Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.05.2003, Az.: 1 K 202/98
Verbindlichkeiten als Schuldposten im Einheitswertverfahren über das Betriebsvermögen; Steuerliche Berücksichtigung von Verträgen mit nahen Angehörigen; Vertrag zu Lasten des Finanzamtes aufgrund von Steuervorteilen; Zum Begriff des "nahen Angehörigen" im Steuerrecht; Steuerliche Gesamtbetrachtung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.05.2003
- Aktenzeichen
- 1 K 202/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 12834
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0519.1K202.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 103 Abs. 1 BewG
- § 97 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 BewG
Fundstellen
- EFG 2003, 1457-1458
- ErbBstg 2003, 257
- INF 2003, 764
- KÖSDI 2003, 13972 (Kurzinformation)
- StuB 2004, 472
Amtlicher Leitsatz
Einheitsbewertung auf den 01.01.1993
Zum Begriff des "nahen Angehörigen"
Die Anwendung der Grundsätze über die Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen setzt voraus, dass sich aus der gewählten Gestaltung per Saldo (bezogen auf alle Steuerarten) ein steuerlicher Vorteil ergibt.
Tatbestand
Streitig ist die steuerliche Berücksichtigung von Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber Angehörigen der Gesellschafter.
Die Klägerin ist eine KG. Komplementärin ist Frau A. K. (Beteiligung am Gesellschaftskapital: 51 %), Kommanditistin Frau B. K., die Schwägerin von Frau A. K. (Beteiligung am Gesellschaftskapital: 49 %).
In der Vermögensaufstellung auf 01.01.1993 setzte die Klägerin Kapitalschulden in Höhe von 203.141,00 DM an. Davon entfallen 155.141,00 DM auf Verbindlichkeiten gegenüber Herrn U. K., den Bruder von Frau A. K., 40.000,00 DM auf ein Darlehen der Erbengemeinschaft K., bestehend aus den Geschwistern W., A. und U. K., sowie ein Darlehen von 8.000,00 DM des Herrn J. K., dem Sohn von W. und B. K.
U. K. war bis 1988 selbst Kommanditist der Klägerin. In dieser Zeit hatte er ausweislich der Jahresabschlüsse 1985-1988 seine Gewinnanteile stehen lassen. Diese Gewinnanteile wurden zunächst entsprechend einer Regelung in § 3 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrages mit 8 % jährlich verzinst. Zum Zeitpunkt seines Ausscheidens betrug die Forderung gegenüber der Klägerin 125.198,00 DM. § 14 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrages bestimmt für das Auseinandersetzungsguthaben eines ausgeschiedenen Gesellschafters, dass dieses mit 6 % jährlich zu verzinsen ist. Diese Verzinsung des Auseinandersetzungsguthabens ist im Falle von Herrn U. K. nicht vorgenommen worden.
Im Rahmen einer Außenprüfung stellte der Betriebsprüfer fest, dass über die Darlehensverbindlichkeiten keine Darlehensverträge in schriftlicher Form vorlagen. Zinszahlungen erfolgten nicht, eine regelmäßige Darlehenstilgung fand nicht statt. Eine Rückzahlungsvereinbarung fehlte. Daraufhin änderte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 1997 den zunächst unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 01.01.1993 und erkannte die Verbindlichkeiten gegenüber den Angehörigen der Gesellschafterinnen nicht mehr an. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Gegen die Entscheidung des Beklagten hat die Klägerin Klage erhoben. Sie weist darauf hin, dass es sich bei der Forderung des Herrn U. K. nicht um einen Darlehensvertrag handele, sondern um dessen Auseinandersetzungsanspruch, auf den dieser auch nicht verzichtet habe. Die Kriterien für die Anerkennung eines Angehörigendarlehens seien auf diesen Anspruch nicht anzuwenden.
Im Übrigen sei zu beachten, dass auch mündliche Darlehensverträge bürgerlich-rechtlich wirksam seien. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass es bei der Rechtsprechung zu Angehörigenverträgen darum gehe, Zahlungsflüsse nicht als Betriebsausgaben anzuerkennen. Hier seien jedoch keine Zinszahlungen erfolgt mit der Folge, dass auch keine Betriebsausgaben geltend gemacht wurden. In einem solchen Falle müsse die bürgerlich-rechtliche Wirksamkeit eines Vertrages ausreichen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Bescheides über den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 01.01.1993 vom 23. Juli 1997 und des Einspruchsbescheides vom 3. März 1998 den Einheitswert des Betriebsvermögens um 203.141,00 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass es sich bei sämtlichen streitigen Verbindlichkeiten der Klägerin, auch denen gegenüber Herrn U. K., um Darlehen handele. Das ergebe sich aus § 3 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrages, der bestimme, dass stehengelassene Gewinne auf einem Sonderkonto gutgeschrieben würden, das den Charakter eines Darlehenskontos habe.
Diese Darlehen genügten nicht den Anforderungen, die die Rechtsprechung an die steuerliche Anerkennung von Verträgen unter nahen Angehörigen stelle. So lägen keine schriftlichen Verträge vor, es komme zu keiner regelmäßigen Darlehenstilgung, Zinsen würden nicht gezahlt und es gebe keine Rückzahlungsvereinbarung. Darüber hinaus würden die Darlehen laufend weiter aufgestockt, ohne dass es hierüber schriftliche Vereinbarungen gebe.
Im Übrigen wird auf den Gesellschaftsvertrag der Klägerin, die Verwaltungsvorgänge sowie die im Klageverfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist überwiegend begründet.
1.
Die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber U. K., J. K. und der Erbengemeinschaft K. mit Ausnahme des Anteils von Frau A. K. können nach § 103 Abs. 1 Bewertungsgesetz (BewG) beim Einheitswert des Betriebsvermögens als Schuldposten berücksichtigt werden. Die Grundsätze der Rechtsprechung über die Anerkennung von Verträgen zwischen nahen Angehörigen stehen dem nicht entgegen.
Verträge zwischen nahen Angehörigen können steuerlich nur berücksichtigt werden, wenn die Vereinbarung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form zustande gekommen ist und sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen FremdenÜblichen entspricht (BFH, Urteil vom 18. Dezember 1990 VIII R 138/85, BFHE 163, 431, BStBl. II 1991, 581). Bei Verträgen, die zwischen einer Personengesellschaft und Angehörigen der Gesellschafter geschlossen wurden, sind diese Grundsätze nur dann anzuwenden, wenn der Gesellschafter, mit dessen Angehörigen die Verträge abgeschlossen worden sind, die Gesellschaft beherrscht (BFH, Urteil vom 15. Dezember 1988 IV R 29/86, BFHE 155, 543, BStBl. II 1989, 500; BFH, Urteil vom 18. Dezember 1990 VIII R 138/85, BFHE 163, 431, BStBl. II 1991, 581). Maßgeblich ist im Streitfall deshalb, ob die Darlehensgeber nahe Angehörige der Komplementärin A. K. sind, die 51 % der Anteile an der Klägerin hält.
Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob die Geschwister U. und W. K. der Komplementärin A. K. sowie deren Neffe J. K. als "nahe" Angehörige im Sinne der Angehörigenrechtsprechung angesehen werden können. Hintergrund der Angehörigenrechtsprechung ist die Annahme, dass Verträge zwischen Angehörigen häufig nicht einen Kompromiss zwischen den entgegengesetzten Positionen der Vertragsparteien darstellen, wie es bei Verträgen zwischen fremden Dritten üblich ist. Dieser wirtschaftliche Interessengegensatz fehlt, soweit die Vertragsparteien untereinander eine Wirtschaftsgemeinschaft bilden. Hier ist die Versuchung groß, einen "Vertrag zu Lasten Dritter", d.h. zu Lasten des Finanzamts, zu schließen, den es ohne den beabsichtigten Steuerspareffekt so nicht geben würde.
Während zwischen Ehegatten und Eltern und deren Kindern allerdings eine Wirtschaftsgemeinschaft besteht, die die Annahme gleichgerichteter Interessen rechtfertigt, besteht eine solche Wirtschaftsgemeinschaft im Verhältnis zwischen Geschwistern üblicherweise nicht. Insoweit kann nicht unterstellt werden, dass diese in finanziellen Dingen untereinander nicht korrekt abrechnen. Erst Recht wird das im Verhältnis Tante - Neffe zu gelten haben, wo das Näheverhältnis noch weniger ausgeprägt ist. Der Senat folgt deshalb jenen Stimmen in der Literatur, die dafür plädieren, den Kreis der "nahen" Angehörigen eng zu fassen (Schmidt, Kommentar zum EStG, § 4 Rn. 520, Stichwort "Angehörige", Littmann/Bitz/Pust, §§ 4,5 Rn. 1844).
Die Frage, ob die Darlehensgeber im Streitfall tatsächlich als "nahe" Angehörige aufzufassen sind, kann nach Überzeugung des Senats jedoch aus anderen Gründen dahin stehen. Zutreffend ist zwar, dass im Streitfall keine Abrede über die Dauer des Darlehens, Kündigung und Rückzahlung getroffen wurde und weder eine Zinsvereinbarung vorliegt, noch faktisch Zinsen gezahlt wurden. Grundsätzlich müssen Darlehensverträge unter nahen Angehörigen Vereinbarungen über Laufzeit, Art und Weise der Rückzahlung sowie Höhe und Zahlungszeitpunkt der Zinsen enthalten (BFH Urteil vom 16. Dezember 1998 X R 139/95, BFH/NV 1999, 780; Urteil vom 28. Januar 1993 IV R 109/91, BFH/NV 1993, 590).
Nach Auffassung des Senats kann vertraglichen Gestaltungen nach den Grundsätzen der Angehörigenrechtsprechung nur dann die Anerkennung versagt werden, wenn sie geeignet sind, zu einer Steuerminderung zu führen. Davon kann im Streitfall nicht ausgegangen werden.
Die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien für die Anerkennung von Angehörigenverträgen sind kein Selbstzweck; Zweck der Rechtsprechung ist es, Gestaltungen herauszufiltern, die mutmaßlich alleine der Steuerminderung dienten. Werden in einem Vertrag beispielsweise die Darlehenszinsen, der Mietzins oder das Arbeitsentgelt marktunüblich nicht zu hoch, sondern zu niedrig festgelegt, dann besteht kein Grund, der Vertragspartei, die durch den Vertrag einen Nachteil erleidet, die steuerliche Anerkennung des Vertrages zu verweigern. Bei der Frage, ob die Gestaltung zu einem Steuervorteil führt, darf dabei nicht auf eine Steuerart alleine abgestellt, sondern muss eine steuerliche Gesamtbetrachtung vorgenommen werden.
Dies zugrunde gelegt, geht die Darlehensgewährung im Streitfall nicht zu Lasten der Finanzverwaltung. Wäre, wie es der Beklagte für die Anerkennung der Verbindlichkeiten fordert, tatsächlich eine Zinsvereinbarung getroffen worden und hätte die Klägerin Zinsen dafür gezahlt, dann hätte sie diese fraglos steuermindernd geltend machen können. Der einzige Steuervorteil der gewählten Gestaltung liegt für die Klägerin in der niedrigeren Steuer vom Gewerbekapital und, sollten sie zur Vermögensteuer veranlagt werden, für die beiden Gesellschafterinnen in einer niedrigeren Vermögensteuer. Dieser betragsmäßig geringe Steuervorteil wird jedoch weit überkompensiert durch die in Kauf genommenen Nachteile bei den Ertragsteuern. Das wird gerade deutlich bei der Gewerbesteuer. Dort geht das niedrigere Gewerbekapital einher mit einem höheren Gewerbeertrag; der eine Steuervorteil wird durch den anderen Steuernachteil aufgezehrt. Da die Klägerin per Saldo keinen Vorteil aus der gewählten Gestaltung gezogen hat, können die Verbindlichkeiten als Schulden beim Einheitswert des Betriebsvermögens abgezogen werden.
2.
In Höhe des der Komplementärin A. K. zuzurechnenden Anteils an der Forderung der Erbengemeinschaft K. gegen die Klägerin ist die Klage unbegründet. Das ergibt sich aus § 97 Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 BewG. Nach dieser Rechtsvorschrift sind Forderungen und Schulden zwischen Gesellschaft und Gesellschafter bei Mitunternehmerschaften nicht anzusetzen, soweit es sich nicht um Forderungen und Schulden aus dem regelmäßigen Geschäftsverkehr zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter oder aus der kurzfristigen Überlassung von Geldbeträgen an die Gesellschaft oder einen Gesellschafter handelt. Da die Ausnahmen des zweiten Halbsatzes im Streitfall nicht einschlägig sind, kommt der Ansatz der Darlehensverbindlichkeit gegenüber der Gesellschafterin A. K. nicht in Betracht, wobei nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO Frau K. ein ihrem Beteiligungsanteil an der Erbengemeinschaft entsprechender Anteil an dem Darlehen zuzurechnen ist (d.h. 1/3 von 40.000,00 DM = 13.333,00 DM).
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 und 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).