Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 10.07.2003, Az.: 3 A 253/01
Fraktion; Grundrecht; Grundrechtsfähigkeit; Grundrechtsträger; Grundrechtsträgerschaft; juristische Person; juristische Person des öffentlichen Rechts; Klagebefugnis; Landtagsfraktion; Versammlungsfreiheit
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 10.07.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 253/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48503
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG Niedersachsen - 21.09.2004 - AZ: 11 LC 290/03
- BVerwG - 09.11.2005 - AZ: BVerwG 6 C 21.04
Rechtsgrundlagen
- Art 8 GG
- Art 19 Abs 3 GG
- § 42 Abs 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine Landtagsfraktion kann sich im Zusammenhang mit der Durchführung von öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel nicht auf den Schutz der Grundrechte berufen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 10. März 2001 über eine räumliche und zeitliche Beschränkung des Versammlungsrechts innerhalb eines Korridors für den Castortransport, des hierauf gestützten Schreibens der Beklagten vom 23. März 2001 und ferner des sonstigen Verhaltens der Beklagten, mit dem diese die von der Klägerin im März 2001 geplanten Veranstaltungen ohne konkrete Gefahrenprognose im Einzelfall verhindert habe.
Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 22. März 2001 mit, dass sie zwei öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel nach § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz anmelde. Sie wolle am 27. März 2001 ab 20.00 Uhr und am 28. März 2001 ab 10.00 Uhr auf dem Grundstück des Tageshauses A. in Dannenberg, Ortsteil Pisselberg Nr. ..., jeweils eine öffentliche Fraktionssitzung und anschließend eine Bürgerfragestunde unter freiem Himmel abhalten. Themen seien der Castortransport und die Versammlungsfreiheit. Sie gehe davon aus, dass für alle Personen, die diese Veranstaltungen aufsuchen wollten, freier Zugang gewährleistet werde.
Der hintere, direkt an der Eisenbahnstrecke Lüneburg-Dannenberg liegende Teil des in diesem Schreiben genannten Grundstückes befand sich innerhalb des örtlichen Geltungsbereichs der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 10. März 2001. Unter Punkt I. dieser Allgemeinverfügung hatte die Beklagte verfügt, dass unangemeldete öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel vom 24. März bis zum 8. April 2001 innerhalb des Korridors für den Castortransport untersagt seien. Unter Punkt II. untersagte die Beklagte ferner alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel für den Zeitraum vom 27. März bis zum 8. April 2001 in diesem Korridor. Der Transportkorridor wurde unter Punkt IV. für den Bereich der Eisenbahnstrecke Lüneburg-Dannenberg dahingehend konkretisiert, dass dieser Korridor einen Bereich von 50 m beiderseits der Bahnstrecke umfasse.
Mit Schreiben vom 23. März 2001 beantwortete die Beklagte das Schreiben der Klägerin vom Vortag und wies darauf hin, dass mit der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 das Versammlungsrecht in dem Bereich, in dem die von der Klägerin geplanten Veranstaltungen stattfinden sollten, eingeschränkt worden sei. Die Klägerin gehe selbst davon aus, dass es sich bei diesen Veranstaltungen um Versammlungen handele und nicht um geschlossene Fraktionssitzungen. Die Klägerin gehe ferner selbst davon aus, dass für alle Personen, die diese Veranstaltungen aufsuchen wollten, freier Zugang gewährleistet werde. Die Einschränkung des Versammlungsrechts durch die Allgemeinverfügung gelte jedoch für alle gleichermaßen. Der Bereich Pisselberg, insbesondere die Bahnlinie und der Bahnübergang, sei außerordentlich sensibel. Hier sei die Aktion "eine Nacht im Gleisbett" durchgeführt worden. Bei der Allgemeinverfügung gehe es jedoch nicht um eine Einschränkung der parlamentarischen Tätigkeit der Klägerin. Erfasst sei nur der unter das Versammlungsrecht fallende Teil der Veranstaltungen. Insoweit bestehe jedoch keine andere Möglichkeit, als die Veranstaltung entweder nicht als öffentliche Versammlung durchzuführen oder sie auf einen anderen Ort oder einen anderen Zeitpunkt zu verlegen.
Gegen dieses Schreiben und die Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 legte die Klägerin am 24. März 2001 Widerspruch ein.
Ebenfalls am 24. März 2001 beantragte die Klägerin bei der damals zuständigen 7. Kammer des erkennenden Gerichts die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Diesen Antrag lehnte die 7. Kammer mit Beschluss vom 24. März 2001 (7 B 21/01) ab. Der weitere beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wurde von der 1. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 26. März 2001 abgelehnt (1 BvQ 16/01).
Mit einem weiteren Schreiben vom 23. März 2001, das allerdings weder der 7. Kammer des erkennenden Gerichts noch dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen hatte, erweiterte die Klägerin die Versammlungsanmeldung. In diesem Schreiben meldete die Klägerin für Montag, den 26. März 2001, ab 20.00 Uhr und für Dienstag, den 27. März 2001, ab 10.00 Uhr jeweils eine öffentliche Fraktionssitzung mit anschließender Bürgerfragestunde unter freiem Himmel auf dem genannten Grundstück im Ortsteil Pisselberg an. Im Übrigen stimmt der Inhalt dieses Schreibens mit dem Inhalt des Schreibens vom 22. März 2001 überein.
Nachdem der Castortransport am 29. März 2001 beendet und damit gemäß Punkt III. der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 die Allgemeinverfügung außer Kraft getreten war, teilte die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 30. März 2001 mit, dass ihr Widerspruch aufrecht erhalten werde. Tatsächlich sei der öffentliche Teil der Fraktionssitzung nicht nur in der sogenannten 50 m - Zone des Transportkorridors verhindert worden, sondern gänzlich. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 21. Mai 2001 mit, dass eine Entscheidung über den Widerspruch nicht mehr zulässig sei, nachdem sich sowohl der Inhalt der Allgemeinverfügung als auch der Bescheid vom 23. März 2001 erledigt hätten.
Die Klägerin hat am 25. Juni 2001 die vorliegende Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben.
Sie trägt vor, die Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 stelle sich als nichtige Scheinverfügung dar, da die Beklagte tatsächlich die Strategie verfolgt habe, einen Bereich von 5 km beiderseits der Transportstrecke von Demonstrationen und Camps frei zu halten. Im übrigen sei die Allgemeinverfügung rechtswidrig, weil die Beklagte das zu berücksichtigende Tatsachenmaterial nur unvollständig ermittelt habe, insbesondere habe sie nicht berücksichtigt, dass die Mehrzahl der Proteste friedlich sei. Die Gefahrenprognose der Allgemeinverfügung treffe auf sie nicht zu, da sie als Landtagsfraktion Gewähr für die Friedfertigkeit der von ihr geplanten Veranstaltungen bieten könne. In ihrem Falle habe die Beklagte ferner nicht berücksichtigt, dass die Versammlungsverbotszone der Allgemeinverfügung nicht das gesamte Grundstück in Dannenberg, Ortsteil Pisselberg Nr. ..., umfasse. Alternativ wäre es auch möglich gewesen, den öffentlichen Teil der Veranstaltung auf die Straße zu verlagern. Die Beklagte habe es unterlassen, versammlungsfreundliche Alternativvorschläge zu machen. Es hätten auch Telefonate zwischen der Fraktionsvorsitzenden, der Regierungspräsidentin der Beklagten und dem Gesamteinsatzleiter der Polizei stattgefunden. In diesen Telefonaten sei ihrerseits betont worden, dass der öffentliche Teil der geplanten Veranstaltung zum einen außerhalb des zeitlichen Geltungsbereiches des totalen Versammlungsverbotes, nämlich schon am Montag, dem 26. März 2001, und zum anderen auch außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches, nämlich außerhalb der 50 m - Zone entweder auf dem Privatgelände des Hauses A. oder auf öffentlichem Gelände (Straße, Dorfplatz) stattfinden könne. Die Beklagte habe jedoch selbst für die Veranstaltung am Montagabend eine Verlegung nach Dannenberg oder sonstwo hin verlangt.
Die Klägerin beantragt,
1. festzustellen, dass die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 10. März 2001 rechtswidrig gewesen ist,
2. festzustellen, dass die Verfügung der Beklagten vom 23. März 2001 rechtswidrig gewesen ist,
3. festzustellen, dass die Verhinderung der für den 26., 27. und 28. März 2001 angemeldeten Veranstaltungen rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht geltend, die Klägerin verkenne, dass es gerade dem Wesen der Allgemeinverfügung entspreche, dass sie nicht für jeden Einzelfall eine besondere Gefahrenprognose enthalte. Im Übrigen sei gerade der Bereich Pisselberg außerordentlich sensibel gewesen. Hier habe am 3. März 2001 die Aktion "eine Nacht im Gleisbett" von "X-tausendmal quer" stattgefunden, bei der es zu zahlreichen Gleisbesetzungen gekommen sei. Insofern sei die Gefahrenprognose gerade im Hinblick auf die von der Klägerin geplante Veranstaltung auch durchaus konkret gewesen. Da die von der Klägerin beabsichtigte Veranstaltung für jedermann frei zugänglich sein sollte, habe auch angesichts des Fraktionsstatus der Klägerin keine Gewähr für deren Friedlichkeit bestanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
I. Die Klage ist unzulässig.
Die Klägerin ist als Landtagsfraktion hinsichtlich der hier allein in Betracht kommenden Verletzung von Grundrechten im Zusammenhang mit der Durchführung von Versammlungen nicht klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
Die Klagebefugnis, die auch bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen zählt (Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 12. Aufl. 2000, § 42 Rdnr. 62), ist bereits dann zu bejahen, wenn die Möglichkeit der vom Kläger behaupteten Verletzung subjektiver Rechte besteht (Kopp/Schenke, a.a.O., § 42 Rdnr. 66).
1. Die Klagebefugnis ergibt sich nicht - wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vertreten hat - allein daraus, dass die Beklagte durch den Hinweis auf den örtlichen und zeitlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 ihr gegenüber das Versammlungsgesetz angewandt habe. Auch beispielsweise gegenüber einer Behörde können polizei- und auch versammlungsrechtliche Vorschriften angewandt werden, ohne dass bereits daraus automatisch eine Verletzung ihr zustehender eigener Rechte folgt. Entscheidend für die Annahme der Klagebefugnis ist vielmehr, ob die Klägerin Trägerin von subjektiven, also ihrem Schutz dienenden Rechten (aus einfachem Recht oder aus dem Kreis der Grundrechte) ist, deren Verletzung durch die klagegegenständlichen Maßnahmen der Beklagten möglich erscheint.
2. Eine Beeinträchtigung der Fraktionsrechte der Klägerin - wie sie im einzelnen in der Niedersächsischen Verfassung, der Geschäftsordnung des Landtages und im Abgeordnetengesetz geregelt sind - scheidet hier aus.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 26. März 2001 in dem Verfahren 1 BvQ 16/01 (NVwZ-RR 2001, 442; DVBl. 2001, 901) hierzu ausgeführt:
"Ausweislich der Anmeldung vom 22. März 2001 hat die Antragstellerin "zwei öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel nach § 14 Abs. 1 Versammlungsgesetz" angemeldet. Eine Fraktionssitzung als solche bedarf an sich keiner versammlungsrechtlichen Anmeldung. Die Anmeldung gilt hier offenbar dem über eine Fraktionssitzung hinausgehenden Teil der Veranstaltungen. Vorgesehen ist nach dem Wortlaut der Anmeldung jeweils neben der Fraktionssitzung eine "Bürgerfragestunde unter freiem Himmel" mit "freiem Zugang" aller Personen, die diese Veranstaltung aufsuchen wollen. Insofern handelt es sich um Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sowie des Versammlungsgesetzes, nämlich um örtliche Zusammenkünfte mehrerer zum Zwecke gemeinsamer Erörterung und Kundgebung in Angelegenheiten, die zur öffentlichen Meinungsbildung bestimmt und geeignet sind. Die rechtliche Einordnung als Versammlungen ändert sich nicht dadurch, dass die Veranstaltungen orts- und weitgehend zeitgleich sowie inhaltlich verschränkt mit Fraktionssitzungen durchgeführt werden sollen."
In ihrem Antwortschreiben vom 23. März 2001 hat die Beklagte deshalb ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 die parlamentarische Tätigkeit der Klägerin nicht einschränke. Erfasst sei durch diese Allgemeinverfügung nur der unter das Versammlungsrecht fallende Teil der von der Klägerin geplanten Veranstaltungen.
Da das weitere Anmeldungsschreiben vom 23. März 2001 inhaltlich mit dem Schreiben vom 22. März 2001 übereinstimmt und auch sonst keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beklagte die Fraktionsrechte der Klägerin beeinträchtigt haben könnte, kommt eine Verletzung der Fraktionsrechte der Klägerin hinsichtlich aller drei Streitgegenstände nicht in Betracht.
3. In Betracht kommt hier daher nur eine Verletzung von Grundrechten im Zusammenhang mit den von der Klägerin geplanten Versammlungen, insbesondere eine Verletzung der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit.
a) Dies setzt jedoch voraus, dass die Klägerin als Landtagsfraktion überhaupt Trägerin des Grundrechts aus Art. 8 GG sein kann. Diese vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. März 2001 in dem Eilverfahren 1 BvQ 16/01 offengelassene Frage ist unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der niedersächsischen Regelungen zur Stellung der Fraktionen und ihren Aufgaben und Rechten zu verneinen.
Grundrechte sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (siehe u. a. Beschl. v. 31.10.1984, BVerfGE 68, 193, 205 f. [BVerfG 31.10.1984 - 1 BvR 35/82]) in erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonderes gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben. Dem gemäß dienen sie vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürlicher Person gegen Eingriffe staatlicher Gewalt; darüber hinaus sichern sie Voraussetzungen und Möglichkeiten für eine freie Mitwirkung und Mitgestaltung des Einzelnen im Gemeinwesen.
Nach Art. 19 Abs. 3 GG gelten die Grundrechte aber auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Bildung und Betätigung der juristischen Person Ausdruck der freien Entfaltung privater natürlicher Personen ist, insbesondere wenn der "Durchgriff" auf die hinter ihr stehenden Menschen ihre Einbeziehung in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte sinnvoll und erforderlich erscheinen lässt (BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, a.a.O., S. 205 f). Diese Voraussetzungen werden bei juristischen Personen des Privatrechts vielfach erfüllt sein. Juristische Personen des öffentlichen Rechts können sich jedoch grundsätzlich nicht auf die Grundrechte berufen. Denn die Erfüllung öffentlicher Aufgaben vollzieht sich in der Regel nicht in der Wahrnehmung von Freiheiten, sondern von Kompetenzen, die nicht Gegenstand der Grundrechte sind. Ausnahmen bestehen für juristische Personen des öffentlichen Rechts - wie beispielsweise Universitäten, Rundfunkanstalten, Kirchen -, die als eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtungen der Verwirklichung individueller Grundrechte der Bürger dienen und die von ihren Aufgaben her unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Lebensbereich zuordnen sind. Allein der Umstand, dass eine juristische des öffentlichen Rechts Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit wahrnimmt, macht sie allerdings nicht zum "Sachwalter" des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte, da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass der Bürger etwaige Verletzungen seine Grundrechte selbst geltend macht (BVerfG, Beschl. v. 31.10.1984, a.a.O., S. 206 f, m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG).
Träger des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG können zudem auch nicht rechtsfähige Vereinigungen sein, wenn sie vergleichbar nicht rechtsfähigen Vereinen oder Gesellschaften des bürgerlichen Rechts eine festgefügte Struktur haben und auf gewisse Dauer angelegt sind. Dies gilt insbesondere für Parteien (Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Kommentar, 12. Aufl. 2000, § 1 Rdnrn. 66 und 240, m.w.N.), die nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, hierbei ihren Zielen auch mit der Durchführung von Aufzügen und Versammlungen Ausdruck verleihen und sich insoweit auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen können.
Die Rechtsnatur der Fraktionen ist bislang von der Rechtsprechung noch nicht bestimmt worden und im Schrifttum umstritten (vgl. hierzu Neumann, Die niedersächsische Verfassung, Kommentar, 3. Aufl. 2000, Art. 19 Rdnr. 3). Diese Frage kann hier jedoch dahin stehen, da die Klägerin unabhängig von ihrer konkreten rechtlichen Einordnung ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen zur Grundrechtsträgerschaft nicht Trägerin des Grundrechts aus Art. 8 GG sein kann.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Parlamentsfraktionen notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens. Sie haben als Teile und ständige Gliederungen einer parlamentarischen Körperschaft den technischen Ablauf der Meinungsbildung und Beschlussfassung in gewissem Grade zu steuern und damit zu erleichtern. Sie sind von der Verfassung anerkannte Teile eines Verfassungsorgans. Rechtsbeziehungen bestehen für sie daher grundsätzlich nur innerhalb des Parlaments (BVerfG, Beschl. v. 14.12.1976, BVerfGE 43, 142, 147 [BVerfG 14.12.1976 - 2 BvR 802/75]). Anders als die politischen Parteien, die an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken und die durch Einführung der von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozess der staatlichen Willensbildung für eine Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen, gehören die Fraktionen zum staatsorganschaftlichen Bereich und formen den staatlichen Willen selbst mit (BVerfG, Urt. v. 19.7.1966, BVerfGE 20, 56, 98 f. und 104 f.; Korte/Rebe, Verfassung und Verwaltung des Landes Niedersachsen, 2. Aufl. 1986, S. 219 f.). Nur weil die Fraktionen ständige Gliederungen des Parlaments, nicht weil sie "Teile einer politischen Partei" sind, können sie im Organstreit antragsberechtigt sein. Zwar sind die Fraktionen den politischen Parteien eng verbunden und wirken die Parteien insbesondere über die Parlamentsfraktionen und die zu ihnen gehörenden Abgeordneten auf die staatlichen Entscheidungen ein. Das ändert jedoch nichts daran, dass sie anders als die politischen Parteien zum staatsorganschaftlichen Bereich gehören (BVerfG, Urt. v. 19.7.1966, a.a.O., S. 104 f).
Nach dieser Umschreibung der Aufgaben, Funktionen und der Rechtsstellung der Fraktionen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes können diese zwar zum einen eigene (in der Verfassung verankerte) Rechte im Zusammenhang mit ihren Aufgaben und Funktionen als Teile des Verfassungslebens im staatsorganschaftlichen Bereich wahrnehmen und zum anderen die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung von Rechten des gesamten Parlaments geltend machen, hierüber hinausgehend können sie sich jedoch im Unterschied zu Parteien und anderen politischen Vereinigungen gegenüber (anderen) Staatsorganen wegen des Fehlens entsprechender Rechtsbeziehungen nicht auf (Grund-) Rechte berufen. Denn die Fraktionen sind nicht wie der einzelne Bürger, bestimmte juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Parteien vom staatlichen Bereich grundsätzlich unabhängig - "distanziert" - und dem Staat gegenüber gestellt. Sie sind vielmehr als ständige Gliederungen einer parlamentarischen Körperschaft in den staatsorganschaftlichen Bereich integriert. Sie gestalten den Ablauf der Meinungsbildung und Beschlussfassung im Parlament, wirken jedoch nicht (unmittelbar) bei der politischen Willensbildung im Volk mit und sind - anders als Parteien und politische Vereinigungen - nicht "Bindeglieder" zwischen Volk und Staat. Deshalb dienen sie nach der Definition ihrer Aufgaben und Funktionen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch nicht der Verwirklichung und Verteidigung der Grundrechte der Bürger. Dass die Klägerin nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung für die Grundrechte der Bürger im Zusammenhang mit den Castortransporten eintritt, ist nach dem oben Gesagten für die Begründung ihrer Grundrechtsträgerschaft nicht ausreichend. Auch stehen hinter den Fraktionen nicht die Grundrechte einzelner Parteimitglieder; diese können ihre Rechte vielmehr jederzeit selbst geltend machen. Ebenso wenig sind die Parteien außerhalb des Parlaments auf die "Hilfe" der Fraktionen bei der Wahrnehmung ihrer (Grund-) Rechte angewiesen.
Dieser Definition der Rechtsstellung der Fraktionen, ihrer Aufgaben, Funktionen und Rechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind die Bestimmungen in der Niedersächsischen Verfassung, in der Geschäftsordnung des Landtages und im Abgeordnetengesetz im wesentlichen gefolgt:
Nach Art. 19 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung können sich die Mitglieder des Landtages nach Maßgabe der Geschäftsordnung des Landtages zu Fraktionen zusammen schließen. Nach Abs. 2 Satz 1 dieses Artikels haben die Fraktionen und die Mitglieder des Landtages, die die Landesregierung nicht stützen, das Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit.
In § 2 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtages werden die Fraktionen dahingehend definiert, dass Fraktionen Vereinigungen sind, zu denen sich Mitglieder des Landtages zusammenschließen können, die der gleichen Partei angehören, falls diese Partei mindestens den nach dem Landeswahlgesetz erforderlichen Anteil an der Gesamtstimmenzahl erreicht hat.
In § 30 Abs. 1 Satz 2 des Abgeordnetengesetzes sind Fraktionen als mit eigenen parlamentarischen Rechten und Pflichten ausgestattete Vereinigungen von Abgeordneten definiert. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift dienen die Fraktionen der politischen Willensbildung im Landtag (Satz 1), helfen sie ihren Mitgliedern, ihre parlamentarische Tätigkeit auszuüben und zur Verfolgung gemeinsamer Ziele aufeinander abzustimmen (Satz 2) und können sie mit Fraktionen anderer Parlamente zusammen arbeiten und die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit unterrichten (Satz 3). Nach Absatz 3 können Fraktionen am allgemeinen Rechtsverkehr teilnehmen und unter ihrem Namen klagen und verklagt werden.
Die letztgenannte Vorschrift - § 30 Abs. 3 Abgeordnetengesetz - stellt zwar (deklaratorisch) die allgemeine Prozessfähigkeit der Landtagsfraktionen (vgl. § 62 VwGO) fest, trifft jedoch keine Aussage über ihre Klagebefugnis im Einzelfall oder ihre Grundrechtsfähigkeit .
Soweit in Art. 19 Abs. 2 der Niedersächsischen Verfassung bestimmt ist, dass die Fraktionen das Recht auf Chancengleichheit in Parlament und Öffentlichkeit haben, bezieht sich die Chancengleichheit in der Öffentlichkeit auf das Verhältnis der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen zur Opposition in der Öffentlichkeitsarbeit. Die Opposition muss entsprechend berücksichtigt werden, wenn der Landesregierung für ihre Öffentlichkeitsarbeit staatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Erhält die Landesregierung für ihre Öffentlichkeitsarbeit ein Verlautbarungsrecht, so muss dies auch der Opposition eingeräumt werden (Neumann, a.a.O., Art. 19 Rdnr. 20, m.w.N.). Aus dieser "Chancengleichheit in der Öffentlichkeit" lässt sich nicht schließen, dass Fraktionen ebenso wie Parteien oder politische Vereinigungen Träger des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG sein können. Das Recht auf Chancengleichheit nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 Niedersächsische Verfassung bezieht sich vielmehr nur auf die Chancengleichheit bei der Information der Öffentlichkeit über die eigenen Tätigkeiten. Dementsprechend bestimmt auch § 30 Abs. 2 Satz 3 des Abgeordnetengesetzes lediglich, dass Fraktionen die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit unterrichten können. Dieses Recht auf Unterrichtung der Öffentlichkeit, das
ebenso von der Landesregierung in Anspruch genommen wird und für diese ebenfalls nicht den Grundrechtsschutz nach Art. 8 GG begründet, ändert mithin nichts an der oben wiedergegebenen Darstellung der Fraktionen als Einrichtungen des Verfassungslebens im staatsorganschaftlichen Bereich und ihrer damit verbundenen Aufgaben und Rechte.
Auch unter Berücksichtigung der speziellen niedersächsischen Regelungen können die Fraktionen daher nicht Träger des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG sein.
b) Die obigen Ausführungen zur fehlenden Klagebefugnis der Klägerin im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) gelten entsprechend für die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Auch hinsichtlich dieser Grundrechte fehlt es aus den dargestellten Gründen an der Klagebefugnis der Klägerin, sofern sie - wie hier - im Zusammenhang mit der Durchführung von Versammlungen geltend gemacht werden, wobei dahin gestellt bleiben kann, ob ein Rückgriff auf das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG überhaupt in Betracht kommt, wenn das spezielle "Versammlungsgrundrecht" aus Art. 8 Abs. 1 GG einschlägig ist.
Im Übrigen ist noch darauf hinzuweisen, dass ein "Austausch" der Klägerin - Partei Bündnis 90/Die Grünen oder einzelne Parteimitglieder anstelle der Landtagsfraktion - , hier nicht möglich gewesen ist, da die Landtagsfraktion der Partei Bündnis 90/Die Grünen bei der Anmeldung der zwei "Versammlungen unter freiem Himmel" sowohl gegenüber der Beklagten als auch in den Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor der 7. Kammer des erkennenden Gerichts und dem Bundesverfassungsgericht als alleinige Anmelderin dieser Veranstaltungen aufgetreten ist. Im vorliegenden Verfahren kann mithin allein überprüft werden, ob die Rechte der klagenden Landtagsfraktion durch die Verfügungen und das sonstige Verhalten der Beklagten im März 2001 verletzt worden sind.
II. Im Hinblick auf die von der Klägerin (oder ihrer Partei oder einzelnen Parteimitgliedern) nach ihren Ausführungen in der mündlichen Verhandlung beim kommenden Castortransport geplanten Veranstaltungen weist die Kammer noch darauf hin, dass die Klage, selbst wenn sie zulässig wäre, jedenfalls hinsichtlich der Klageanträge zu 1. und 2. keinen Erfolg gehabt hätte, da die Klage insoweit auch unbegründet ist.
1. Die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 10. März 2001 (Klageantrag zu 1.) ist rechtmäßig.
a) Sie ist keine bloße Scheinverfügung. Selbst wenn die Polizei beim Castortransport im März 2001 von Anfang an die Strategie verfolgt haben sollte, über den örtlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung - 50 m beiderseits der Transportstrecke - hinaus einen Bereich von 5 km beiderseits der Transportstrecke besonders zu beobachten und möglichst von Demonstrationen und sogenannten Camps frei zu halten, so würde dies die "Ernsthaftigkeit" der Allgemeinverfügung und ihren Regelungsgehalt, einen Transportkorridor von 50 m beiderseits der Transportstrecke in einem bestimmten zeitlichen Rahmen ohne die Notwendigkeit von Einzelfallprüfungen frei zu halten, in keiner Weise in Frage stellen.
b) Die angefochtene Allgemeinverfügung geht von einer zutreffenden Gefahrenprognose aus.
Insofern ist es unerheblich, dass die Beklagte die große Zahl friedlicher Demonstrationen bei den vorangegangenen Castortransporten und die wieder zu erwarten gewesene Friedlichkeit einer Vielzahl von Demonstrationen beim damals bevorstehenden Castortransport nicht ausdrücklich und im einzelnen in der Allgemeinverfügung berücksichtigt hat. Denn für die Frage, ob eine Situation vorliegt, die ausnahmsweise den Erlass einer Allgemeinverfügung rechtfertigt, kommt es nicht auf die Zahl der zu erwartenden friedlichen Demonstrationen an. Entscheidend ist vielmehr, ob genügend Indizien für die Annahme vorliegen, dass es - wie das Bundesverfassungsgericht formuliert hat (Beschl. v. 26.3.2001 - 1 BvQ 15/01 -, NJW 2001, 1411) - zu einem "polizeilichen Notstand" kommt, der es rechtfertigt, einschränkend auf die Modalitäten der Versammlungsdurchführung einzuwirken, um den polizeilichen Schutzauftrag umfassend und wirksam erfüllen zu können.
Für die Castortransporte der vergangenen Jahre und insbesondere auch für den Castortransport im März 2001 sind drei "Besonderheiten" maßgebend, die zusammen die Annahme eines solchen polizeilichen Notstandes rechtfertigen:
Eine lange und schwer zu kontrollierende (Eisenbahn- und Straßenstrecke durch Wälder, über Brücken und stellenweise - z. B. bei Wendisch Evern - auch durch grabenförmige Täler) Transportstrecke, die den Castorgegnern im gesamten Bereich von Lüneburg bis Gorleben als "Ziel" ihrer Proteste dient.
Hinreichend aussagekräftige Indizien, die sich auf die Erfahrungen vorangegangener Castortransporte und Erkenntnisse über den bevorstehenden Castortransport stützen und erwarten lassen, dass es auch bei dem bevorstehenden Castortransport zu einer großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" entlang der langen Transportstrecke kommen wird, und die bei einer Gesamtbetrachtung aller zu erwartenden Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründen, der ohne Erlass einer solchen Allgemeinverfügung mit den verfügbaren Polizeikräften nicht begegnet werden kann.
Eine letztlich begrenzte Zahl von Polizeikräften, die der Beklagten auch bei Berücksichtigung der Hinzuziehung von Polizeikräften anderer Bundesländer zur Verfügung steht.
Hier hat die Beklagte in der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 eine Vielzahl von hinreichend aussagekräftigen Indizien aufgeführt, die die Annahme einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründet haben, der ohne Erlass der Allgemeinverfügung mit den verfügbaren Polizeikräften entlang der langen Transportstrecke nicht wirksam hätte begegnet werden können. Diese Indizien sind von der 7. Kammer des erkennenden Gerichts in dem Verfahren 7 B 11/01 mit Beschluss vom 22. März 2001 (bestätigt vom Nds. OVG mit Beschl. v. 23.3.2001 - 11 MA 1128/01 -, siehe hierzu auch den Beschl. des BVerfG v. 26.3.2001 - 1 BvQ 15/01 -, a.a.O.) im einzelnen geprüft und als zutreffend angesehen worden. Die Kammer folgt den dortigen Ausführungen auch im vorliegenden Verfahren.
Hervorzuheben ist, dass es eine wesentliche Strategie eines Teils der Castorgegner im März 2001 war, die Eisenbahntransportstrecke durch "Schienenbesetzungen" über einen möglichst langen Zeitraum und durch eine möglichst große Zahl von Teilnehmern an dieser "Aktionsform" rechtswidrig (wegen des Verstoßes gegen § 62 der Eisenbahn-, Bau- und Betriebsordnung - EBO -; vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 12.3.1998 - 1 BvR 2165/96 u. 2168/96 - u. Beschl. v. selben Tage - 1 BvR 222/97) zu blockieren. Ferner bestanden zahlreiche Indizien für die Annahme, das es zu gewalttätigen Übergriffen und anderen Straftaten eines Teils der Demonstranten kommen werde.
Die u. a. auf diese Indizien gestützte Gefahrenprognose der Beklagten ist durch die tatsächliche Entwicklung der Proteste beim Castortransport im März 2001 bestätigt worden: Trotz des Einsatzes von ca. 18.200 Polizei- und Bundesgrenzschutzbeamten (Lüneburger Landeszeitung - LZ - v. 30.3.2001) kam es zu längeren Schienenblockaden bei Wendisch Evern durch bis zu ca. 600 Demonstranten (LZ v. 27. und 28.3.2001), zu einer "Ankettaktion" von vier Demonstranten, die zu einer 14stündigen Verzögerung des Transports führte (LZ v. 29 und 30.3.2001), und zu in erheblichem Maße gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und sogenannten Autonomen (LZ v. 27. und 28.3.2001).
Hätte die Beklagte die Allgemeinverfügung nicht erlassen, hätte sie diesen Gefahren nicht hinreichend begegnen können. Denn dann hätte sie als Versammlungsbehörde oder im Falle von Spontanversammlungen die Polizei vor Ort in jedem Einzelfall eine individuelle Gefahrenprognose für jede angemeldete Versammlung und vor allem auch für jede unangemeldete Spontanversammlung treffen müssen, und zwar auch dann, wenn diese unmittelbar neben den Gleisen (auf den Gleisen gilt das Betretensverbot nach § 62 EBO) oder kurz vor Eintreffen des Castortransports hätte stattfinden sollen. Angesichts der oben dargestellten erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit wäre dies trotz des Einsatzes einer sehr großen Zahl von Polizeikräften nicht zu leisten gewesen, ohne den polizeilichen Schutzauftrag zu vernachlässigen.
Dabei sind auch die weiteren oben genannten Besonderheiten zu berücksichtigen: Die Begleitung eines Castortransports stellt angesichts der langen und schwer zu kontrollierenden Transportstrecke und der großen Zahl angemeldeter und unangemeldeter Versammlungen und sonstiger "Aktionsformen" mit zum Teil vielen, aber teilweise auch wenigen Teilnehmern, die gerade deshalb (bei unangemeldeten Veranstaltungen) entlang der langen Strecke schwer zu "orten" und polizeilich zu begleiten sind, eine außergewöhnlich komplexe polizeiliche Aufgabe dar. Diese Aufgabe ist nur durch die Hinzuziehung des Bundesgrenzschutzes und einer großen Zahl von Polizeikräften anderer Bundesländer zu bewältigen, die jedoch nicht in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stehen. Im März 2001 ist eine auch unter Berücksichtigung der - aus Sicht der Castorgegner - großen Bedeutung der "Castorproteste" sehr hohe Zahl von Polizeikräften eingesetzt worden. Da aber ohne Erlass der Allgemeinverfügung auch diese Zahl von Polizeikräften aus den genannten Gründen nicht ausreichend gewesen wäre, um den polizeilichen Schutzauftrag zu erfüllen (bereits mit der Durchsetzung der Allgemeinverfügung hatte die Polizei erhebliche Probleme), ist der Erlass der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 gerechtfertigt gewesen.
c) Soweit die Klägerin ferner rügt, dass durch diese Allgemeinverfügung ohne konkrete Gefahrenprognose im Einzelfall alle öffentlichen Versammlungen und mithin auch die von ihr im März 2001 geplanten Veranstaltungen verboten worden seien, verkennt die Klägerin, dass eine Allgemeinverfügung ihrer Natur nach nicht eine für jeden einzelnen Versammlungsanmelder und für jede einzelne Veranstaltung individuell "zurecht geschnittene" Gefahrenprognose treffen kann. Wegen der besonderen Situation, die den Erlass einer Allgemeinverfügung rechtfertigt, stützt sich die Allgemeinverfügung zu Recht auf eine umfassende Gefahrenprognose. Denn eine Allgemeinverfügung hat nicht nur einen bestimmten Versammlungsanmelder zum Adressaten, sondern alle Demonstrationsteilnehmer, d. h. eine unbestimmte Vielzahl potentieller Adressaten. Es kommt auf eine Gesamtbetrachtung an, d. h. ob aus dem Kreis aller Teilnehmer von Demonstrationen und sonstigen "Aktionen" entlang der Transportstrecke eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit und Ordnung zu erwarten ist. Diese Gefahr ist von der Beklagten beim Erlass der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 - wie oben ausgeführt - zu Recht bejaht worden.
Bei dieser Gefahrenprognose hat die Beklagte als Versammlungsbehörde ihre Verfügung zu Recht nicht nur aus Situationen begründet, in denen Rechtsgütergefährdungen von Versammlungen selbst ausgehen, sondern auch aus solchen Situationen begründet, in denen Dritte aus Anlass der Versammlung zu Störern werden. Die Polizei hat zwar zunächst gegen jene vorzugehen, die sich nicht im Rahmen der angemeldeten friedlichen Versammlung bewegen, sondern Rechtsgüter Dritter verletzen wollen. Das Gebot, Kräfte gegen die Störer direkt einzusetzen, steht jedoch unter dem Vorbehalt der Verfügbarkeit solcher Kräfte, die - wie oben ausgeführt - auch beim Castortransport im März 2001 trotz der sehr hohen Zahl von 18.2000 eingesetzten Polizei- und Bundesgrenzschutzbeamten nicht ausreichend gewesen sind, um bei den zahlreichen Protesten entlang der langen Transportstrecke immer zielgerichtet gegen gewalttätige Demonstranten vorgehen und Straftaten verhindern zu können. Auch haben die tatsächlichen Verhältnisse anlässlich der Castortransporte im März 2001 und in den Vorjahren gezeigt, dass eine Trennung der Störer von den friedfertigen Demonstranten häufig nicht wirksam möglich war.
2. Auch das Schreiben der Beklagten vom 23. März 2001 (Klageantrag zu 2.), mit dem diese im Hinblick auf die Versammlungsanmeldung der Klägerin vom 22. März 2001 darauf hingewiesen hat, dass die für den 27. und 28. März 2001 angemeldeten Versammlungen im zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung liegen, ist rechtmäßig.
Aus dem oben (unter II. 1. c) dargestellten Wesen der Allgemeinverfügung und ihrer Zielsetzung folgt, dass einzelne Versammlungsanmelder für einzelne Veranstaltungen nicht durch Hinweis darauf, dass diese allgemeine und umfassende Gefahrenprognose für sie individuell nicht gelte, eine Ausnahme vom Regelungsbereich der Allgemeinverfügung beanspruchen können. Denn dann liefe die Allgemeinverfügung "leer". Sie könnte ihre oben dargestellten und wegen des "polizeilichen Notstands" gerechtfertigten Ziele nicht mehr erreichen. Die Beklagte hätte in jedem Einzelfall erneut eine individuelle Gefahrenprognose zu treffen, was dem dargestellten Sinn und Zweck der Allgemeinverfügung zu wider liefe. Deshalb hat auch das Bundesverfassungsgericht zur Begründung seines den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschlusses vom 26. März 2001 (1 BvQ 16/01) angeführt, dass die Ausführungen über die Nichtgewährung von Eilrechtsschutz in dem die Allgemeinverfügung betreffenden Verfahren
1 BvQ 15/01 gleichermaßen für die von der Fraktion geplanten öffentlichen Versammlungen gelten würden, und ferner ausgeführt, dass die von der Klägerin geplanten Veranstaltungen als Versammlungen den gleichen Einschränkungen wie andere in der Nähe der Strecke des Castortransportes geplante Versammlungen unterlägen.
Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet gewesen, der Klägerin in dem Schreiben vom 23. März 2001, dem allein die Anmeldung vom 22. März 2001 zugrunde gelegen hatte, ein "Alternativangebot" zu unterbreiten.
Hätte die Klägerin ihrerseits der Beklagten angeboten, die von ihr geplanten Versammlungen eventuell räumlich in der Weise zu beschränken, dass die Versammlungen außerhalb des Transportkorridors hätten durchgeführt werden können, hätte die Beklagte in ihrem Schreiben vom 23. März 2001 zwar nicht lediglich auf den Inhalt ihrer Allgemeinverfügung verweisen dürfen, sondern hätte stattdessen eine Einzelfallprüfung vornehmen müssen. Die Beklagte hätte dann beispielsweise zu prüfen gehabt, ob eine Teilung des vorgesehenen Grundstücks bei einer öffentlichen Versammlung, zu der für "alle Personen freier Zugang" gewährleistet werden sollte, überhaupt durchführbar gewesen wäre, oder ob eine Verlegung "auf die Straße" verkehrstechnisch möglich gewesen wäre und ob derartige Alternativen eventuelle Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung seitens der von der Klägerin geplanten Veranstaltungen ausreichend gemindert hätten.
Nach der Anmeldung der Klägerin vom 22. März 2001 sollten aber auf dem ausgewählten Grundstück in Pisselberg räumlich nicht weiter eingegrenzte Veranstaltungen unter freiem Himmel durchgeführt werden, die in den zeitlichen und teilweise in den räumlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung gefallen wären. Von der Möglichkeit einer Beschränkung oder Verlegung dieser Versammlungen war weder in dem Schreiben vom 22. März 2001 noch im Widerspruchsschreiben vom 24. März 2001 und auch nicht in den Eilverfahren vor der 7. Kammer des erkennenden Gerichts (7 B 21/01) und vor dem Bundesverfassungsgericht (1 BvQ 16/01) die Rede, obwohl der Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin der Inhalt der Allgemeinverfügung bekannt war. Dem gemäß hat die Beklagte in ihrem Schreiben vom 23. März 2001 zu Recht lediglich auf den Inhalt der Allgemeinverfügung verwiesen. Auch die 7. Kammer des erkennenden Gerichts und das Bundesverfassungsgericht sind davon ausgegangen, dass die Klägerin in Kenntnis des Regelungsgehaltes der Allgemeinverfügung an diesem genau bestimmten Ort und zu den genannten Zeitpunkten ihre Versammlungen durchführen wollte. Erst im Schreiben vom 30. März 2001 - nach Erledigung des Rechtsstreits - ist davon die Rede, dass die geplanten Veranstaltungen nicht nur innerhalb der 50 m - Zone des Transportkorridors verhindert worden seien, "sondern gänzlich".
Es bestand daher für die Beklagte zum Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens vom 23. März 2001 überhaupt kein Anlass für die Prüfung eventueller Alternativen. Im übrigen hat die Beklagte am Ende dieses Schreibens ausdrücklich auf die Möglichkeit hingewiesen, die Veranstaltung an einem anderen Ort oder zu einem anderen Zeitpunkt durchzuführen.
3. Ob die von der Klägerin geplanten Veranstaltungen über den zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich der Allgemeinverfügung vom 10. März 2001 hinaus durch sonstiges Verhalten der Beklagten (Nichtbescheidung der Versammlungsanmeldung vom 23. März 2001, telefonische Auskünfte) in rechtswidriger Weise verhindert worden sind (Klageantrag zu 3.), kann hier nicht abschließend beurteilt werden. Für eine weitere Aufklärung des diesbezüglichen Sachverhalts hat angesichts der Unzulässigkeit der Klage kein Anlass bestanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen worden.