Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 17.07.2003, Az.: 4 B 116/03
Bildungs- und Erziehungsauftrag; Bildungsauftrag; Erziehungsauftrag; Parallelklasse; Überweisung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 17.07.2003
- Aktenzeichen
- 4 B 116/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48037
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 SchulG ND
- § 61 SchulG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Bildungs - und Erziehungsauftrag der Schule (§ 2 NSchG) bietet keine Rechtsgrundlage für eine Überweisung eines Schülers in eine Parallelklasse gegen den Willen des Schülers und seiner Erziehungsberechtigten.
Gründe
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen verschiedene Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Beschulung ihres Sohnes ergangen sind.
Soweit sich die Antragsteller gegen die mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 10. Juni 2003 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Umsetzung ihres Sohnes A. in die Parallelklasse wenden, hat ihr Eilantrag Erfolg. Der als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (4 A 187/03) auszulegende Antrag ist zulässig und begründet.
Die gerichtliche Entscheidung im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ergeht auf Grund einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, dem - hier - öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung einerseits und dem Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung über den erhobenen Rechtsbehelf hiervon verschont zu bleiben, andererseits. Dabei fallen die Erfolgsaussichten dieses Rechtsbehelfes entscheidend mit ins Gewicht. Ist er nach summarischer Prüfung offensichtlich erfolgversprechend, d.h. ist der angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig oder bestehen ernsthafte Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit, so überwiegt das Interesse des Antragstellers an einer aufschiebenden Wirkung jedes denkbare öffentliche Vollzugsinteresse.
So liegt es hier. Die von den Antragstellern gegen die Umsetzung ihres Sohnes in die Parallelklasse erhobene Klage wird nach dem gegenwärtigen Sachstand voraussichtlich Erfolg haben. Denn für die mit Bescheid vom 13. Mai 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 10. Juni 2003 getroffene Maßnahme fehlt es an einer Rechtsgrundlage.
Nach § 61 Abs. 2 - 7 des Niedersächsischen Schulgesetzes - NSchG - sind Ordnungsmaßnahmen zulässig, wenn Schüler ihre Pflichten grob verletzen. Zu den Ordnungsmaßnahmen zählt gem. § 61 Abs. 3 Nr. 1 NSchG auch die Überweisung eines Schülers in eine Parallelklasse. Dass der Sohn der Antragsteller sich grob pflichtwidrig verhalten hat, so dass eine Ordnungsmaßnahme gerechtfertigt wäre, lässt sich den im vorliegenden Verfahren vorgelegten Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen. Insbesondere für das letzte Schuljahr 2002/2003, in dem A. die 8. Klasse der Realschule besucht hat, ist mit Ausnahme einer im Oktober 2002 eingegangenen Beschwerde von Eltern einer Mitschülerin, der A. mit einem Laser-Pointer ins Auge geleuchtet haben soll, kein Fehlverhalten von A. dokumentiert. Zudem ist die Antragsgegnerin dem behaupteten Vorfall offenbar auch nicht weiter nachgegangen und hat diesen nicht zum Anlass genommen, gegen A. Maßnahmen zu ergreifen.
Die Antragsgegnerin stützt die Umsetzung A.s in die Parallelklasse auch nicht auf § 61 NSchG sondern auf den sich aus Art. 4 der Nds. Verfassung und § 2 NSchG ergebenden Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule. Sie macht geltend, dass das Verhältnis zwischen den Antragstellern und der Klassenlehrerin von A. aufgrund der ungerechtfertigten Vorwürfe der Antragsteller zerrüttet und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht mehr möglich sei. Daher sei die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrages gegenüber dem Sohn der Antragsteller in Frage gestellt. Mit der Zuweisung in eine Parallelklasse werde die Möglichkeit geschaffen, den Schulfrieden wieder herzustellen und den gesetzlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag gegenüber dem Sohn der Antragsteller zu erfüllen.
Die von der Antragsgegnerin herangezogenen Regelungen stellen keine hinreichende Rechtsgrundlage für die getroffene Maßnahme dar. Während Art. 4 Abs. 1 Nds. Verfassung das Recht eines jeden Menschen auf Bildung nennt, umschreibt § 2 NSchG im Einzelnen den Bildungsauftrag der Schule, ohne zu konkreten Maßnahmen wie der hier streitigen Umsetzung eines Schülers zu ermächtigen. Die gegen den Willen des Schülers und seiner Eltern erfolgte Umsetzung eines Schülers in eine andere Klasse stellt aber einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Schülers und in das Erziehungsrecht seiner Eltern dar und bedarf daher einer speziellen Ermächtigungsgrundlage, wie sie in § 61 NSchG auch vorgesehen ist.
Ergänzend ist anzumerken, dass sich aus den beigezogenen Verwaltungsvorgängen nicht nachvollziehen lässt, warum das Verhältnis zwischen den Antragstellern und der Klassenlehrerin ihres Sohnes so zerrüttet sein soll, dass der Schulfrieden gestört ist und gegenüber A. der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule nicht mehr erfüllt werden kann. Anlass für diese Annahme ist offenbar das an den Schulleiter gerichtete Schreiben der Antragsteller vom 6. April 2003 gewesen. Darin haben sich die Antragsteller u.a. über die Klassenlehrerin beschwert, ihr gegenüber Misstrauen geäußert und um Klärung wegen einer überklebten Englischzensur sowie Mitteilung der mündlichen Noten in den Fächern Deutsch und Englisch gebeten. Zwar ist der Antragsgegnerin zuzugeben, dass die Antragsteller in diesem Schreiben die gebotene Sachlichkeit vermissen lassen, indem sie in völlig unangemessener Form Vorwürfe gegen die Klassenlehrerin erheben und ihr ein bestimmtes Verhalten wie Lügen oder Mobbing unterstellen. Gleichwohl reicht dies nicht aus, um eine Störung des Schulfriedens begründen zu können. So findet sich in dem Schreiben, wenn es auch unsachlich und überzogen ist, keine konkrete Drohung gegenüber der Klassenlehrerin. Sonstige, insbesondere in zeitlichem Zusammenhang mit der jetzt erfolgten Umsetzung stehende Vorfälle zwischen den Antragstellern und der Klassenlehrerin sind in den Verwaltungsvorgängen nicht dokumentiert. Entscheidend ist außerdem, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern sich Spannungen zwischen den Antragstellern und der Klassenlehrerin auf die Erfüllung des Bildungsauftrages gegenüber A. ausgewirkt haben sollen. Soweit in dem Bescheid vom 13. Mai 2003 dazu angeführt wird, sein Verhalten gegenüber seinen Mitschülern sei dadurch negativ beeinflusst worden, lässt sich dies den Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen, da es an entsprechenden aktenkundig gemachten Vorfällen fehlt.
Der Eilantrag hat allerdings keinen Erfolg, soweit sich die Antragsteller gegen die Anweisung wenden, dass die Lehrer mit ihnen keine Gespräche mehr führen dürfen. Denn dabei handelt es sich um eine verwaltungsinterne Maßnahme der Bezirksregierung Lüneburg, die an die Antragsgegnerin gerichtet ist und von den Antragstellern nicht angefochten werden kann.
Der Eilantrag bleibt auch ohne Erfolg, soweit sich die Antragsteller gegen den mit Bescheid vom 24. April 2003 angeordneten Ausschluss ihres Sohnes von der Klassenfahrt wenden. Denn da die Klassenfahrt in der Zeit vom 16. bis zum 20. Juni 2003 bereits stattgefunden hat und eine Teilnahme daher nicht mehr möglich ist, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis für ein Eilverfahren. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahme bleibt daher dem Klageverfahren vorbehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.