Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.05.2003, Az.: 7 K 501/00
Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheids wegen neuer Tatsachen; Inanspruchnahme einer Steuervergünstigung wegen der Kosten für die Errichtung eines Einfamilienhauses; Voraussetzungen und Rechtsfolgen von § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO); Gewährung einer Steuervergünstigung bei einer Personenidentität des Erbauers und Erwerbers eines Hauses
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.05.2003
- Aktenzeichen
- 7 K 501/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 28532
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0514.7K501.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: II B 89/03
Rechtsgrundlage
- § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
Verfahrensgegenstand
Grunderwerbsteuer
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte die Grunderwerbsteuerbescheide wegen neuer Tatsachen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) zu Recht geändert hat.
Die Kläger schlossen am 2. Dezember 1994 mit Herrn W einen notariellen Grundstückskaufvertragüber den Erwerb eines ca. 375 qm großen unbebauten Grundstücks in E, Flurstück ... der Flur ..., verbunden mit einen 1/15 Anteil an einem Privatweg jeweils zur ideellen Hälfte zu einem Gesamtkaufpreis von 49.673,70 DM.
Nach § 1 unter III. des vorstehenden Grundstückskaufvertrags gehörte dieses Grundstück zu einem Neubaugebiet und hatte die Nr. 10 des entsprechenden Lageplans.
Die Erschließung und Bauleitung in dem Neubaugebiet erfolgte laut Nr. 2 der"Vorbemerkungen" des Grundstückskaufvertrags durch das Baugeschäft W in W, ... Nach dem Bebauungsplan sollten fünf Einzelhäuser und zehn Doppelhaushälften entstehen (Nr. 2 der "Besondere[n] Hinweise" des Grundstückskaufvertrags).
In § 5 Nr. 2 unter III. des Grundstückskaufvertrags heißt es: "Der Käufer ist berechtigt und gegenüber dem Baugeschäft W verpflichtet, auf dem Grundstück ein Einfamilien- bzw. eine Doppelhaushälfte zu errichten, zu unterhalten und zu nutzen.""Das Bauvorhaben muss [in] einem Zug ohne Unterbrechung erstellt werden. Der Käufer verpflichtet sich, mit dem Bau des Gebäudes unverzüglich zu beginnen und den Bau spätestens binnen 12 Monaten fertigzustellen."
Am 12. Dezember 1994 schlossen die Kläger mit der Firma W einen Bauvertrag über die Errichtung einer Doppelhaushälfte zu einem Gesamtpreis von 334.645,00 DM.
Der Beklagte setzte mit Bescheiden vom 19. Januar 1995 die Grunderwerbsteuer jeweils in Höhe von 2 % des hälftigen Kaufpreises für den Grund und Boden, mithin auf einen Betrag von je 496,00 DM, fest.
In ihrer für das Kalenderjahr 1995 abgegebenen Einkommensteuererklärung beanspruchten die Kläger die Steuervergünstigung nach § 10 e EStG und erklärten insoweit Baukosten für die Errichtung einer Doppelhaushälfte in Höhe von 334.645,00 DM.
Daraufhin änderte der Beklagte die Grunderwerbsteuerbescheide wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Mit Bescheiden vom 30. September 1997 bezog er jeweils die hälftigen Baukosten in die Bemessungsgrundlage unter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen Vertrags ein und setzte die Grunderwerbsteuer jeweils in Höhe von 3.843,00 DM fest.
Die hiergegen gerichteten Rechtsbehelfsverfahren blieben erfolglos. Mit Einspruchsbescheiden vom 31. Juli 2000 wies der Beklagte die Einsprüche der Kläger vom 14. Oktober 1997 als unbegründet zurück.
Dagegen erhoben die Kläger Klage, mit der sie die Aufhebung der Änderungsbescheide begehren. Ihrer Ansicht nach sei eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr möglich gewesen, da der abgeschlossene Werkvertrag wegen des Inhalts des notariellen Grundstückskaufvertrags keine neue Tatsache darstelle.
Die Kläger beantragen,
die Änderungsbescheide vom 30. September 1997 jeweils in der Form der Einspruchsbescheide vom 31. Juli 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist weiterhin der Auffassung, die Grunderwerbsteuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen neuer Tatsachen zu Recht geändert zu haben. Es liege ein einheitliches Vertragswerk vor, da ein objektiv enger sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskaufvertrag und dem Bauvertrag gegeben sei. Dem Beklagten sei bei Erlass der Ausgangsbescheide zwar die Absicht einer Bebauung bekannt gewesen, nicht aber der Bauvertrag mit der Firma W. Die Formulierung in § 5 Nr. 2 des Grundstückskaufvertrags sei missverständlich, da sie zu der Annahme führe, die Bebauung des Grundstücks könne auch durch ein anderes Bauunternehmen erfolgen, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits die Bebauung durch die Firma W festgestanden habe. Die vorgenommene Änderung verstoße auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Da die Kläger nicht ihre Anzeigepflicht gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) erfüllt hätten, bestehe trotz einer Ermittlungspflichtverletzung des Beklagten kein Vertrauensschutz zu ihren Gunsten.
Wegen des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 14. Mai 2003 Bezug genommen.
Dem Gericht haben die bei dem Beklagten geführten Grunderwerbsteuerakten unter den Steuernummern ... und ... sowie die Bauakten der ... vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Änderungsbescheide vom 30. September 1997 sind aufzuheben. Eine Rechtsgrundlage für den Erlass derÄnderungsbescheide ist nicht gegeben. Entgegen der Ansicht des Beklagten liegen insbesondere die Voraussetzungen einer Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) nicht vor.
Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt, also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH, Urteil vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BStBl. 1995 II S. 264; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar zur AO und FGO, 16. Auflage, 95. Lfg. Juli 2001, § 173 Tz. 2). Nicht zu diesen Gegenständen der Seinswelt gehören Schlussfolgerungen (BFH, a.a.O., BStBl. 1995 II S. 264). Sie sind jedenfalls dann keine Tatsachen, wenn die Schlussfolgerungen von der Behörde gezogen werden können und müssen, welche befugt ist, den Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern. Darum sind insbesondere die steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen und die juristische Subsumtion unter den Tatbestand einer anspruchsbegründenden Steuerrechtsnorm durch die zur Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheides befugte Finanzbehörde keine Tatsache (BFH, a.a.O., BStBl. 1995 II S. 264; Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 Tz. 2).
Nachträglich bekanntgewordene Tatsachen und Beweismittel sind solche, die zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren (BFH, Urteil vom 26. Oktober 1988 II R 55/86, BStBl. 1989 II S. 75; Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 Tz. 3).
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Beklagten nicht nachträglich eine neue Tatsache bekannt geworden ist. Tatsache des ungeschriebenen Steuertatbestands des sog. einheitlichen Vertragswerks ist, ob ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskauf und dem Werkvertrag bestand. Dieser objektive Zusammenhang ergibt sich bereits aus dem notariellen Grundstückskaufvertrag vom 2. Dezember 1994. Es besteht zwar keine Personenidentität zwischen den Vertragsparteien des Grundstückskaufvertrags und des Werkvertrags. In Nr. 2 der "Vorbemerkungen" des Grundstückskaufvertrags wird aber ausgeführt, dass nicht nur die Erschließung, sondern auch die Bauleitung in dem Neubaugebiet, in dem auch das obige Grundstück der Kläger lag, durch das Baugeschäft W erfolgte. Dabei sollten gemäß der Nr. 2 der "Besondere[n] Hinweise" des Grundstückskaufvertrags nach dem Bebauungsplan fünf Einzelhäuser und zehn Doppelhaushälften entstehen. Dementsprechend war das von den Klägern gekaufte Grundstück bereits mit einer festen Nummer im Lageplan versehen. Überdies geht aus § 5 Nr. 2 unter III. des Grundstückskaufvertrags hervor, dass sich die Kläger zur Bebauung des zu erwerbenden Grundstücks mit einem Einfamilien- bzw. einer Doppelhaushälfte verpflichteten und sich bereits gegenüber dem Baugeschäft W verpflichtet hatten, ein Einfamilien- bzw. eine Doppelhaushälfte zu errichten. Der Einwand des Beklagten, die Formulierung in § 5 Abs. 2 des Grundstückskaufvertrags lasse offen, ob sich die Kläger unmittelbar gegenüber dem Baugeschäft W oder gegenüber einem zu bestimmenden Dritten hinsichtlich der Errichtung des Bauwerks verpflichtet hätten, ist unbeachtlich. Die Tatsache des Vorhandenseins eines Bauvertrags wird davon nicht berührt. Auf Grund des vorstehenden Inhalts des dem Beklagten übersandten notariellen Grundstückskaufvertrags war dem Beklagten die Tatsache des objektiv sachlichen Zusammenhangs zwischen dem Grundstückskauf und dem Werkvertrag bereits im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheids vom 19. Januar 1995 bekannt. Bei gehöriger Beachtung des Inhalts des Grundstückskaufvertrags hätte der Beklagte dementsprechend den Sachverhalt in steuerrechtlicher Hinsicht dahingehend würdigen können und müssen, dass ein einheitliches Vertragswerk vorliegt, sodass in materiellrechtlicher Hinsicht die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einzubeziehen gewesen wären.
Mangels nachträglich bekanntgewordener Tatsache ist es schließlich entscheidungsunerheblich, ob sich die Kläger auf Grund ihres Verstoßes gegen die ihnen gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG obliegende Anzeigepflicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben bei einer Ermittlungspflichtverletzung des Beklagten mit Erfolg berufen können.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da dieses Urteil nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und die Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat.