Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.05.2003, Az.: 12 K 296/01

Anspruch auf Kindergeld; Berechtigter bei Trennnung der Eltern; Wohnungswechsel des Kindes; Wechsel am ersten Tag des Monats

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
26.05.2003
Aktenzeichen
12 K 296/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 12841
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0526.12K296.01.0A

Fundstelle

  • EFG 2003, 1559-1560
Zusammenfassung

Kindergelberechtigt ist derjenige Elternteil in dessen Haushalt das Kind lebt. Wechselt das Kind im Laufe eines Monats den Haushalt so bleibt der bisherige Elternteil für diesen Monat anspruchsberechtigt. Das gilt auch dann, wenn das Kind am ersten Tag des Monats den Haushalt wechselt. Zwischen den Berechtigten kann über das zivilrechtliche Unterhaltsrecht ein finanzieller Ausgleich für den Monat des Haushaltswechsels der Kinder erfolgen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die Kinder A und B zu Recht ab September 2000 aufgehoben hat.

2

Die Klägerin ist geschieden und bezog Kindergeld für die Kinder aus der geschiedenen Ehe C, D, A und B.

3

Am 27.10.2000 teilte der geschiedene Ehemann der Klägerin, der Beigeladene, dem beklagten Arbeitsamt telefonisch mit, dass die Kinder A und B seit dem 01.09.2000 in seinem Haushalt lebten. Laut Meldebescheinigung des Einwohnermeldeamtes X haben die Kinder sich mit Meldung vom 25.09.2000 zum 01.09.2000 im Haushalt des Beigeladenen angemeldet. Der Beklagte hob daraufhin mit Bescheid vom 19.02.2001 die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin ab September 2000 für die Kinder A und B auf, mit der Begründung, der Vater habe die Kinder in seinen Haushalt aufgenommen. Er sei damit vorrangig anspruchsberechtigt.

4

Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Sie trug vor, die Kinder A und B hätten erst am 02.09.2000 ihren Haushalt verlassen. Für September 2000 stünde ihr deshalb das Kindergeld noch zu. Die Kinder hätten sich im Laufe des Monats September 2000 rückwirkend zum 01.09.2000 in der Wohnung des Vaters angemeldet. Die Klägerin legte beim beklagten Arbeitsamt eine schriftliche Bestätigung der Tochter B vom 28.02.2001 vor, in der diese angibt, am 02.09.2000 aus dem Haushalt ihrer Mutter ausgezogen zu sein.

5

Im Zuge der Ermittlungen des Arbeitsamtes teilte der Beigeladene im Mai 2001 Folgendes mit:

"Soweit die Kinder A, B und auch ich als der Unterzeichner sich erinnern, sind die Kinder wie auch schon laut Meldebescheinigung angezeigt am 01.09.2001 in den Haushalt des Vaters eingezogen. Alle anders lautenden Bescheinigungen sind nicht freiwillig sondern unter Druck entstanden."

6

Dieser Schriftsatz ist unterschreiben von dem Beigeladenen und den beiden Kindern.

7

Der Einspruch blieb erfolglos. Der Beklagte ging in seiner Einspruchsentscheidung davon aus, dass der Beigeladene die Kinder A und B am 01.09.2000 in seinen Haushalt aufgenommen hat und daher nach § 64 Abs. 2 EStG ab September 2000 den vorrangigen Anspruch auf Kindergeld für diese Kinder habe.

8

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin wiederholt ihr vorprozessuales Vorbringen und trägt ergänzend vor: Die Kindergeldfestsetzung sei vom Beginn des Monats an aufzuheben, wenn die Änderung der Verhältnisse zu Beginn des Monats eingetreten sei. Sie müsse also am ersten Tag des betreffenden Monats bereits eingetreten sein, d.h. spätestens am letzten Tag des Vormonats. Im Streitfall sei die Änderung der Verhältnisse erst mit dem Umzug am Samstag, den 02.09.2000 eingetreten, sodass der Klägerin für den Monat September 2000 das Kindergeld für die beiden Kinder A und B noch zustehe.

9

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 19.02.2001 in der Weise abzuändern, dass die Kindergeldfestsetzung für die Kinder A und B erst ab Oktober 2000 aufgehoben wird.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Er verweist auf die Ausführungen im Einspruchsbescheid und trägt ergänzend vor: Die Kinder A und B hätten selbst erklärt, dass sie bereits seit dem 01.09.2000 im Haushalt des Vaters lebten. Eine Kindergeldfestsetzung sei vom Beginn des Monats an aufzuheben, wenn die Änderung der Verhältnisse zu Beginn des Monats eingetreten sei. Beginn in diesem Sinne könne nur der erste Tag des Monats sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist begründet.

13

Der Klägerin steht noch für September 2000 das Kindergeld für die beiden Kinder zu.

14

1.

Der Anspruch auf Kindergeld steht zwar grundsätzlich beiden Elternteilen zu (§ 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Für jedes Kind wird aber nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt (§ 64 Abs. 1 EStG). Eine Aufteilung unter mehreren Personen, die die Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, findet nicht statt (vgl. BFH-Urteil vom 24.10.2000 VI R 21/99, BFH/NV 2001, 444; BFH-Beschluss vom 28.03.2001 VI B 256/00, BFH/NV 2001, 1117; Finanzgericht Münster, Urteil vom 13.07.1999 13 K 2785/97 Kg, EFG 1999, 1238). Vielmehr wird bei mehreren Berechtigten das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies trifft insbesondere den Fall, dass sich die Eltern trennen und das Kind sodann bei einem von ihnen im Haushalt lebt. Haben sich die für die Zahlung des Kindergeldes maßgeblichen Verhältnisse durch einen Haushaltswechsel des Kindes geändert, so ist die - nicht mehr der materiellen Rechtslage entsprechende - Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Änderung an nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben.

15

2.

Das Gesetz hat es nicht konkret geregelt, wie zu verfahren ist, wenn ein Kind im Laufe eines Monats den Haushalt wechselt. Die Dienstanweisung des Beklagten (DA Fam. EStG 64.4, Absatz 3, Satz 2 (BStBl.I 2000, 636) lautet:

"Ist die Änderung nicht zu Beginn, sondern im Laufe eines Monats eingetreten, ist die Aufhebung vom folgenden Monat an vorzunehmen."

16

Der bisher Berechtigte bleibt also für den Wechselmonat Kindergeldberechtigter. An den neuen Berechtigten soll erst ab dem dem Haushaltwechsel folgenden Monat gezahlt werden.

17

In der Literatur wird dieser Auffassung zum größten Teil gefolgt (vgl. Pust in Littmann/ Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 64 Rz. 194; Bergkemper in Hermann/ Heuer/ Raupach, Kommentar zum EStG, § 64 Anm. 9; Kirchhoff/Söhn, Kommentar zum EStG, § 64 C 14; Weber-Grellet in Schmidt, Kommentar zum EStG, § 64 Rz. 3; a.A.: Dürr in Frotscher, Kommentar zum EStG, § 64 Rz. 5, wonach danach zu differenzieren ist, bei welchem Berechtigten die entscheidenden Merkmale am intensivsten verwirklicht sind - Dauer der Haushaltsaufnahme, Höhe der Unterhaltszahlungen -).

18

Der erkennende Senat hält die Handhabung des Beklagten, in Fällen der Änderung der Haushaltszugehörigkeit im Laufe eines Monats diese erst mit Beginn des Folgemonats zu berücksichtigen, für zutreffend. Die Zahlung des Kindergeldes an denjenigen Berechtigten, der zu Beginn des Monats die Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes erfüllt hat, hat die Erfüllung des Kindergeldanspruches zur Folge und schließt die Zahlung des Kindergeldes an denjenigen Berechtigten, der die Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes erst im Laufe des Monats erfüllt, aus.

19

Mit der Zahlung des Kindergeldes zu Beginn des Monats nimmt der Beklagte eine Leistung mit befreiender Wirkung vor, da Kindergeld grundsätzlich für einen vollen Monat gezahlt wird und die Anspruchsberechtigung schon dann gegeben ist, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung an einem Tag des Monats vorliegen (vgl. FG Münster, Urteil vom 03.07.1999 13 K 2785/97 Kg, a.a.O.). Hierfür sprechen auch Praktikabilitätserwägungen. Zudem kann zwischen den Berechtigten über das zivilrechtliche Unterhaltsrecht ein finanzieller Ausgleich für den Monat des Haushaltswechsels der Kinder erfolgen (vgl. Pust in Littmann/Bitz/Pust, a.a.O.).

20

3.

Allerdings vermag sich der Senat der Auffassung des Beklagten, ein Haushaltswechsel des Kindes am ersten Tag eines Monats genüge, um das Kindergeld an denjenigen Berechtigten auszuzahlen, in dessen Haushalt das Kind gewechselt hat, nicht anzuschließen. Ein Haushaltswechsel am ersten Tag eines Monats ist ein Wechsel "im Laufe des Monats", sodass nach den o.g. Grundsätzen dem Berechtigten, zu dem die Kinder gezogen sind, das Kindergeld erst ab dem Folgemonat zusteht. Da in einem solchen Fall das Kind sich am ersten Tag des Monats, 0 Uhr, (noch) im Haushalt des ursprünglich Berechtigten befindet, hat dieser für den gesamten Monat noch den Anspruch auf Zahlung des Kindergeldes.

21

Nach Auffassung des Senates kann der Fall des Haushaltswechsels am ersten Tag eines Monats nicht anders behandelt werden, als Fälle, in denen die Anspruchsvoraussetzungen für die Kindergeldzahlung am ersten Tag eines Monats wegfallen, wie z.B. bei Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses, Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes im Inland oder Tod eines Kindes am ersten Tag eines Monats. Zweifellos besteht der Kindergeldanspruch in derartigen Fällen noch für den gesamten Monat, da die Anspruchsvoraussetzungen erst während des Monats weggefallen sind (vgl. § 66 Abs. 2 EStG).

22

4.

In Anwendung dieser Grundsätze ist es im Streitfall unerheblich, ob die Kinder A und B am 01. oder am 02.09.2000 aus dem Haushalt der Klägerin in den Haushalt des Beigeladenen umgezogen sind. In beiden Fällen liegt ein Wechsel der Haushaltszugehörigkeit im Laufe des Monats September 2000 vor, sodass das Kindergeld an den Beigeladenen erst ab Oktober 2000 gezahlt werden darf.

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5.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135, 139 Abs. 4 FGO.

24

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren nicht zu erstatten, da dieser keinen eigenen Sachantrag gestellt hat und das Verfahren weder durch Sachvortrag noch durch Rechtsausführungen wesentlich gefördert hat.

25

Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

26

6.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).