Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 08.07.2003, Az.: 1 B 30/03

Erlass; Hochschule; Langzeitstudent; Langzeitstudierender; Studiengebühr; unbillige Härte

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
08.07.2003
Aktenzeichen
1 B 30/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 48594
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Regelungen der §§ 11, 13 NHG über Studiengebühren für Langzeitstudierende in Niedersachsen sind - aufgrund der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein maßgeblichen summarischen Prüfung - rechtmäßig (wie VG Hannover, Beschl. v. 2.5.2003 - 6 B 1526/03).

2. Zur Frage, ob ein Anspruch auf Erlass der Studiengebühren nach § 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 NHG besteht (hier: verneint).

Gründe

1

Der Antrag der Antragstellerin, die seit dem Wintersemester 1998/99 im Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Antragsgegnerin Betriebswirtschaftslehre studiert und zuvor von 1986 bis 1998 an der Universität ... studiert hatte, hat keinen Erfolg.

2

Die Kammer legt den Antrag der anwaltlich nicht vertretenen Antragstellerin gemäß § 88 VwGO dahin gehend aus, dass sie zum einen begehrt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (1 A 134/03) gegen die Anforderung einer Studiengebühr in Höhe von 500 EUR im Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. März 2003 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO anzuordnen (dazu 1.). Zum anderen begehrt sie nach ihrem Vortrag ersichtlich hilfsweise vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich des Erlasses der Gebühr nach - der hierfür einschlägigen Rechtsschutzform des - § 123 Abs. 1 VwGO mit dem Ziel, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die von ihr bereits gezahlte Gebühr in Höhe von 500 EUR vorläufig zu erlassen und ihr vorläufig wieder auszuzahlen (dazu 2.). Beide Anträge sind hingegen unbegründet.

3

1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen, ist zwar zulässig, da die Antragsgegnerin zuvor den nach § 80 Abs. 6 Satz 1 erforderlichen Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom 22. Mai 2003 abgelehnt hat. Dem Antrag bleibt aber in der Sache der Erfolg versagt.

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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn diese - wie hier - nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes entfällt. Bei der danach vom Gericht zu treffenden Entscheidung ist analog § 80 Abs. 4 VwGO zu entscheiden (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnr. 849 ff.). Hiernach hat gerichtlich eine Aussetzung bei ernstlichen Zweifeln im Regelfall zu erfolgen, ein Rechtsgedanke, der seine Legitimation auch daraus erhält, dass Geldleistungen prinzipiell nachholbar sind und durch eine Aussetzung mithin keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Demgemäß kommt es auf ernstliche Zweifel an, die dann anzunehmen sind, wenn Unklarheiten, Unsicherheiten und vor allem Unentschiedenheiten bei der Einschätzung der Sach- und Rechtslage bestehen bzw. ein Erfolg im Hauptsacheverfahren gleichermaßen unwahrscheinlich wie wahrscheinlich ist (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2000, § 80 Rdnr. 116; Nds. OVG, Beschl. v. 24.3.2003 - 12 LA 19/03 -). Solche Zweifel liegen hier allerdings letztlich nicht vor.

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Rechtsgrundlage für die streitige Gebührenforderung der Antragsgegnerin sind die §§ 11, 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 NHG i. d. F. des Gesetzes zur Hochschulreform in Niedersachsen (NdsHochschulreformG) vom 24. Juni 2002 (Nds. GVBl. S. 286). Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 NHG erheben die Hochschulen in staatlicher Verantwortung für das Land Niedersachsen von den Studierenden für jedes Semester eine Studiengebühr in Höhe von 500 EUR, soweit kein Studienguthaben mehr zur Verfügung steht. Das Studienguthaben seinerseits berechnet sich nach § 11 NHG. Hiernach verfügen Studierende über ein einmaliges Studienguthaben in Höhe der Semesterzahl der Regelstudienzeit eines grundständigen Studienganges zur Erlangung eines berufsqualifizierenden Abschlusses zuzüglich weiterer vier Semester, wobei für die Berechnung des Studienguthabens die Regelstudienzeit des gegenwärtig gewählten Studienganges maßgeblich ist. In bestimmten in § 11 Abs. 3 NHG und Abs. 2 Satz 2 NHG genannten Fällen erhöht sich das Studienguthaben. Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 NHG werden grundsätzlich Studienzeiten an Hochschulen im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes angerechnet, soweit für diese Studienzeiten keine Studiengebühren erhoben wurden.

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Diese Bestimmungen dürften mit höherrangigem Recht vereinbar und daher verfassungsgemäß sein (so auch VG Hannover, Beschl. v. 2.5.2003 - 6 B 1526/03 -; vgl. zudem VGH Mannheim, Urt. v. 6.4.2000 - 2 S 1860/99 -, DVBl. 2000, 1782). Das Bundesverwaltungsgericht hat mit einer ausführlichen Begründung die inhaltlich mit den niedersächsischen Vorschriften im Wesentlichen übereinstimmenden Regelungen hinsichtlich der Studiengebühren für Langzeitstudenten im Hochschulgebührenrecht des Landes Baden-Württemberg für mit höherrangigem Recht - vor allem mit Art. 12 GG - vereinbar erklärt (BVerwG, Urt. v. 25.7.2001 - 6 C 8.00 -, BVerwGE 115, 32 = NVwZ 2002, 206). Die Vorschriften der §§ 11 und 13 Abs. 1 und 2 NHG entsprechen den §§ 81 a und 81 b des nach Art. 7 Abs. 2 NdsHochschulreformG mittlerweile außer Kraft getretenen NHG in der Fassung vom 24. März 1998 (Nds. GVBl. S. 300), zuletzt geändert durch Art. 8 des Haushaltsbegleitgesetzes 2002 vom 18. Dezember 2001 (Nds. GVBl. S. 806) - im Folgenden: NHG a. F. -. Zwischen der Verkündung des Haushaltsbegleitgesetzes 2002 im Dezember 2001 mit den inhaltsgleichen §§ 81 a und 81 b NHG a. F. und dem Beginn der Gebührenpflicht zum Sommersemester 2003 liegen rund eineinhalb Jahre, so dass die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 25. Juli 2001 geforderte angemessene Übergangsfrist, in der sich die Studierenden auf die Gebührenbelastung einstellen können müssen, hier ebenfalls gewahrt ist (so auch VG Hannover, Beschl. v. 2.5.2003 - 6 B 1526/03 -; vgl. zudem VG München, Beschl. v. 8.11.1999 - M 3 K 99.2157 -, NVwZ-RR 2001, 36, 37 [OVG Nordrhein-Westfalen 15.06.2000 - 16 A 3108/99]; vgl. auch Rechtsgutachten zur "Verfassungsmäßigkeit der Einführung von Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen" von W. Achelpöhler, Münster, Juli 2002). Der Vortrag der Antragstellerin rechtfertigt keine andere Entscheidung.

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Diese Vorschriften sind im Fall der Antragstellerin auch rechtsfehlerfrei angewandt worden. Die Antragstellerin befindet sich insgesamt im 34. Hochschulsemester und hat ihr Studienguthaben in Höhe von 13 Semestern (neun plus vier Semester) bereits um 20 Semester überschritten. Dies stellt die Antragstellerin auch nicht in Abrede. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sich aus einem der in § 11 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 NHG genannten Fälle das Studienguthaben der Antragstellerin erhöhen könnte.

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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO mit dem begehrten Inhalt ist ebenfalls unbegründet.

9

Unabhängig von der Frage, ob die Antragstellerin insoweit den erforderlichen Anordnungsgrund - die Dringlichkeit - glaubhaft gemacht hat, hat sie jedenfalls nicht in der nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO gebotenen Weise einen ebenfalls erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat voraussichtlich keinen Anspruch auf den von ihr mit der Klage ebenfalls begehrten Erlass der streitigen Gebührenforderung gemäß § 14 Abs. 2 NHG. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG kann die Gebühr auf Antrag im Einzelfall teilweise oder ganz erlassen werden, wenn die Einziehung der Gebühr zu einer unbilligen Härte führen würde. In Satz 2 dieser Vorschrift sind drei Regelfälle aufgeführt.

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a) Die Regelfälle der Nr. 1 und 2 des § 14 Abs. 2 Satz 2 NHG werden von den Antragstellerin nicht geltend gemacht. Aber auch der von ihr in Anspruch genommene Regelfall des § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 NHG liegt ersichtlich nicht vor. Hiernach liegt eine unbillige Härte bei einer wirtschaftlichen Notlage in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung vor. Unabhängig von der Frage, ob die Antragstellerin sich tatsächlich in einer wirtschaftlichen Notlage i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 NHG befindet, fehlt es jedenfalls an der weiteren Voraussetzung, dass sich der Betroffene in zeitlich unmittelbarer Nähe zum letzten Abschnitt der Abschlussprüfung befindet. Der Antragstellerin fehlt bisher die insoweit erforderliche Bescheinigung des Prüfungsamtes der Antragsgegnerin, dass sie das Studium im laufenden Sommersemester 2003 abschließen kann. Nach der Darstellung der Antragsgegnerin werden derartige Bescheinigungen im Studiengang Betriebswirtschaftslehre in der Regel ausgestellt, wenn der betreffende Student die Diplomarbeit, für die eine Bearbeitungszeit von drei Monaten in Ansatz gebracht wird, angemeldet hat, diese bis zum 30. September d. J. abgeschlossen werden kann, allenfalls noch zwei oder drei Klausuren im Hauptstudium zu schreiben sind und auch sonst alle sonstigen Voraussetzungen der Abschlussprüfung vorliegen. Hieran fehlt es im Fall der Antragstellerin. Sie hat ausweislich des von der Antragsgegnerin überreichten Schreibens des Vorsitzenden der Prüfungsausschüsse, Herrn Prof. Dr. ..., vom 25. Juni 2003 im Wintersemester 2002/03 insgesamt vier Klausuren in vier Prüfungsfächern nicht geschrieben, wobei sie zum ersten Termin jeweils ohne Angabe von triftigen Gründen nicht erschienen und im zweiten Termin jeweils erkrankt war. Überdies hat sie die Diplomarbeit nicht angemeldet. Darüber hinaus fehlt es am Erfordernis des Bestehens der Diplomvorprüfung. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 26. März 2003 - 2 ME 87/03 - den abweisenden Beschluss der Kammer vom 20. Januar 2003 - 1 B 85/02 - bestätigt und ergänzend ausgeführt, die Antragstellerin habe in den Fachprüfungen des Hauptstudiums bei weitem noch nicht die erforderlichen Bonuspunkte erreicht, wohingegen sie bereits 37 Maluspunkte (bei einer Höchstzahl von 48 Maluspunkten) erreicht habe, so dass offen sei, ob sie voraussichtlich schon im Sommer diesen Jahres in der Lage sein werde, die Zulassung zur Diplomarbeit zu beantragen, und ob das Bestehen der Diplomprüfung nicht bereits schon daran scheitern werde, dass sie die Höchstzahl an Maluspunkten erreiche. Die übrigen Einwände der Antragstellerin blieben sowohl vor der Kammer als auch in der Beschwerdeinstanz erfolglos; wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die genannten Beschlüsse der Kammer und des Nds. OVG verwiesen. Im Ergebnis fehlt es daher an dem Erfordernis des Bestehens der Diplomvorprüfung.

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b) Des Weiteren hat die Antragstellerin auch keine Gründe in der nach §§ 123 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO erforderlichen Weise in der Weise glaubhaft gemacht, dass die Gebühreneinziehung in ihrem Fall zu einer sonstigen "unbilligen Härte" i. S. d. § 14 Abs. 2 Satz 1 NHG führen würde. Eine solche liegt dann vor, wenn es sich um einen atypischen, vom Gesetzgeber so nicht vorhergesehenen Fall handelt, in dem durch die Einziehung der Gebühr für den Betroffenen außergewöhnlich schwer wiegende Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung der Gebühr hinausgehen, so dass es zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit geboten ist, von der Gebühreneinziehung abzusehen. Diese Voraussetzungen sind im Fall der Antragstellerin nicht gegeben. Zwar stellen die Höhe der Gebühr mit 500 EUR pro Semester für einen Studierenden, der - wie die Antragstellerin - gezwungen ist, seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit neben dem Studium zu finanzieren, eine nicht unerhebliche wirtschaftliche Belastung und die mit der Nichtzahlung der Gebühr verbundene zwangsweise Exmatrikulation nach § 19 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 und § 14 Abs. 1 NHG einen erheblichen Nachteil für den Betroffenen dar. Diese Umstände gelten aber typischerweise für eine Vielzahl der Studierenden an den Hochschulen in staatlicher Verantwortung und sind vom Gesetzgeber auch vorhergesehen worden; sie begründen mithin nicht in der erforderlichen - besonderen und atypischen -Weise eine unbillige, im Einzelfall ungerechte Härte (so auch VG Hannover, Beschl. v. 2.5.2003 - 6 B 1526/03 -).

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. In Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in Gebührensachen werden in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - Fassung 1996 (NVwZ 1996, 563 unter Ziffer I 7) ein Viertel des Wertes der Hauptsache in Ansatz gebracht, hier insgesamt 250 EUR, da es vorliegend um die Festsetzung und den Erlass der Studiengebühren in Höhe von 500 EUR, mithin um zwei Streitgegenstände (je 125 EUR) geht.