Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.05.2003, Az.: 1 K 33/02
Beginn der Festsetzungfrist bei Vermögensteuerbescheid; Möglichkeit der Anlaufhemmung; Nichtabgabe einer angeforderten Steuererklärung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.05.2003
- Aktenzeichen
- 1 K 33/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 11336
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0519.1K33.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO 1977
- § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO 1977
- § 19 Abs. 1 S. 2 VStG
- § 19 Abs. 2 Nr. 1b VStG
- § 170 Abs. 4 AO 1977
Fundstelle
- EFG 2003, 1753-1754
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Zum Verhältnis der Anlaufhemmungen gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 und § 170 Abs. 4 AO.
- 2.
Beide Vorschriften verfolgen unterschiedliche Regelungszwecke. Während § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verhindern soll, dass ein Stpfl. im Hinblick auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung Vorteile aus der Nichterfüllung der Erklärungspflichten zieht, soll § 170 Abs. 4 AO verhindern, dass innerhalb des Hauptveranlagungszeitraums die Steuer auf einen späteren Veranlagungszeitpunkt früher verjährt als die Steuer auf einen vorhergehenden.
Tatbestand
Streitig ist, ob der angefochtene Vermögensteuerbescheid innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen ist.
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr zusammen mit ihren beiden Kindern zur Vermögensteuer zu veranlagen waren. Da sie trotz entsprechender Aufforderung auf den Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1993 keine Vermögensteuererklärung abgegeben hatten, schätzte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Vermögensteuer durch Bescheid vom 23. Oktober 1995 auf...DM fest. Nachdem die Kläger im Rahmen des Einspruchsverfahrens am 18. Dezember 1995 die Vermögensteuererklärung nachgereicht hatten, setzte das FA die Vermögensteuer durch Bescheid vom 28. Februar 1996 auf 0,00 DM herab, weil sich ein negatives Gesamtvermögen ergab. Bei der Ermittlung des Gesamtvermögens setzte das FA die Anteile an der A-GmbH auf der Grundlage einer Mitteilung des Betriebsfinanzamts über die Feststellung des gemeinen Werts auf den 31. Dezember 1992 mit 3.789.750,00 DM an.
Am 26. März 1999 gingen bei dem FA Mitteilungen des Betriebsfinanzamts über die Feststellung des gemeinen Werts der Anteile auf den 31. Dezember 1992 und den 31. Dezember 1993 ein, aus denen sich folgende Wertansätze ergaben:
31. Dezember 1992 | 3.413.250,00 DM |
---|---|
31. Dezember 1993 | 5.575.125,00 DM. |
Das FA hielt es hiernach für möglich, daß auf den 1. Januar 1994 eine Neuveranlagung zur Vermögensteuer durchzuführen sei, und forderte die Kläger deshalb mit Schreiben vom 14. Januar 2000 dazu auf, eine Vermögensteuererklärung auf diesen Zeitpunkt abzugeben. Da die Kläger dieser Aufforderung nicht Folge leisteten, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1992 durch Bescheid vom 6. September auf 3.515,00 DM fest.
Der hiergegen am 24. September 2001 eingelegte Einspruch wurde von den Klägern nicht begründet und von dem FA durch Einspruchsbescheid vom 11. Januar 2002 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der am 6. Februar 2002 erhobenen Klage machen die Kläger geltend, dass der angefochtene Bescheid erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen sei. Da die Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1993 im Jahre 1995 abgegeben worden sei, habe die vierjährige Festsetzungsfrist auf den Hauptveranlagungszeitpunkt mit Ablauf dieses Jahres begonnen und mit Ablauf des Jahres 1999 geendet. Unter Berücksichtigung des § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) sei die Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1994 daher mit Ablauf des Jahres 2000 abgelaufen. Die mit Schreiben vom 14. Januar 2000 an sie - die Kläger - ergangene Aufforderung zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1994 habe den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr beeinflussen können.
Die Kläger beantragen,
den Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1994 vom 6. September 2001 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 11. Januar 2002 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dass der angefochtene Bescheid innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen ist, und führt zur Begründung aus, dass durch die am 14. Februar 2000 erfolgte Aufforderung zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1994 der Beginn der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO auf den 31. Dezember 1997 hinausgeschoben worden und diese daher erst mit Ablauf des Jahres 2001 abgelaufen sei. Nach der für den Streitfall maßgebenden Fassung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO sei die Anlaufhemmung wegen Nichtabgabe der Steuererklärung nicht mehr auf den Fall beschränkt, dass die Steuererklärung aufgrund gesetzlicher Vorschrift abzugeben sei, sondern greife auch dann ein, wenn sich die Erklärungspflicht aus einer entsprechenden Aufforderung der Finanzbehörde ergebe. Diese Aufforderung sei ergangen, bevor die gemäß § 170 Abs. 4 AO bis zum 31. Dezember 2000 verlängerte Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1994 abgelaufen gewesen sei.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
1.
Der angefochtene Vermögensteuerbescheid auf den 1. Januar 1994 ist innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO).
a)
Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO beträgt die Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer vier Jahre. Gemäß § 170 Abs. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des Jahres, in dem die Steuer entstanden ist, im Fall der Vermögensteuer auf den 1. Januar 1994 also mit Ablauf des Jahres 1994 (§ 5 Abs. 1 und 2 des Vermögensteuergesetzes - VStG -). Ist jedoch eine Steuererklärung abzugeben, so beginnt die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nicht vor Ablauf des Jahres, in dem die Steuererklärung abgegeben wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten auf die Entstehung der Steuer folgenden Jahres.
Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist nach dieser Vorschrift vor. Die Kläger waren gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. § 19 Abs. 1 Satz 2 VStG zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1994 verpflichtet, weil sie von der Finanzbehörde mit Schreiben vom 14. Januar 2000 dazu aufgefordert worden sind. Da sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen sind, begann die Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1994 erst mit Ablauf des Jahres 1997 - dem nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO spätestmöglichen Zeitpunkt - zu laufen.
Der Einwand der Kläger, dass die Anwendung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO auf eine von der Finanzbehörde angeforderte Steuererklärung dazu führe, dass diese durch ihr Verhalten den Anlauf und damit auch den Ablauf der Festsetzungsfrist beeinflussen könne, trifft zwar zu, ist aber bedeutungslos, weil dies eine Folge der gesetzlichen Regelung ist.
b)
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Aufforderung zur Abgabe der Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1994 erst zu einem Zeitpunkt erfolgt wäre, da die reguläre Festsetzungsfrist für diesen Veranlagungsstichtag bereits abgelaufen war. Denn der Anlauf einer bereits abgelaufenen Frist kann nicht mehr gehemmt werden (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 170 AO Rdnr. 24 bei Fn. 29 m.w.N.). Dies war aber nicht der Fall.
Da die Kläger die Vermögensteuererklärung auf den Hauptveranlagungszeitpunkt 1. Januar 1993 - zu deren Abgabe sie nach § 19 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b VStG verpflichtet waren - erst im Jahr 1995 eingereicht haben, begann die Festsetzungsfrist auf diesen Hauptveranlagungszeitpunkt erst mit Ablauf des 31. Dezember 1995 zu laufen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Damit war der Beginn der Festsetzungsfrist im Vergleich zu dem sich aus § 170 Abs. 1 AO ergebenden Fristbeginn um zwei Jahre hinausgeschoben. Um die gleiche Zeit wurde gemäß § 170 Abs. 4 AO der Beginn der Festsetzungsfrist für die folgenden Jahre des Hauptveranlagungszeitraums hinausgeschoben. Die Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1994 begann daher erst mit Ablauf des 31. Dezember 1996 und konnte somit nicht vor Ablauf des Jahres 2000 enden. Zu diesem Zeitpunkt hatte das FA die Kläger aber bereits zur Abgabe einer Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1994 aufgefordert.
c)
Die Rechtsfolge, dass die Anlaufhemmung wegen Nichtabgabe der angeforderten Steuererklärung gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO zu der wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Erklärungspflicht auf den Hauptveranlagungszeitpunkt nach § 170 Abs. 4 AO hinzukommt, träte nur dann nicht ein, wenn § 170 Abs. 4 AO als abschließende - die ergänzende Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ausschließende - Sonderregelung für die Anlaufhemmung der Vermögensteuerfestsetzungsfrist auf die dem Hauptveranlagungszeitpunkt nachfolgenden Veranlagungszeitpunkte anzusehen wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil beide Vorschriften unterschiedliche Regelungszwecke verfolgen. Während § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verhindern soll, dass ein Steuerpflichtiger im Hinblick auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung Vorteile aus der Nichterfüllung der Erklärungspflichten zieht, soll § 170 Abs. 4 AO verhindern, dass innerhalb des Hauptveranlagungszeitraums die Steuer auf einen späteren Veranlagungszeitpunkt früher verjährt als die Steuer auf einen vorhergehenden. Eine übermäßige Ausdehnung der Festsetzungsfrist zu Lasten des Steuerpflichtigen ist von der kumulativen Anwendung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und des Abs. 4 AO schon deshalb nicht zu befürchten, weil sie nichts daran ändert, dass die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO spätestens mit Ablauf des dritten auf die Entstehung der Steuer folgenden Jahres beginnt.
d)
Da die Festsetzungsfrist für die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1994 erst mit Ablauf des Jahres 1997 begann, endete sie erst mit Ablauf des Jahres 2001, so dass der am 6. September 2001 erteilte Steuerbescheid rechtzeitig ergangen ist.
2.
Einwendungen gegen die Höhe der gemäß § 162 Abs. 1 AO im Schätzungswege festgesetzten Steuer haben die Kläger nicht erhoben. Rechtsfehler zu ihren Lasten sind insoweit auch nicht erkennbar.
3.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abzuweisen. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Frage, in welchem Verhältnis die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zu derjenigen nach § 170 Abs. 4 AO steht, hat grundsätzlich Bedeutung.