 2020, 51726 Rn. 13; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, Rn. 27, juris; BGH, Urteil vom 22. November 2016 - XI ZR 434/15, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 23. Februar 2016 - XI ZR 101/15, Rn. 32, juris)
bb) Diesen Anforderungen genügt die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung nicht. Diese war schon deshalb fehlerhaft, weil sie vorgibt, die Widerrufserklärung erfordere jedenfalls Textform, während § 355 Abs. 1 BGB in der seit dem 13. Juni 2014 geltenden Fassung kein Formerfordernis für die Widerrufserklärung mehr vorsieht, der Widerruf mithin auch etwa mündlich erfolgen kann (MüKoBGB/Fritsche, 8. Aufl. 2019, BGB § 355 Rn. 48 m.w.N.).
cc) Unerheblich ist der Einwand der Beklagten, die Kläger hätten den Vertrag ohnehin nicht mündlich widerrufen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt es auf die Kausalität des Belehrungsfehlers für das Unterbleiben des Widerrufs nicht an. Entscheidend ist nur, ob die Belehrung durch ihre missverständliche Fassung objektiv geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15 -, BGHZ 212, 207-223 Rn. 23; BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15 -, BGHZ 211, 123-146 Rn. 26; BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 - XI ZR 156/08, Rn. 25, juris).
c) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs berufen.
aa) Die Ausübung des Widerrufsrechts war im Zeitpunkt der Widerrufserklärung nicht verwirkt.
(1) Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zeit- und Umstandsmoment können nicht voneinander unabhängig betrachtet werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Je länger der Inhaber des Rechts untätig bleibt, desto mehr wird der Gegner in seinem Vertrauen schutzwürdig, das Recht werde nicht mehr ausgeübt werden (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2018 - XI ZR 45/18, Rn. 14, juris m.w.N.). Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles, ohne dass insofern auf Vermutungen zurückgegriffen werden kann (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2018 a.a.O. m.w.N.).
(2) Danach kommt eine Verwirkung vorliegend nicht in Betracht. Es fehlt jedenfalls an einem hinreichenden schutzwürdigen Vertrauen der Beklagten.
Allein der Umstand, dass die Beklagte die vertragsgemäßen Zins- und Tilgungsleistungen und auch vertraglich vereinbarte Sondertilgungen entgegengenommen hat, rechtfertigt kein Vertrauen in den Umstand, dass die Kläger das ihnen zustehende Widerrufsrecht nicht mehr ausüben würden. Allein aufgrund eines laufend vertragstreuen Verhaltens des Verbrauchers kann der Unternehmer ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, der Verbraucher werde seine auf Abschluss des Verbraucherdarlehensvertrags gerichtete Willenserklärung nicht widerrufen, nicht bilden (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15 -, BGHZ 211, 123-146 Rn. 39 m.w.N.). Zu berücksichtigen ist insoweit insbesondere, dass die Beklagte die Widerrufsbelehrung erteilt und daher überhaupt die Möglichkeit eines "ewigen" Widerrufsrechts geschaffen hat. Es wäre - wie ausgeführt - ihr jederzeit möglich gewesen, durch eine Nachbelehrung der Kläger die Widerrufsfrist in Gang zu setzen.
Unerheblich ist dabei auch, dass die Kläger mit Schreiben vom 9. Januar 2020 mitgeteilt haben, sie gingen nach rechtlicher Beratung davon aus, ihr Widerrufsrecht noch ausüben zu können, und dass sie dann weitere vier Monate mit der Ausübung des Widerrufsrechts zugewartet haben. Die kurze Zeitspanne von vier Monaten ist nicht ausreichend, ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten dahingehend zu bejahen, die Kläger würden ihr Widerrufsrecht nun nicht mehr ausüben, zumal die Beklagte aufgrund des Schreibens vom 9. Januar 2020 erst recht gehalten war, die vorliegende Widerrufsbelehrung zu überprüfen und eine Nachbelehrung zu erteilen. Ob bei einem längeren Zuwarten unter weiterer Bedienung des Darlehens eine Verwirkung in Betracht kommt (so wohl OLG Stuttgart, Urteil vom 7. Februar 2017 - 6 U 40/16, nicht veröffentlicht und von der Beklagten nur auszugsweise zitiert, für den Fall des Zuwartens von einem Jahr) kann hier nach den vorstehenden Ausführungen offen bleiben.
bb) Die Erklärung des Widerrufs ist auch nicht als anderweitige unzulässige Rechtsausübung unzulässig.
(1) Die Ausübung eines Verbraucherwiderrufsrechts kann im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung aus sonstigen Gründen darstellen und in Widerspruch zu § 242 BGB stehen, obwohl die Voraussetzungen einer Verwirkung nicht vorliegen (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 a.a.O. Rn. 43 m.w.N.).
(2) Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Darlehensnehmer die Bank unter Hinweis auf sein Widerrufsrecht unter Druck setzt, um hierdurch günstigere Konditionen zu erhalten, kann hier dahingestellt bleiben.
Denn entgegen der Ansicht der Beklagten haben die Kläger in ihrem Schreiben vom 9. Januar 2020 die Ausübung ihres Widerrufsrechts nicht davon abhängig gemacht, dass die Beklagte ihr günstigere Konditionen einräumt. Vielmehr haben die Kläger in diesem Schreiben lediglich dargelegt, dass sie nach rechtlicher Beratung von einem Fortbestehen ihres Widerrufsrechts ausgehen und um ein Angebot zur einvernehmlichen Lösung gebeten. Dass die Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem Widerruf für den Fall einer Weigerung der Beklagten entschlossen waren, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Die Mitteilung etwaiger eigener Ansprüche gegenüber dem Vertragspartner mit der Bitte um eigene Prüfung und Abgabe eines Angebots zu einer einvernehmlichen Einigung hält der Senat nicht für rechtsmissbräuchlich, zumal allein der Umstand, dass die Ausübung des Widerrufsrechts nicht durch den Schutzzweck des Verbraucherwiderrufsrechts motiviert ist, nicht zur Bejahung eines Rechtsmissbrauchs führen kann (BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 a.a.O. Rn. 45).
Der vorliegende Sachverhalt ist daher mit dem der (von der Beklagten auszugsweise zitierten, jedoch nicht veröffentlichten) Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 19. Juni 2018 (Az. 13 U 172/15) zugrunde liegenden Sachverhalt nicht vergleichbar.
III.
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
3. Anlass zur Zulassung der Revision gibt diese auf den Umständen des Einzelfalls beruhende Entscheidung gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht.