Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.05.2003, Az.: 7 K 61/01
Änderung eines Grunderwerbsteuerbescheids wegen neuer Tatsachen; Inanspruchnahme einer Steuervergünstigung wegen der Kosten für die Errichtung eines Einfamilienhauses; Voraussetzungen und Rechtsfolgen von § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO); Gewährung einer Steuervergünstigung bei einer Personenidentität des Erbauers und Erwerbers eines Hauses
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.05.2003
- Aktenzeichen
- 7 K 61/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 28531
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0514.7K61.01.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 25.01.2006 - AZ: II R 61/04
Rechtsgrundlage
- § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte den Grunderwerbsteuerbescheid wegen neuer Tatsachen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) zu Recht geändert hat.
Der Kläger schloss am 15. März 1994 mit der Firma W einen Bauvertrag über die Errichtung eines Einfamilienhauses zu einem Gesamtpreis von 410.144,00 DM.
Des Weiteren schloss er am 16. März 1995 mit der Erbengemeinschaft Z einen notariellen Grundstückskaufvertrag über den Erwerb eines 418 qm großen unbebauten Grundstücks in E, Flurstück ... der Flur ..., verbunden mit einen 1/15 Anteil an einem Privatweg zu einem Gesamtkaufpreis von 54.575,70 DM.
Nach § 1 unter III. des vorstehenden Grundstückskaufvertrags gehörte dieses Grundstück zu einem Neubaugebiet und hatte die Nr. 5 des entsprechenden Lageplans.
Die Erschließung und Bauleitung in diesem Neubaugebiet erfolgte laut Nr. 2 der"Vorbemerkungen" des Grundstückskaufvertrags durch das Baugeschäft W in W, ... Nach dem Bebauungsplan sollten fünf Einzelhäuser und zehn Doppelhaushälften entstehen (Nr. 2 der "Besondere[n] Hinweise" des Grundstückskaufvertrags).
In § 5 Nr. 2 unter III. des Grundstückskaufvertrags heißt es: "Das Bauvorhaben muss in einem Zug ohne Unterbrechung erstellt werden. Der Käufer verpflichtet sich, mit dem Bau des Gebäudes unverzüglich zu beginnen und den Bau spätestens binnen 14 Monaten fertigzustellen."
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 12. April 1995 die Grunderwerbsteuer in Höhe von 2 % des Kaufpreises für den Grund und Boden, mithin auf einen Betrag von 1.091,00 DM, fest.
In ihrer für das Kalenderjahr 1995 abgegebenen Einkommensteuererklärung beanspruchte der Kläger die Steuervergünstigung nach § 10 e EStG und erklärte insoweit Baukosten für die Errichtung eines Einfamilienhauses in Höhe von 410.144,00 DM.
Daraufhin änderte der Beklagte den Grunderwerbsteuerbescheid wegen neuer Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Mit Bescheid vom 30. September 1997 bezog er die Baukosten in die Bemessungsgrundlage unter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen Vertrags ein und setzte die Grunderwerbsteuer in Höhe von 9.294,00 DM fest.
Das hiergegen gerichtete Rechtsbehelfsverfahren blieb erfolglos. Mit Einspruchsbescheid vom 31. Juli 2000 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers vom 17. Oktober 1997 als unbegründet zurück.
Dagegen erhob der Kläger Klage, mit der er die Aufhebung des Änderungsbescheids begehrt. Seiner Ansicht nach sei eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr möglich gewesen, da der abgeschlossene Werkvertrag wegen des Inhalts des notariellen Grundstückskaufvertrags keine neue Tatsache darstelle. Verweis auf Parallelverfahren!
Der Kläger beantragt,
den Änderungsbescheid vom 30. September 1997 in der Form des Einspruchsbescheids vom 31. Juli 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest. Seiner Ansicht sei die Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO wegen neuer Tatsachen zu Recht erfolgt. Es liege - insoweit unstreitig - ein einheitliches Vertragswerk vor. Dem Beklagten sei bei Erlass des Ausgangsbescheids zwar die Absicht einer Bebauung bekannt gewesen, nicht aber der Bauvertrag mit der Firma W. In § 5 Nr. 2 unter III. des Grundstückskaufvertrags sei kein Hinweis auf eine bestehende Verpflichtung, ein Gebäude mit dem Bauunternehmen W zu errichten, enthalten.
Wegen des weitergehenden Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 14.05.2003 Bezug genommen.
Dem Gericht haben die für den Kläger bei dem Beklagten geführten Grunderwerbsteuerakten unter der Steuernummer ... sowie die Bauakten der ... vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der Änderungsbescheid vom 30. September 1997 ist aufzuheben. Eine Rechtsgrundlage für den Erlass desÄnderungsbescheids ist nicht gegeben. Entgegen der Ansicht des Beklagten liegen insbesondere die Voraussetzungen einer Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor.
Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen.
Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt, also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH, Urteil vom 2. August 1994 VIII R 65/93, BStBl. 1995 II S. 264; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Kommentar zur AO und FGO, 16. Auflage, 95. Lfg. Juli 2001, § 173 Tz. 2). Nicht zu diesen Gegenständen der Seinswelt gehören Schlussfolgerungen (BFH, a.a.O., BStBl. 1995 II S. 264). Sie sind jedenfalls dann keine Tatsachen, wenn die Schlussfolgerungen von der Behörde gezogen werden können und müssen, welche befugt ist, den Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern. Darum sind insbesondere die steuerrechtliche Würdigung von Tatsachen und die juristische Subsumtion unter den Tatbestand einer anspruchsbegründenden Steuerrechtsnorm durch die zur Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheides befugte Finanzbehörde keine Tatsache (BFH, a.a.O., BStBl. 1995 II S. 264; Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 Tz. 2).
Nachträglich bekanntgewordene Tatsachen und Beweismittel sind solche, die zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach § 173 AO maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren (BFH, Urteil vom 26. Oktober 1988 II R 55/86, BStBl. 1989 II S. 75; Tipke/Kruse, a.a.O., § 173 Tz. 3).
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Beklagten nicht nachträglich eine neue Tatsache bekannt geworden ist. Tatsache des ungeschriebenen Steuertatbestands des sog. einheitlichen Vertragswerks ist vorliegend, ob ein objektiv sachlicher Zusammenhang zwischen dem Grundstückskauf und dem Werkvertrag bestand. Dieser objektive Zusammenhang ergibt sich bereits aus dem notariellen Grundstückskaufvertrag vom 16. März 1995. Es besteht zwar keine Personenidentität zwischen den Vertragsparteien des Grundstückskaufvertrags und des Werkvertrags. In Nr. 2 der "Vorbemerkungen" des Grundstückskaufvertrags wird aber ausgeführt, dass nicht nur die Erschließung, sondern auch die Bauleitung in dem Neubaugebiet, in dem auch das obige Grundstück des Klägers lag, durch das Baugeschäft W erfolgte. Dabei sollten gemäß der Nr. 2 der "Besondere[n] Hinweise" des Grundstückskaufvertrags nach dem Bebauungsplan fünf Einzelhäuser und zehn Doppelhaushälften entstehen. Dementsprechend war das vom Kläger gekaufte Grundstück bereits mit einer festen Nummer im Lageplan versehen. In § 5 Nr. 2 unter III. des Grundstückskaufvertrags verpflichtete sich dann der Kläger, "mit dem Bau des Gebäudes unverzüglich zu beginnen und den Bau spätestens binnen 14 Monaten fertigzustellen". Auf Grund des vorstehenden Inhalts des notariellen Grundstückskaufvertrags war dem Beklagten bereits im Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Grunderwerbsteuerbescheids vom 12. April 1995 bekannt, dass ein objektiver Zusammenhang zwischen dem Grundstückskauf und dem Werkvertrag bestand. Bei gehöriger Beachtung des Inhalts des Grundstückskaufvertrags hätte er dementsprechend den Sachverhalt in steuerrechtlicher Hinsicht dahingehend würdigen können und müssen, dass ein einheitliches Vertragswerk vorliegt, sodass in materiellrechtlicher Hinsicht die Bauerrichtungskosten in die Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer einzubeziehen gewesen wären.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da dieses Urteil nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und die Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat.