Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 28.05.2003, Az.: 20 U 84/02

Geltendmachung von Ansprüchen aus einer Tierhalterhaftung und aufgrund einer Verletzung der Verkehrssicherungspflichten als Veranstalter einer Bundesrasseschau für Hochlandrinder; Schmerzengeld für das Erleiden einer Fraktur eines Unterarms und des Erleidens von Prellungen am Brustkorb; Ausreichen eines 1,30 m hohen Zauns im Schaugehege

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
28.05.2003
Aktenzeichen
20 U 84/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33978
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2003:0528.20U84.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 18.10.2002 - AZ: 13 O 66/02

Fundstelle

  • VersR 2004, 927 (Volltext mit amtl. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
unter Mitwirkung
der Präsidentin des Oberlandesgerichts O. und
der Richter am Oberlandesgericht S. und Dr. S.
auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2003
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung des Beklagten zu 3 gegen das am 18. Oktober 2002 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien wie folgt:

Die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 50%, der Beklagte zu 2 zu 16% sowie der Beklagte zu 3 zu 34%.

Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen der Beklagte zu 2 zu 16% und der Beklagte zu 3 zu 34%.

Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 trägt die Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 trägt die Klägerin zu 84% und die des Beklagten zu 3 zu 66%. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert bis zum 14. Mai 2003: 7.000 EUR, danach 5.000 EUR.

Gründe

1

I.

Die Klägerin hat mit der Klage die Beklagten zu 1 und 2 aus Tierhalterhaftung und den Beklagten zu 3 wegen Verletzung seiner Verkehrssicherungspflichten als Veranstalter der 14. Bundesrasseschau für Hochlandrinder 2000 gesamtschuldnerisch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 7.500 EUR sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten als Gesamtschuldner für alle Zukunftsschäden aus dem Unfall vom 14. Oktober 2000 in Anspruch genommen. Die Klägerin besuchte die von dem Beklagten zu 3 veranstaltete Bundesrasseschau. Die Beklagten zu 1 und 2 stellten als Züchter von Rindern ihre Jungtiere vor. Die Klägerin stand mit anderen Besuchern unmittelbar an dem maximal 1,30 m hohen Zaun eines Schaugeheges. Der Beklagte zu 1 führte sein Tier an einem Halfter mit einer Führleine in den Vorführring. Als der Beklagte zu 2 sein Tier in den Ring führte, geriet das des Beklagten zu 1 in Panik und sprang über den Zaun hinweg in das Publikum. Dabei riss das Tier die Klägerin um. Diese zog sich einen Unterarmbruch, Prellungen am Brustkorb sowie ein handtellergroßes Hämatom über der rechten Brust zu. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 2.000 EUR verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Ein höheres Schmerzensgeld rechtfertige sich ebenso wenig wie der Feststellungsantrag, weil nicht feststellbar sei, dass die Klägerin unfallbedingt einen (zusätzlichen) Knieschaden erlitten habe. Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

2

Mit der Berufung begehrt die Klägerin im Hinblick auf die Beeinträchtigungen ihres rechten Knies die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 3.000 EUR. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Der Beklagte zu 3 hat sich der Berufung der Klägerin angeschlossen und begehrt vollständige Klageabweisung, weil der Unfall auf einem unvorhersehbaren und untypischen Geschehensablauf beruhe und ihm eine Verkehrssicherungspflichtverletzung deshalb nicht vorgeworfen werden könne. Der Beklagte zu 2 hat seine Anschlussberufung mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung nach Hinweis des Senats zurückgenommen.

3

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen.

4

II.

Die Berufung der Klägerin ist ebenso wie die Anschlussberufung des Beklagten zu 3 unbegründet.

5

1.

Ein weiteres Schmerzensgeld ist nach dem Vorbringen der Klägerin nicht gerechtfertigt. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld hält der Senat auch unter Berücksichtigung der Vergleichsrechtsprechung für die geltend gemachten immateriellen Beeinträchtigungen für angemessen. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

6

Die zum Zeitpunkt des Unfalls 72 Jahre alte Klägerin erlitt unstreitig eine Fraktur des rechten Unterarms, die durch einen Gipsverband bis Mitte November 2000 versorgt werden musste. Darüber hinaus erlitt sie Prellungen am Brustkorb. Dass sie unfallbedingt eine weitere Verletzung ihres rechten Knies davongetragen hat, hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung nicht festzustellen vermocht. Die von der Klägerin erst- und zweitinstanzlich vorgelegten ärztlichen Atteste lassen nicht den Schluss darauf zu, dass ihr rechtes Knie durch den Unfall weiter geschädigt worden ist. Das Knie war bereits vor dem Unfall dreimal operiert worden. Bei der letzten Operation, die rd. neun Monate vor dem hier streitigen Unfall stattgefunden hatte, war der Klägerin eine Knieprothese eingesetzt worden (Operationsbericht vom 3. Dezember 1999, GA 192). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin tatsächlich unfallbedingt einen (weiteren) Schaden ihres rechten Knies davon getragen hat. Jedenfalls lassen die vorgelegten Atteste ebenso wenig wie ihr Vortrag zu weiteren unfallbedingten immateriellen Beschwerden die Zuerkennung eines weiteren Schmerzensgeldes zu. Es ist nicht ersichtlich, dass das Ausmaß der angeblich unfallbedingten Kniebeschwerden ein weiteres Schmerzensgeld rechtfertigen würde. Mit der Klageschrift hat die Klägerin insofern vorgetragen, dass ihr operiertes rechtes Kniegelenk seit der Verletzung durch die Kuh wesentlich schmerzhafter geworden sei und kontinuierliche Bewegungsbeschwerden aufträten. Bereits diesem Vortrag ist zu entnehmen, dass die Klägerin durchaus schon vor dem Unfall schmerzhafte Beeinträchtigungen ihres rechten Knies verspürt hat. Darüber hinaus wird jedoch schon nach ihrem eigenen Vorbringen nicht deutlich, welches Ausmaß die angeblich unfallbedingte Verschlimmerung der Kniebeschwerden erreicht hat und in welchem Maße die Klägerin hierdurch zusätzlich in ihrem täglichen Leben beeinträchtigt worden ist. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld ist insofern geeignet, auch gewisse zusätzliche Beeinträchtigungen abzudecken. Für ein weiteres Schmerzensgeld fehlt es an der konkreten Darlegung weiterer immaterieller Beeinträchtigungen.

7

Die Berufung der Klägerin hat deshalb keinen Erfolg.

8

2.

Auch die Anschlussberufung des Beklagten zu 3 bleibt ohne Erfolg. Der Senat nimmt auf die - auch im Hinblick auf die Angriffe des Beklagten zu 3 in der Berufungsinstanz - weiterhin zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug. Der Beklagte zu 3 hatte als Veranstalter der Bundesrasseschau für Hochlandrinder durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass Besucher bei der Veranstaltung, insbesondere bei der Vorführung von Tieren, nicht geschädigt werden. Da eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muss nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Vielmehr sind nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer und bei nicht ganz fern liegender bestimmungswidriger Benutzung drohen (Palandt/Thomas, BGB, 62. Aufl., § 823 Rn. 58). Der Senat hält mit dem Landgericht die Art der Einzäunung, die das Rind des Beklagten zu 1 ohne Mühe überwunden hat, im Streitfall für nicht ausreichend, um den Sicherheitserwartungen des Publikums auf der Bundesrasseschau ausreichend Rechnung zu tragen. Bei den Sicherungsmaßnahmen hatte der Beklagte zu 3 zu bedenken, dass in dem Vorführgehege junge Rinder vorgeführt werden sollten. Diese Tiere, die ein Stockmaß von ca. 1,20 m aufweisen und als sehr beweglich und agil gelten, waren, wie es auch vorauszusehen war, vielfältigen Reizen ausgesetzt. Lärm und visuelle Reize von den Besucherscharen der Schau und den Lautsprecheransagen wirkten während der Veranstaltung auf die Tiere, wobei dahingestellt bleiben kann, ob eine Lautsprecherdurchsage auch kurz vor dem Unfall erfolgt war. Auf Grund dessen können gerade junge Tiere, die an derartige Reize nicht gewöhnt sind, mit Angst oder Nervosität reagieren. Hinzu kommt, dass es bei Jungtieren häufig zu Rangordnungsstreitigkeiten kommt. Diese können erwartungsgemäß eher auftreten, wenn die Färsen in einen Vorführring geführt werden und dort auf Tiere treffen, die sie - wie im Streitfall - nicht aus ihrer Herde kennen. Gerade dieser Umstand ist für eine Rasseschau durchaus typisch und birgt besondere Gefahren. Der Beklagte zu 3 kann sich insofern nicht entlasten, wenn er vorträgt, dass die Tierhalter für die Vorführtauglichkeit ihrer Tiere einzustehen hatten. Die Durchführung einer Kontrolle der Vorführtauglichkeit, bevor die Tiere in den Vorführring geführt wurden, behauptet der Beklagte zu 3 nicht. Inwieweit Jungtiere wie im Streitfall bereits eine Vorführtauglichkeit bei Großveranstaltungen aufweisen können, kann dabei dahingestellt bleiben. Der Beklagte zu 3 durfte hierauf jedenfalls bei den vorgeführten Färsen nicht ohne Weiteres vertrauen. Da das Publikum geradezu aufgefordert ist, sich unmittelbar an den Vorführring zu stellen, um der Vorführung beizuwohnen, sind unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände hohe Anforderungen an die Sicherheit der Vorführgehege zu stellen.

9

Hinzu kommt, dass die Tiere, die im Streitfall an Halftern geführt worden sind, von den Führern nicht gehalten werden können, wenn sie etwa in Folge einer Angstreaktion durchgehen. Dieser Umstand ist allgemein bekannt. Der Beklagte zu 2 war auf einer Veranstaltung im Jahre 1999 schon einmal von einem seiner Tiere durch den Vorführring geschleift worden. Dass die Beklagten zu 1 und 2 ihre Tiere auch im Streitfall nicht haben halten können, überrascht angesichts des Gewichts und der Kraft der Tiere nicht. Hiermit musste der Beklagten zu 3 rechnen. Ohne dass der Senat zu entscheiden hat, welche Vorkehrungen ausreichend gewesen wären, steht auch im Streitfall fest, dass jedenfalls die von dem Beklagten zu 3 bei der Rasseschau getroffenen Sicherheitsmaßnahmen, insbesondere der verwendete Zaun, der sich auch aus den Bildern der zur Akte gereichten Zeitschrift Highland Cattle (6/2001, Seite 25 bis 30) ergibt, nicht den an die Sicherheit der Besucher der Bundesrasseschau zu stellenden Anforderungen entsprachen.

10

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen gem. § 543 ZPO nicht vor.