Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 31.07.2003, Az.: 3 B 81/02
Abkömmling; Adoption; echtes Eltern-Kind-Verhältnis; faktische Vollziehung; Sofortvollzug; Spätaussiedlerbescheinigung; vorläufiger Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 31.07.2003
- Aktenzeichen
- 3 B 81/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48161
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 15 BVFG
- § 80 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Verwaltungsakte, die keine Eingriffsregelungen enthalten und in der Hauptsache mit Verpflichtungswiderspruch und Verpflichtungsklage angegriffen werden, können ihrer Rechtsnatur nach nicht mit einer Vollzugsanordnung versehen werden. Im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz ist in einem solchen Fall festzustellen, dass die Anordnung des Sofortvollzuges wirkungslos ist, aus Gründen der Rechtsklarheit ist die Anordnung des Sofortvollzuges darüberhinaus aufzuheben.
Gründe
Der Adoptivvater des Antragstellers ist deutscher Volkszugehöriger, die leibliche Mutter und der Antragsteller selbst russische Volkszugehörige.
Der Antrag des Antragstellers, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung auszustellen, wurde mit Bescheid des Antragsgegners vom 8. November 2002 abgelehnt. Gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet.
Der Antragsteller hat vorläufigen Rechtsschutz begehrt.
Der Antrag ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Es ist festzustellen, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 8. November 2002 wirkungslos ist; aus Gründen der Rechtsklarheit ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben.
Der Bescheid des Antragsgegners vom 8. November 2002 ist kein Bescheid, dessen sofortige Vollziehung angeordnet werden kann. Die Anordnung einer sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO kommt nur in Betracht für Verwaltungsakte, die mit dem Anfechtungswiderspruch oder mit der Anfechtungsklage angegriffen werden können (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: Januar 2003, § 80 Rdnr. 32). Verwaltungsakte, die keine Eingriffsregelungen enthalten und in der Hauptsache mit einem Verpflichtungswiderspruch und einer Verpflichtungsklage erstritten werden (siehe § 42 Abs. 1 VwGO), können ihrer Rechtsnatur nach nicht mit einer Vollzugsanordnung versehen werden.
So liegen die Dinge hier. Der Bescheid des Antragsgegners vom 8. November 2002 lehnt den Antrag auf Aufstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG (Spätaussiedlerbescheinigung für Abkömmlinge) ab. In dieser Ablehnung erschöpft sich der Regelungsgehalt des Bescheides. Er greift nicht weiter in Rechte des Antragstellers ein, verschmälert insbesondere nicht vorher gehabte Rechtspositionen. Handelt es sich nicht um eine Eingriffsmaßnahme der Verwaltung, ist die richtige Klage nicht die Anfechtungsklage, sondern ausschließlich die Verpflichtungsklage. Dementsprechend würde im Hauptsacheverfahren ein Antrag sachdienlich sein, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller eine Bescheinigung gem. § 15 Abs. 2 BVFG zu erteilen (wobei die Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides und Widerspruchsbescheides lediglich klarstellenden, nicht aber konstitutive Bedeutung hätte).
Da der Antragsgegner mithin zu Unrecht von einer sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides vom 8. November 2002 ausgeht, ist die Unklarheit der Rechtslage, wie sie auch beim Antragsteller durch den gestellten Antrag nach § 80 VwGO zum Ausdruck kommt, vom Gericht in der Weise zu lösen, dass festgestellt, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung wirkungslos ist. Zur Rechtsklarheit ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben (zu dieser Rechtsfolge vgl. Schoch/u.a. a.a.O. § 80 Rdnr. 238 ff.; Schoch, vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988, Seiten 14,84 ff., insbesondere 1489, 1490, 1492).
Auf die Frage, ob der Antragsgegner den Antrag auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung zu Recht abgelehnt hat, kommt es deshalb im Ergebnis nicht mehr an. Es spricht allerdings einiges dafür, dass der Antragsgegner zu Unrecht „ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis“ fordert. Weder §§ 15, 7 BVFG noch § 6 StAG stellen nach dem Wortlaut ein solches Erfordernis auf. Sie fordern lediglich eine Eigenschaft als „Abkömmling“. Diese Abkömmlingseigenschaft ergibt sich als Folge der Adoption automatisch. Das Verhältnis der genannten Rechtsvorschriften zum Erlass des Nds. Innenministeriums vom 8. Juli 2002 zu § 7 BVFG wird an dieser Stelle nicht abschließend eingegangen. Festzuhalten jedenfalls ist, dass nach dem Schriftsatz der Bevollmächtigten des Antragstellers der Kindesvater seinen Antrag auf Anfechtung der Adoption zurückgenommen hat. Weiter ist festzustellen, dass das Amtsgericht Walsrode im Beschluss vom 22. Januar 2003 in der Sache 10 F 513/02 S ausgeführt hat, dass die Kindesmutter die Führung eines gemeinsamen Haushaltes sowohl in Russland als auch in Walsrode „substantiiert vorgetragen“ hat und der Kindesvater dies „lediglich pauschal“ bestritten habe. Von daher spricht zumindest vieles auch für einen gemeinsamen Haushalt und für ein Eltern-Kind-Verhältnis, das angesichts der Verhältnisse nicht zwingend ein „unechtes“ ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.