Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.05.2003, Az.: 1 K 252/01
Feststellungslast der Finanzbehörde für die steuerbegründenden Tatsachen; Tatsächliche Vermutung bezüglich der Erlangung des Vermögens über den gesamten Veranlagungszeitraum; Entkräftung des Beweises des ersten Anscheins dadurch, dass substantiiert darlegt wird, woher das Vermögen stammt; Hinzuschätzungsbetrag, der sich nach den Regeln des Anscheinsbeweises ergibt
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 27.05.2003
- Aktenzeichen
- 1 K 252/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 17242
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0527.1K252.01.0A
Rechtsgrundlage
- § 162 AO 1977
Fundstellen
- BM 2003, 295
- DStR 2003, VIII Heft 43 (Kurzinformation)
- DStRE 2003, 1298-1300 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2003, 1439-1440
- WM 2004, 581-583 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 2004, 156 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Vermögensteuer auf den 01.01.1989, 01.01.1991 und 01.01.1995.
Tatsächliche Vermutung des Vorhandenseins des Kapitalstamms zu einem vorangehenden Veranlagungsstichtag, wenn der Steuerpflichtige keinerlei Angaben zur Höhe seines Kapitalvermögens macht.
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Es besteht eine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass das Vermögen, das dem Steuerpflichtigen zum 01.01. des einen Jahres nachweislich zuzurechnen ist, ihm nach Abzug der möglichen Ersparnis der letzten 12 Monate auch schon zum 01.01. des vorangehenden Jahres zuzurechnen war.
- 2.
Bestreitet der Steuerpflichtige, über dieses Vermögen schon damals verfügt zu haben, so muss er den Beweis des ersten Anscheins dadurch entkräften, dass er substantiiert darlegt, woher er das Vermögen erworben hat.
- 3.
Umgekehrt ist die Finanzbehörde beweisbelastet, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft die Herkunft eines Teils seines Vermögens erläutert hat und das Finanzamt dennoch einen höheren Vermögensansatz für richtig hält.
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Kapitalvermögens, das den Klägern zuzurechnen ist.
Die Kläger sind verheiratet und werden zur Vermögensteuer zusammen veranlagt. Sie haben zeitnah keine Vermögensteuererklärungen für die Hauptveranlagungsstichtage 01.01.1989, 01.01.1993 und 01.01.1995 abgegeben.
Im Rahmen von Fahndungsmaßnahmen, die den Geldtransfer von der Volksbank B. zur DG Bank Luxemburg betrafen, wurde das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen X (FAFuSt) auf die Kläger aufmerksam. Aufgefunden wurde ein Vordruck der Volksbank für einen Wertpapier-Übertrag. Als Auftraggeber ist in dem Formblatt handschriftlich der Kläger mit seiner Wohnanschrift eingetragen, als Begünstigter wird ebenfalls der Kläger mit einem Depotkonto bei der DG Bank Luxemburg aufgeführt. Als zu übertragende Wertpapiere werden drei verschiedene festverzinsliche Wertpapiere mit einem Nennwert von jeweils 100.000,00 DM benannt. Neben dem Datum 08.01.1993 findet sich die Unterschrift "W.".
Weiterhin stellte das FAFuSt fest, dass die Kläger von ihrem Termingeldkonto am 29. Januar 1993 einen Geldbetrag von 135.244,20 DM abgehoben haben. Da für denselben Tag auf dem bankinternen Tafelpapierkonto der Erwerb zweier Tafelpapiere zum Betrag von 31.210,20 DM und 104.034,00 DM, zusammen ebenfalls 135.244,20 DM, verbucht wurden, ging das FAFuSt von einem Erwerb von Tafelpapieren in entsprechender Höhe durch die Kläger aus.
Im Jahre 1999 leitete das FA FuSt ein steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen die Kläger ein. In diesem Zusammenhang schrieb es verschiedene Banken an und forderte diese auf, mitzuteilen, ob die Kläger dort eine Bankverbindung unterhielten und wenn ja, die Kontostände und erzielten Zinserträge mitzuteilen.
Aus den Bankmitteilungen ergaben sich für die Kläger folgende Kontostände:
01.01.1989 | 01.01.1990 | 01.01.1991 | 01.01.1992 | |
---|---|---|---|---|
Kreissparkasse B | 76.816,16 DM | 118.193,49 DM | 128.478,00 DM | 304.328,75 DM |
Volksbank B | 28.253,97 DM | 103.219,33 DM | 166.840,86 DM | 288.239,69 DM |
Postbank | 942,37 DM | 965,77 DM | 994,72 DM | 1.024,54 DM |
Summe | 106.012,50 DM | 222.378,59 DM | 296.313,58 DM | 593.592,98 DM |
01.01.1993 | 01.01.1994 | 01.01.1995 | |
---|---|---|---|
Kreissparkasse B | 247.566,45 DM | 116.715,42 DM | 80.203,95 DM |
Volksbank B | 374.730,69 DM | 128.082,77 DM | 179.868,57 DM |
Postbank | 1.055,26 DM | 1.081,75 DM | 1.103,37 DM |
Summe | 623.352,40 DM | 245.879,94 DM | 261.175,89 DM |
Der Beklagte wertete diese Bankbescheinigungen aus und erließ mit Daten vom 14., 18. und 21. September 1999 Vermögensteuerbescheide auf den 01.01.1989, 01.01.1991, 01.01.1992, 01.01.1993 und 01.01.1995. Dabei setzte er für die Stichtage 01.01.1992 und 01.01.1993 die Zahlenwerte aus den Bankbescheinigungen an. Für den Stichtag 01.01.1995 berücksichtigte er zusätzlich entsprechend dem aufgefundenen Vordruck einen Wertpapierbestand bei der DG Bank Luxemburg i.H.v. 300.000,- sowie einen Bestand an Tafelpapieren in Höhe von rund 149.000,00 DM.
Da sich nach seinen Berechnungen das Vermögen der Kläger vom 01.01.1991 auf den 01.01.1992 um rund 300.000,00 DM erhöht hatte und es diesen Vermögenszuwachs als ungeklärt ansah, ging der Beklagte davon aus, dass die Kläger auch vor dem 01.01.1992 Tafelpapiere gehalten hatten. Er schätzte deshalb ein zusätzliches Kapitalvermögen von 250.000,00 DM auf den 01.01.1989 und 200.000,00 DM auf den 01.01.1991 hinzu. Der gegen die Vermögensteuerbescheide gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Die Kläger tragen im Klageverfahren vor, dass sie keine Tafelpapiere gehalten und kein Geld in Luxemburg angelegt hätten. Es sei nicht zutreffend, dass sie bei der Aufklärung nicht mitgewirkt hätten und deshalb eine Schätzungsbefugnis bestehe.
Der Vermögensanstieg von 1991 auf 1992 beruhe auf dem Verkauf von drei Grundstücken. Die Kläger haben die jeweils ersten Seiten der notariellen Kaufverträge vorgelegt. Zwei dieser Verträge datieren aus dem Jahr 1992. Ein weiterer Vertrag datiert vom 24. März 1991. Danach haben die Kläger und Frau R. als Miteigentümer zu je ½ ein Grundstück in S. zum Kaufpreis von 230.000,00 DM veräußert. Der Kaufpreis war laut Vertrag zum 1. Mai 1991 fällig. Die Grundstücksgemeinschaft W/R hat in den Jahren zuvor in ihren Erklärungen zur gesonderten Gewinnfeststellung keine Schuldzinsen als Werbungskosten geltend gemacht.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung der Vermögensteuerbescheide auf den 01.01.1989 vom 14. September 2000, auf den 01.01.1991 vom 18. September 2000, auf den 01.01.1992 vom 21. September 2000, auf den 01.01.1993 vom 14. September 2000 und auf den 01.01.1995 vom 14. September 2000 und des Einspruchsbescheides vom 19. April 2001 die Vermögensteuer auf den 01.01.1989 von einem um 133.658,30 DM, auf den 01.01.1991 um 97.249,33 DM, auf den 01.01.1992 um 29.728,25 DM, auf den 01.01.1993 um 377.499,37 DM und auf den 01.01.1995 um 472.479,52 DM geminderten Vermögen festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält die angegriffenen Vermögensteuerbescheide für rechtmäßig. Die Behauptung, kein Konto bei der DG Bank Luxemburg unterhalten und keine Tafelpapiere erworben zu haben, stehe im Widerspruch zu den von der Steuerfahndung sichergestellten Unterlagen. Im Übrigen hätte die Kläger hinsichtlich des Auslandssachverhalts eine erhöhte Mitwirkungspflicht getroffen.
Für die Zeit vor 1992 sei ein ungeklärter Vermögenszuwachs festzustellen, den die Kläger nicht aufgeklärt hätten. Insbesondere könnten die erst in 1992 veräußerten Grundstücke den Vermögensanstieg nicht erklären. Der Veräußerungserlös aus dem Verkauf des Hauses in S. sei dadurch berücksichtigt worden, dass trotz eines Vermögensanstiegs von rund 300.000,00 DM nur eine Hinzuschätzung von 200.000,00 DM vorgenommen worden sei.
In der mündlichen Verhandlung haben sich die Kläger auf die Frage des Gerichts, wie der Vermögensanstieg vom 01.01.1991 auf den 01.01.1992 und die Vermögensminderung vom 01.01.1993 auf den 01.01.1994 zu Stande gekommen sei, dahingehend geäußert, dass sie dieses inzwischen nicht mehr sagen könnten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist für die Stichtage 01.01.1989 und 01.01.1991 teilweise begründet. Für den Stichtag 01.01.1995 hat sie keinen Erfolg.
Stichtage 01.01.1989 und 01.01.1991
Der Beklagte hat dem Grunde nach zu Recht zu dem durch Bankbescheinigung nachgewiesenem Kapitalvermögen weiteres Kapitalguthaben hinzugeschätzt. Der Höhe nach hat die Hinzuschätzung jedoch nur teilweise Bestand.
Grundsätzlich trägt die Finanzbehörde die Feststellungslast für die steuerbegründenden Tatsachen. Danach müsste sie für jeden einzelnen Veranlagungsstichtag den Nachweis führen, dass der Steuerpflichtige über das von ihr angesetzte Vermögen verfügt.
Allerdings erwerben die Steuerpflichtigen ihr Vermögen ganz in der Regel nicht von heute auf morgen. Vielmehr wird das Vermögen normalerweise über Jahre hinweg angespart. Aus diesem Grunde besteht eine tatsächliche Vermutung dahingehend, dass das Vermögen, das dem Steuerpflichtigen zum 01.01. des einen Jahres nachweislich zuzurechnen ist, ihm nach Abzug der möglichen Ersparnis der letzten 12 Monate auch schon zum 01.01. des vorangehenden Jahres zuzurechnen war.
Bestreitet der Steuerpflichtige, über dieses Vermögen schon damals verfügt zu haben, so muss er den Beweis des ersten Anscheins dadurch entkräften, dass er substantiiert darlegt, woher er das Vermögen erworben hat. Umgekehrt ist die Finanzbehörde beweisbelastet, wenn der Steuerpflichtige glaubhaft die Herkunft eines Teils seines Vermögens erläutert hat und das Finanzamt dennoch einen höheren Vermögensansatz für richtig hält.
Nach diesen Grundsätzen ist für den Stichtag 01.01.1989 gem. § 162 AO zusätzliches Vermögen in der Größenordnung von 130.000,00 DM und auf den 01.01.1991 von 103.000,00 DM hinzuzuschätzen.
Die Kläger haben nur insoweit eine stichhaltige Begründung für den Vermögensanstieg vom 01.01.1991 auf den 01.01.1992 um 297.000,00 DM gegeben, als sie auf den Verkauf des Grundstücks in S. verweisen. In Höhe des auf die Klägerin entfallenden Anteils des Verkaufserlöses von 115.000,00 DM haben sie in der Tat eine nachvollziehbare Erklärung für die Vermögensmehrung geliefert. Rechnet man dem noch die mögliche Ersparnis aus den Einkünften des Kalenderjahres 1991 (zu versteuerndes Einkommen 1991: ca. 162.000,00 DM) von rund 50.000,00 DM sowie die Zinsen auf das bereits vorhandene Vermögen von rund 29.000,00 DM hinzu, vermindert sich der hinzuzuschätzende Betrag um 97.000,00 DM auf 103.000,00 DM. Der Verkauf der anderen beiden Grundstücke kann deshalb nicht den Vermögensanstieg vom 01.01.1991 auf den 01.01.1992 erklären, weil der entsprechende Verkaufserlös den Klägern erst 1992 zugeflossen ist.
Da weder die Kläger über die genannten Sachverhalte hinaus die Herkunft weiteren Vermögens erläutert haben, noch umgekehrt der Beklagte den Nachweis höheren Vermögens der Kläger geführt hat, verbleibt es für den Stichtag 01.01.1991 bei dem Hinzuschätzungsbetrag, der sich nach den Regeln des Anscheinsbeweises ergibt.
Entsprechendes gilt für den Stichtag 01.01.1989. Das Kapitalvermögen der Kläger laut Bankbescheinigungen hat sich vom 01.01.1989 auf den 01.01.1990 um rund 114.000,00 DM erhöht. Unterstellt man eine Vermögensmehrung durch Zinsen und Ersparnis im Kalenderjahr 1989 von 87.000,00 DM, verbleibt ein weiterer ungeklärter Vermögensanstieg von 27.000,00 DM, der ebenfalls zu einer Hinzuschätzung berechtigt. Der Beklagte durfte auf den 01.01.1989 insgesamt 130.000,00 DM hinzuschätzen.
Stichtag 01.01.1995
Der Ansatz der Höhe des Kapitalvermögens in dem Vermögensteuerbescheid auf dem 01.01.1995 ist nicht zu beanstanden. Nach Überzeugung des Gerichts haben die Kläger sowohl Wertpapiere im Nominalwert von 300.000,00 DM bei der DG Bank Luxemburg angelegt als auch weitere Wertpapiere in Form von Tafelpapieren gehalten. In dem Wertpapier-Übertragungsauftrag ist sowohl als Auftraggeber als auch begünstigter Kunde der DG Bank Luxemburg ausdrücklich der Kläger benannt, und zwar unter Angabe seiner Wohnanschrift, sodass eine Verwechslung ausgeschlossen ist. Vergleicht man die Unterschrift unter diesem Schriftstück mit den Unterschriften des Klägers unter seinen Steuererklärungen, fällt eine erhebliche Ähnlichkeit auf. Aber selbst wenn man unterstellen würde - wofür hier nichts spricht - dass die Volksbank die Übertragung unautorisiert durchgeführt haben sollte, wäre der Kläger dennoch zivilrechtlich Inhaber des bei der DG Bank Luxemburg unter seinem Namen eingerichteten Wertpapierdepots.
Ebenfalls ist von dem Erwerb von Tafelpapieren am 29. Januar 1993 auszugehen. Die Abhebung eines nicht glatten Geldbetrages vom Termingeldkonto der Kläger stimmt auf den Pfennig genau mit dem Betrag für den Erwerb von Tafelpapieren durch einen Kunden der Sparkasse zum selben Datum überein. Bei einem nicht übermäßig großen Geldinstitut wie der Kreissparkasse B. kann eine zufällige Übereinstimmung als ausgeschlossen angesehen werden. Hinzu kommt, dass die Kläger nicht stichhaltig erläutert haben, was sie mit dem abgehobenen Geld alternativ gemacht haben.
Abgerundet wird das Ganze noch dadurch, dass sich das Vermögen der Kläger, hätte der Erwerb der Tafelpapiere und die Übertragung der Wertpapiere nach Luxemburg nicht stattgefunden, vom 01.01.1993 auf den nachfolgenden Stichtag 01.01.1994 massiv vermindert hätte, und zwar in einer Größenordnung von rund 375.000,00 DM. Für diese Vermögensminderung, die eingetreten wäre, wenn man die Behauptung der Kläger, sie hätten weder Geld nach Luxemburg übertragen noch Tafelpapiere erworben, als wahr unterstellt, sind die Kläger jede Erklärung schuldig geblieben. Die Behauptung, sie könnten sich nicht mehr daran erinnern, was mit dem Vermögen geschehen sei, ist angesichts der Größenordnung des betroffenen Geldbetrages, zumal in Anbetracht der Tatsache, dass es sich um fast 2/3 des gesamten Geldvermögens der Kläger handelt, unglaubwürdig.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 FGO. Dabei waren die Kosten im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten zu teilen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).