Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 30.07.2004, Az.: 6 A 2937/03

Bevollmächtigter; Notwendigkeit; Vorverfahren; Zuziehung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
30.07.2004
Aktenzeichen
6 A 2937/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50702
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

I. Der Kläger begehrt vom Beklagten die für eine Zuziehung seiner Prozessbevollmächtigten im Vorverfahren entstandenen Gebühren und Auslagen.

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Der Kläger ist Vater von drei in den Jahren 1980, 1986 und 1988 geborenen Kindern. Seinen Antrag vom 20. Dezember 1990 auf Zahlung einer amtsangemessenen Alimentation lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 17. April 1998 ab. Der Bescheid wurde ausweislich eines Vermerks auf dem Entwurf des Bescheides am 17. April abgesandt. Im Mai 2002 bat der Kläger um Prüfung seines Antrags. Der Beklagte teilte ihm dazu unter dem 25. Juli 2002 mit, dass er mit Bescheid vom 17. April 1998 den Antrag abgelehnt habe, der Kläger dagegen keine Rechtsmittel eingelegt habe und der Ablehnungsbescheid somit zwischenzeitlich bestandskräftig geworden sei. Gegen diesen dem Kläger am 2. August 2002 ausgehändigten Bescheid erhob er unter dem 9. August 2002 Widerspruch, den er im wesentlichen damit begründete, dass er den Bescheid vom 17. April 1998 nie bekommen habe und somit keine Widerspruchsfristen habe einhalten können. Er bitte um erneute Prüfung und Entscheidung.

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Unter dem 19. August 2002 teilte der Beklagte ihm dazu mit, dass sich die Bearbeitung noch verzögern und er unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkommen werde. Unter dem 9. September 2002 forderte dann der Beklagte den Kläger auf, insgesamt vier Fragen zu beantworten, die sich auf den Zugang des Bescheides vom 17. April 1998 bezogen. Diese Fragen beantwortete der Kläger in einer ergänzenden Stellungnahme vom 1. Oktober 2002. Unter Vorlage von Dienstplänen teilte er mit, vom 30. März 1998 bis zum 27. April 1998 nicht im Dienst gewesen zu sein, sondern Urlaub gehabt zu haben.

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Nachdem der Kläger in den folgenden sechs Monaten nichts Weiteres in dieser Angelegenheit gehört hatte, beauftragte er seine Prozessbevollmächtigte am 20. März 2003 mit der Wahrnehmung seiner Interessen und führte mit ihr das sog. Erstgespräch. Seine Prozessbevollmächtigte meldete sich beim Beklagten unter dem 26. März 2003 und mahnte die Bescheidung des Antrags des Klägers vom 20. Dezember 1990 bis zum 10. April 2003 an.

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Unter dem 21. Februar 2003 war seitens des Finanzministeriums eine Empfehlung ergangen, Kläger klaglos zu stellen, wenn der Zugang eines ablehnenden Bescheides nicht bewiesen werden könne. Unter dem 7. Mai 2003 erkannte der Beklagte den Nachzahlungsanspruch des Klägers an und errechnete den Nachzahlungsbetrag auf 9.084,95 Euro, den er ihm in der Folgezeit auch überwies.

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Unter dem 19. Mai 2003 forderte die Prozessbevollmächtigte des Klägers den Beklagten auf, diesem die notwendigen Kosten und Auslagen in Höhe von 1.009,78 Euro zu erstatten. Das lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 2. Juni 2003 ab, weil die Zuziehung eines Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen sei. Die dem Kläger gewährte Nachzahlung sei auf eine verwaltungsinterne Entscheidung des niedersächsischen Finanzministeriums zurückzuführen und wäre auch ohne die Einschaltung eines Rechtsanwalts erfolgt. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2003 - zugestellt am 11. Juli 2003 - als unbegründet zurückwies.

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Am 11. August 2003 hat der Kläger Klage erhoben.

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Er trägt vor: Seine Prozessbevollmächtigte verfolge für mehrere seiner Kollegen die außergerichtliche Durchsetzung gleichgelagerter Ansprüche. In anderen Verfahren würden die Honorare ausgezahlt und es würde nicht auf die angebliche verwaltungsinterne Entscheidung des niedersächsischen Finanzministeriums abgehoben. Der Beklagte habe noch am 25. Juli 2002 alle Ansprüche abgelehnt und auch in dem Gespräch, das seine Prozessbevollmächtigte Anfang Mai 2003 mit der Sachbearbeiterin des Beklagten geführt habe, habe diese nichts von einer verwaltungsinternen Entscheidung zu seinen Gunsten erwähnt. Der Beklagte habe nach außen hin so gehandelt, dass er als verständiger, an der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung interessierter Bürger die Einschaltung eines Rechtsanwalts für notwendig und sachdienlich habe erachten dürfen.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2003 zu verpflichten, die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren zur amtsangemessenen Alimentation anzuerkennen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er erwidert: Auch ohne Hinzuziehung eines Rechtsanwalts hätte der Kläger die ihm mit Schreiben vom 7. Mai 2003 gewährte Nachzahlung erhalten. Im Verfahren sei es nur um die Klärung der Frage gegangen, ob dem Kläger der Ablehnungsbescheid vom 17. April 1998 tatsächlich zugegangen sei. Die dazu an ihn gerichteten Fragen habe er beantwortet. Die weitere Bearbeitung habe er seinerzeit ausgesetzt, da noch keine landeseinheitlichen Bearbeitungshinweise dieser und gleichgelagerter Fälle bestanden habe. Diese seien erst Ende Februar 2003 erfolgt.

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Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend verwiesen.

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Mit Beschluss vom 16. März 2004 hat das Verwaltungsgericht Oldenburg den Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Entscheidungsgründe

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II. Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.

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Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 80 Abs. 2 VwVfG. Danach sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Davon geht auch der Beklagte im Bescheid vom 2. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 2003 aus.

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Die notwendige Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2001, Az: 6 C 19/01, NVwZ-RR 2002, 446; Urteil vom 26. Februar 1993, Az: 8 C 68/91, Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 34). § 80 Abs. 2 VwVfG bringt - ebenso wie die Vorschrift des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO - zum Ausdruck, dass nach Einschätzung des Gesetzgebers im verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren eine Vertretung des Bürgers durch Rechtsanwälte oder sonstige Bevollmächtigte in der Regel weder üblich noch erforderlich ist. Aus diesem Grunde ordnen beide Vorschriften eine Einzelfallprüfung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten an. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (so: BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2001, aaO m.w.N.). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob es für Bürger zumutbar ist, das Vorverfahren selbst zu führen, ist derjenige der Hinzuziehung des Rechtsanwalts, d.h. seiner förmlichen Bevollmächtigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1996, Az: 8 C 15.95, Buchholz 316 VwVfG, § 80 Nr. 36). In diesem Zeitpunkt stellt sich für den Widerspruchsführer die Frage, ob es angesichts seiner persönlichen Verhältnisse und wegen der Schwierigkeit der Sache zumutbar ist, das Vorverfahren selbst zu führen. Bei der Beurteilung der Schwierigkeit der Rechtssache ist von der Sachlage auszugehen, wie sie sich dem Widerspruchsführer zum Zeitpunkt der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten darstellt.

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Im Zeitpunkt der Bevollmächtigung seiner Rechtsanwältin am 20. März 2003 stellte sich die Situation für den Kläger so dar, dass es für ihn nicht zumutbar gewesen ist, das weitere Vorverfahren selbst zu führen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juli 2002 eingelegt und darauf hingewiesen, dass er den Bescheid vom 17. April 1998 nicht erhalten habe und dieser folglich nicht bestandskräftig geworden sein könne. Ihm war auch ausweislich des Schreibens des Beklagten vom 19. August 2002 bekannt, dass sich die Bearbeitung verzögern werde und der Beklagte unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkommen werde. Unter dem 9. September 2002 kam der Beklagte auf die Angelegenheit zurück und schickte ihm einen Fragenkatalog, zu dessen Beantwortung der Kläger keinen Rechtsanwalt benötigte, denn er beantwortete die aufgeworfenen Fragen in einer ergänzenden Stellungnahme vom 1. Oktober 2002 und fügte klarstellend eine Kopie des Dienstplans bei, aus der sich u.a. ergab, dass er vom 30. März 1998 bis zum 27. April 1998 Urlaub hatte. Dem Kläger war seinerzeit nicht bekannt, dass beim Beklagten in der Akte vermerkt worden war, dass der Ablehnungsbescheid vom 17. April 1998 mit einem Absendevermerk versehen sei, dass aus dortiger Sicht zunächst nichts zu veranlassen sei, da noch weitere Bearbeitungshinweise abzuwarten seien und dass die Wiedervorlage auf Dezember 2002 verfügt worden war. Der Kläger befand sich in der Situation, dass er nach Absendung seines Schreibens vom 1. Oktober 2002 nahezu sechs Monate lang nichts vom Beklagten gehört hatte, obwohl verwaltungsgerichtliche Urteile von Januar 2003 in vergleichbaren Verfahren zugunsten der Kläger ergangen waren, eine Empfehlung des Finanzministeriums vom 21. Februar 2003 vorlag, in der vorgeschlagen worden war, in vergleichbaren Fällen die jeweiligen Kläger klaglos zu stellen und er wusste, dass ein Kollege sein Geld schon bekommen hatte. Er befürchtete, dass versucht werde, sich vor der Begleichung der gerechtfertigten Ansprüche zu drücken. Diese Befürchtung hatte im Widerspruchsschreiben zum Ausdruck gebracht. In der mündlichen Verhandlung schilderte er darüber hinaus weitere Telefonate, die er und Kollegen seiner Dienststelle mit Bediensteten des Beklagten geführt hätten und in denen ihnen in keiner Weise weitergeholfen worden sei, vielmehr die Beauftragung eines Rechtsanwalts angeraten worden sei. Der Kläger hatte aus seiner Sicht alles getan, um die begehrte Zahlung zu erhalten, deren Voraussetzungen aus seiner Sicht auch vollständig erfüllt waren. Da sie gleichwohl ausblieben, schaltete er seine Prozessbevollmächtigte ein und erhielt wenige Wochen später 9.084,95 Euro.

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Demgegenüber kommt es nicht entscheidend darauf an, dass aus Sicht des Beklagten die Zahlungen an den Kläger in gleicher Weise erfolgt wären und dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten aus dortiger Sicht nicht notwendig war, denn auf die Sicht der Behörde kommt es im Rahmen des § 80 Abs. 2 VwVfG nicht entscheidend an.

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Der Einzelrichterin ist bekannt, dass in einem Beschluss vom 5. Mai 2003, Az: 6 A 4184/02, in einem vergleichbaren Fall der Berichterstatter eine andere Entscheidung getroffen und den Antrag des Klägers, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, abgelehnt hat. In dem Fall hatte der Kläger den Fragenkatalog unter dem 8. April 2002 erhalten und beantwortet. Sein Prozessbevollmächtigter meldete sich bereits unter dem 12. Juni 2002 beim Beklagten. Er hatte nicht etwa 6 Monate lang auf eine Entscheidung des Beklagten gewatet, sondern nach 2 Monaten einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Dem Begehren dieses Klägers war vor dem 25. März 2003 durch den Beklagten entsprochen worden. Mit Datum vom 25. März 2003 war das gerichtliche Verfahren nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt worden. Aus Sicht der Einzelrichterin ist der Beschluss vom 8. Oktober 2003, Az: 6 A 5325/02, hier eher vergleichbar, denn auch hier hatte sich der Kläger zunächst selber und ohne Mandatierung eines Rechtsanwalts über Monate um die Wahrnehmung seiner Rechte bemüht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.