Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 28.07.2003, Az.: 1 A 12/00
Arzneimittel; diätetische Präparate; Nahrungsmittel; Spezialnahrung; Säuglingsnahrung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 28.07.2003
- Aktenzeichen
- 1 A 12/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48152
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 79 BBG
- § 6 Abs 1 Nr 2 BhV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1.Das Präparat Pregomin ist bei der Indikation Neurodermitis und Milcheiweißallergie nicht behilfefähig, da es geeignet ist, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen.
2. Es ist offen, ob es sich bei dem Präparat um ein Arzneimittel handelt oder handeln kann.
Tatbestand:
Die Klägerin, eine Beamtin im Dienst der Bundesrepublik Deutschland, begehrt die Gewährung einer Beihilfe für die ihrer Tochter verordnete Spezialnahrung Pregomin.
Die am 15. April 1999 geborene Tochter der Klägerin leidet an einer schweren Neurodermitis und einer Milcheiweißallergie. Da sie weder Muttermilch noch normale Säuglingsnahrung verträgt, verordnete der sie behandelnde Kinderarzt als Spezialnahrung das Mittel Pregomin.
Mit Formularanträgen vom 22. Juli und vom 2. August 1999 reichte die Klägerin u.a. jeweils ein Rezept über das verordnete Mittel Pregomin in Höhe von jeweils 46,08 DM ein.
Mit Beihilfebescheiden vom 5. und 16. August 1999 lehnte die Wehrbereichsverwaltung II die Erstattung der Kosten für die Spezialnahrung mit der Begründung ab, es handele sich bei dem Mittel Pregomin nicht um ein Arzneimittel im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV.
Die Klägerin legte gegen die Ablehnung der Erstattung jeweils Widerspruch ein. Unter Bezugnahme auf zwei ärztliche Stellungnahmen des Kinderarztes vertrat sie die Ansicht, dass es sich bei dem Mittel Pregomin nicht um eine übliche Säuglingsnahrung handele, die geeignet sei, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen. Es handele sich um ein Arzneimittel und werde für die Tochter auch als solches eingesetzt.
Der im Widerspruchsverfahren eingeschaltete Vertrauens- /Personalarzt der Wehrbereichsverwaltung II kam in seiner vertrauensärztlichen Stellungnahme vom 12. November 1999 zu dem Ergebnis, dass das Mittel für die Tochter zwar medizinisch notwendig sei, es sich aber nicht um ein Arzneimittel im Sinne der Beihilfevorschriften handele. Die Aufwendungen für das Mittel wären als vollbilanzierte Formeldiät beihilfefähig, denn eine der in dem Hinweis Nr. 4 zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV aufgeführten Indikationen bei der Tochter der Klägerin vorläge; dies sei jedoch nicht der Fall.
Während des Widerspruchsverfahrens machte die Klägerin weitere Aufwendungen für das fortlaufend verordnete Präparat Pregomin in Höhe von insgesamt 1.284,71 DM geltend, über deren Beihilfefähigkeit noch nicht entschieden wurde.
Die eingelegten Widersprüche wies die Wehrbereichsverwaltung II mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 1999 (zugestellt am 28.12.1999) zurück. Darin ist im Wesentlichen dargelegt, dass es sich bei dem Mittel Pregomin nicht um ein Arzneimittel im Sinne der Beihilfevorschriften handele. Außerdem sei es ein Präparat, das anstelle anderer Güter des täglichen Bedarfs verwendet werde und deshalb auch gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 BhV nicht beihilfefähig sei.
Am 27. Januar 2000 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihre Ausführungen aus dem Vorverfahren. Ergänzend führt sie aus: Das Mittel Pregomin sei keine Säuglingsfrühnahrung, sondern eine Spezialnahrung zur Ernährung und Behandlung von Nahrungsmittel allergischen Kindern. Die Heranziehung eines vom Bundespostministerium herausgegebenen Verzeichnisses der gebräuchlichsten nicht oder nur bedingt beihilfefähigen Mittel im Bereich der Wehrbereichsverwaltungen sei nicht sachgerecht und entfalte keine Bindungswirkung. Im Übrigen erspare die Beklagte durch die Behandlung der Tochter mit Pregomin Krankenkosten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihr die beantragte Beihilfe für die Aufwendungen für das Präparat Pregomin in Höhe von insgesamt 563,19 EUR (entspricht 1.101,50 DM) zu gewähren, und die Beihilfebescheide der Wehrbereichsverwaltung II vom 5. und 16. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1999 aufzuheben, soweit sie dem Begehren entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen die Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Wehrbereichsverwaltung II Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Spezialnahrung Pregomin; die insoweit angefochtenen Beihilfebescheide der Wehrbereichsverwaltung II vom 5. und 16. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1999 sind mithin rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO).
In Ausfüllung der in § 79 BBG normierten Fürsorgepflicht des Dienstherrn erhalten die Bundesbeamten Beihilfen in Krankheits-, Pflege-, Geburts-, und Todesfällen. Maßgebend für die Gewährung sind die zur Zeit der Entstehung der Aufwendungen (hier Juli 1999) geltenden Beihilfevorschriften vom 10. Juli 1985 (GMBl. S. 470), zuletzt geändert durch Änderungsvorschrift vom 11. Januar 1999 (GMBl. S. 58) - BhV -.
Beihilfefähig sind gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV u.a. Aufwendungen für schriftlich verordnete Arzneimittel aus Anlass einer Krankheit. Dabei sind solche Aufwendungen beihilfefähig, die dem Grunde nach notwendig und der Höhe nach angemessen sind (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BhV). Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 und Satz 5 BhV sind Aufwendungen für bestimmte Arzneimittel generell für nicht beihilfefähig erklärt worden. Darüber hinaus kann das Bundesministerium des Innern die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für eine Untersuchung und Behandlung nach einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Methode begrenzen oder ausschließen (§ 6 Abs. 2 BhV) und bestimmte (weitere) Arzneimittel, Heilbehandlungen und Hilfsmittel von der Beihilfefähigkeit ausschließen (§ 6 Abs. 4 BhV). Diese Ausschlüsse sind grundsätzlich mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, wie sie für den Bereich der Krankenfürsorge durch die Beihilfevorschriften konkretisiert wird, vereinbar.
Im Einzelnen unterliegt bereits, ob das Mittel Pregomin ein Arzneimittel im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV ist und damit eine Grundvoraussetzung für die Beihilfefähigkeit der für das Mittel entstandenen Kosten gegeben ist. Der Begriff der Arzneimittel wird in den Beihilfevorschriften nicht näher definiert. In Anlehnung an das Arzneimittelgesetz - AMG - ist jedoch davon auszugehen, dass Arzneimittel im Sinne der Beihilfevorschriften Stoffe und Zubereitung von Stoffen sind, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen oder die Bereitschaft, den Zustand oder die Funktion des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 und 5 AMG). Arzneimittel sind nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG nicht Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes, zu denen insbesondere auch die Diätkost im Sinne des § 1 der Diätverordnung gehört. Diätetische Lebensmittel sind Lebensmittel, die bestimmungsgemäß einem besonderen Ernährungszweck dienen (§ 1 Abs. 1 der Diätenverordnung). Dies u.a. der Fall, wenn sie dazu beitragen, besondere Ernährungserfordernissen aufgrund von Umständen wie Krankheit, Mangelerscheinung, Funktionsanomalie und Überempfindlichkeit gegen ein Lebensmittel oder deren Bestandteile zu entsprechen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 Diätverordnung). Ob hiernach das der Tochter der Klägerin verordnete Präparat Pregomin ein Arzneimittel oder ein Nahrungsmittel ist, lässt sich den ärztlichen Stellungnahmen nicht zweifelsfrei entnehmen. Die Klärung dieser Frage kann im vorliegenden Verfahren aber offen bleiben. Denn Pregomin ist jedenfalls ein Mittel, das geeignet ist, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, und deshalb gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 BhV nicht beihilfefähig ist. Sinn der Ausschlussregelung in § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 4 BhV ist es, dem Beihilfeberechtigten, der seinen allgemeinen Lebensbedarf für sich und seine Familie aus den Dienst- bzw. Versorgungsbezügen bestreiten soll, durch die Beihilfe nicht eine zusätzliche „häusliche Ersparnis“ zu ermöglichen. Bei dieser Zielsetzung kommt es bei der Beurteilung nur auf die objektive Eignung des Mittels als Ersatz für Güter des täglichen Bedarfs an. Diese Eignung ist bei der - wie hier - Verwendung als Nahrungsersatz unbestreitbar zu bejahen (ebenso VGH München, Urteil vom 28.9.1994 - 3 B 93.3165 -).
Es liegt hier auch kein Ausnahmefall im Sinne der Nr. 4 der Hinweise zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV vor, indem das Mittel Pregomin als beihilfefähig anerkannt werden könnte. Danach sind in Ausnahmefällen Aufwendungen für vollbilanzierte Formeldiät beihilfefähig, wenn diese aufgrund einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung notwendig sind bei bestimmten Indikationslagen. Die schwere Neurodermitis und die Milcheiweißallergie der Tochter der Klägerin gehört nicht zu den in Nr. 4 Satz 2 des Hinweises zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV aufgeführten Indikationslagen.
Ein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für das Mittel Pregomin ergibt sich schließlich auch nicht unter Rückgriff auf die allgemeine beamtenrechtliche Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Aus der Fürsorgepflicht können grundsätzlich keine Ansprüche geltend gemacht werden, die über die Ansprüche hinausgehen, die - in Konkretisierung der Fürsorgepflicht auf dem betreffenden Gebiet - im Beamtenrecht selbst speziell und abschließend festgelegt sind. Dies ist bei den Beihilfevorschriften der Fall; sie konkretisieren ausdrücklich und abschließend die Fürsorgepflicht des Dienstsherrn gegenüber dem Beamten für den Fall von Krankheit, Geburt und Tod in dessen Familie. Ein Zurückgreifen auf die allgemeine Fürsorgepflicht ist nur in Fällen zulässig und geboten, in denen sonst die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern als verletzt gelten müsste (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.8.1971 - VI C 136.67 -, Buchholz 232, § 79 BBG Nr. 35). Eine solche Wesenskernverletzung ist vorliegend nicht gegeben. Das Wesen der Beihilfe ist - wie schon der Name sagt - eine ergänzende Hilfeleistung des Dienstherren zur Aufwendungen in Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen. Ein Beamter kann aufgrund dieses nur ergänzenden Charakters der Beihilfe nicht erwarten, dass seine krankheitsbedingten Aufwendungen oder hiermit verbundenen Vorsorgeaufwendungen im vollen Umfang gedeckt werden. Vielmehr sind in erster Linie für diese Aufwendungen die amtsangemessenen Bezüge bzw. Versorgungsbezüge heranzuziehen. Der Dienstherr hat bei der Konkretisierung der ihm obliegenden Fürsorgepflicht einen weiten Gestaltungsspielraum, wobei er auch haushaltspolitische Erwägungen einbeziehen darf (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.8.1977 - 2 BvR 1063/76 -, ZBR 1978, 37 [BVerwG 08.07.1977 - BVerwG VII P 28.75]). Unter diesem Gesichtspunkt ist es sachlich gerechtfertigt und nicht zu beanstanden, wenn der Dienstherr im Rahmen der Arzneimittelversorgung Aufwendungen für solche Mittel nicht beihilfefähig erklärt, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen. Der Beamte wird zu anderen Personengruppen hierdurch nicht unzumutbar benachteiligt, da auch im Kassenarztrecht das Mittel Pregomin grundsätzlich von der Erstattungspflicht ausgeschlossen ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin durch den Anspruchsausschluss und zumutbaren Kosten und Risiken ausgesetzt wäre und deswegen die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt sein könnte, bestehen nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. mit 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.